Briefwechsel aus dem Kinderlandverschickungslager 2 Okopenko Andreas Tezarek Laura Herberth Arno Hebenstreit Desiree Englerth Holger Transkription, S. 1-13 Hermann Katharina Transkription, S. 14-24 Knapp Andrea Formale Codierung, S. 1-13 Hermann Katharina Formale Codierung, S. 14-24 Knapp Andrea Korrektur der formalen Codierung Tezarek Laura Semantische Codierung Herberth Arno Version 2.0 Austrian National Library
Josefsplatz 1 1015 Vienna Austria
Vienna 21.11.2019

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o:oko.sp-5
Vienna Austrian National Library Literary Archive 399/W101/2 AC14413183 Z148507506 Papier 24 Seiten Briefe in losen Einzelblättern Von Andreas Okopenko mit Schreibmaschine geschriebener Text. Von Andreas Okopenko mit der Hand geschriebener Text. Von unbekannter Hand handschriftlich geschriebener Text. vorgedruckter Text.
Meiner liebsten Mama 3

Wenn ich aus dem Spital herauskomme, komme ich ins "Hamalčik". Dann ist hoffentlich meine Spitalsperiode vor-über. Zunehmen werde ich bestimmt wieder. – Stud. R. Ruž. hat es sich in den Kopf gesetzt, daß wir 100 Verse Homer auswendig lernen müssen. Diese oder nächste Woche werden wir damit fertig sein. Das wird ein sauberes Nachbüffeln geben! Sonst werden wir nicht viel weiterkommen. Nachdem unsere Gesch. und Geo.-Professorinnen beide Angina gehabt haben, hat die 3. weibl. Lehrkraft, die Bio.-Professorin Jenisch Scharlach bekommen!! Auch der Schuster ist scharlachkrank und der Schäffer liegt 2 Krankenzimmer weiter an Rheuma usw. -

Herzl. Grüße an den l. Papa; an die Tante und Großvater. Danke für den Brief von Fr. Prim. Pawl.! Grüße an H. Wasil., den armen Teufel! Glückwünsche zu Deinem Namenstag! Viele Küsse Dein

Andrijko

1 Meiner lieben Mama! Mütterlein, lieb Mütterlein, Wie mußt Du doch immerfort fleißig sein! Wenn wir noch schlafen am frühesten Morgen, Mußt Du Dich schon plagen, mußt Du Dich schon sorgen, Daß wir auch beizeiten den Kaffee kriegen, Daß wir nicht zu lang in den Federn liegen, Daß wir nicht etwa die Schule verpassen, Das Frühstücksbrot haben, nichts liegen-lassen. Dann mußt Du fegen und putzen und klopfen, Mußt scheuern und flicken und bürsten und stopfen. Die Wäsche darfst Du auch nicht vergessen Und die Blumen, den Vogel, das Mittagessen. So geht es immer, tagaus, tagein, Oft bis in die späte Nacht hinein; So geht es weiter, jahrein, jahraus. - Sag, Mutter, wann ruhst Du Dich endlich aus? (Artur Schoke)
18.V. angekommen 9. Mai 44.
Zwei Kringel
2 N 9.

Liebe Mama!

Ich bin schon wieder einmal im Bellevue, diesmal nur zur Beobachtung. Am 3.V. mußte ich zur Kontrolle zur Frau Dr. Dobner; dort wurde mir Blutsenkung gemacht und ich wurde gewogen. 3780 kg! Am 4. wurde ich wieder aufgenommen. Dann habe ich nochmals Blutsenkung gehabt: 32/55. Ferner noch eine Mantoux-Lungenprobe (1:10000), die furchtbar positiv war. Fieber habe ich nicht. Beim letzten Wiegen (6.V.) habe ich schon wieder 3820 kg gehabt. So sieht mein Zustand aus. -

Ich bin mit 2 Kameraden v. Kämmchen hier, sie sind ganz harmlos, keine solchen Ekel wie die vom 1. Bellevue-besuch! Die Kost ist sehr gut, viel besser als im Kämm-chen. Man lebt hier so in den Tag hinein: Liegen, Essen, ein wenig Blutsenkungen, Lungenproben usw. Diese sind mir jetzt schon ganz gleichgültig. Vorgestern war ein Wirbel hier: Eine Kommission kam zur Überprüfung U nserer Stubenordnung; das gab ein Hin und her! Gestern kam Reichsleiter Baldur v. Schirach. Er war sehr freundlich. Vorgestern habe ich wieder einen Brief v. 19.IV. und eine Karte vom 28.IV., gestern einen Brief v. 26. und vom 2.V. erhalten: Hast du alle Briefe bis N 8 er-halten? - Das Wetter sieht sehr schlecht aus. Es reg-nete förmlich Bandwürmer und es herrschte immer-fort Nebel hier. Echtes Spitalswetter! Und überall Nadelbäume! Wie hinterm Pav. 2. Um die Naunespitzen Naumspitzen wirbelt der Nebel herum. So ein ödes Wetter hier! Als ich aber am 3.V. herunterging, war es warm und sonnig und alles hat geblüht. Damals war es herrlich.

Mach Dir bitte keine Sorge um mich! Das Abnehmen kann ja auch mit der Krankheit zu tun haben.

N 10.
Kringel
16. Mai 1944

Liebe Eltern!

Ich komme erst heute zum Schreiben. Gewöhnlich ist Montag hier Schreibstunde, doch diese Woche erst heute (Dienstag). Ich habe Euch ja geschrieben, daß ich am 3.V. - 378 kg gehabt und bis zum 6.V. wieder auf 382 kg zugenommen habe. Am 10. bin ich wieder gewogen worden, habe 39 kg und am 12.V. schon 394 kg gehabt. Am 12.V. habe ich Fieber bekommen: 37,5° Temp., Puls 108. Am 13. hatte ich 37,8, 37,6, 37,3, 37,7° Temp. und Puls 100-112. Die Blutsenkung hat sich aber von 32/55 auf 22/47 ge-bessert. Am 13. bekam ich einen schwarzen Durchfall. Da hatte ich Teepause, dh., ich durfte den ganzen Tag nur Tee trinken. Am 14. hatte ich noch etwas Fieber und Durch-fall - Teepause! Am 15. hatte ich Teepause mit Zwieback. Heute habe ich eigentlich keinen richtigen Durchfall mehr und bekomme leichte Kost. Ihr müßt wissen, daß mir Frau Dr. am 7.V. Zusatzkost verschrieben hat. Meine Temp. ist auch schon wieder normal. Am 9. bekam ich ein Blutbild. Am 10. kam unsere Lager-schwester Friedl Kucke und brachte uns Nachrichten vom Lager und mir 3 Briefe. Dann wurde ich zum 2. Mal hier röntgenisiert. Am 12.V. kamen Std. R. Ružicka (BD) und Bauer. Weißt Du schon das Neueste: Schneider, Šimek und Pallos, sowie 6 andere aus der 5. Kl. von anderen Gymnasien sind hinaus-geflogen! Sie haben einmal einen Einbruch gemacht, ganz be-rufsmäßig: Glasscheiben herausgenommen, eingebrochen, Lebens-mittel gestohlen, Scheiben wieder eingesetzt und m. gestohlenem Kitt wieder befestigt!! Das hat ihnen nichts gemacht. Aber jetzt: Sie haben beim Janko, der einen Verkaufsstand im Hotel hat, ein-gebrochen, Schnaps und Wein literweise gestohlen und alles in Wassergläsern hinuntergesoffen. Allein 1 l Rum fehlt dem armen Janko! Die haben auf Lagerzeit Stubenarrest, ihnen wird die Studienmöglichkeit genommen und sie kommen außerdem vors Jugend-gericht! Nicht wahr, das ist nicht zu glauben!

Am 14. kam ein e B rief vom 2.V. an, sowie 2 v om 4., vom 5.V. (N 36,37). Nachmittag kam noch ein Brief (N 39) vom 8.V.

Am 15. kam ein Brief vom 6.V. von der Mama (38). Und heute noch einer vom 10.V. *) das Datum ist immer das Schreibdatum von Euch. Könntet Ihr so lieb sein und auf der Post internationale Rückantwortscheine besorgen, die Ihr mir dann im Brief s chickt. Sie sind an jedem Postamt zu bekommen und bei uns werden sie in 2 Ks 50 umgewechselt.

396212

Wenn das mit der Rückholung zu den Ferien wirklich ginge, wäre es mir sehr recht. Ich habe darüber von der Schw. Kucke gehört. Ihr habt beim St. R. Miklautz diese Bitte hervor-gebracht, als er zu den Eltern sprach. Was wäre das doch für eine Freude!!

Mit der Wäsche war es im Lager so (das habe ich Euch vergessen zu schreiben): Nachdem ich mir 2× Strümpfe gewaschen habe, habe i c h 2-mal Wäsche zum Waschen gegeben. Jede Woche wird sie nämlich abgegeben und etliche Tage später bekommt man sie. - Seife und Zahnpasta bekommt man kostenlos vom Lager, wenn man keine mehr hat.

Die Kästen sind auch verbessert worden. Das heißt, es sind 3 Kästen jetzt hier. Sachen sind mir auch nicht abhandengekom-men. Die Schwester Friedl hat nur noch die gr. Seifenschale, D d ie Briefe 3-10, einen Schreibblock und die Hausschuhe.

Stube 2 sieht auch etwas besser aus (jetzt!) als die dunkle, de m armen H. Wasil. so ungünstig erscheinende 221.

Heute sind 2 Mütter ins Bellevue zur Besichtigung gekom-men. Gerade jetzt. Eine sehr sympatische Frau, Frau Fritze, wird Euch von mir etwas ausrichten lassen. Es wird früher ankommen als dieses Schreiben hier, weil sie in 2 Tagen wie-der nach Wien fährt. Eine Mutter (die von meinem jetzigen Stu.-Kameraden auf St. 24) hat es erreicht, das daß der Betreffende nach seiner Erholung nach Hause kan n.

Vorg estern besuchte uns Herr Dir. Pupini. Sehr nett von ihm. Gestern kam St. R. Ružička mit einem be-sichtigenden Vater. Ruž. hat schon nach Hause geschrieben.

Viele herzl. Grüße (auch an Adamsgasse)

von Eurem

Andrijko

Anbei Zettel f. d. Tante!

N 11 20.V.44.
Drei Kringel

Liebe Eltern!

Heute kam zu mir ein Herr aus Wien, der mir 2 Päckchen mit-brachte und einen Brief. Die Kleiderkarte habe ich eigentlich nicht gebraucht und die Seifenkarte, die ich schon mitgenommen habe, auch nicht. Der Besuch hat mich sehr gefreut, genau so wie die Nach-richt, daß ich wahrscheinlich zu den Ferien heim kann!

Meine Blutsenkung hat sich gebessert (10/26). Der Durchfall ist auch schon vorüber. Mein Gewicht ist am Hund: 37 kg 60. Das kommt aber nur von der Teepause. Blutdruck 95/50.

Mir geht es hier gut und erhalte viel Post von Euch. Viele Briefe. Gestern erhielt ich einen Brief, der am 3. gestempelt war und in St. Smokovec am 17. Mai angekommen war, während ich vorgestern einen vom 12. Mai erhielt.

Das Wetter ist hier sehr sprunghaft: einmal schön, einmal Regen! Gestern gab es massenhaft Maikäfer.

Neues ist hier nichts

Halbkreisartige Verbindungslinie zu "Taschengeld"
Ich habe jetzt 16 Ks und die nächst. Tage bekommen wir Taschengeld - 10 Ks nach im Monat!

Ist es in Wien schön?

Und wenn Ihr etwas über meine Rückholung erfahrt, dann schreibt mir bitte genau!

Herzliche Grüße an alle.

Euer

Andrijko

N 12. Montag, 22. Mai 44.
Zwei Kringel

Liebe Eltern!

Heute habe ich wieder einmal Gelegenheit, Euch zu schreiben.

Ein paar Zeilen habe ich dem slov. Pfleger mitgegeben, der so lieb war und mich am 20. d. M. hier im Krankenhaus besuchte. Mir waren die beiden "Haneckergrüße" sehr recht. Dafür bin ich Euch sehr dankbar, auch für Dein Packerl, das dem Kaňa mitgegeben wurde. Auch den Brief habe ich erhalten, den Ihr dem Pfleger mitgabt. Also es besteht Hoffnung, daß der Rückholungsantrag gelingt. Am 14. war Herr Direktor hier zu Besuch. Am 18. der Herr Stud.R. Miklautz. Er sagte, daß ich noch vor den Ferien heimgeholt werden könnte, wenn der Antrag geläng t e . Müßte eigentlich mit einem Transport heimfahren oder würde ich von jem. geholt werden? Jetzt habe ich Karte 44 vom 17.V. erhalten. Jetzt fehlt also nur noch ein Brief (N43). Doch der wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen ankommen.

Ich habe Euch ja meine große Gewichtsabnahme nach dem Durchfall mitgeteilt: Von 394 kg auf 376 kg! Aber noch um 20 dkg weniger als bei der Aufnahme. Ich werde wahrscheinlich so lange im Bellevue bleiben, bis ich wieder stark zugenommen habe. Also ärztliche Gutachten habt Ihr schon für den Antrag. Der brave Herr Dr. Hackl! Frau Dr. Dobner, unsere Chefärztin, ist ja bekanntlich auf der Prager Ärztetagung. - Meine Blutsenkung hat sich gebessert: 10/26. Blutdruck 95/50. Freitag, am 12. und auch am 19. sind wir gebadet worden. (Auch um die Zeit, wie bei der Frau Schwarzberger!) Gestern habe ich vom Spital ein neues Stück Seife bekommen.

Beim Konditor in Schmecks soll es schöne Sachen geben. Jetzt habe ich 26 Ks; diese Tage werden wir Taschengeld (10 Ks) bekomme n . Es gibt hier schöne Strümpfe usw., die nicht ein-mal so schrecklich teuer sind.

394140

Das Wetter ist hier manchmal herrlich: schöner blauer Himmel, sonnig, warm usw. Manchmal, wie gestern und besonders heute, möchte man keinen Hund hinausjagen! Dünner Regen, Nebel, Nebel und wieder Nebel! Kalt und naß und unfreundlich!

Hoffentlich hat Mama den Muttertagsbrief erhalten. Am 28. hat sie Namenstag. Nochmals viele Glückwünsche! Ich kann mir vorstellen, daß jetzt für Euch eine trau-rige Erinnerungszeit ist. Diese Tage waren ja voriges Jahr die letzten Tage der lieben Großmama. Jetzt erinnere ich mich, wie an dem ungemütlichen Sonntag damals das Telefon aus dem Pav. 20 klingelte und die traurige Nachricht kam ...

Jedesmal, wenn ich von der Rückholung höre, fällt mir Gars ein und die dama-lige Rückkehr am 29. Juni. Wie schön wäre es, wenn auch diesmal das Datum über-einstimmen möchte!

Meine Koffer sind nicht hin, weil ich ja selbst die ganze Zeit bei ihnen war, auch damals am 20. März, als wir mit der Seilbahn zum "Kämmchen" fuhren. Die "Brot-Tasche", diese alte Aktentasche, ist auf der Seite aufgerissen. Daran ist ein Biest schuld vom Krankenzimmer 28 der vorigen Bellevuezeit!

Die Buben von der Stube 2 im Kämmchen sind anständig. Als damals meine Sachen im Zimmer 221 frei herumstanden, als ich am 1. unverhofft ins Krankenzimmer kam, brachten sie alles in Ordnung und gaben es in meinen Koffer. Gefehlt hat kein einziges Ding. Meine hohen Schuhe, die ich immerfort anhabe, sehen trotz-dem f as t wie neu aus. Sie haben ihre Farbe behalten, nur vorn ein wenig zerkratzt. Das Liegen ist ganz nützlich für meine Sachen, denn sie werden gar nicht abgenützt. So kann man sich auch das "Wunder der unzerissenen Strümpfe" erklären. Mein Zahnbecher ist hin. Meinen 1. Schlafanzug habe ich im Kämmchen, den 2. im Bellevue zum Waschen gegeben. Was ich zum Waschen gebe, trage ich genau ins Notizbuch ein. - War die Frau Fritze bei Euch oder hat sie Euch brieflich meine "Aufträge" ausgerichtet? Dem Kaňa bin ich sehr dankbar, es war wirklich reizend von ihm! Ich habe erst diese Tage vom Fieber Papas erf ahren . Jetzt ist er schon Gott sei Dank gesund. Ich wünsche ihm, falls er noch nicht ganz genesen ist, gute endgültige Besserung. Herzl. Grüße an die Adamsgasse und Steinhof.

Vielen Erfolg bei Euren Bemühungen!

Und herzl. Dank dafür!!

Es grüßt euch herzlichst Euer Andrijko
N 2. 29. Mai 44.

Liebe Tante!

Heute komme ich endlich dazu, Dir einen Brief zu schreiben, weil mich soeben Herr Direktor Pupini mit 4 Briefmarken besucht hat.

Mir geht es hier sehr gut, trotz meiner Gewichtsabnahme (38 kg). Du wirst ja von der Mama am Laufenden gehalten werden über das, was ich ihr schreibe. Ich bin immer guter Laune und lustig. Heimweh habe ich nicht, aber Du kannst Dir ja vorstellen, daß ich mich auf die Heimfahrt freue. Ich bin ganz gesund.

Das Wetter ist hier prachtvoll. Ich möchte schon so gerne ins Kämmchen!

Die Mama wird Dir ja schon von der Schlechtigkeit erzählt haben, die etliche von der 5. Kl. gemacht haben. Die sind hinausgeflogen. Der Herr Dir. erzählte mir, daß sie jetzt in Sillein sind und wie Sträflinge behandelt werden. Jede Stunde wird die Tür aufgesperrt und sie werden gefragt, ob sie aufs Klo müssen (in Be-gleitung!), Essen bekommen sie sehr schlechtes usw.

2 Professorinnen von uns haben Scharlach. Jetzt hat auch noch ein 2. Bub Schar-lach bekommen. Aber für uns ungefährlich, weil alles desinfiziert wurde und seine Stubengenossen isoliert und eingesperrt!

Jetzt ist es in der 5. Klasse ruhiger, weil die 9 fort sind!

Liebe Tante! Du wirst ja bestimmt diesen Brief der Mama zeigen. Sage bitte meinen Eltern, daß sie sich ja keine Sorge machen brauchen. Man hat mich 2 mal röntgenisiert und hat auf der Lunge nichts festgestellt. Man glaubt, daß die Gewichtsabnahme von den Masern und von der "herrlichen" Kämmchen-kost herrührt.

Der Herr Lagerleiter der 5. Klasse (Miklautz) hat Papas Brief durch mich erhalten. Ums Schuljahr soll sich Papa keine Sorgen machen, H. Pupini sagte, ich bekomme 260370 713 auf jeden Fall mein Zeugnis und die 100 V. Homer brauche ich auch nicht zu lernen!

Gesundheitswünsche dem l. Großvater!

Viel Glück für Dich beim Amt!

Herzl. Grüße an meine Eltern!

Viel Glück dem Onkel Paul!!

Herzl. GrüßeDein

Andrijko!

N 13.
Zwei Kringel
29.V.44.

Liebe Eltern!

Heute will ich Euch ein wenig schreiben.

Bei der letzten Wiegun g habe ich 38 kg gehabt. Wenn ich sehr zugenommen habe, werde ich wahrscheinlich herauskommen. Besteht noch Hoffnung, daß ich zu den Ferien nach Wien kann? Ich würde mich in diesem Falle sehr freuen. Jetzt kommt mich niemand mehr vom Kämmchen besuchen. Die 2 Buben vom "Kämmchen" sind schon fort. Dann kam zuerst ein Oberschüler 4. Kl., dann ein Haupt-schüler; dann einer, den sie hinausgeworfen haben aus der Hauptschule und der zur Beobachtung von Anfällen dawar da war . Jetzt wieder ein Haupt-schüler. Also nicht mehr so angenehm wie früher. Ich freue mich eigentl. schon, wenn ich aus dem Spital entlassen werde. Wie wird das eigentlich sein bei einer etwaigen Rückholung? Wird mich da wer abholen oder wie? Das Wetter war zuerst scheußlich, jetzt ist es prächtig. Schade, daß ich nicht aufstehen kann! Aber jetzt habe ich 2 Std. Liegekur am Balkon. - Ich habe noch immer Zusatzkost. Jetzt bekomme ich appetitanregende Tropfen und davon hatte ich gestern einen fast schmerzhaften Hunger! Jetzt esse ich schon mehr. Hoffentlich nehme ich schnell zu! - Wie schön muß es jetzt in Wien sein. Bestimmt prachtvolles Sommerwetter! - Die letzte Post von Euch, Brief N 43, habe ich (nach Karte 44) am 24. Mai erhalten. Habt Ihr alle Briefe erhalten? Hat die Tante die Karte erhalten, die ich noch vom Kämmchen sandte? - Ich habe am 24. Mai ein Lebenszeichen von mir mit der Anfrage über mein Bestehen der 5. Kl. an StudR. Miklautz gesandt, den am 25. samt Papas Brief an H. Miklautz jemand ins Kämmchen mitnahm. Ich bin gespannt auf Post von Euch. Herzliche Grüße an Tante und Großvater! Grüße an alle vom Steinhof! Dem H. Doležal und and. konnte ich noch nicht schreiben, aber vielleicht, wenn ich ins "Kämmchen" zurückkomme.

Viele Grüße Euer Andrijko.

Aus fröhlicher Runde Unser Osterfest

Die Sonne lugte schon durch die Fensterscheiben her-ein, als wir langsam die Augen öffneten. Und da rief es aus Liesels Bett: "Heute ist ja Ostersonntag!" Da waren wir gleich munter, und ich sprang an das Fen-ster und öffnete es weit, denn der Frühling schien wirk-lich über Nacht zu uns in die Berge gekommen zu sein. Wir lagen in den Betten, und freuten uns schon auf den kommenden Tag, als die Türe aufging, und unsere Führerin "Guten Morgen!" hereinrief. Heute waren wir aber hurtig aus den Betten! Die Stuben wurden ganz besonders gut aufgeräumt, und schnell wurde noch frisches Wasser für unsere Palmkatzerln geholt. Die waren ganz besonders groß und schön und so weich, daß sie wirklich an kleine Kätzchen erinnerten. Unser Zimmer blitzte nur so im Aprilsonnenschein, und beim Stubendurchgang war unsere Lagermädel-führerin sehr zufrieden.

Um 9 Uhr traten wir vor dem Haus zum Fahnen-appell an. Unser Lied: "Von allen blauen Hügeln reitet der Tag ins Land", klang frisch in den Morgen hin-ein. Als die deutsche und die slowakische Fahne in den hellen Himmel stiegen, und unsere Lagermädelführe-rin einen Frühlingsspruch sagte, da war schon wirk-liche Osterstimmung in uns. Der Fahnenappell war zu Ende, da kam schon die erste Überraschung. Es hieß: "Wegtreten zum Eiersuchen!" Der Osterhase hatte, wie wir nun bald sahen, für jede von uns ein weißes Körb-chen, bunt bemalt mit allerlei Süßigkeiten und einem Paar Strümpfe versteckt. Also liefen wir in alle Him-melsrichtungen und suchten eifrigst. Unser Lager liegt mitten im Wald, und so hatte der Osterhase viel Platz gehabt. Auch der letzte Schnee hinderte uns nicht, wir krochen überall herum. Das war ein lustiges Rufen, und manchmal tuschelte eine der anderen ins Ohr. Die lief dann hurtig in irgend eine Richtung und kam strahlend mit ihrem gefundenen Körbchen zwischen den Tannen heraus. Das Suchen muß wohl eine halbe Stunde gedauert haben, aber am Ende trug doch jede ihr Ostergeschenk schnell und freudig ins Zimmer. Bald versammelten wir uns vor dem Speisesaal. Die Tür war ganz geheimnisvoll verschlossen gewesen, was natürlich unsere Erwartung noch gesteigert hatte. Endlich wurde sie geöffnet. Ich reckte meinen Hals, denn die ersten, die hineingingen, riefen laut "Ah" und "Oh". Und dann sah auch ich, daß unsere langen Tische ganz reizend bunt geschmückt waren. Auf der weißen Tischdecke standen bunte Osterteller, und zwi-schen Tannengrün und Palmkätzchen lugten kleine ge-bastelte Osterhäschen und Piperln hervor. Aus aus-geblasenen Eiern waren entzückende, buntbemalte Väs-chen entstanden, und auf all dieser Buntheit tanzten die Sonnenstrahlen und freuten sich mit uns um die Wette. Es war alles so liebevoll hergerichtet, daß wir immer nur schauen konnten. Und die guten Dinge, die es zum Frühstück gab! Nicht umsonst hatte es also all die Tage vorher so nach Bäckerei geduftet.

Um 11 Uhr schleppten wir dann Stühle vor das Haus in die Sonne und übten für unseren Singewettstreit, der am Nachmittag stattfinden sollte. Vorentscheidung unter 15 Lagern war schon am Samstag gewesen, und heute nachmittag durfte unser Lager zum letzten End-scheid in Lomnitz antreten. Also probten wir noch fleißig bis zum Mittagessen, und obwohl wir schon alle von den Süßigkeiten unseres Ostertellers mäch-tig satt waren, verschmähte doch keine von uns das Wiener Schnitzel. Gleich nach dem Essen machten wir uns auf den Weg und marschierten singend bis Lom-nitz. Hier und da entdeckten wir im Straßengraben die ersten Blümchen und nahmen sie für unsere Eier-väschen mit.

Und dann kam der Singewettstreit! Sechs Lager tra-ten zum Entscheid an. Wir waren natürlich so auf-geregt, daß wir hochrote Köpfe bekamen und bemüh-ten uns so schön und zart wie möglich zu singen. Aber ein anderes Lager errang den ersten Preis. Nun, mit dem zweiten sind wir auch zufrieden, denn beim näch-sten Wettstreit sind wir dafür die Ersten. Stolz und froh zogen wir vom Sängerkrieg in unser Lager zu-rück.

Nach dem Abendessen gingen wir noch ein wenig vor das Haus. Die Tannen warfen schon lange Schat-ten, und bald war die Sonne hinter den Bergen ver-schwunden. Der Frühlingswind rauschte durch die Wälder, und nocheinmal dachten wir an den strah-lenden Ostertag zurück, den wir alle sicher nie ver-gessen werden.

Tatra Matlarenau, Haus Weißwasser Zimmer 1 KLV-LAGER Slo./68 Entsendegau: Wien
Kringel
N 14. 5. Juni 44.

Liebe Eltern!

Ich habe dankend die Briefe bis 49 erhalten. Von Euch ist bis jetzt kein Brief verloren-gegangen. Nun will ich Euch berichten, was sich in dieser Woche ereignet hat.

Gerade als ich meinen vorigen Brief abgegeben habe, kam als angenehme Überraschung Herr Dir. Pupini zu mir auf Besuch. Also hat das "Kämmchen" doch nicht auf mich vergessen! Er brachte mir Briefpapier und vier Marken. Eine habe ich gleich verwendet und der Tante einen Brief geschrieben. Hoffentlich hat sie ihn schon erhalten. -

Am 31. kam ich ins Erholungslager Hamalčik. Es gefällt mir hier wirklich sehr gut. Es ist hier natürlich viel lagermäßiger als im "Bellevue", aber das ist mir viel lieber als das ewige Kranksein. Ich bin in einer schönen Stube.

Am 2. ging ich endlch zum Friseur und wurde meine furchtbare Mähne los. Nachmittag badeten wir. Also für Reinlichkeit wird hier sehr gesorgt. Wer hier irgendwie schmutzig herumläuft oder zum Essen kommt, mit dem steht es schlimmm! Von Verkommen ist hier keine Rede.

Dann wurde ich im Bellevue gewogen. Ich habe in dieser Woche 800 g zugenommen.

Jetzt habe ich schon wieder 388 kg. Essen gibt es hier wi e r klich sehr viel! Und ich werde förmlich gezwungen, immer Essen nachzuholen.

Ich habe Zusatzkost, 6 Stunden Liegekur (von 10h bis zum Mittagessen und dann bis 15h30'). Als Behandlung bekomme ich Traubenzucker und Tonikum.

Am 3. hatte ich Blutsenkung. Nachmittag kam eine Mutter, die das Kämmchen be-sichtigte und nach Wien zurückfuhr. Ich ließ v erschiedenes ausrichten.

Mir geht es hier sehr gut. Macht Euch ja keine Sorgen um mich. Auch nicht um mein Weiterstudieren! Heimweh habe ich nicht. Aber ich wäre froh, wenn es ge-lingen möchte, mich nach der Erholung im Hamalčik zurückzuholen. Fieber habe ich auch keines.

Herzliche Grüße an Euch und Adamsgasse!

Euer

Andreas

380850
N 15. 13. Juni 44.

Liebe Eltern!

Gleich nach der vorigen Schreibstunde habe ich 2 Päckchen von Euch erhalten. Ich hatte große Freude daran. Besonders der lange Brief vom Papa war mir sehr recht!

Beim Mittagessen war wie gewöhnlich das Radio angedreht und wir hörten, daß die Invasion stattgefunden habe! Wir waren alle die ganzen Tage gespannt. Als ich hörte, daß um Cherbourg gekämpft wird, mußte ich an den armen Onkel Paul denken! Was für Sorgen wird jetzt die Tante haben! Aber wir haben ja immer gesagt, daß diese Entscheidung kommen wird, noch während ich im Lager bin. Es ist gut, daß wir hier Zeitungen und ein wenig Radio haben.

Am 8. war Bücherausgabe. Ich bekam einen Band "Frohes Schaffen", den ich noch nicht gelesen habe. So habe ich wenigstens etwas zum Lesen. Ich bekam wieder einen Brief von daheim. Am 9. badeten wir. Nachmittags ladeten uns die Mädchen ein zu einer Märchenvorführung. Da beschlossen wir, den Mädeln zu zeigen, daß wir auch nicht blöd sind.

Es sollte ein Wild-West-Abend veranstaltet werden. Unter anderem sollte auch die Erzählung "Der Tote aus den Blue-Ridge-Bergen" aus dem Buch "Jungen - Eure Welt" aufgeführt werden.

Wir übten fast den ganzen Tag. Der Tagesraum wurde mit Stühlen und Decken in eine Felsenlandschaft verwandelt, der andere Teil war der Zuschauerraum. Ich bekam die Hauptrolle "Alvaro". Gestern wurde der Abend doch veranstaltet. Wir riefen die Mädel von Miramonti dazu. Und es gefiel auch allen.

Gestern habe ich wieder einen Brief bekommen.

Das Wetter ist wie immer veränderlich. Etliche Tage schön, dann wieder trüb. In Wien ist es bestimmt schöner!

Ich esse viel und bin immer satt. Ich glaube, daß ich mich wieder erholen werde. Also die Bewilligung kann jeden Moment eintreffen? Das ist wirklich interessant! Ich wünsche der Tante viel Erfolg bei ihrer neuen Stellung!

Überhaupt herzlichste Grüße an Tante und Großvater! Viele Glückwünsche dem Onkel Paul in dieser schweren Zeit!

Herzl. Grüße von Eurem

Andreas

74021 250243
N 16. 19. Juni 44.
Kringel

Liebe Eltern!

Heute will ich Euch wieder einmal schreiben.

Soeben habe ich Post von Euch erhalten. Darin ist von dem Mißver-ständnis die Rede. Das ist so: Ich will bis zu meiner Holung schon hier bleiben, besonders, wo ich gesehen habe, daß ich doch zunehme (bei der letzten Wiegung 1 kg; jetzt habe ich 3980 kg!). Davon ist natürlich keine Rede, daß ich etwa auf meine Holung verzichte. Ich bitte Euch, bemüht Euch weiter. Denn wenn ich noch 2-3 Wochen hier bleiben muß, was ja auch sowieso eintreffen wird, macht es mir nichts aus. Aber wenn ich ins Kämmchen muß, dann wäre es sehr un-angenehm, weil ich ja weiß, daß man in unserem Lager rapid ab-nimmt. Jetzt ist es für mich natürlich sinnlos, schon wieder das "Kämmchen" mit der Abmagerungskur mitzumachen. Wenn ich gesund geblieben wäre, keine Masern, keine Gewichtsabnahme usw., dann hätte ich sehr gerne die 6 Monate ausgehalten. Aber als Halb-Kranker dieses Essen vom Lager genießen hat keinen Sinn. Besonders wo ich ohnehin keinen Sport usw. mitmachen dürfte. Also beachtet diesen bestimmten Brief gar nicht; aber das kann ich Euch versichern, daß ich wirklich nicht seelisch leide, sondern lustig bin und mich nur sehr freue, wenn ich nach Wien könnte. Glaubt also bitte nicht, daß Ihr einen Ge-mütskranken zurückbringt, der an nichts mehr Freude hat und abge-stumpt ist. Ich habe nur die Slovakei ziemlich satt - ewige Krankheit! Ich wiege jetzt 398 kg. Also noch immer 3 kg 20 weniger als in Wien.

Während die vorige Woche im Zeichen der Invasion stand, brachte uns diese Woche das Ereignis, das wir uns monatelang herbeigesehnt hatten: die Vergeltung über England. Als wir gestern von den Raketen hörten und den 16 Stunden Alarm in London, waren wir sprachlos und 2970 konnten es nicht fassen.

Wir glauben, daß jetzt der Krieg nicht mehr lange dauern würde.

Waren die beiden Mütter von "Kämmchen" bei Euch, die jetzt endlich nach Wien fuhren. Man sagt, daß ich schon viel besser als früher aussehe. Jetzt kann ichs Euch ja schreiben: Herr Dir. Pupini sagte damals (4.Mai) bedauernd und mitleidig, daß ich viel, viel schlechter aussehe als in Gars!! Aber jetzt ist es nicht mehr so arg. -

Herzl. Grüße von

Eurem

Andreas.