Tagebuch von Andreas Okopenko, 01.12.1951-31.12.1951 - Digitale Edition Okopenko Andreas Tezarek Laura Herberth Arno Hebenstreit Desiree Englerth Holger Digitalisierung Hebenstreit Desiree Transkription Hebenstreit Desiree Formale Codierung Hebenstreit Desiree Semantische Codierung Hebenstreit Desiree Stellenkommentar Hebenstreit Desiree Korrektur Herberth Arno Tezarek Laura Transkription Stenographie Österreichischer Verband für Stenografie und Textverarbeitung Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung FWF P 28344 Einzelprojekte Innerhofer Roland Version 2.0 Austrian National Library
Josefsplatz 1 1015 Vienna Austria
Vienna 21.11.2019

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0)

o:oko.tb-19511201-19511231
Vienna Austrian National Library Literary Archive 399/W153 AC14414188 Z148513804 Papier 94 Blatt Tagebuch in losen Blättern mit Beilagen Von Andreas Okopenko mit Schreibmaschine geschriebener Text. Von Andreas Okopenko mit der Hand geschriebener Text. Von Andreas Okopenko in Stenografie geschriebener Text. Von Hilde Schinko mit der Hand geschriebener Text.

1.12.-31.12.1951

Tagebuch

Samstag 1.12.51:

Klarer Dezembertag. Sonne scheinte grell; blau und weiss. Morgen fahre ich nach Mödling;

Samstag nachmittag:

Geordnet. Publikationen zusammengestellt oder daran versucht ...

Vielleicht wird es Brigitte Kahr?

1 12 51

Im Radio hörte ich den Schlager "Ach du liebe Zeit", der sehr akt modern ist, sonst wenig neue Unterhaltung.

Trank Wein, ohne mich gesteigert zu finden. Wahrscheinlich wollte ich mich nicht so steigern.

Kleine Manifestation. Kriterium?

Erlebtheit. Ohne dass sich das Erleben und sein Ausdruck auf zu fertige andere Ausdrücke stützt. Also immer wieder Neufinden, frischer Ausdruck, Erlösung für hier und nun.

Anderseits: Erlebtheit . : Ohne dass die Flucht vor dem Klischee Methoden über d as en Erlebensinhalt stellt.

Alle Leute mit dem Empfinden für Schalheit sind mir sympathisch. Wichtiger als die blossen jene, die Sh calheit bloss konstatieren, sind mir natürlich jene, die eine Therapie dagegen kennen.

Also Vielleicht noch gewisse Gruppen von Selbstmördern, Verbrechern; Souveräne auf dem Gebiet der freiwilligen Geisteskrankheit; aber auch vor allem Mädchen, die auf jemand Unge Unliebenden loslieben; Leute, die das unüberschreibarste Gebrüll mit einer Mäuschenstimme erledigen; am liebsten sind mir, die jene, die denen alle gewal r t samen Reaktionen, und alle Posen so schal sind, vorkommen, dass sie - unraffiniert, getrieben - nichts anderes zu tun wissen als gut sein, helfen, dennoch-lieben; und hier wären wir unbegrenzt, während alle Pose wo ein sehr beschämendes Ende hat.

Vormittag in Mödling mit Artmann bei Schmied u. Riemerschmid 2 12 51 (Vm. in Mödling mit Artmann bei Schmied und Tochter Schmied.)
Dialog

Nach einer Weile müssen doch die Funksprüche aufhören? /Niemand hört sie im Niemandland./

Sag, was ist zu tun? Die Antenne einziehen?

Weiter senden.

Andreas Okopenko

26 11 51

Mo 3 12 51:

In der Stadt hässlich vernebelt.

Früh hatte ich Briggi gesehn. Nur gesehn.

Korrespondenzen. /Ebner, Schreiber , Brigitte Kahr/.

Lindner unerwartet nach Triest. Hercég geflüchtet, Leitner der nächste.

Zu Weihnachten werde ich wahr-scheinlich aussertourlich l0 Tage frei bekommen.

Hatte neulich von einer Briggi geträumt, in einer Gesandtschaft in Zürich, die aber die Züge der Diem trug. Ein sonderbares Mädchen, und ein sonderbares Beisammensein dort.

Abends kam Artmann zu mir. Er brachte mir die Uebersetzungen. Post war eingelangt.

Di 4 12 51:

Früh ein klarer Vorwintertag. Manifestation .....

Geringe Verspätung im Büro.

Unser Kompensationspartner Dr. Pompe wegen Devisenvergehens vor Gericht.

Wieder Wolken über unserer Firma - . Mittags literarisch gear b eitet. Am A b end noch gerechnet, und ein Fernschreiben kam.

Im rauhen Wetter heimgefahren. Angenehmer Abend daheim.

Ich freute mich am guten Essen ...

Post war wieder eingelangt.

Ich habe neulich Brigitte Kahr geschrieben.

Mi 5 Dez 51:

Mir Früh einige Gedankenzüge, : vo d nach dem freundlichen Zusammentreffen mit Briggi etwas moduliert, verloren allen im schlechten Wetter über der Stadt, und dann im Büro, allen Schwung.

Ich Man muß vermeiden,

Die Niederschrift war ist so illusorisch geworden, die Potenzen sind natürlich nicht abgeschnitten.

Sehr bewegter Vormittag.

Rückseite des Notizzettels
2 5 12 51 Gegenwärtiger Stand:

Ich überleg mir jedes Wort dreihundertmal, eh ich's aussprech.

Ich denke aber, daß die Worte, die die 400ste Überlegung durchhalten würden, noch besser sind wären.

Rückseite des Notizzettels
3 5 12 51

Ich ruhe mich momentan aus. Und es ist so leicht, alles egal zu finden. Wer meine Sätze nicht versteht, wird freilich meine Liebe freilich nicht verstehen, aber auch die sprech' ich ja auch anderswohin.

Ich ruhe mich aus von aller neutralen Sozietät Gemeinschaft - für mehrere Minuten.

Rückseite des Notizzettels
Zwei Kreise nebeneinander, verbunden durch ein durchgestrichenes Rechteck.
Mi 5 12 51 (4)

Heute 20h Abends Karl Kraus-Abend bei den Leuten in der Museumstraße . Ich werde Artmann treffen und Wiesflecker und vielleicht Polakovics.

Gestern erreichten mich die Ankündigungen des "College"; ich werde auch dort gelegentlich hingehen.

Mehrere Fernschreiben nachmittags. Ich muß ehrlich sagen, daß ich die Stunden Tage mit Briggi schön und in tiefer Freude registriert habe. festhalte. als

- Wie froh bin ich, da daß ich die jene Tage mit Briggi erlebt habe.

Rückseite des Notizzettels
5 Mi 5 12 51:

Angenehmer Abend zuhaus. Dann wieder ausgefahren, in den "Kreis". Ein ganz lehrreicher /sonst wenig/ K raus-Vortrag. Nur Artmann war von unsern Leuten hingekommen.

5 5 Dez

Angenehmer Abend zu Hause, dann wieder ausgefahren in den „Kreis“. Ganz lehrreicher (sonst wenig) Vortrag. Nur Artmann von unseren Leuten hingekommen.

Do 6 12 51 :

Null Grad-Morgen.

Briggi fuhr nicht mit meiner Straßenbahn.

Ich freue mich auf (unter den Büchern, die ich bestellt habe) auf Ernst Jüngers "Inselfrühling".

Rückseite des Notizzettels
3 6 12 51

Statistik wird immer ärmer:

Nur mehr einen Krampus mit einem Nikolo gesehen gestern abends.

4 6 12 51

In einem beinah Londoner Nebel (es mischen sich immer die Redens-arten ein)

Briggi abends getroffen, nachdem Straßenbahnstörungen waren.

Ich h atte die Leute vom Art Club getroffen, die nächsten Samstag 5 mit einer Feier von 15-2 Uhr ihre neue Galerie eröffnen. Ich soll mit meinen Leuten wegen einer modernen Lyrik-Einlage reden.

Mit Briggi wie in früheren Zeiten gesprochen; sie ist jetzt sehr außerhalb Ruhe, will rauchen anfangen.

Fr 7 12 51:

Gestern Abschlussarbeiten an den publikationen. In nächster Zeit beginnt das Matrizenschreiben.

Vormittag: Briggi nicht getroffen.

Viel Arbeit im Büro.

Lindners Chauffeur informierte uns, es ist so weit, dass Lindner flüchten wird.

"Kleine Manifestation" endgültig gefasst.

"Esoterik" 7 12 51 ab. 2

Es ist eine jämmerlicher Lüge Selbstbetrug zu glauben, wir könnten heute im nicht viel mehr losgelöst also Teilauszüge wären unmöglich ohne uneingedenk der Maschinen und, der Arbeitslosigkeit und des Krieges - lieben, denken und über-haupt leben. empfinden.

Dem Liebenden (ohne Maschinen-hintergrund) aus dem Herzen zu sprechen, ist mindestens ebenso gemeinschaftsfreundlich wie mit ihm über die Kohlenpreise zu klagen. ( Mindestens. )

Sa 8 12 51:

Bekam die Weihnachtsremuneration von S 1770.-- ausgezahlt.

Viel Arbeit wieder im Büro.

Mit Tante herausgefahren. Trafen Dr. Uiberrack. Mit dem über Glas-chemie fachgesimpelt.

Nachmittag kam Ernst Kein.

Die publikationen mit ihm durch-gesiebt noch, dann sehr anregend über Gedichte auseinandergesetzt. Versuchten zu negativen "Kriterien" zu finden; stimmen jedenfalls überein, dass das Dez.-Heft der NW unter aller Kritik ist.

Die "publikationen" nr. 4 werden wahrscheinlich besser sein als die zwei vergangenen Nummern.

Abends versuchte ich, von Briggi Falkinger loszukommen.

Ich trank Rum und beschäftigte mich teilweise mit der nächsten Zukunft.

Die Katze wächst heran und ist ein sehr liebes Tier.

So 9 12 51:

Verbrachte den Tag daheim, erledigte Korrespondenzen, Nachmittag kam Artmann nicht sonderlich gut gelaunt, arbeiteten über die "publikatione n ", ich begleitete ihn dann (minus 4 Grad) zu ein Stück auf seinem Heimweg.

Rückseite des Notizzettels

Ich finde es gerade komisch, wie ich wieder existiere.

Mit Arbeit jetzt eingedeckt, im Büro und privat, wo ist das Mädchen hin?

(Nur kann mir noch rasch übel werden, wenn ich ein bisschen fester hindenke.)

Mo 10 12 51 Rückseite des Notizzettels
Montag, 10 Dez 51,

abends, wir waren beide verhältnismässig aktiver, mit Briggi zusammengetroffen.

Sie kommt mittwoch nicht in die "Schmutzigen Hände" im "Kreis", will aber Samstag zur Eröffnung des Artclubs. Ich weiss nicht ob ich hingehn werde.

Sie sagte mir keine schönen Sachen von Brigitte Kahr.

/Wir sprechen so, wie ich schreibe, und zwar, wie ich jetzt schreibe, und weniger wie ich letzte Wochen geschrieben habe, und damals hab en wir auch anders gesprochen als jetzt; und wenn wir wollten, könnten wir auch jetzt noch so sprechen, aber wozu, wenn wir wissen, wie es weitergeht, und jetzt genügt jedem ein Hintreiben.

In der nächsten Sekunde muss ich notieren: es wäre wun s d erschön, wenn man mindestens mit-sammen hintriebe./

Abends lag daheim ein Brief von B. Kahr und eine Karte von Matejka. Mittags hatte ich Polakovics angerufen. Seine Frau ist jetzt dauernd krank. Die beiden sind mir sehr lieb.

Dann noch abends schrieb ich einen Brief an B. Kahr. Und noch später machte ich Ordnungen und wurde im Niederschreiben wieder sehr ruhig.

Konzept, unmittelbar 10 12 51 abends

Liebe Brigitte Kahr,

ich danke Ihnen für Ihren Brief und die Tatsache der Zusendung.

Es ist mir hingegen vollkommen unmöglich, Ihre Arbeit in den "publikationen" zu bringen. Glauben Sie mir, absolut nicht wegen des Themas, das uns - wie Sie wahrscheinlich geisseln werden - "zu wenig schöngeistig" sei; sondern über das Thema hätten wir gern was gebracht, nur hat bisher noch niemand in unserer Einfluss-Sphäre dar b ü ber schreiben können; Sie nun und hier auch nicht.

Ich rechne mit allem, auch dass Sie - nunmehr endgültig - beleidigt sind und nicht mehr schreiben werden, aber es ist geht nicht, dass ich aus blosser Sympathie und auf akonto Ihrer wirklich überzeugenden Stücke eine nicht gelungene Arbeit bringe.

Halten Sie das, was Sie hier - schreiben traurigmachend er als in den Feuilletons, die ja nicht mehr sein wollen und müssen als sie sind - schreiben, für einen "Realismus"? Keine Spur. Wo ist eine starke von der Wirklichkeit durchwehte Zeile drinnen? Sie haben natürlich recht, mit Ihren Sätzen über Verurteilung und Hoffnung. Aber das wir wie s S ie es bringen, kann es in jeder Eröffnungsrede drinnenstehen.

Der schwarze Himmel - ist ein literarisches Symbol. Der Stern ein Symbol. Die Hände sind hier keine konkreten Hände /wie anders die Hände in "Der Brücke", die "die Erde berühreten, auf der Maria lebte"/. Die faltenlosen Gesichter, die Armesünderbänke, Sie beschwören wollen, sind niemande nicht: das ein Gesicht das Sie da gekannt haben oder in das Sie sich dort eingelebt haben. Sie haben die Wirklichkeit vollkommen preisgegeben und sind auf die Literatur gekommen.

Ich hoffe, es wird in Wirklichkeit nicht so arg sein, wie ich in meiner ersten Enttäuschung darüber schreibe: Sie können doch nicht x über abstrakten Betrachtungen alles vergessen haben, was Sie - wahrscheinlich durch konkretes Erleben - gewonnen hatten.

Oder glauben Sie wirklich, Sie dienen Ihren Zielen eher, wenn Sie P fertig gedruckte Programme reden, als wenn Sie, einmal an einer kleinen zerbrochenen Brücke oder das andere Mal an de n m ersten Frü j h -jahr sschicksal schlag eines Judenknaben wo, allen Hässlichkeit Wahnsinn des politischen Hasses aufzeigen? vom Leben her wirklich restlos festhalten. zeigen

Oder Sie leiten Hände eher dadurch ineinander, dass Sie dazu in einem eleganten Satz auffordern, als dass Sie - gerade bei Ihrer Darstellungskraft - zwei überzeugende Menschen hinstellen? /Die sich fassen oder sich nicht mehr fassen oder sich einmal auch halten wollten./

Wenn ich das Recht dazu hätte, würde ich in Ihr Privatleben Leben hineinschauen wollen. Gibt es dort nichts als die humanistische Begeisterung mehr? Ist das Filter so dicht, das über alles zu schönen literarischen Sätzen filtriert? Kommen Sie nie in die Lage, dass Ihnen der Stil egal wird? Ich fordere Sie zu nichts auf, am wenigsten zu Selbstanalyse oder gar Selbstzerfleischung. Ich kann Ihnen nichts als Illustration hinstellen, am allerwenigsten einen sehr neutralen Dahinlebenden wie mich. Aber ich möchte Sie wieder anders als momentan sehen könne N n : ich bin in letzter - und weiss nicht wieso - so hoffnungslos optimistisch, dass ich glaube, wie Sie sich tief geäussert haben, sind Sie wirklicher.

/" E s könnte sein, dass sie ihr Licht wiederfände." S j i e ist licht./ Aber ich möchte mit diesem Brief zu nichts beigetragen haben als, zu einer wie gesagt, zu einer Klärung ein bischen bißchen menschlicher literarischer Vorurteile.

Mit vielen lieben Grüssen

Ihr

Di 11 Dez:
Früh hinter der Kirche gob - gob - gob - gob - gob gob - gob Stammeln macht so konkret und frei Bilden wir einen Konzern der Ameisen, Enten und Finken. Schon sehe ich durch die bunte Plakatwand hindurch in mein Dorf. /Und die Wildhasen./

Erster Schnee lag, wenn auch spärlich.

Sehr viel Arbeit im Büro.

Abends getrunken.

Nun liegt wieder nichts in der Zukunft. - Briggi hat das Andere überdauert.

Mi 12 Dez:

minus 3 1/2 Grad früh.

Früh ziemlich haltlos vom Konsum gerannt.

Im Büro weniger Arbeit, ich tat hässliche Korrespondenz ab. /Ebner./

Weihnachten liegt irgendwie in der K L uft.

Nm. war Huber unausstehlich. Bauer windet sich unter ihr hässlich.

Mehr habe ich momentan nicht aufzu-schreiben.

Zu Matejka . Dort sehr freundliches Gespräch, auch Muschik kam dazu. Mein Gedicht gefiel sehr und kommt, wahrscheinlich zusammen mit einer Originalphotographie der Ruinen-sprengung, ins "TB".

"Schmutzige Hände" angesehen. Mit Wittmann die Herstellung der nächsten "publ." abgemacht.

Gerädert heim.

Do 13 Dez:

Vm. Wege /"Uni"/.

Meine Matrizen besorgt.

Etwas später ins Büro.

7 Matrizen geschrieben.

Abends mit Polakovics "Wozzek" angesehen / F ilm/. Pol wieder sehr nahe gewesen.

Maja wünscht s h e hr /in ihrer Krankheit/, unsere Katze zu sehen.

Fr 14 Dez:

Fr. Schik-Karli getroffen, Briggi nur gesehen.

Care Paket von der Aktion "Künstler helfen Künstlern" bekommen.

Abends ziemlich kalte Heimfahrt. Briggi kam noch zu mir, schlug mir vor, morgen mit ihr zur ArtClub-Eröffnung zu gehen.

Sa 15 Dez:

Dr. Schmellers Einladung war nicht gekommen.

Nicht in den Art Club. Briggi /hörte ich Sonntag/ war dortgewesen und bis zuletzt /dreiviertel eins/ geblieben. Artmann war auch gekommen.

Ich ging gegen Abend um die Steinhofer Mauer und trank dann.

So 16 Dez:

Pol kam.

In Freundschaft den Vormittag verbracht.

Halb drei zu Pol :

Maja in Floridsdorf besucht, die Katze ihr ausgeborgt.

/Maja ist sehr krank./

Ich erzählte Pol. von Briggi F.

Nie Endgültiges?

Mo 17 Dez:

Wieder Gedicht. Letzte Woche vor Weihnachten.

Von gestern an den Wintermantel genommen.

Lebte wieder in Gedanken an Briggi.

Di 18 Dez:

Früh traf ich sie.

Wirtschaftspolizei und wahn-sinnige Arbeit in meinem Büro. Joli - angezeigt.

Für Donnerstag mit Art n m mann Treffpunkt ArtClub vereinbart.

Viel auch für mich gearbeitet.

Mi 19 Dez:

Dr. Pawlicki ges r t orben.

Früh Briggi nur gesehn.

Lebte wieder so in Gedanken.

Dr. Machwitz längere Zeit vm. nicht im Büro, ich matri-zierte weiter.

Irgendwie vorweihnachtliche Stimmung.

Do 20 Dez:

Aufgelockerter Betrieb im Büro. Für mich gearbeitet.

Mittags rief Pol an: Majas Abortus.

Abends in den Art Club.

Angenehmes Lokal im Souterrain der Kärntnerbar. Artmann dort angetroffen, mit Trrr diskutiert. Wir dürften für die Extremisten des ArtClubs e ine Art Wald- und Wiesenlyriker darstellen.

Sehr bereitwillig, aber reserviert dem ArtClub gegenübergestanden.

Mir können die Stösse von aussen nichts mehr anhaben.

Fr 21 Dez:

Nach der gestrigen Nacht müder Morgen, im Büro Aergernisse nacheinander.

Drei Tage vor Weihnachten ver-bringe ich einen nebligen Tag.

Das Bekenntnis zum Realismus ist mir gar keine Frage mehr.

Abends kamen die Stimmen der Gegenwart 1952, die unvergleichlich besser als das Buch 1951 sind.

Sa 22 Dez:

Schon weihnachtliches, wenn auch schneefreies Wetter. Letzter Bürotag, auch die Stimmung ist schon danach.

Am Vormittag wurde noch sehr viel gearbeitet.

Schwer bepackt heim. Ordnete nm. meine Korrespondenz, las, verbrachte den Tag ruhig, unein-gedenk.

So 23 12:

Frei. Vorweihnachtliche Stimmung. Am kalten Nachmittag eine Prosa "Nebel über einem Gebiet" zu schreiben versucht.

Katze zurück
Mo 24 Dez:

Früh ein Gedicht, das sich seltsam einfand; aus einer ganz unaktuellen Jahreszeit, aus einem ganz jetzt un-erreichbaren Leben.

Mittags überraschend noch Post. Gratulation einer Kohlenfirma, ein bischen bißchen eitle Zusendung von Weigel /seine Kurzgeschichte "Tod des Demosthenes ", abgezogen und seinen Freunden zu Weihnachten gewidmet,/ und - nach sieben Monaten Pause - ein Brief von Hilde Schinko, ohne dramatischere Erklärung ihres Schweigens, lieb wie seinerzeit, eindeutiger anbahnend als damals.

So kam ich Nachmittag teils in diffuse unweihnachtliche Gedanken.

Im ganzen, wenn auch leicht erkrankt, ganz wohl gefühlt, abends mit h j edem einzelnen Geschenkstück zufrieden. An Büchern: Immensee, eine unge-wunschene "Mignon" von Gerhart Hauptmann und endlich in meinem Besitz Trakls "Dichtungen".

Nachts über Hilde gesprochen.

gek 24 12 51 20. Dez. 1951.

Lieber Andreas!

Ich -

Sehen Sie, sagen könnte ich es Ihnen besser als schreiben. Oder vielleicht doch nicht, vielleicht noch schlechter - ich weiß nicht. Ich habe schon lange das Gefühl, daß ich nicht eimmal mehr im Schreiben sagen kann, was ich sagen sollte.

Lieber Andreas, ich sollte, ich müßte Ihnen nicht erklären, was ich sollte und nicht kann. Ich wollte, ich hätte einen Grund dafür, denn hätte ich ihn, müßte ich mir nicht selber den Kopf zermar-tern um eine Erklärung oder Entschul-digung. Sehen Sie, anderen erklärt man, vor sich selber entschuldigt man sich.

Aber ich habe keine Entschuldigung.

Das weiß ich umso besser, als ich es Ihnen jetzt schreibe und eine Entschuldigung haben möchte.

Verstehen werden Sie mich trotzdem. Ich weiß es.

Ich habe das Gefühl, nichts leisten zu können. Nichts mehr. Leerlauf, verstehen Sie. Geistiger Leerlauf. Und erzwingen will ich nichts. Ich könnte es. Erzwingen. Aber was nicht von selber kommen will, grabe ich nicht mit den Nägeln aus sämtlichen Poren heraus. Was ich nicht schreiben muß, schreibe ich nicht. Und ich muß nicht! Nicht mehr.

Sie glauben, man müßte darum kämpfen? Ich nicht. Damit, schon, o ja, aber darum nicht. Es wäre dasselbe, wie um die Liebe eines Menschen zu kämpfen, der keine Liebe für einen hat. Um Arbeit zu betteln, wo keine für Dich ist. Das tu' ich nicht. Das sehen Sie ein? Möglich, daß es ein Übergang ist. Möglich, daß es ein Dauerzustand ist. Ich werde warten. Ich werde bereit sein. Aber erzwingen will ich nichts.

Was das mit den Briefen zu tun hat? Viel, viel. Wenn ich nicht dadurch mit Ihnen verbunden wäre, daß auch Sie, sagen wir, dieselbe Handschrift schreiben, daß Sie ein Bruder im Tun sind, wenn Sie irgendwann mit mir zur Schule ge-gangen wären oder irgeine Bekanntschaft wären, hätte das keinen Einfluß darauf gehabt. Dann nicht. Weil ich aber in jedem Brief, auf jeder Zeile, mit jeder Seite daran erinnert w ord en wäre, daß ich hier bin und Sie - nicht, drum hab' ich es immer wieder ver-schoben und weggeschoben, endlich ein Kuvert zu nehmen und meine ganzen Zweifel und meine ganzen Bedenken hineinzustek-ken. Ich habe es nicht gekonnt. Konnte nicht. Sie wissen nicht - oder wissen es vielleicht doch - wie stark ich meinen Gefüh-len unterworfen bin. Daß ich immer nach meinem Gefühl handle und nachher erst denke. Wie immer. So jetzt.

Verdenken Sie es mir nicht. Schütteln Sie den Kopf. Wundern Sie sich. Aber: schreiben Sie mir. Bitte. Sehen Sie: Ich bitte Sie darum.

Vielleicht verstehen Sie mich, weil Sie innerlich nicht allzuweit entfernt sind von solchen Zuständen. Und wenn nicht, versuchen Sie mich zu verstehen aus der Mitmenschlich k eit, die man - immerhin - den anderen gibt. Mehr - hätte ich nicht zu sagen.

Ich möchte -

Sie werden sagen, es ist unbescheiden. Sie haben Recht. Aber ich frage Sie trotzdem.

Sind Sie allein? Sie wohnen doch allein, nicht wahr? Sie sind doch so jung - und ganz allein. Das, wenn ich daran denke, bringt mich Ihnen so nahe, wie es nur die entweder einseitige oder beider-seitige Verlassenheit schaffen kann. Seien Sie nicht böse deshalb. Ziehen Sie sich nicht zurück, weil meine Fühler Ihre berührt haben. Nein? Sagen Sie mir etwas. Sprechen Sie. Von Ihnen, von Ihnen. Wenn ich schon nicht selbst zum Schreiben finde, will ich wenigstens Sie dabei sehen. Und - wenn ich Ihnen ein kleines, kleines Bißchen helfen oder Ihre Zunge lösen könnte, würden Sie mir ungleich mehr geben als womit ich Ihnen kommen könnte.

Das ist ein Verlangen, das, umso ungerechtfertigter, umso dringender ist, und zurückgewiesen, wohl schweigen würde, aber immer noch wünschen.

Daß ich alles, alles verstehen würde, müssen Sie wohl erst glauben lernen. Daß ich Sie aber jetzt schon verstehe, daß ich weiß, wie schwer es ist, den ersten Schritt zu tun, ersehen Sie daraus, daß ich ihn selber tue.

Was ich noch an Äußerlichem zu sagen hätte, ist nicht viel: Ich bin im 4. Jg. angelangt, habe aber noch 1 1/2 Jahre vor mir, zwar einen Bruchteil des Gewesenen, aber immerhin noch lange genug. Schule - warum nicht, aber nur Schule, ist zu wenig, wenn man Klarheit haben will. Schule und Leben, ja, aber wann ist die Schule Leben?

Und nebenher kommen vier kleine Mädchen zu mir lernen, zwei von 12 Jahren, eine von 11, eine von acht. Also gar nicht mehr so klein. Nicht wahr? Ich hab' sie ganz gerne, sie sind sehr lieb und wiegen den Ärger auf, denn den ich - trotzdem - manchmal mit Ihnen ihnen habe.

Und um noch etwas wollte ich Sie bitten: Wir bekommen in der Schule so wenig Exemplare der "Neuen Wege", daß sie, kaum erschienen, schon vergriffen sind. Könnten Sie mir ein Abonnement davon verschaffen oder sehen, daß, wenn das nicht möglich ist, ich sonst auf irgendeine Weise ein Heft erhalte? Sie haben doch sicher Einblick. Ich bin aber gar nicht (möglich,) böse, wenn es nicht möglich ist.

Und berichten Sie mir aber doch auch, was aus den Zusammen-künften im Grillparzersaal geworden ist. Ich wollte es gerne wissen.

Jetzt, lieber Andreas, bitte ich Sie noch-mals, mir - im Sinn der Weihnachten - nichts nachzutragen und wünsche Ihnen alles, alles Beste für das nächste Jahr.

Ihre

Hilde Schinko.

Wien 25 Dez 51

Liebe Hilde,

ich will Dir nur ein paar Gedichte schicken, die ich in letzter Zeit geschrieben hab. Vielleicht kannst Du was daraus entnehmen, wenn Du mich verstehst, oder vielleicht - was mir wichtiger wäre - ist was damit für Dich getan.

Hilde, wie Du vom Alleinsein schreibst, ist so traurig. Bist du sehr allein? Bist du vielleicht ohne jemand, den Du früher gekannt hast, der Dich erstmals zur Frau gemacht hat? Willst Du zu ihm zurückfinden (Ich weiß, es geht mich nichts an.)

*) (Lotte, Auslg, Nachklang, wiedertreffen)

Was mich betrifft, bin ich nicht so allein, daß sich mir die Welt dadurch verzerrt (ich habe meine Mutter und habe Freunde um mich, die mir immer wieder lieb sind), aber genug allein, um immer wieder zu wünschen.

Glaub mir, Hilde, wie wert Du mir bist, Dein Vorhandensein - ob Du jetzt schreibst oder nicht - (auch an meiner Person ist mir nicht das Wichtigste, ob sie schreibt sondern ob sie sich bewährt in ihrem Sehnen, einmal jemand alles Glück erschließen zu können).

Wenn Du mit mir einmal beisammen sein wolltest und kannst, schreib mir bitte, ob Du in die Räume des "Art Club" (einer modernen Gruppe) kommen kannst, in der Kärntnerstraße 10, im Untergeschoß, wo wir (es ist ungefähr wie in einem Lesezimmer und mit wenigen Leuten, die alle für sich beschäftigt sind) uns treffen könnten und etwas mehr sprechen als im Grillparze r- saal damals, oder uns schön ausschweigen. Es ist der neutralste und unstädtischeste Ort den ich weiß. Schreib mir bitte bald; ich warte unterdessen auf Dich.

Nachträge zu Deinen Fragen:

ein Abonnement der "Neuen Wege" werde ich Dir vermitteln; die Arbeit meiner Freunde vom Arbeitskreis ist zuende zu Ende : wir sind aus den "N. W." ausgetreten, weil die in letzter Zeit sich dem Unterrichtsministerium haben unterordnen müssen und nichts sogenanntes Verrücktes mehr bringen dürfen. Jetzt gilt unsere ganze Arbeit den "publikationen". Darf ich Dir Nummer 3 (Oktober) und die bald erscheinende Nummer 4 zusenden und überhaupt?

Laß bitte Dein Schreiben nicht Deine erste Sorge sein, sondern leg Deine Kraft und Deine Innigkeit in Dein Leben; wenn Du schreiben mußt, wirst Du es ohnehin wieder. Dein naher Brief ist mir Dein echtestes Gedicht.Dein Andreas

Für das Beisammensein hab ich etwa von halb sechs an werktags frei.
Di 25 Dez:

Morgens nach längerer Zeit einmal die Kirche besucht.

Vormittags kamen Tante und Paul.

Versuchten den Na x c hmittag gemütlich zu machen. Viellei cht wirklich gemütlicher als Christ-tage vergangener Jahre, die ich in Erinnerung habe.

Nachmittag wieder gedacht, gedacht, Hilde geschrieben /also fing ich hier an/, und ohne Hingebung gelesen.

Mi 26 Dez:

Daheim ausgeruht. Ich sichtete meine Mappen und sonderte aus letzter Zeit einiges aus.

Ich habe Sehnsucht und w ie ei ss nun nicht mehr, wohin sie geht.

Briggi vergessen können, der ich nichts erfülle.

Mi 26 Dez:

Nm. gelesen, ausgespannt.

Mehr können diese Tage nicht bringen.

Morgen habe ich wieder Büro.

Do 27 12:

Wegen dringender Arbeiten in Stellvertretung Dr. Machwitz' musste ich ins Büro kommen /entgegen früheren Hoffnungen/. Dort viel aber frei gearbeitet, finde niemand und nichts un-sympathisch.

In der Früh Briggi getroffen, sehr hergerichtet, freundlich. Sie war gestern im Art Club, erzählte mir, dass meine Inter-essentenlisten schon lebhaft ausgefüllt werde. Unlängst war der Inder bei Briggi in der Wohnung, zu einem gemütlichen Abend daheim.

Brief nach Oberlaa ist heute abgegangen. Aber ich komme von Briggi nicht mehr los. Jetzt muss ich ganz y a llein damit gehen.

Am Abend daheim versuchte ich von allem auszuruhen. Es sind immer schöne Abende.

Weihnacht war Rauhreif, heute 0°.

Neulich Dada-Versuche, zu denen viel Ehrlichkeit gehört.

Dr. Pavlicki wurde heute begraben.

Fr 28 Dez:

Gestern Abend: Brigitte Kahr hat mir geschrieben. Sie dürfte in einer misslichen Lage sein. Heute morgen schrieb ich ihr einen Brief.

Wieder ins Büro gefahren.

Es war weniger zu tun als gestern. Nächste Tage sind frei.

Abends: Art Club. Produktive Zusammentreffen. Lesungstermin mit Dr. Schmeller festgesetzt, mit Artmann besprochen.

Notiz aus dem Büro:

Meine einzige sinnvolle Tätigkeit ist jetzt: Zeit verstreichen lassen.

Sa 29 Dez:

"publ." nr. 4 auf dem Bierhäusel-berg abgezogen. Diesmal mit dem Autobus hinaufgefahren. Tag mit mehreren Eindrücken.

So 30 Dez:

Dialogstelle:

"Wie fühlt man sich als Hure?" "Eng. Als Liebende war man um-fassender."

Vormittag kam Kein, mit dem ich auch angenehm plauderte, nach-mittag Artmann. Wir stellten die neue Nummer fertig. Nächsten Sonntag Besprechung de r s Leseabends.

Silvester 1951:

Vormittag sonnige Gegend mit leichtem Frost. Letzte Be-sorgungen.

Mittags wurde es trüber, ich holte Wein und bereitete den Versand meiner Zeitschrift vor.

Nach längerer Zeit versuchte ich, das ätherische Oel von Mandarinen auszu-ziehen, um den Duft konzentriert zu erhalten. Dabei bemerkte ich traurig, dass ich keine Probier-gläser mehr habe.

Gestern machte ich mich über die Greguerias her und liess mich von Artmann ein wenig in Spanisch unterweisen.

Mir sind Neujahr-Vorsätze recht zuwider, ich möchte auch auf den Rückblick heuer verzichten und mich nur am Silvesterabend ein-fach freuen. Das vergangene Jahr hat mir den Broterwerb, die Befreiung von den Existenzsorgen, die Staatsbürgerschaft von hier, die "publikationen", mehrere gute Bekanntschaften aus dem Kulturellen gebracht.

In die Bahn des Mädchens ver-mochte ich nicht zu finden.

Zu einer missglückten Prosa, 31 12 51 abends:

... Das Schwere daran ist, unpersönlich zu schreiben /denn ich könnte nicht Zeilen lang hinschreiben: B., ich lieb dich, und immer noch .../, unpersönlich zu schreiben und gemässigt; man kann Kunst nicht kurzschlies y s en, und wenn der gesunde Instinkt für die Indirektheit versagt, ist es sehr schwer zu arbeiten, auch wenn die Intensität drängt ...

Silvester, weiters:

Einen angenehmen Nachmittag verbracht.

Abends bei guter Speise und Wein hemmungslos zu schreiben begonnen.

Rückseite des Umschlags