Briefwechsel Sauer-Seuffert, Digitale Edition August Sauer an Bernhard Seuffert in Graz Prag, 2. Juni 1902 (Montag) August Sauer Bernhard Fetz Hans-Harald Müller Marcel Illetschko Mirko Nottscheid Desiree Hebenstreit FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) Bernhard Fetz Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
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o:bss.9030 26.3.2020

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203 Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926 Böhlau Wien 2020 Österreich Wien Österreichische Nationalbibliothek Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Autogr. 423/1-434 Ich habe Ihnen in Sachen Stifters herzlich zu danken paper archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung

Briefwechsel Sauer-Seuffert, Digitale Edition

Übertragung folgt den Editionsrichtilinien der Druckausgabe

German August Sauer Prag 2. Juni 1902. Montag Bernhard Seuffert Graz Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Prag 2/6 02Smichow 586 LF. Ich habe Ihnen in Sachen Stifters herzlich zu danken; längst aber wollte ich schon mit Ihnen plaudern.. – Ich fuhr nach Pfingsten nach Weimar, um in meinem Man. ein [ige] s zu ergänzen. Es stellte sich heraus, was mir übrigens längst klar gewesen war, daß mein Text viel zu groß sei; ich machte auch Vorschläge zur ?????. Aber meine 7 Gruppen: 1. Theater & Musik; 2. Wiener Freunde (Eybenberg, Pichler, Eskeles, Flies), 3. Der Kreis der Staatskanzlei (Gentz, Metternich, Deinhardstein, Hormayr). 4. Aus den Kreisen der österreich. Armee (darin u.a. 2 wunderschöne Briefe von dem spät. FM Heß). 5. der Kreis um die [Ka] iserin Marie Ludowika (Lichnowsky, ODonell). 6. Bez. zu Böhmen [mit Ausnahme von Grüner, Sternberg, Zauper]. 7. 3 österreich. Künstlerinnen, gefielen den Herren so, daß sie sich entschlossen 2 Bände daraus zu machen; meine Gruppen 5, 3, 4 werden den 1. Bd. bilden. Leider geht mir dadurch der chronol. Faden u. die künstlerische Abrundung der (z. großen Theil fertigen) Einleitung verloren; auch werde ich, weil nun einiges Gekürzte ergänzt wird, zu meinem größten Leidwesen noch 1 Jahr ans Archiv [ge] kettet sein. Für die Sache aber ist diese Theilung sehr erquicklich. Ob Sie sich für die beiden Bände sehr erwärmen werden, muß ich billig bezweifeln; mich interessiert alles darin leidenschaftlich. Das Resultat der Theilung hätt ich ohne persönliche Anwesenheit wahrscheinlich nicht erreicht. Sonst war wenig los. Suphan gräßlicher als je, Schmidt müd u. verstimmt; am meisten verkehrte ich mit Witkowski u. Frau, mit Michels u. Elster; Vogt u. Martin sprach ich flüchtig. Morris, Friedländer, Schreyer, Thiele; Weltlich, der geniale Türck, Meyer & Löhnehen. Die Rede v. Paulsen litt unter seiner Heiserkeit u. der Unruhe des Publikums; bei Tisch sprach er sehr nett u. warm. Der Triumph s. Empfind-samkeit machte sich recht lustig; nur hatte Lessen die Proserpina in eine ¾ stündige Schaueraria verwandelt, bei der das Publicum zur Hälfte einschlief, zur Hälfte [d] avonlief. Der Ausflug nach Ilmenau war sehr gelungen; die Feier am Grab der armen Corona wirklich rührend, obwol Suphan die eingelernte Rede seinem Gedächtnis mühsam abrang; am Kickelhahn wär ich freilich lieber alleine gewesen als mit 200 Berliner Juden, mit Musik u. Photograph. Das böseste war für mich der Abschluß am Abend vor meiner Abreise: ein langes Inquisitionsgericht durch Hermann in der alten Affäre mit Minor. Er wollte Einzelheiten wissen, die ich Gott sei Dank längst vergessen habe u. spannte mich auf die Folter. Obgleich wir zu einem Friedenschluß à la ????? kamen, so war ich doch so erregt & verbittert, daß ich mich auf der Rückfahrt von Weimar mit ernsten Resignationsgedanken trug, umsomehr als kurz vorher wieder Fromme sich niederträchtig benommen hatte. Glossy hatte nemlich die Verlängerung der Subventionen etwas verschleppt; obwohl Fromme [m] eine Bürgschaft hatte, obwohl ich ihm die Staatssubvention im Januar schon geschickt hatte, obwohl er ja auch die Abonnentgelder schon einkassiert hat, stellte er doch den Druck plötzlich ein u. wollte ihn erst fortsetzen, bis d. Subventionsangelegenheit geklärt sei. Er brachte mich dadurch in eine sehr unangenehme Situation, da ich mehreren Mitarbeitern gegenüber für Heft 2 bestimmte Versprechungen eingegangen war, die ich nun nicht halten konnte. Die Sache ist ja momentan wieder beigelegt; er ist aber doch ein so unzuverläßiger Lumpen, daß mich die Weiterarbeit mit ihm verdrießt, um so mehr, a [ls] ich ihm ein andres Opfer in der Überlassg. einer Sammlung meiner zerstreuten Reden u. Aufsätze gebracht habe. Auch eine andre Sache ärgert mich, an der ich freilich allein Schuld bin. Vor längerer Zeit trug mir der Hanssachsstiefel in München einen kleinen Aufsatz über d. Quellen des Alberus an. Ich hatte offenbar seine Sünden nicht gegenwärtig, als ich nicht blos den Aufsatz annahm, sondern ihm auch ein paar Recensionen antrug (wobei ich zur Entschuldigg. hinzufügen muß, daß ich ungeheure Mühe habe, Recensenten zu bekommen u. daß es Bücher waren, die den Euphorion etwas weniger nah angehn). Auf der Fahrt nach Weimar blätterte ich das letzte Heft der Ko [chsc] hen Sudelzeitschrift mit Stiefels neuem Aufsatz durch u. da wurde mir plötzlich klar, welchen Stiefel ich gemacht hatte. Sie werden mir das ja nicht so übel nehmen, wie ich es verdiente, aber es trug dazu bei, mich von allen Redactionsgeschäften wegzuscheuchen. Auch die Arbeit an DLD habe ich über. Geigers 2. Auflage, die ich Ihnen gleichzeitig sende, da Sie sie noch nicht besitzen, ist wieder ein arges Stück dieses Schmierers. Als ich den Text der Übersetzg. in der Correctur mit meinem Ex. zu vgl. anfing, stimmte es nicht. Ich bat ihn nun, er möchte darauf achten, ob denn seine Vorlage mit der meinigen [üb] ereinstimme. Er antwortete: er habe seine Vorlage längst nach Dresden zurückgeschickt; es werde schon alles stimmen. So stimmt zwar der Abdruck in den DLD mit meinem Ex. überein; ob aber das Dresdner nicht ein Doppeldruck ist, weiß ich nicht. Und auch da hat mich der Verleger in Verlegenheit gebracht, [w] enn auch aus bloßem Übereifer. Er hat ohne mir etwas zu sagen, u. ohne mir die Titelblätter und Umschläge vorzulegen Sonderausgaben von den neu erschienenen Heften veranstaltet, die mir nicht blos höchlichst mißfallen, die Nummer der Sammlung – außer auf der Rückseite des Umschlags!! – nicht tragen, sondern worin er Lenz z. b. den Vornamen Johann statt Jacob gab. Ich war wütend darüber. Gerade weil ich so genau bin u. [m] ir solche Mühe gebe, ärgert mich dgl. besonders; u. die 2 Hefte an denen ich drucke machen mir formell auch wenig Freude. Leitzmann war nicht zu bewegen, in den Aphorismen Lichtenbergs eine sachliche Anordnung durchzuführen, sondern bietet die Notizbücher wie Kraut & Rüben dar. Der Herr, der den Platensc [he] n Nachlaß herausgiebt, kann den einfachsten Text nicht gestalten. Bei der Stifterausgabe habe ich dieselbe Erfahrung gemacht. Horcicka ist Historiker, hat nicht das geringste philol. Verständnis, seinen Apparat zum 14. Band habe ich eigenhändig ganz umschreiben müssen, weil ich sah, daß er mich gar nicht verstanden hatte; um doch wenigstens etwas Gleichmässigkeit mit meinem Band zu erzielen. Dabei habe ich gar keine Garantie, daß der Text genau ist, weil ich s. Hauptquelle, die Linzer Ztg., nicht zur Hand hatte. Und leider hat Horcicka fast die Hälfte der Bände mit Beschlag belegt, weil er großes Sammlergeschick hat u. weil er uns die meisten Ms. verschafft u. sich ihre Bearbeitung vorbehalten hat. So wird mir auch dieses schöne Unternehmen verg [ä] llt. Ich bürge nicht dafür, daß ich nicht eines Tages die ganze Redactionsthätigkeit hinwerfe u. mich in meine Studierstube einsperre, in der ich so glücklich sein könnte. Allerdings hat mir auch der Zustand meiner Frau im Frühjahr wieder schwere Sorgen gemacht. Sie sollte in eine Kaltwasserheilanstalt u. ich gienge ja ganz gern mit ihr (da sie allein nicht geht); aber sie will auch das nicht; u. wenn wir sie zwängen, würde ihr Zustand höchstens ärger. Momentan ist sie mit den Ihrigen [a] uf d. Lande. Was wir im Sommer machen, weiß ich noch nicht. Wenn mirs der Arzt erlaubt, möchte ich nach Marienbad, das wir beide sehr lieben; denn ich werde so – schrecklich stark. Fast schäme ich mich, Ihnen diesen Brief zu senden; aber Sie sind der einzige meiner Freunde, mit dem ich in einem wirklichen Briefwechsel stehe. Also Verzeihung. Tausend Grüße von Ihrem aufrichtig erg. AS.