Briefwechsel Sauer-Seuffert, Digitale Edition August Sauer an Bernhard Seuffert in Graz Prag, 8. April 1903 (Mittwoch) August Sauer Bernhard Fetz Hans-Harald Müller Marcel Illetschko Mirko Nottscheid Desiree Hebenstreit FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) Bernhard Fetz Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
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o:bss.9082 26.3.2020

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211 Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926 Böhlau Wien 2020 Österreich Wien Österreichische Nationalbibliothek Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Autogr. 423/1-456 Ihre häuslichen Sorgen, von denen [ich] nicht wusste paper archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung

Briefwechsel Sauer-Seuffert, Digitale Edition

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German August Sauer Prag 8. April 1903. Mittwoch Bernhard Seuffert Graz Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Prag 8/4 1903Smichow 586 L.F. Ihre häuslichen Sorgen, von denen [ich] nicht wußte, betrüben mich aufs Tiefste und ich hoffe, daß Sie ihrer nun mehr überhoben sind. Da muß freilich die Arbeit zurückstehen. – In Weimar herrschen die unerträglichsten Zustände. In seiner Weise that Suphan, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Ich zwang ihn aber wenigstens für den 2. Bd. ganz bestimmte Abmachungen wegen d. Bogenzahl zu treffen. Er wollte mir zeigen, wie [fl] eißig er wäre u. staubte mir vor der Nase 4-5 Tage die Archivcorrespondenz aus, die seit seinem Eintritt ungeordnet dalag, verbot uns aber in der Frühstückspause das Sprechen weil es ihn störe. Er duselt halb im Traum hin, schmiert fleißig Aufsätze in die Weimarische Ztg., über die sich selbst die Verleger lustig machen; absolviert etwa einen Bogen d. Goethe-Ausgabe in 10 Minuten!! Wahle verknöchert immer mehr. Schüddekopf benimmt sich wie ein Schul [jun] ge; wenn Suphan ins Zimmer tritt, schiebt er die Heinsecorrecturen schnell unter die Goethecorrecturen u. schimpft dann über Archivzwang. Hecker ist sehr fleißig, aber borniert. Für die böhmischen Dinge erwartete er alles Heil von meiner Ankunft; ich wußte aber nicht mehr als ohnedies im Sternberg-Briefw. steht u. habe – der Ausgabe zuliebe – die Dinge nicht weiter verfolgt. – Wenn ich im Juli zum let [zte] n mal der Correcturen wegen in Weimar gewesen sein werde, so sieht mich kein Mensch mehr in Weimar, solange das Regime sich nicht ändert. – Bei Ruland u. Bojanowski war ich nicht, lebte überhaupt ganz zurückgezogen und erholte mich durch langes Schlafen von der Semesterarbeit. – Schüddekopf wollte Ihnen schreiben wegen einer Ausgabe v. Wielands Briefen für die Bibliophilen. Es wäre ein Glück [fü] r Alle, wenn Sie darauf eingehen könnten. Eine solche Gelegenheit findet sich sobald nicht wieder. – Ich war der Stifterbriefe wegen 2 mal in Eisenach bei Kürschners Wittwe u. habe uns das Vorkaufsrecht dafür gesichert und bei dieser Gelegenheit auch die übrigen Hs. gesehen u. theilweise geordnet. Der Maler Müllernachlaß besteht ungefähr aus 30 Paketten (Dichtungen & Briefe etc.). Der Faust allein ist ein ganzer Stoß von Papieren. Ich will mich erkundigen, ob diese Papiere nicht an die Kgl. Bibliothek gebracht werden können, damit der Nachlaß wieder vereinigt würde. 2 Cartons Nic. Götz; alle Gedichte; dann viele Briefe an ihn, auch von Herder u. Wieland; Ifflands Briefe an s. Schwester Luise, auch einige an Gotter dabei .. ein Miscellaneenbuch von E.T.A. Hoffmann etcs. – Hebbels Agnes Bernauer; [A] bschrift mit eigenhändigen Correcuren. – Etwa 12 Stücke des öst. Dramatikers Pannasch, Goed. B3, 849, alle ungedruckt, die ich nach Wien bringen will, an den neuen litt. Verein. Gewiß sehe ich diese Gründung mit einem lachenden u. einem weinenden Aug an. Die Grillparzerges. wäre berufen gewesen, dieses Programm aufzustellen u. durchzufü [hren] . Als ich in der gründenden Versammlung vor 12 Jahren dies verlangte, wurde ich kaum angehört, überstimmt & von Müller-Guttenbrunn am nächsten Tag verhöhnt, ich hätte ein Seminar aus der Ges. machen wollen. Der Ausschußsitzg. der Grillparzerges. habe ich mehrmals ähnliche Vorschläge g [em] acht, z.B. verlangt, es möchten Schriften nach Art der Goetheges. herausgegeben werden; aber Reich, der böse Dämon der Grillp. Ges., der nur blindwütig Dienst/Kunst für das Volk kennt u. achtet, hintertrieb alles. So war freilich der neue Verein eine Notwendigkeit. Ob Bettelheim, der d [er] eig. spiritus rector ist, die richtige Persönlichkeit für solche Dinge ist, bezweifle ich. Ich denke nicht so gut über ihn wie Schönbach, der durch Jugendfreundschaft an ihn gekettet ist u. der von ihm allerdings vergöttert wird. – Zunächst scheint ein häuslicher Krieg mit Minor entbrannt zu sein, der meinen Einfluß in der Ges. brechen will. Durch Glossys Wahl zum Obmann scheint Minor besiegt worden [z] u sein, der bisher alles negierte, was die andern wollten. Für mich ist das insofern ungünstig, als Glossy u. Bettelheim ein unbegrenztes Vertrauen in meine Leistungsfähigkeit haben u. mich mit Aufträgen überbürden wollen; andrerseits wäre es die schönste Erfüllung meiner Wünsche, wenn die kritische Grillparzerausgabe unter meiner Lei [tu] ng zustande käme u. wenn ich für meine längst vorbereitete Sammlung von Recensionen über & Gesprächen mit Grillp. einen Verleger fände. Glossy knüpft noch weitere Hoffnungen daran (wie ich Ihnen streng vertraulich sage), die ich aber nicht theile u. deren Realisierung ich jetzt auch kaum mehr wünsche. Er meint, es würde sich eine Art Institut für österreich. [Lt.] forschung (nach Art des Instituts für österr. Geschichtsforschg) daraus sich ! entwickeln, als dessen Leiter ich doch noch nach Wien kommen könnte. Das war vor Jahren allerdings mein eigner Plan. Aber Minor wird sich diesem Plan gewiß widersetzen oder wird wenigstens streben, eine andre Persönlichkeit als mich an die Spitze zu bringen: Werner, Weilen, Zeidler, auch Wackernell werden trachten mir im Weg zu sein. Ich halte mich daher vollständig zurück, war bei der gründenden Versamml. nicht in Wien u. gebe meine hiesige Position (bes. in der „Gesellschaft“) solange nicht auf als ich nicht festen Boden in Wien gefasst habe, werde also auch kaum einen mir angebotenen Urlaub annehmen, weil ich dadurch in eine schiefe Lage käme. Bleibt aber Hartel längere Zeit noch am Ruder, dann ist es möglich, daß er eine [Lehr] kanzel f. öst. Lit. Gesch. gründet u. mir übergiebt. Um dieses Ziel nun wenigstens nicht zu verlieren, werde ich trachten, an den Arbeiten des Vereins aus der Entfernung regen Antheil zu nehmen u. Hartels Wünsche zu befriedigen. Ich gestehe Ihnen offen, dass mich die ganze Sache etwas aus dem Gleichgewicht gebracht hat; ich hatte seit Jahren alle ähnlichen Pläne ganz aufgegeben gehabt u. mich in mein Schicksal gefügt. Nun sind alle wie ich glaubte ertödteten Wünsche wieder lebendig geworden und treiben tollen Unfug. Wär ich nur um 20 Jahre jünger! – Geld hat Glossy mit Hartels Hilfe in Menge schon zusammengebracht. – Für Ihr Büchlein werden wir thun was wir können. Herzlich grüßend Ihr AS.