Das Inventar des Hugo Blotius

Das Objekt und seine Entstehung

Eine der ersten Aufgaben, die Hugo Blotius als neu bestellter Bibliothekar der Hofbibliothek durchzuführen hatte, war die Erstellung eines Inventars über den Gesamtbestand in doppelter Ausführung. Von den 2x2 Bänden hat sich heute nur noch der zweite Band des für den Kaiser bestimmten Inventars erhalten (ÖNB Cod. 13525, datiert 1576).

Die in der Bibliothek vorhandenen Bücher, die nicht nach Handschriften und Drucken getrennt waren, wurden von Blotius und seinen Gehilfen mit Signaturen nach dem nummerus-currens-Prinzip versehen. Der fortlaufenden Zahl wurde ein Buchstabe vorangestellt, der die theca bezeichnet, in der der Band aufbewahrt wurde, um die Auffindung zu erleichtern. In vielen Bänden lassen sich diese Signaturen noch am letzten Blatt oder am Innendeckel nachweisen.

Für das Inventar ordnete Blotius die Bände nach dem ersten Buchstaben des Vornamens der Autoren oder nach dem Sachtitel des Bandes nach dem Alphabet. So findet sich etwa Martin Luther unter M. Innerhalb eines Buchstabens sind die Bände nach aufsteigender Signatur unterteilt in die einzelnen thecae gelistet. Im Anschluss sind die Bände der gesondert aufgestellten Bibliothek des Hans Dernschwam gelistet.

Für Druckschriften gibt Blotius meist Informationen zu Autor, Titel, Druckjahr, Druckort und Format, selten auch zu Einbänden oder Vorbesitzern. Sind in einem Band mehrere Drucke enthalten beschreibt er nur den ersten Druck und nennt die Zahl der Adligate (cum xy alliis adjunctibus). Ebenso beschreibt er bei Handschriften meist nur den ersten enthaltenen Text mit seinem Autor, soweit er aus der Handschrift ersichtlich ist. Zur weiteren Charakterisierung der Manuskripte erwähnt er das Format und den Beschreibstoff.

Diese grobe Beschreibung der einzelnen physischen Bände erklärt sich aus der raschen Erfassung, die vor allem eine Erstinventarisierung zum Ziel hatte und keinen vollständigen Katalog.

Der heute noch erhaltenen Band des Inventars umfasste laut Titelblatt einst die Buchstaben M bis Z. Heute endet er mit dem Buchstaben X auf fol. 264v. Es folgen 5 leere Blätter, die, wie auch bei anderen Buchstaben, für Nachträge gedacht waren. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurden offensichtlich die folgenden etwa 100 Blätter aus der Handschrift entfernt. Heute sind sie zum Schutz des Einbands durch moderne Papierblätter ersetzt. Der Schnitt des ursprünglichen Buchblocks ist vergoldet und punziert.

Der zeitgenössische Ledereinband trägt auf dem Vorder- und Hinterdeckel in Gold geprägt kaiserliche Wappen. In Golddruck heißt es am Vorderdeckel außen wie auch am ersten Blatt Inventarii Bibliothecae S. Caes: Maiestatis. Pars Posterior 1576. MNOPQRSTVWXYZ.

Da das Inventar von 1576 nur als Provisorium gedacht war, arbeitete Blotius in den Folgejahren intensiv an einer ausführlicheren Katalogisierung der Bibliothek. Erhalten hat sich ein fünfbändiger Katalog, den sein Gehilfe und späterer Nachfolger Sebastian Tengnagel 1602-1605 aus Materialien von Blotius erstellte (Cod. 1356-13550 bzw. 13542-13545). Dieser und andere Kataloge machten das Inventar rasch obsolet und sind wohl der Grund dafür, dass sich nur noch ein einziger Band erhalten hat.

Trotz dieser gewissen Unzulänglichkeit stellt das Inventar von 1575 vor dem Hintergrund Frühneuzeitlicher Findeinstrumente für Büchersammlung ein effizientes und als Inventar durchweg komplexes Instrumentarium dar. Insofern es in der Art der meist vorlagegemäßen Verzeichnung von Titeln (Titelabschriften) und Angaben von Format und Impressum über typische Inventare der Zeit hinaus geht, lässt sich zu Recht stellen, inwiefern vielmehr von einem Katalog gesprochen werden kann. Codex 13525 ist vielmehr ein dem Kompromiss von Anspruch und Ressourcen geschuldetes Hybrid, das zum einen die basale Funktion von Inventaren als Nachweis und Schutz von Beständen für kontrollierten Zugriff erfüllt, aber auch Objekt bibliographischer Auskünfte sein soll, wie es Blotius in einer Reihe von Spezialbibliographien umzusetzen im Sinne hatte, von denen jedoch nur der sogenannte Turcica-Katalog auf uns gekommen ist. Für Hugo Blotius war das Inventar nur ein erster notgedrungen verknappter Baustein in einem äußerst ambitioniert angelegten Erschließungsprojekt, das auf die bibliographische Methode der Zürcher Schule von Conrad Gessner und dessen Schülern aufbaute und in einem Museum generis humani als paneuropäische Zentrale der Wissensverarbeitung gipfeln sollte.

Blotius legte mit dem Inventar eine durchdachte strukturierte Datenmodellierung des vorfindlichen Bestandes vor. Unsere Edition hat den Anspruch, dieses originäre Datenmodellierung nachvollziehbar und stets durch unsere sekundäre Datenmodellierung hindurch durchsichtig zu machen. Insofern wird in der Transkription das Dokument als historisches Dokument von Datenverarbeitung präsentiert und nicht ausschließlich dessen Informationsgehalt in Form einer sekundären Modellierung als Datenbank.

Struktur der Katalogeinträge

Auf einer Seite des Codex wurden von den Schreibern durchschnittlich zehn Katalogeinträge zusammengestellt. Die einzelnen Einträge sind gemäß Funktionalität der Textsorte (relativ) analog strukturiert, d.h. aus einer (relativ) gleichförmigen Abfolge von Informationseinheiten aufgebaut. Die einzelnen Informationseinheiten wurden in der Regel durch Interpunktion abgesetzt (s. auch Interpunktion in Richtlinien zur Transkription), welche somit als bedeutungstragende Trennzeichen zu bewerten sind. Blotius kann daher durchweg als frühneuzeitlicher Vordenker einer standardisierten bibliographsichen Beschreibung angesehen werden (heute als ISBD, d.h. International Standard Bibliographical Description verbreitet).

In der durch die Rastrierung abgesetzten linken Spalte finden sich stets die zweistelligen Standortsignaturen (Blotius-Signaturen). Die erste Stelle – ein Großbuchstabe des lateinischen Alphabets – bezeichnet die Theca (s. dispositio), die zweite Stelle – durch einen Punkt getrennt – die fortlaufende Zählung innerhalb der inventarisierten Bände (nummerus currens-System). Diese zweistellige Informationseinheit wird oftmals durch einen Punkt von der nachfolgenden getrennt, bisweilen fällt der Punkt jedoch auf die Linie des Rasters oder wurde schlichtweg vergessen.

Die rechte, weitaus breitere Spalte wird mit den bibliographischen Beschreibungen (Titelaufnahmen) ausgefüllt. Es ist davon auszugehen, dass Blotius und seine Gehilfen sich für die Erfassung der Druckschriften sehr stark an den Titelblättern der vorliegenden Drucke orientierten, nämlich sowohl was die Quantität als auch die Qualität der Information betrifft. Diese Beschreibungsmethode wird dann im 19. Jahrhundert unter dem Begriff ‚Titelabschrift‘, im 20. Jahrhundert unter der Bezeichnung ‚vorlagegemäße Erfassung‘ weiter praktiziert werden. Oftmals, wenn auch nicht immer, folgt die Titelangabe genau dem Wortlaut der Vorlage, was bei einzelnen Einträgen sogar die Zuweisung zu einer nur minimal differenten Ausgabe stützen kann. So wurden auch falsche Erscheinungsjahre der Titelblätter übernommen oder etwa auch ‚Wittenberg‘ als Erscheinungsort, wo dieser jedoch auf den Titelblättern vieler Reformationsschriften nur als Label fungierte. Für bibliographische Ermittlungsarbeit stand Blotius und seinen Gehilfen keine Zeit zur Verfügung. Auch Blotius unterschied bereits zwischen Verfasserwerken und Titelwerken; Auch er wird sich des Problems der Einreihung anonymer Werke bewußt gewesen sein, wie es noch die Debatten um die Katalogisierung im 19. Jahrhundert beschäftigen wird (Jochum: 1995). Die Angabe des Verfassers wurde von den Bearbeitern nicht durch Punkte vom eigentlichen Haupttitel abgesetzt, muss daher einerseits als Teil der Informationseinheit ‚Titel‘ interpretiert werden, andererseits aber als distinkter ‚Kopf‘ der Aufnahme und somit neben der Standortsignatur als prominenter Anker für Sucheinstiege gelesen werden. Auffällig ist, dass die Verfasserangabe auch dann in der Genetivform vorangestellt wird, wenn das so nicht auf dem Titelblatt der Vorlage zu finden ist (Bsp. H. 2521). Im Falle des Beispiels H. 2521 wird die Verfasserangabe der Vorlage „Durch Matthiam Flacium Illyricum“ in den Genetiv und an den Kopf der Aufnahme gesetzt, zudem abgehoben durch die lateinische Schrift gegenüber derjenigen des deutschen Titels. In anderen Fällen, wo beteiligte Personen nicht eindeutig als Ersteller bezeichnet werden konnten, erfassen die Bearbeiter die Angabe eng an der Vorlage, wie in H. 2566 „durch. D. Martinum Luther. verteütscht.“

Dem Titel folgen bei Druckschriften in der Regel entweder Erscheinungsort und Erscheinungsjahr (Impressum), wenn aus der Quelle für die Bearbeiter einfach ablesbar oder die Angabe des Buchformats. Warum teilweise das Format nicht angegeben wurde, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Format angegeben wurde, wenn es bereits auf den vermeintlichen Zetteln der Zwischenbearbeitung erfasst worden war. Wenn dort vom einzelnen Bearbeiter aus Nachlässigkeit nicht erfasst, wurde es wohl im Zuge der Abschrift auch nicht erhoben. In seltenen Fällen (Bsp. H. 2546) wurde der Name des Druckers beziehungsweise der Offizin vermerkt.

Zusätzlich zu diesen formalen bibliographischen Informationen finden sich ebenfalls durch Interpunktion abgehoben solche, die das vorliegende Exemplar als Objekt der Inventarisierung kennzeichneten (d.h. exemplarspezifische oder objektspezifische Informationen). Das können neben Angaben zu Einband, Beschreibstoff, Ausstattung und Zustand auch wertende Bemerkungen sein. Konsequent verzeichnet wurden die Sammelbände (s. Sammelbände im Bestand) wohl für eine spätere analytische Verzeichnung, wie sie tatsächlich in den 1590er Jahren im großen fünfbändigen Katalog erfolgte. In der Regel wird die Anzahl der beigebundenen Bände der Sprache des Haupttitels gemäß in Deutsch oder Latein, in Wortlaut oder als Ziffer erfasst. Somit wurde zumindest indirekt eine Quantifizierung des Kryptobestandes angestrebt.

Folgende Informationseinheiten lassen sich bei Druckschriften unabhängig von ihrer tatsächlichen Verwendung differenzieren:

  • Standortsignatur aus Theca und Nummerus Currens
  • Autorname als Kopf (header)
  • Hauptitel
  • Angabe beteiligter Personen
  • Druckort (laut Vorlage)
  • Druckjahr (laut Vorlage)
  • Formatangabe
  • Objektbeschreibung (Einband, Zustand, Ausstattung, Beschreibstoff)
  • Notiz zur Sammelbänden mit Quantifizierung der Teile

Kennzeichung der Bände

Mit der Erfassung der Bände für das Inventar ging auch eine Kennzeichung der Objekte selbst einher. Es ist davon auszugehen, dass dieser Arbeitsschritt im Rahmen der autoptischen Erhebung von Metadaten auf losen Zetteln erfolgte. Sobald das System der Signaturenvergabe fixiert worden war, wird wohl jeder Bearbeiter der Reihenfolge der Aufstellung folgend Bände zu Handen genommen haben, die Titelabschrift auf einem Zettel notiert haben und an den Bänden selbst die entsprechende Signatur in Tinte angebracht haben. Die entsprechenden Signaturen finden sich meist an der Innenseite des Hinterdeckels oder einem hinteren Vorsatzblatt unten sehr nah an der Kante des Deckels und / oder auf einem Schnitt, meist dem Vorderschnitt. Vereinzelt wurden die handschriftlichen Signaturen auf Buchdeckeln angebracht oder auf Titelblättern. Ihre Gestaltung ist relativ homogen. In Sammelbänden wurden relativ konsequent die einzelnen Teile für die Quantifizierung des Kryptobestandes gezählt und die Zählung auf den Titelblättern eingetragen. Diese typischen Zahlen im Kreis sind neben den typischen Signaturen die wesentlichen Indizien für die Identifikation von Exemplaren (s. Editionsrichtlinien / Exemplarspezifische Informationen).


Zitiervorschlag
Krickl, Martin: Über das Inventar des Hugo Blotius. In: Blotius Digital. Digitale Edition des Inventars der Wiener Hofbibliothek (1576). Herausgegeben von Martin Krickl und Katharina Kaska. Digitale Editionen an der Österreichischen Nationalbibliothek 2. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 0.1, 10.9.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/blotius/o:blo.inventar-about/methods/sdef:TEI/get