L. 7/6 82.
Ulica Kotlarska 2.

Lieber Herr College!

Wenn das Schreiben ein Aktenstück wäre, so müßte ich es mit dem Worte: ‚Vertraulich‘ überschreiben. Ich bitte Sie also von den folg. Mitteilungen keinen weiteren Gebrauch zu machen, da ich das Versprechen vollständiger Discretion geben mußte.
Ich bin vom Schicksal – scheint es – dazu auserkoren, mit Ihnen auf demselben Arbeitsboden zusammenzutreffen. Diesmal ist es noch viel weniger meine Schuld als bei dem früheren Project. Speemann hat mich zu einer großen Sammlung deutscher Dichter des vorigen Jh. geworben u. ich habe eine [Au]wahl d. Stürmer & Dränger, sowie der Göttinger Dichter übernommen. Die Ausgabe verfolgt rein populäre Zwecke, Interpunction & Orthogr. ist modernisirt. Nur die Wortformen bleiben unangetastet, also nach Hempels Muster. Ich nehme Ihnen also höchstens die Kindermörderin u. ein oder das andere Lenz’sche Stück vorweg, die Sie aber trotzdem noch einmal bringen mü[ßte]n. Von Ihren bisherigen Heften muß ich leider den Müllerschen Faust wieder bringen. Ich weigerte mich. Aber Kürschner, der Leiter der Samml. will absolut nur das Princip der Wichti[g]keit gelten lassen. Im Allgemeinen hat auf 2 Bd. à 18 Bogen wirklich sehr wenig Platz.
Nun muß ich aber überdies Ihre Hilfe noch in Anspruch nehmen. Ich möchte Sie fragen, wie ichs mit Müllers Genofeva ! halten soll. Haben Sie etwa eine Abschrift? oder ein Exemplar mit den Verbesserungen. Sie würden gewiß nichts dabei verlieren, auch wenn sie es in den DLD. später einmal abdrucken lassen wollten. Ich muß sonst [w]ie Hettner Tieck abdrucken u. kann höchstens die Fehler berichtigen nach den von Ihnen im Anhang mitgetheilten Berichtigungen. Also ich bitte Sie darüber um Auskunft: womöglich um Beistand.
Noch ein Wort zu meiner Rechtfertigung. Ich habe Speemanns Anerbieten hauptsächlich aus [p]ekuniären Gründen annehmen müßen. Die Arbeit ist nicht groß – der Sommer wird freilich draufgehn – u. das Honorar erträglich, zumal da die Correcturen wegfallen. So lange ich keine Anstellung habe, kann ich nichts von mir weisen, was den Lebensunterhalt halbwegs erträglich macht.
Ich bin recht fleißig – eigentlich nur fleißig, leide unter der Hitze ziemlich viel u. bleibe wol bis Sep[t.] in Lemberg. Was machen die Frankfurter gelehrten Anzeigen?
Kleist Band III wird sich in den nächsten Wochen präsentiren und um eine milde Behandlung bitten. Er ist nicht so gut wie I. Ohne Bibliothek soll d. Teufel Briefe herausgeben! Mit besten Grüßen Ihr Sauer.

L. 7/6 82.
Ulica Kotlarska 2.

Lieber Herr College!

Wenn das Schreiben ein Aktenstück wäre, so müßte ich es mit dem Worte: ‚Vertraulich‘ überschreiben. Ich bitte Sie also von den folg. Mitteilungen keinen weiteren Gebrauch zu machen, da ich das Versprechen vollständiger Discretion geben mußte.
Ich bin vom Schicksal – scheint es – dazu auserkoren, mit Ihnen auf demselben Arbeitsboden zusammenzutreffen. Diesmal ist es noch viel weniger meine Schuld als bei dem früheren Project. Speemann hat mich zu einer großen Sammlung deutscher Dichter des vorigen Jh. geworben u. ich habe eine [Au]wahl d. Stürmer & Dränger, sowie der Göttinger Dichter übernommen. Die Ausgabe verfolgt rein populäre Zwecke, Interpunction & Orthogr. ist modernisirt. Nur die Wortformen bleiben unangetastet, also nach Hempels Muster. Ich nehme Ihnen also höchstens die Kindermörderin u. ein oder das andere Lenz’sche Stück vorweg, die Sie aber trotzdem noch einmal bringen mü[ßte]n. Von Ihren bisherigen Heften muß ich leider den Müllerschen Faust wieder bringen. Ich weigerte mich. Aber Kürschner, der Leiter der Samml. will absolut nur das Princip der Wichti[g]keit gelten lassen. Im Allgemeinen hat auf 2 Bd. à 18 Bogen wirklich sehr wenig Platz.
Nun muß ich aber überdies Ihre Hilfe noch in Anspruch nehmen. Ich möchte Sie fragen, wie ichs mit Müllers Genofeva ! halten soll. Haben Sie etwa eine Abschrift? oder ein Exemplar mit den Verbesserungen. Sie würden gewiß nichts dabei verlieren, auch wenn sie es in den DLD. später einmal abdrucken lassen wollten. Ich muß sonst [w]ie Hettner Tieck abdrucken u. kann höchstens die Fehler berichtigen nach den von Ihnen im Anhang mitgetheilten Berichtigungen. Also ich bitte Sie darüber um Auskunft: womöglich um Beistand.
Noch ein Wort zu meiner Rechtfertigung. Ich habe Speemanns Anerbieten hauptsächlich aus [p]ekuniären Gründen annehmen müßen. Die Arbeit ist nicht groß – der Sommer wird freilich draufgehn – u. das Honorar erträglich, zumal da die Correcturen wegfallen. So lange ich keine Anstellung habe, kann ich nichts von mir weisen, was den Lebensunterhalt halbwegs erträglich macht.
Ich bin recht fleißig – eigentlich nur fleißig, leide unter der Hitze ziemlich viel u. bleibe wol bis Sep[t.] in Lemberg. Was machen die Frankfurter gelehrten Anzeigen?
Kleist Band III wird sich in den nächsten Wochen präsentiren und um eine milde Behandlung bitten. Er ist nicht so gut wie I. Ohne Bibliothek soll d. Teufel Briefe herausgeben! Mit besten Grüßen Ihr Sauer.

Briefdaten

Schreibort: Lemberg
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-19
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8230 [Druckausgabe Nr. 19]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8230/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

LinksInformation

Das Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.