Würzburg Herzogeng. 5
8 IX 84.

Gestatten Sie, dass ich Sie mit lieber Freund anrede. Ihr brief gibt mir dazu, glaub ich und hoff ich, das recht. Es war mir eine rechte freude, von demselben bei meiner gestrigen ankunft hier als dem ersten posteinlauf empfangen zu werden. Haben Sie dank dafür! Sie liessen mich in die intima cordis blicken und ich weiss das wahrhaftig zu schätzen.
Es geht Ihnen wie meinem Wieland. Der sagt einmal von sich: es hat mir noch niemals geschadet, wenn mich jemand näher kennen lernte. Ich weiss nicht wie es kam, dass ich mir von Ihnen, wie von Ihrem äusseren bevor ich Ihr bild erhielt, so auch vom inneren ein falsches bild machte. Ich hielt Sie für ein stilles wasser, für so tief als diese sind, aber ich ahnte nichts von den stürmen, die darin waren. Soll ich Ihnen mein mitgefühl versichern? Sie wissen, dass Sie es haben.
Vor allen dingen fesselt mich – ich möchte sagen, ich beneide Sie darum – Ihr verhältnis zur gräfin Potocki. Solche teilnahme ist das köstlichste, was der mensch finden kann. Und wenn sie Ihnen nun fehlt, so haben Sie doch die erinnerung, dass Sie die frist voll und rein ausgenossen haben.
Ich habe nur eine kleine erfahrung in derselben richtung. Als anfänglicher docent erteilte ich mehreren mädchen privatunterricht in der litteratur. Ich verkehrte mit ihnen auch gesellschaftlich und eine war darunter voll geist und interesse, die mich hob, indem ich sie förderte. Aber es kam dazwischen, was das verhältnis zwischen zwei jungen ehelosen leuten stört. ich war damals noch nicht verlobt, aber meine neigung war entschieden, meine wahl war getroffen. Empfindlich berührte mich zu hören, dass der verkehr mit meiner schülerin als liebesbeziehung gedeutet ward, empfindlicher, dass ich nicht mehr, einmal aufmerksam gemacht, verkennen konnte, dass in ihr sich eine neigung zu mir entwickelte. Ich antwortete mit meiner verlobung und schränkte den verkehr mit der schülerin ein, ich dürfte sagen, brach ihn ab; denn jetzt sehen wir uns selten und sprechen dann, was man eben beim souper spricht.
Aber ich kann vollauf begreifen, was Sie an der geistreichen freundin hatten.
Wenn ich Ihnen jetzt wünsche sagen soll, wäre es der, dass auch an Ihnen wahr wird: Die glocke tönt, die erde hat mich wider. Ich meine die glocke der liebe. die tote gräfin soll und darf Ihnen nicht ersetzen, wenn Sie in der ehe glücklich werden wollen. Ihr geistiges leben wird weniger dabei genährt werden, aber die ruhe Ihres gemütes wird über Sie kommen und mit ihr wol die himmlische gelehrtenruhe, die Sie vermissen.
Ich kann sagen, ich habe dies köstliche gut, hab es trotz den inneren kämpfen wegen des äusserlich fruchtlosen lebens, trotz der aussichtslosen entfernung vom ehlichen ! und beruflichen ziele. Bringt mich dies und jenes aus dem gleichgewicht: ich fänd noch jedesmal eine frohe und freie heiterkeit der stimmung bei der arbeit wider. Und selbst, wenn ich etwas anpacken musste, was mir anfänglich zuwider war, allemal stellte sich bei der vertiefung der genuss ein. Ich bin eigentlich nur unglücklich wenn mich eine körperliche indisposition vom arbeiten abhält, oder wenn sonstige äussere gründe mich auf ein paar tage dem schreibtische entfremden. Das geht so weit, dass ich auch keinen erholungsauf- enthalt mehr zu geniessen vermag, ohne mindestens jeden zweiten tag einige stunden zu arbeiten und zwar nicht irgend etwas, sondern an dem, was mich überhaupt gerade beschäftigt.
So komme ich auch jetzt nach 3wöchentlichem aufenthalte am Bodensee mit vermehrten Wielandkenntnissen zurück. nach einiger vorbereitung gehe ich – in etwa acht tagen – nach Weimar: der grossherzog gewährte mir wider erwarten die benützung der Wielandpapiere seines hausarchives. Kann ich Ihnen in Weimar etwas besorgen? Briefe mit der hiesigen adresse treffen mich allzeit.
Und nun empfangen Sie nochmals dank, lieber freund. Wann werden wir uns einmal persönlich kennen lernen? Wird es bald oder spät, wir wollen inzwischen treue bruderschaft halten. Verkennen Sie ich nicht, auch wenn ich meiner ernsten und schwerfälligen natur nach dürftig und trocken bin.
– – Scherrs stelle wird doch wol Bächtold zufallen, (der sie wahrlich brauchen kann) sobald nur erst Scherr völlig zurücktritt, was nicht geschehen ist.
Die besten wünsche für Ihre ferien! und gruss
von Ihrem ergebenen
BSeuffert.

Würzburg Herzogeng. 5
8 IX 84.

Gestatten Sie, dass ich Sie mit lieber Freund anrede. Ihr brief gibt mir dazu, glaub ich und hoff ich, das recht. Es war mir eine rechte freude, von demselben bei meiner gestrigen ankunft hier als dem ersten posteinlauf empfangen zu werden. Haben Sie dank dafür! Sie liessen mich in die intima cordis blicken und ich weiss das wahrhaftig zu schätzen.
Es geht Ihnen wie meinem Wieland. Der sagt einmal von sich: es hat mir noch niemals geschadet, wenn mich jemand näher kennen lernte. Ich weiss nicht wie es kam, dass ich mir von Ihnen, wie von Ihrem äusseren bevor ich Ihr bild erhielt, so auch vom inneren ein falsches bild machte. Ich hielt Sie für ein stilles wasser, für so tief als diese sind, aber ich ahnte nichts von den stürmen, die darin waren. Soll ich Ihnen mein mitgefühl versichern? Sie wissen, dass Sie es haben.
Vor allen dingen fesselt mich – ich möchte sagen, ich beneide Sie darum – Ihr verhältnis zur gräfin Potocki. Solche teilnahme ist das köstlichste, was der mensch finden kann. Und wenn sie Ihnen nun fehlt, so haben Sie doch die erinnerung, dass Sie die frist voll und rein ausgenossen haben.
Ich habe nur eine kleine erfahrung in derselben richtung. Als anfänglicher docent erteilte ich mehreren mädchen privatunterricht in der litteratur. Ich verkehrte mit ihnen auch gesellschaftlich und eine war darunter voll geist und interesse, die mich hob, indem ich sie förderte. Aber es kam dazwischen, was das verhältnis zwischen zwei jungen ehelosen leuten stört. ich war damals noch nicht verlobt, aber meine neigung war entschieden, meine wahl war getroffen. Empfindlich berührte mich zu hören, dass der verkehr mit meiner schülerin als liebesbeziehung gedeutet ward, empfindlicher, dass ich nicht mehr, einmal aufmerksam gemacht, verkennen konnte, dass in ihr sich eine neigung zu mir entwickelte. Ich antwortete mit meiner verlobung und schränkte den verkehr mit der schülerin ein, ich dürfte sagen, brach ihn ab; denn jetzt sehen wir uns selten und sprechen dann, was man eben beim souper spricht.
Aber ich kann vollauf begreifen, was Sie an der geistreichen freundin hatten.
Wenn ich Ihnen jetzt wünsche sagen soll, wäre es der, dass auch an Ihnen wahr wird: Die glocke tönt, die erde hat mich wider. Ich meine die glocke der liebe. die tote gräfin soll und darf Ihnen nicht ersetzen, wenn Sie in der ehe glücklich werden wollen. Ihr geistiges leben wird weniger dabei genährt werden, aber die ruhe Ihres gemütes wird über Sie kommen und mit ihr wol die himmlische gelehrtenruhe, die Sie vermissen.
Ich kann sagen, ich habe dies köstliche gut, hab es trotz den inneren kämpfen wegen des äusserlich fruchtlosen lebens, trotz der aussichtslosen entfernung vom ehlichen ! und beruflichen ziele. Bringt mich dies und jenes aus dem gleichgewicht: ich fänd noch jedesmal eine frohe und freie heiterkeit der stimmung bei der arbeit wider. Und selbst, wenn ich etwas anpacken musste, was mir anfänglich zuwider war, allemal stellte sich bei der vertiefung der genuss ein. Ich bin eigentlich nur unglücklich wenn mich eine körperliche indisposition vom arbeiten abhält, oder wenn sonstige äussere gründe mich auf ein paar tage dem schreibtische entfremden. Das geht so weit, dass ich auch keinen erholungsauf- enthalt mehr zu geniessen vermag, ohne mindestens jeden zweiten tag einige stunden zu arbeiten und zwar nicht irgend etwas, sondern an dem, was mich überhaupt gerade beschäftigt.
So komme ich auch jetzt nach 3wöchentlichem aufenthalte am Bodensee mit vermehrten Wielandkenntnissen zurück. nach einiger vorbereitung gehe ich – in etwa acht tagen – nach Weimar: der grossherzog gewährte mir wider erwarten die benützung der Wielandpapiere seines hausarchives. Kann ich Ihnen in Weimar etwas besorgen? Briefe mit der hiesigen adresse treffen mich allzeit.
Und nun empfangen Sie nochmals dank, lieber freund. Wann werden wir uns einmal persönlich kennen lernen? Wird es bald oder spät, wir wollen inzwischen treue bruderschaft halten. Verkennen Sie ich nicht, auch wenn ich meiner ernsten und schwerfälligen natur nach dürftig und trocken bin.
– – Scherrs stelle wird doch wol Bächtold zufallen, (der sie wahrlich brauchen kann) sobald nur erst Scherr völlig zurücktritt, was nicht geschehen ist.
Die besten wünsche für Ihre ferien! und gruss
von Ihrem ergebenen
BSeuffert.

Briefdaten

Schreibort: Würzburg
Empfangsort: Graz
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8284 [Druckausgabe Nr. 43]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8284/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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