Prag 16/2 89.
Lieber Freund! Was ich Ihnen heute mittheile ist mehr ein Schmerzensschrei als eine Bitte um Unterstützung und Abhilfe. [Su]phans langes Schweigen nach der Übersendung meines Götz machte mich schon sehr besorgt. Nun kommt heute ein Brief von ihm übertriefend vom Lobe meines „Künstlerfleißes“ zugleich aber den Vorschlag enthaltend, die Arbeit zu zerstören u. noch einmal zu machen, d. h. die Theaterbearbeitung vom Jahre 1804 selbständig – an einem erst zu suchenden Platze – mit den Varianten der späteren Theaterbearbeitungen zu drucken.
Nun liegt die Sache so; schon in den Studien zur Goethephilologie stellte ich die Forderung auf, eine critische Ausgabe müße 3 Texte bringen wie die Ausgabe letzter Hand. Ich war höchlichst erstaunt, als ich den Plan zur Weimarer Ausgabe in die Hand bekam, für die Theaterbearbeitung kein Plätzchen vorgesehen zu finden und gab meinem Erstaunen darüber Schm. gegenüber – u. wol auch Ihnen – lebhaften Ausdruck. In Weimar als nun gar die neue bis dahin unzugängliche Hdschrft zu Tage kam, sagte ich Schmidt u. Suphan wie unpractisch die Einschachtelung sei, im Spt. in Wien ersterem abermals. Man hielt mir Goethes eigene Meinung im Briefe an Rochlitz als feste Richtschnur entgegen und ich stellte mich nun streng auf den Boden de[r] ‚Goetheverfassung‘, ohne an deren Richtigkeit zu glauben. Die Mühe war furchtbar. Ich habe Texte & Apparate schon genug ge- macht wie Sie wissen; etwas so schwieriges & subtiles noch nicht. Ich schrieb das ganze 3mal um, habe das ganze vorige Jahr damit vertändelt, mußte dreimal abbrechen, weil ich ganz stumpf gew[or]den worden ! von dem Lesartenchaos. Mein Manuscript hat 312 S. Großquart.
Gehe ich auf Suphans Vorschlag ein, so muß ich alles neu arbeiten; ich muß auch die Lesarten von E–C aus der Masse erst wieder herausfischen und neu anordnen; kein Wort kann neben dem andern bleiben. Ja da ich die Interpunction gerade wegen des Ballasts der Theatervarianten so sehr zurückge[dr]ängt habe, wird es bei der Theilung nothwendig sein, wenigstens die von 1773 (wie Sie mir ganz richtig vorschlugen) mehr zu berücksichtigen. Ich habe nun Suphan erklärt, daß ich der Wichtigkeit der Sache wegen die Arbeit gerne noch einmal machen will, aber daß ich sie unmöglich umsonst machen kann, resp. die alte nicht umsonst gemacht haben wolle. Mein Man. in der gegenwärtigen Form – Text & Lesarten hätte mir 1100–1200 Mark getragen, die ich in diesem Halbjahr [in] meine Badzeit eingestellt habe. Jetzt soll ich für 200 S. Theaterbearbeitung 1 M. p. Seite statt 4 M – und wer weiß wann – bekommen. Das ! das der einzelne nicht tragen kann, das werden alle dabei betheiligten Rectoren ! in Weimar einsehen; ich bin nicht schuld daran, kann daher auch die Strafe nicht auf mich nehmen.
Ihnen mußte ich dies um so mehr jetzt schon sagen, als die verfluchte Arbeit am Götz einzig und allein an der Verzögerung des Uz[sch]uld ist, dessen Manuscript fröhlich gedeiht, falls nicht der Weimarer Hagel darauf fällt.
So viel für heute: Sie kriegen ja wohl amtlich mit der Sache zu thun. Kriege ich keine Entschädigung, leg ich die Stelle als Mitarbeiter einfach nieder; habe ich nicht Recht? Eiligst und aufgeregt Ihr Sie bestens grüßender AS.
Prag 16/2 89.
Lieber Freund! Was ich Ihnen heute mittheile ist mehr ein Schmerzensschrei als eine Bitte um Unterstützung und Abhilfe. [Su]phans langes Schweigen nach der Übersendung meines Götz machte mich schon sehr besorgt. Nun kommt heute ein Brief von ihm übertriefend vom Lobe meines „Künstlerfleißes“ zugleich aber den Vorschlag enthaltend, die Arbeit zu zerstören u. noch einmal zu machen, d. h. die Theaterbearbeitung vom Jahre 1804 selbständig – an einem erst zu suchenden Platze – mit den Varianten der späteren Theaterbearbeitungen zu drucken.
Nun liegt die Sache so; schon in den Studien zur Goethephilologie stellte ich die Forderung auf, eine critische Ausgabe müße 3 Texte bringen wie die Ausgabe letzter Hand. Ich war höchlichst erstaunt, als ich den Plan zur Weimarer Ausgabe in die Hand bekam, für die Theaterbearbeitung kein Plätzchen vorgesehen zu finden und gab meinem Erstaunen darüber Schm. gegenüber – u. wol auch Ihnen – lebhaften Ausdruck. In Weimar als nun gar die neue bis dahin unzugängliche Hdschrft zu Tage kam, sagte ich Schmidt u. Suphan wie unpractisch die Einschachtelung sei, im Spt. in Wien ersterem abermals. Man hielt mir Goethes eigene Meinung im Briefe an Rochlitz als feste Richtschnur entgegen und ich stellte mich nun streng auf den Boden de[r] ‚Goetheverfassung‘, ohne an deren Richtigkeit zu glauben. Die Mühe war furchtbar. Ich habe Texte & Apparate schon genug ge- macht wie Sie wissen; etwas so schwieriges & subtiles noch nicht. Ich schrieb das ganze 3mal um, habe das ganze vorige Jahr damit vertändelt, mußte dreimal abbrechen, weil ich ganz stumpf gew[or]den worden ! von dem Lesartenchaos. Mein Manuscript hat 312 S. Großquart.
Gehe ich auf Suphans Vorschlag ein, so muß ich alles neu arbeiten; ich muß auch die Lesarten von E–C aus der Masse erst wieder herausfischen und neu anordnen; kein Wort kann neben dem andern bleiben. Ja da ich die Interpunction gerade wegen des Ballasts der Theatervarianten so sehr zurückge[dr]ängt habe, wird es bei der Theilung nothwendig sein, wenigstens die von 1773 (wie Sie mir ganz richtig vorschlugen) mehr zu berücksichtigen. Ich habe nun Suphan erklärt, daß ich der Wichtigkeit der Sache wegen die Arbeit gerne noch einmal machen will, aber daß ich sie unmöglich umsonst machen kann, resp. die alte nicht umsonst gemacht haben wolle. Mein Man. in der gegenwärtigen Form – Text & Lesarten hätte mir 1100–1200 Mark getragen, die ich in diesem Halbjahr [in] meine Badzeit eingestellt habe. Jetzt soll ich für 200 S. Theaterbearbeitung 1 M. p. Seite statt 4 M – und wer weiß wann – bekommen. Das ! das der einzelne nicht tragen kann, das werden alle dabei betheiligten Rectoren ! in Weimar einsehen; ich bin nicht schuld daran, kann daher auch die Strafe nicht auf mich nehmen.
Ihnen mußte ich dies um so mehr jetzt schon sagen, als die verfluchte Arbeit am Götz einzig und allein an der Verzögerung des Uz[sch]uld ist, dessen Manuscript fröhlich gedeiht, falls nicht der Weimarer Hagel darauf fällt.
So viel für heute: Sie kriegen ja wohl amtlich mit der Sache zu thun. Kriege ich keine Entschädigung, leg ich die Stelle als Mitarbeiter einfach nieder; habe ich nicht Recht? Eiligst und aufgeregt Ihr Sie bestens grüßender AS.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-143
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8466 [Druckausgabe Nr. 90]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8466/methods/sdef:TEI/get
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