Prag, Weinberge 450. Osterdienstag 1890
Lieber Freund! Das Manuscript zur Einleitung ist soeben auf die Post geschickt worden und geht hoffentlich auch heute noch ab. Es hat schließlich doch noch viel mehr Arbeit gemacht als ich vermuthet hatte und die ganz Char[wo]che, die ganzen Feiertage habe ich ohne aufzublicken an der Reinschrift gearbeitet, die stellenweise noch immer kraus genug gerathen ist, was Sie mir, dem Sie so vieles verzeihen müßen, nicht übel nehmen dürfen. Daß sie sehr umfangreich ist, daß sie etwas ins Weite geht, daß der Schweizer-Wieland-Krieg fast zur Hauptsache geworden ist, das werden Sie ebenso gut oder übel sehen wie ich. Ich habe mir durch eine Gliederung ge[h]olfen, bitte Sie aber die Überschriften der einzelnen Abschnitte nicht durch die gewöhnlichen fetten und häßlichen Lettern auszuzeichnen, sondern sie mit recht kleiner Schrift setzen zu lassen, es sollen mehr Randzeichen sein als Capitelüberschriften. Gienge das nicht an, oder gefielen Ihnen die Überschriften überhaupt nicht, dann bitte ich wenigstens jedesmal dort wo jetzt eine Überschrift steht, ein Spatium von 1–2 Zeilen zu gewähren.
Leider muß ich Ihnen aber mit dem Manuscript noch eine Arbeit machen. Sie schickten mir vor Jahren die Auszüge aus der Zürcher Stadtbibliothek unvollständig[,] erklärten sich aber bereit, ev. für den Druck die ausgelassenen Stellen einzufügen. Sie werden nun sehen, daß wenigstens die Erklärung Wielands in meinem Zusammenhange sehr wichtig ist und daß auch die unterdrückte Vorrede kaum entbehrt werden kann. Ist dies aber der Fall, dann sollten die Schriftstücke auch lückenlos soweit sie erhalten sind hier erscheinen. Viel kann [j]a bei beiden nicht fehlen und ich bitte Sie, diese Lücken in meinem Man. auszufüllen. Der Werth der Vorbemerkung würde dadurch auch noch bedeutend erhöht werden. Daran knüpfe ich gleich die zweite Bitte, daß Sie bei der Correctur die mir mitgetheilten Stellen mit Ihren Abschriften collationiren möchten; denn so aus der zweiten und dritten Hand sind Fehler fast unvermeidlich. Ein Wort, ich glaube in Künzlis Brief habe ich überhaupt nicht lesen können. Dabei mache ich den Vorschlag „Sie“ in der Anrede auch gegen die Vorlage immer mit großem Anfangsbuchstaben zu schreiben, was ich auch sonst in meiner Einleitung durchführe. [All]erdings habe ich nun das Beste in dieser Einleitung aus Ihrem Material geschöpft und das ist für mich fast drückend. Wäre die Arbeit so gut, daß ich Sie auffordern könnte, Ihren Namen einfach mit darunterzusetzen, [e]s wäre mir eine Freude; aber ich wage es kaum, Ihnen diesen Antrag zu thun. Vom Schluße dürfen Sie nichts streichen. Ich bedanke mich ja nicht einmal bei Ihnen, ich constatire nur die nackten Thatsachen. – Ihnen als Kenner Wielands werden meine vom Saum seines Gewandes aufgelesenen Stäubchen wahrscheinlich nicht genügen. Aber das Eine dürfen Sie nicht vergessen, daß ich mehr auf den Zusammenhang seiner Entwicklung hier nicht eingehen konnte. Finden Sie Unrichtigkeiten, so ändern Sie sie, bitte, kurz[we]g. Wissen Sie wer Jolcos, wer Enipeus in den Freimüth. Nachrichten ist? wo die Zuschrift an Sack 1769 wieder gedruckt wurde? Vor allem andern aber wäre mir eines lieb. Uz und andere sagen, daß Wieland die Anakreontiker Sardanapalische Dichter genannt habe; das kann ich nun in meinen Auszügen nicht finden; sollte es in einem gedruckten Werke sein, dann wol [in] den Sympathieen, die ich Sie daraufhin durchzublättern bitte. Vielleicht aber auch in einem Briefe. Wo die Stelle einzufügen wäre, könnten Sie leicht bestimmen, wenn Sie sie gefunden haben. Schon diese ev. Zusätze berechtigen mich zu der Bitte, die Einleitung in Fahnen setzen zu lassen. Es ist aber um so nothwendiger, weil ich auch stilistisch – und sei es auf meine Kosten – einiges bessern möchte; in die ewigen ‚Angriffe‘ und ‚Ausfälle‘ kann vielleicht doch noch etwas Abwechslung gebracht werden. Eine stilistische Frage will ich Ihnen dabei auch vorlegen. Der fatale Genetiv: Uz’, des Uz, Uzens. In manchen Sätzen stört mich das letztere nicht, in andern sehr. Ich habe es bei der Reinschrift sehr beschränkt aber es nicht entbehren können. Uz’ ist scheußlich; des Uz, wie unsere Grammatiken lehren, kann ich mir gesprochen denken, aber nicht geschrieben. In der VJS schreiben Sie z. B. Voß’, während Voßens vorzüglich klingt, weit besser als Uzens. Ihre Ansicht darüber zu hören, wäre mir sehr lieb. Die gegenwärtige Mischung kann ja immer bleiben.
An 3 Stellen bin ich auf Fehler im Apparat gestoßen und habe die Verbesserungen dort angebracht, wo sie sachlich hingehören. Vielleicht aber empfiehlt sichs, sie am Ende der Vorbemerkung zusammen zu stellen. Der eine Fehler S. 81 ist höchst fatal; wäre es möglich einen Carton drucken zu lassen? wissen Sie, was das etwa kostet[?] Ich hätte große Lust, etwas daran zu wenden, um diesen Fehler aus der Welt zu schaffen.
Das alphabetische Verzeichnis der Versanfänge soll nach Muster von Elster-Heine zugleich auch ein Register über die Vorrede sein; ich habe die Blätter daher einstweilen zurückbehalten.
Nun noch ein Punkt, den ich heute schon erwähne, um niemanden in Verlegenheit [zu] setzen. Ich brauche Anfangs Mai Geld und habe keine andere Quelle als dieses Honorar für DLD 33. Es beträgt schon für den Text 600 M; dazu kommen noch circa 100 M. für die Einleitung: also eine für meine bescheidenen Verhältnisse bedeutende Summe. Ich kann auch zu meinen Gunsten anführen, daß mich die Henninger im vorigen Jahre 2mal 2 Monate lang hingehalten haben und daß das indirect auch die mir zur Last fallende Verzögerung mitverschuldet hat. Andererseits kenne ich die Schwierigkeiten bei [de]r Übernahme durch einen neuen Verleger, den man nicht zuerst mit einer solchen Bitte kommen will. Ließe sich der Druck der Einleitung sehr beschleunigen, dann könnte das Buch bis Anfangs Mai überhaupt fertig sein. Ich frage mich also wenigstens bei Ihnen an, wie Sie sich einen Ausweg denken, und ob Sie es für mög- lich halten, mir im schlimmsten Fall 150–200 M. vom Verleger zu erwirken bis das ganze flüßig wird. – Ich habe seit Jahr und Tag nichts mehr als meinen Gehalt eingenommen und all mein angestrengtes Arbeiten ist nur ein Wechsel auf die [Z]ukunft.
Ich fahre heute Abends noch nach Wien; leider ist mein dortiger Aufenthalt jetzt sehr zusammengestrichen; am 3. Mai muß ich spätestens hier sein, kann aber in der 2. Hälfte Mai wieder auf 14 Tage fort. Meine Wiener Adresse schreibe ich Ihnen morgen von dort aus.
Und nun zum Schluß, was den Anfang hätte bilden sollen, die Bitte daß Sie mir nicht zürnen möchten weg[e]n meines langen, langen Stillschweigens und der verzögerten Ablieferung des Manuscriptes. Niemand hat mehr darunter gelitten als ich selbst.
Wie geht es Ihrem Kinde, wie Ihnen selbst? Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau und laßen Sie sich nachträglich noch Ostergrüße ins Haus senden. Treulichst Ihr AS.
Prag, Weinberge 450. Osterdienstag 1890
Lieber Freund! Das Manuscript zur Einleitung ist soeben auf die Post geschickt worden und geht hoffentlich auch heute noch ab. Es hat schließlich doch noch viel mehr Arbeit gemacht als ich vermuthet hatte und die ganz Char[wo]che, die ganzen Feiertage habe ich ohne aufzublicken an der Reinschrift gearbeitet, die stellenweise noch immer kraus genug gerathen ist, was Sie mir, dem Sie so vieles verzeihen müßen, nicht übel nehmen dürfen. Daß sie sehr umfangreich ist, daß sie etwas ins Weite geht, daß der Schweizer-Wieland-Krieg fast zur Hauptsache geworden ist, das werden Sie ebenso gut oder übel sehen wie ich. Ich habe mir durch eine Gliederung ge[h]olfen, bitte Sie aber die Überschriften der einzelnen Abschnitte nicht durch die gewöhnlichen fetten und häßlichen Lettern auszuzeichnen, sondern sie mit recht kleiner Schrift setzen zu lassen, es sollen mehr Randzeichen sein als Capitelüberschriften. Gienge das nicht an, oder gefielen Ihnen die Überschriften überhaupt nicht, dann bitte ich wenigstens jedesmal dort wo jetzt eine Überschrift steht, ein Spatium von 1–2 Zeilen zu gewähren.
Leider muß ich Ihnen aber mit dem Manuscript noch eine Arbeit machen. Sie schickten mir vor Jahren die Auszüge aus der Zürcher Stadtbibliothek unvollständig[,] erklärten sich aber bereit, ev. für den Druck die ausgelassenen Stellen einzufügen. Sie werden nun sehen, daß wenigstens die Erklärung Wielands in meinem Zusammenhange sehr wichtig ist und daß auch die unterdrückte Vorrede kaum entbehrt werden kann. Ist dies aber der Fall, dann sollten die Schriftstücke auch lückenlos soweit sie erhalten sind hier erscheinen. Viel kann [j]a bei beiden nicht fehlen und ich bitte Sie, diese Lücken in meinem Man. auszufüllen. Der Werth der Vorbemerkung würde dadurch auch noch bedeutend erhöht werden. Daran knüpfe ich gleich die zweite Bitte, daß Sie bei der Correctur die mir mitgetheilten Stellen mit Ihren Abschriften collationiren möchten; denn so aus der zweiten und dritten Hand sind Fehler fast unvermeidlich. Ein Wort, ich glaube in Künzlis Brief habe ich überhaupt nicht lesen können. Dabei mache ich den Vorschlag „Sie“ in der Anrede auch gegen die Vorlage immer mit großem Anfangsbuchstaben zu schreiben, was ich auch sonst in meiner Einleitung durchführe. [All]erdings habe ich nun das Beste in dieser Einleitung aus Ihrem Material geschöpft und das ist für mich fast drückend. Wäre die Arbeit so gut, daß ich Sie auffordern könnte, Ihren Namen einfach mit darunterzusetzen, [e]s wäre mir eine Freude; aber ich wage es kaum, Ihnen diesen Antrag zu thun. Vom Schluße dürfen Sie nichts streichen. Ich bedanke mich ja nicht einmal bei Ihnen, ich constatire nur die nackten Thatsachen. – Ihnen als Kenner Wielands werden meine vom Saum seines Gewandes aufgelesenen Stäubchen wahrscheinlich nicht genügen. Aber das Eine dürfen Sie nicht vergessen, daß ich mehr auf den Zusammenhang seiner Entwicklung hier nicht eingehen konnte. Finden Sie Unrichtigkeiten, so ändern Sie sie, bitte, kurz[we]g. Wissen Sie wer Jolcos, wer Enipeus in den Freimüth. Nachrichten ist? wo die Zuschrift an Sack 1769 wieder gedruckt wurde? Vor allem andern aber wäre mir eines lieb. Uz und andere sagen, daß Wieland die Anakreontiker Sardanapalische Dichter genannt habe; das kann ich nun in meinen Auszügen nicht finden; sollte es in einem gedruckten Werke sein, dann wol [in] den Sympathieen, die ich Sie daraufhin durchzublättern bitte. Vielleicht aber auch in einem Briefe. Wo die Stelle einzufügen wäre, könnten Sie leicht bestimmen, wenn Sie sie gefunden haben. Schon diese ev. Zusätze berechtigen mich zu der Bitte, die Einleitung in Fahnen setzen zu lassen. Es ist aber um so nothwendiger, weil ich auch stilistisch – und sei es auf meine Kosten – einiges bessern möchte; in die ewigen ‚Angriffe‘ und ‚Ausfälle‘ kann vielleicht doch noch etwas Abwechslung gebracht werden. Eine stilistische Frage will ich Ihnen dabei auch vorlegen. Der fatale Genetiv: Uz’, des Uz, Uzens. In manchen Sätzen stört mich das letztere nicht, in andern sehr. Ich habe es bei der Reinschrift sehr beschränkt aber es nicht entbehren können. Uz’ ist scheußlich; des Uz, wie unsere Grammatiken lehren, kann ich mir gesprochen denken, aber nicht geschrieben. In der VJS schreiben Sie z. B. Voß’, während Voßens vorzüglich klingt, weit besser als Uzens. Ihre Ansicht darüber zu hören, wäre mir sehr lieb. Die gegenwärtige Mischung kann ja immer bleiben.
An 3 Stellen bin ich auf Fehler im Apparat gestoßen und habe die Verbesserungen dort angebracht, wo sie sachlich hingehören. Vielleicht aber empfiehlt sichs, sie am Ende der Vorbemerkung zusammen zu stellen. Der eine Fehler S. 81 ist höchst fatal; wäre es möglich einen Carton drucken zu lassen? wissen Sie, was das etwa kostet[?] Ich hätte große Lust, etwas daran zu wenden, um diesen Fehler aus der Welt zu schaffen.
Das alphabetische Verzeichnis der Versanfänge soll nach Muster von Elster-Heine zugleich auch ein Register über die Vorrede sein; ich habe die Blätter daher einstweilen zurückbehalten.
Nun noch ein Punkt, den ich heute schon erwähne, um niemanden in Verlegenheit [zu] setzen. Ich brauche Anfangs Mai Geld und habe keine andere Quelle als dieses Honorar für DLD 33. Es beträgt schon für den Text 600 M; dazu kommen noch circa 100 M. für die Einleitung: also eine für meine bescheidenen Verhältnisse bedeutende Summe. Ich kann auch zu meinen Gunsten anführen, daß mich die Henninger im vorigen Jahre 2mal 2 Monate lang hingehalten haben und daß das indirect auch die mir zur Last fallende Verzögerung mitverschuldet hat. Andererseits kenne ich die Schwierigkeiten bei [de]r Übernahme durch einen neuen Verleger, den man nicht zuerst mit einer solchen Bitte kommen will. Ließe sich der Druck der Einleitung sehr beschleunigen, dann könnte das Buch bis Anfangs Mai überhaupt fertig sein. Ich frage mich also wenigstens bei Ihnen an, wie Sie sich einen Ausweg denken, und ob Sie es für mög- lich halten, mir im schlimmsten Fall 150–200 M. vom Verleger zu erwirken bis das ganze flüßig wird. – Ich habe seit Jahr und Tag nichts mehr als meinen Gehalt eingenommen und all mein angestrengtes Arbeiten ist nur ein Wechsel auf die [Z]ukunft.
Ich fahre heute Abends noch nach Wien; leider ist mein dortiger Aufenthalt jetzt sehr zusammengestrichen; am 3. Mai muß ich spätestens hier sein, kann aber in der 2. Hälfte Mai wieder auf 14 Tage fort. Meine Wiener Adresse schreibe ich Ihnen morgen von dort aus.
Und nun zum Schluß, was den Anfang hätte bilden sollen, die Bitte daß Sie mir nicht zürnen möchten weg[e]n meines langen, langen Stillschweigens und der verzögerten Ablieferung des Manuscriptes. Niemand hat mehr darunter gelitten als ich selbst.
Wie geht es Ihrem Kinde, wie Ihnen selbst? Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau und laßen Sie sich nachträglich noch Ostergrüße ins Haus senden. Treulichst Ihr AS.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-177
Umfang: 8 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8531 [Druckausgabe Nr. 101]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8531/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
LinksDas Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.