Graz 15 XII 93
Lieber freund Obwohl ich erst gestern geschrieben habe, soll doch Ihre karte heute gleich beantwortet werden. Ich freue mich ja sehr, wenn ich Ihnen irgend behilflich sein kann.
Vorerst, dass ichs nicht vergesse, lassen Sie ja anonyme artikel und besonders kritiken zu. Es ist gar nicht zu sagen, wie sehr der beliebte zwang zur namensnennung zurückhaltung nicht nur im boshaften – das wäre kein schaden – sondern auch im guten veranlasst. Wer mag ungegohrne ideen namentlich preis geben? U. oft sind sie die besten. Gerade halbes, unreifes bringt man in recensionen gern und es ist wertvoller als die sachlichste kritik. Das boshafte schneiden Sie dem anonymus ab, dazu sind Sie redacteur. Ich habe es meinen mitarbeitern abzuschneiden auch gelegenheit gefunden. Also bitte: nehmen Sie wenigstens ins programm nicht namensnennung als pflicht.
Und nun Ihre fragen: Dr. Otto Harnack Rom Via dell Cardello 16. – Louis Bobé
Kopenhagen K.-Lille Kongensgade 11. – U. die Bobéschen artikel müssen Sie selber schreiben, er liefert nur ungedrucktes material, das man sichten muss. Von dem was er zugibt habe ich mühsam einige sätze zu halten versucht.
Freuen Sie sich aller zusagen! die geschehen sind. Titel ist schwer, aber darum will ich Sie nicht beim beraten sitzen lassen. (Ich habe schon öfters fremde bücher kaufen müssen.) Germania geht nicht; kein mensch weiss später beim citieren welche gemeint sei, die Bartsche oder Sauersche; und wie viele setzen den herausgebernamen bei?* Goethe – ich wünschte ihn nicht; das macht den eindruck einer Goethevierteljahrschrift neben dem Goethejahrbuch, schmeckt nach Goethephilologie und Ihr absatz ist hin. Ausserdem: jeder solche name ist übel; Goethe 20, 373: : heisst das Goethes Werke 20, 373 oder Sauers Goethe 20, 373? Und was ist Sauers Goethe? Wie schlecht citiert sich ‚Humboldt‘! Die gänsefüsse machen den autor noch nicht zur zeitschrift. Darum bin ich auch nicht für ‚Schiller und Goethe‘, wobei wenigstens verwechslung mit ihren werken ausgeschlossen wäre. Ausserdem ist Humboldts name auch ein programm in anderm sinne als der Goethes oder Schillers.
Mit Herder: Über die neuere deutsche Litteratur? Mit ihm eine gottheit? Die antiken u. germanischen Gottheiten sind altmodisch geworden als titel. Nach den Propyläen: Tempel der Dichtkunst? Ist doch zu Pyraisch. Und lässt wie Deutscher Parnass poesie als inhalt, nicht als gegenstand des inhalts erwarten. Ich möchte einen deutschen titel und darum auch nicht das Boieisch-Schlegelische Deutsche Museum. Loeper und Herm Grimm bedachten einmal als titel des von ihnen gewünschten Weimarischen Correspondenzblattes die Goethesche Chiffre W. K. F. Mir misfällt die sigle auf einem buch. Obwol sie ein programm birgt. (Nebensatz als hauptsatz à la HGrimm!) Nach Herder: Von deutscher sprachkunst. Aber ich liebe das übersetzte lateinische De nicht. ‚Wort und Geist‘ oder hamannisch ‚ Sprache ist geist‘? Wohl etwas zu tiefsinnig, obgleich nicht tiefsinniger als philologie.
So kram ich Ihnen einfälle aus. Warum soll ich nicht auch weitere spiele meines nachdenkens vorgaukeln?
Das Motto.
Wahrheit sag ich euch, Wahrheit u. immer Wahrheit, versteht sich.
Meine wahrheit; denn sonst ist mir auch keine bekannt.
Neue Vierteljahrschrift für
Litteraturgeschcihte
herausgegeben
von August Sauer.
Das wäre appart. Aber vielleicht helfen andere xenien, z. b. 227 Verstand und Genie. Der titel trifft besser als die verse den inhalt Ihrer zs. Oder sehr tief 555 (immer nach E Schmidt)
Die Idealwelt.
Neue VJS. f. Lg. hg. v. A. Sauer.
Alle sind sie entwichen des Lebens .....
Sind mir die Menschen und ....
Bamberg.
Haben Sie humor, so setzen Sie 779 als titel und die verse auf die rückseite des titelblattes.
Ein echt philologisches programm enthält 879 und es wäre mir neben und nach 555 das liebste.
Solche titel wären wenigstens originell und stimmungsvoll zugleich.
Grüssend eilig
Ihr
BSeuffert
* Und Germania hat seit Tacitus vd Hagen u. Bartsch einen andern inhalt als neuere littgesch.
Graz 15 XII 93
Lieber freund Obwohl ich erst gestern geschrieben habe, soll doch Ihre karte heute gleich beantwortet werden. Ich freue mich ja sehr, wenn ich Ihnen irgend behilflich sein kann.
Vorerst, dass ichs nicht vergesse, lassen Sie ja anonyme artikel und besonders kritiken zu. Es ist gar nicht zu sagen, wie sehr der beliebte zwang zur namensnennung zurückhaltung nicht nur im boshaften – das wäre kein schaden – sondern auch im guten veranlasst. Wer mag ungegohrne ideen namentlich preis geben? U. oft sind sie die besten. Gerade halbes, unreifes bringt man in recensionen gern und es ist wertvoller als die sachlichste kritik. Das boshafte schneiden Sie dem anonymus ab, dazu sind Sie redacteur. Ich habe es meinen mitarbeitern abzuschneiden auch gelegenheit gefunden. Also bitte: nehmen Sie wenigstens ins programm nicht namensnennung als pflicht.
Und nun Ihre fragen: Dr. Otto Harnack Rom Via dell Cardello 16. – Louis Bobé
Kopenhagen K.-Lille Kongensgade 11. – U. die Bobéschen artikel müssen Sie selber schreiben, er liefert nur ungedrucktes material, das man sichten muss. Von dem was er zugibt habe ich mühsam einige sätze zu halten versucht.
Freuen Sie sich aller zusagen! die geschehen sind. Titel ist schwer, aber darum will ich Sie nicht beim beraten sitzen lassen. (Ich habe schon öfters fremde bücher kaufen müssen.) Germania geht nicht; kein mensch weiss später beim citieren welche gemeint sei, die Bartsche oder Sauersche; und wie viele setzen den herausgebernamen bei?* Goethe – ich wünschte ihn nicht; das macht den eindruck einer Goethevierteljahrschrift neben dem Goethejahrbuch, schmeckt nach Goethephilologie und Ihr absatz ist hin. Ausserdem: jeder solche name ist übel; Goethe 20, 373: : heisst das Goethes Werke 20, 373 oder Sauers Goethe 20, 373? Und was ist Sauers Goethe? Wie schlecht citiert sich ‚Humboldt‘! Die gänsefüsse machen den autor noch nicht zur zeitschrift. Darum bin ich auch nicht für ‚Schiller und Goethe‘, wobei wenigstens verwechslung mit ihren werken ausgeschlossen wäre. Ausserdem ist Humboldts name auch ein programm in anderm sinne als der Goethes oder Schillers.
Mit Herder: Über die neuere deutsche Litteratur? Mit ihm eine gottheit? Die antiken u. germanischen Gottheiten sind altmodisch geworden als titel. Nach den Propyläen: Tempel der Dichtkunst? Ist doch zu Pyraisch. Und lässt wie Deutscher Parnass poesie als inhalt, nicht als gegenstand des inhalts erwarten. Ich möchte einen deutschen titel und darum auch nicht das Boieisch-Schlegelische Deutsche Museum. Loeper und Herm Grimm bedachten einmal als titel des von ihnen gewünschten Weimarischen Correspondenzblattes die Goethesche Chiffre W. K. F. Mir misfällt die sigle auf einem buch. Obwol sie ein programm birgt. (Nebensatz als hauptsatz à la HGrimm!) Nach Herder: Von deutscher sprachkunst. Aber ich liebe das übersetzte lateinische De nicht. ‚Wort und Geist‘ oder hamannisch ‚ Sprache ist geist‘? Wohl etwas zu tiefsinnig, obgleich nicht tiefsinniger als philologie.
So kram ich Ihnen einfälle aus. Warum soll ich nicht auch weitere spiele meines nachdenkens vorgaukeln?
Das Motto.
Wahrheit sag ich euch, Wahrheit u. immer Wahrheit, versteht sich.
Meine wahrheit; denn sonst ist mir auch keine bekannt.
Neue Vierteljahrschrift für
Litteraturgeschcihte
herausgegeben
von August Sauer.
Das wäre appart. Aber vielleicht helfen andere xenien, z. b. 227 Verstand und Genie. Der titel trifft besser als die verse den inhalt Ihrer zs. Oder sehr tief 555 (immer nach E Schmidt)
Die Idealwelt.
Neue VJS. f. Lg. hg. v. A. Sauer.
Alle sind sie entwichen des Lebens .....
Sind mir die Menschen und ....
Bamberg.
Haben Sie humor, so setzen Sie 779 als titel und die verse auf die rückseite des titelblattes.
Ein echt philologisches programm enthält 879 und es wäre mir neben und nach 555 das liebste.
Solche titel wären wenigstens originell und stimmungsvoll zugleich.
Grüssend eilig
Ihr
BSeuffert
* Und Germania hat seit Tacitus vd Hagen u. Bartsch einen andern inhalt als neuere littgesch.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Rohtranskription, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8649. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8649/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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