Prag 25.12.93
Smichow 586
Lieber Freund! Halten Sie mich nicht für undankbar meines plötzlichen Verstummens wegen. Auf die vielen Schreibereien [ist] eine kleine Müdigkeit bei mir eingetreten, die schon wieder vergehen wird. Nun will ich aber die Feiertagsruhe dazu benutzen, um Ihnen ausführlichen Bericht zu erstatten. Am wohlthuendsten u. wol auch ersprießlichsten ist es, daß Schmidt die neue Zeitsch. in der Festversamml der Ges. für Lit. Gesch. feierlich angekündigt hat und daß diese Mittheilung – wie mir von mehreren Seiten unabhängig mitgetheilt wird – mit großer Freude aufgenommen wurde. Auch sonst [hab] ich mancherlei zustimmende Briefe, festere und weniger bindende Versprechungen, sogar schon einen kleinen Beitrag. Zuwartend antwortete Grimm, nicht ablehnend Haym; Weinhold schweigt noch. Felber scheint beleidigt; Koch dürfte wüthend sein. Leider sind aber auch die Redacteure der Zs. und des Anzeigers etwas verschnupft. Sie können es nicht begreifen, wieso ich auf Recensionen verfalle. Eine neue Recensieranstalt sei das überflüßigste von der Welt. Daß der Anzeiger die Recensionen aus neuerer Litteratu[r] meinetwegen sein lassen werde, habe ich weder erwartet noch verlangt. Sie haben aber mit etwas zu viel Pathos dieses (an sie gar nicht gestellte) Ansinnen zurückgewiesen und den Schatten Scherers zu diesem Zwecke aufgerufen. Alles in größter Freundschaft, die zu erhalten ich mir Mühe gebe. Ich kann die ganze Sache nicht so arg finden. Zunächs[t] hat Roethe fast alle Leute von Namen ohnehin gepachtet; ich werd mir also junge Leute heranziehen müssen; dann recensiert der Anzeiger doch nun weniger Bücher; mir bleibt jedenfalls der Rest; alles über 1832 was doch von Jahr zu Jahr für uns wichtiger wird; werden endl. einige Bücher doppelt recensiert, ich meine hier & dort von verschiedenen Recensenten, so wird die Welt nicht einfallen. Jedenfalls werden mir aber die Recensionen [m]ehr Müh machen als die Aufsätze. Ich gebe es daher den Mitarbeitern frei, ob sie die Recensionen mit Namen oder Chiffre unterzeichnen oder sie anonym einrücken wollen. Vielleicht lassen nun auch Sie sich bald zu einer Recension herbei. Soll ich auch kurze Besprechungen zulassen, wie in den ‚Notizen‘ des Anzeigers? Den Plan Auszüge aus Dissertationen zu geben hab ich einstweilen fallen [ge]lassen; dagegen regte Heinzel Referate über Bücher und Aufsätze an, die in Deutschland schwerer erreichbar sind: nordamericanische, slavische bes. russische, ungarische, auch italienische. Darauf bin ich eingegangen, hab auch bereits ein paar Gewährsmänner. – Für den Titel schlägt Immelmann (nach Schmidts Bericht) Pallas vor, was nicht übel ist; Schmidt selbst Fundgruben oder ‚Deutsche Wälder‘ das letztere sehr schön. Von vielen Seiten ward ich gebeten, einen kurzen Titel zu wählen, einen Namen und ich hab mich nu[n] zu Euphorion entschieden; weiß aber noch nicht ob der Verleger drauf eingeht. Ich hab dann gleich einen Trauerchor zur Verfügung, wenn die Zeitschrift eingeht.
Prospecte darf ich Ihnen vielleicht in größerer Anzahl senden für nähere Freunde, insbes. die Bezeichneten. Ich schließe niemanden aus als Koch, Weltrich, Laistner, G. Scherer, Carrierre; dann auch C Heine und Grisebach: etwa auch Valentin, oder den nicht? [Ja]cobs schrieb mir wegen Unzers, über den ich aber nichts weiß; ich lade ihn selbstverständlich ein. Wenn Sie noch Namen wissen, so bin ich Ihnen für jeden einzelnen dankbar. –
Ich habe Krankheit im Haus. Mein Vater liegt seit einer Woche. Es ist eine Altersmahnung. Er ist schwerer beweglich als früher und wir mit ihm. – Alles Gute zum neuen Jahr; bewahren Sie mir die Freundschaft, von der Sie mir im ablaufenden Jahre so leuchtende Proben gegeben haben. – Bitte sagen Sie von meinem Conflict mit Schröder – Roethe niemandem was, auch nicht Schönbach & Steinmeyer. Treulichst Ihr AS.
Beilage:
Euphorion
Zeitschrift für Litteraturgeschichte
herausgegeben
von
August Sauer
Erster Band.
Immer höher muß ich steigen,
Immer weiter muß ich schaun.
1894
Bamberg
C. C. Buchner’s Verlag
Prag 25.12.93
Smichow 586
Lieber Freund! Halten Sie mich nicht für undankbar meines plötzlichen Verstummens wegen. Auf die vielen Schreibereien [ist] eine kleine Müdigkeit bei mir eingetreten, die schon wieder vergehen wird. Nun will ich aber die Feiertagsruhe dazu benutzen, um Ihnen ausführlichen Bericht zu erstatten. Am wohlthuendsten u. wol auch ersprießlichsten ist es, daß Schmidt die neue Zeitsch. in der Festversamml der Ges. für Lit. Gesch. feierlich angekündigt hat und daß diese Mittheilung – wie mir von mehreren Seiten unabhängig mitgetheilt wird – mit großer Freude aufgenommen wurde. Auch sonst [hab] ich mancherlei zustimmende Briefe, festere und weniger bindende Versprechungen, sogar schon einen kleinen Beitrag. Zuwartend antwortete Grimm, nicht ablehnend Haym; Weinhold schweigt noch. Felber scheint beleidigt; Koch dürfte wüthend sein. Leider sind aber auch die Redacteure der Zs. und des Anzeigers etwas verschnupft. Sie können es nicht begreifen, wieso ich auf Recensionen verfalle. Eine neue Recensieranstalt sei das überflüßigste von der Welt. Daß der Anzeiger die Recensionen aus neuerer Litteratu[r] meinetwegen sein lassen werde, habe ich weder erwartet noch verlangt. Sie haben aber mit etwas zu viel Pathos dieses (an sie gar nicht gestellte) Ansinnen zurückgewiesen und den Schatten Scherers zu diesem Zwecke aufgerufen. Alles in größter Freundschaft, die zu erhalten ich mir Mühe gebe. Ich kann die ganze Sache nicht so arg finden. Zunächs[t] hat Roethe fast alle Leute von Namen ohnehin gepachtet; ich werd mir also junge Leute heranziehen müssen; dann recensiert der Anzeiger doch nun weniger Bücher; mir bleibt jedenfalls der Rest; alles über 1832 was doch von Jahr zu Jahr für uns wichtiger wird; werden endl. einige Bücher doppelt recensiert, ich meine hier & dort von verschiedenen Recensenten, so wird die Welt nicht einfallen. Jedenfalls werden mir aber die Recensionen [m]ehr Müh machen als die Aufsätze. Ich gebe es daher den Mitarbeitern frei, ob sie die Recensionen mit Namen oder Chiffre unterzeichnen oder sie anonym einrücken wollen. Vielleicht lassen nun auch Sie sich bald zu einer Recension herbei. Soll ich auch kurze Besprechungen zulassen, wie in den ‚Notizen‘ des Anzeigers? Den Plan Auszüge aus Dissertationen zu geben hab ich einstweilen fallen [ge]lassen; dagegen regte Heinzel Referate über Bücher und Aufsätze an, die in Deutschland schwerer erreichbar sind: nordamericanische, slavische bes. russische, ungarische, auch italienische. Darauf bin ich eingegangen, hab auch bereits ein paar Gewährsmänner. – Für den Titel schlägt Immelmann (nach Schmidts Bericht) Pallas vor, was nicht übel ist; Schmidt selbst Fundgruben oder ‚Deutsche Wälder‘ das letztere sehr schön. Von vielen Seiten ward ich gebeten, einen kurzen Titel zu wählen, einen Namen und ich hab mich nu[n] zu Euphorion entschieden; weiß aber noch nicht ob der Verleger drauf eingeht. Ich hab dann gleich einen Trauerchor zur Verfügung, wenn die Zeitschrift eingeht.
Prospecte darf ich Ihnen vielleicht in größerer Anzahl senden für nähere Freunde, insbes. die Bezeichneten. Ich schließe niemanden aus als Koch, Weltrich, Laistner, G. Scherer, Carrierre; dann auch C Heine und Grisebach: etwa auch Valentin, oder den nicht? [Ja]cobs schrieb mir wegen Unzers, über den ich aber nichts weiß; ich lade ihn selbstverständlich ein. Wenn Sie noch Namen wissen, so bin ich Ihnen für jeden einzelnen dankbar. –
Ich habe Krankheit im Haus. Mein Vater liegt seit einer Woche. Es ist eine Altersmahnung. Er ist schwerer beweglich als früher und wir mit ihm. – Alles Gute zum neuen Jahr; bewahren Sie mir die Freundschaft, von der Sie mir im ablaufenden Jahre so leuchtende Proben gegeben haben. – Bitte sagen Sie von meinem Conflict mit Schröder – Roethe niemandem was, auch nicht Schönbach & Steinmeyer. Treulichst Ihr AS.
Beilage:
Euphorion
Zeitschrift für Litteraturgeschichte
herausgegeben
von
August Sauer
Erster Band.
Immer höher muß ich steigen,
Immer weiter muß ich schaun.
1894
Bamberg
C. C. Buchner’s Verlag
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-237
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8651 [Druckausgabe Nr. 134]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8651/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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