L. F. Heute ist Feiertag. Meine ohnehin sehr beschränkte Arbeitszeit ist durch ein Unwolsein meiner Frau noch mehr beschränkt. In Folge einer halb durchwachten Nacht bin ich arbeits[u]nfähig. Der Empfang Ihrer Karte läßt mich die Lectüre des – seichten – Harnackschen Schiller unterbrechen u. mit Ihnen plaudern.
Werther-Ausgabe habe ich keine. Ich habe sie bei der großen Reinigung meiner Bibliothek im Jahr 92 mit den anderen Originalstücken klass. Dichtungen als unnützen Ballast weggegeben. – Asmus’ Abhandl. über Musarion hatte ich ihm das erste Mal zurückgeschickt, weil er Minor u. Wukadinović weder erwähnt hatte noch auch kannte. Ich hatte allerdings zugleich erwartet, daß er in Folge meiner Mahnung den ersten Theil kürzen würde. Er hat aber nur ein paar einschränkende Anmerkungen hinzugefügt. Um des wertvolleren zweiten Theiles willen habe ich dann die Abhandl. dennoch behalten. – Wukadinović erzählte mir schon vor mehreren Monaten, daß Sie so schöne Einleitungen zu einzelnen Wielandischen Werken für Elster geschrieben hätten, die jetzt ungenutzt bei Ihnen lägen. Er meinte, die Essais [wü]rden sich in ausgezeichneter Weise für den Euphorion eignen u. ich bat ihn – damals in argen Amtsnöten – Ihnen in meinem Namen die Bitte um Überlassung dieser Arbeiten zu unterbreiten. Leider hat er es nicht gethan. Ich bitte Sie also selbst darum. Ich kann darstellende – lesbare – Artikel sehr gut brauchen. – Weil Sie selbst Wukadinović erwähnen, so will ich über ihn sprechen – obgleich es nicht meine Absicht war. Ich kenne mich mit ihm nicht recht aus. Zum mindesten ist sein Benehmen gegen mich etwas sonderbar. Ich habe ihm die Bibliographie und zwar vorderhand die der Zeitschriften übertragen gegen Überlassung meines Redactionshonorars 400 Mark = 240 fl., die ich ihm seit December in monatlichen Anticipativraten zahle. Nun habe ich aber die Bibl. des 1. Heftes, wie ich von vorn herein wollte selbst gemacht u. da in das 2. Heft nur die zweite Hälfte der für das 1. bestimmten Bibl. kommt, so setzt seine Arbeit erst i[m] 3. Heft ein. Er hat also sehr viel Zeit vor sich. Daß er daneben mir noch in anderer Weise für die Zeitschrift behilflich sei, war gleichfalls ausgemacht. Nun habe ich bisher nichts anderes von ihm verlangt, als daß er je einen Correcturbogen vom 1. Heft lesen soll – ohne Collation, nur zur Controlle (beim 2. habe ich ihm auch das nicht mehr zugemuthet) und daß er mir aus den „Wöchentlichen Nachrichten“ die für die Bibl. bestimmten, von mir angestrichenen Bücher aushebe. Es handelte [sich] um die Nr. von December bis 1. Februar, also um 8 Nummern und um 1 Heft Dissertationenverzeichnis. Ich mache die ganze Arbeit für 1 Nummer in 1 Stunde; er sagt, daß er zwei brauche. Selbst wenn das richtig ist, so hätte er in jeder Woche 1 Nummer excerpieren können. Trotz fortgesetzter Mahnung konnte ich aber die Zettel nicht bekommen; endlich lieferte er 1 Theil ab und ich mußte, weil die Zeit drängte, den Rest selbst machen. Seitdem, es sind ungefähr 6 Wochen her, hat e[r] sich überhaupt nicht bei mir sehen lassen. Ob das einen Abbruch der Bzhg bedeutet, weiß ich nicht. Ich bin mir nicht bewußt, ihm ein böses Wort gegeben zu haben; etwas unwillig war ich allerdings, und wie Sie zugeben werden – mit Recht. Ich arbeite jetzt ganz umsonst; aber auch noch die Arbeit machen, die ich selbst bezahle – das ist mir zu viel. Wie er sich die Sache vorgestellt hat, weiß ich nicht; er ist doch sonst ein sehr verständiger Mensch. Auf seinen Wunsch haben wir ihm – Hauffen u. ich – auch die Correcturen der Deutschböhmischen Bibliothek und der Volksthüml. Überlieferungen gegen entsprechende Bezahlung übertragen. Ob ihm das jetzt etwa zu viel ist? Jedenfalls wäre ruhiges Aussprechen besser am Platz als Trotz und Pflichtverletzung. Hoffentlich kommt die Angelegenheit wieder in Ordnung. Falls er der Sache Ihnen gegenüber nicht Erwähnung thut, so – bitte – machen Sie von meinen Mittheil. keinen Gebrauch.
– Hauffen hat den Ruf nach Freiburg, den ihm Schönbachs Güte vermittelte, leider abgelehnt. Ich habe ihm sehr zugeredet. Und da jetzt Detter u. a. (unter anderem auch ein philol. Privatdocent unsrer Univ. – Jüthner –) den Ruf angenommen haben so bestärkt mich das in meiner Meinung, daß er hätte annehmen sollen. Nun bleibt er für unsere Univ. eine dauernde Verlegenheit; denn für Kelle kann er nicht vorgeschlagen werden u. wenn ich nicht sterbe – weg komme ich schwerlich von Prag.
– Kelle hat – nach langem Parlamentieren, indem er sich um 1 Jahr jünger zu machen versuchte u. neue Rechenmethoden zu ersinnen strebte – am 15. März s. 70. Geburtstag gefeiert. Natürlich rechnet er noch auf das Ehrenjahr, das wir ihm nicht versagen können. Wenn aber an der Aufhebung der Altersgrenze, von der d. Zeitungen melden, etwas Wahres dran ist, so dürfte er – durch s. Jahr – die Hand dabei im Spiele haben. Rein menschlich u. freundschaftlich [g]önnte ich ihm ja die Fortbezüge der erhöhten Einnahmen von ganzem Herzen; er verliert 1480 mit Seminar u. Prüfungscommission, ohne Collegiengeld und Taxen. Aber vom Standpunkt des Unterrichts zähle ich die Tage bis zur Ernennung seines Nachfolgers. Schönbach u. Seemüller werden nach den letzten Ereignissen schwerlich mehr nach Prag [ge]hen. Zingerle käme wol; aber aufrichtig gesagt ist er ist er mir als Lehrer zu ledern & schwunglos, einen so netten Eindruck er mir wieder gemacht hat, als ich ihn heuer im Sommer in Gufidaun besuchte. Es wäre wol Kraus als Extraord. vielleicht die beste Lösung, wenn von Ausländern abgesehen wird. Mit Kelle habe ich darüber noch nicht geredet. Nur in der Abwendung der Gefahr: Lambel sind wir hier schon beide einig.
An der Univ. ist momentan Ruhe. Die Bewegung d. Studenten ist im Sand verlaufen. Die Studentenversammlung, die ihren äußeren Abschluß bedeuten sollte, war sehr schwach besucht u. gänzlich stimmungslos. Für uns Senatsmitglieder endete die Affaire allerdings mit einer großen Blamage. Da Hartels Stellung erschüttert ist u. die Gefahr nahe lag, daß man uns in unserer provisorischen Thätigkeit bis Ende des Schuljahres belasse, so fanden wir den Ausweg, daß wir au[f d]en Wunsch der einzelnen Facultäten unsere Resignation zurückzogen, was ungefähr dasselbe ist wie eine abgekürzte Neuwahl. Natürlich hatten da Streberei und Egoismus ihre Hände mit im Spiel. Ein Herr, der von hier nach Graz kommen will, hat das Ganze angezettelt, andre die was ins Knopfloch haben wollen, sekundierten ihm und so mußten sich die Übrigen fügen. Mir reicht der Ekel bis zum ?????. Ich kümmere mich nach Ablauf meines Prodekanats gewiß niemehr um akademische Angelegenheiten und ziehe mich ganz auf mein wissenschaftliches Altentheil zurück.
Verzeihen Sie die Kritzelei. Ich habe namenlosen Kopfschmerz. Treulichst, wenn auch schweigsam
der Ihrige. AS.

L. F. Heute ist Feiertag. Meine ohnehin sehr beschränkte Arbeitszeit ist durch ein Unwolsein meiner Frau noch mehr beschränkt. In Folge einer halb durchwachten Nacht bin ich arbeits[u]nfähig. Der Empfang Ihrer Karte läßt mich die Lectüre des – seichten – Harnackschen Schiller unterbrechen u. mit Ihnen plaudern.
Werther-Ausgabe habe ich keine. Ich habe sie bei der großen Reinigung meiner Bibliothek im Jahr 92 mit den anderen Originalstücken klass. Dichtungen als unnützen Ballast weggegeben. – Asmus’ Abhandl. über Musarion hatte ich ihm das erste Mal zurückgeschickt, weil er Minor u. Wukadinović weder erwähnt hatte noch auch kannte. Ich hatte allerdings zugleich erwartet, daß er in Folge meiner Mahnung den ersten Theil kürzen würde. Er hat aber nur ein paar einschränkende Anmerkungen hinzugefügt. Um des wertvolleren zweiten Theiles willen habe ich dann die Abhandl. dennoch behalten. – Wukadinović erzählte mir schon vor mehreren Monaten, daß Sie so schöne Einleitungen zu einzelnen Wielandischen Werken für Elster geschrieben hätten, die jetzt ungenutzt bei Ihnen lägen. Er meinte, die Essais [wü]rden sich in ausgezeichneter Weise für den Euphorion eignen u. ich bat ihn – damals in argen Amtsnöten – Ihnen in meinem Namen die Bitte um Überlassung dieser Arbeiten zu unterbreiten. Leider hat er es nicht gethan. Ich bitte Sie also selbst darum. Ich kann darstellende – lesbare – Artikel sehr gut brauchen. – Weil Sie selbst Wukadinović erwähnen, so will ich über ihn sprechen – obgleich es nicht meine Absicht war. Ich kenne mich mit ihm nicht recht aus. Zum mindesten ist sein Benehmen gegen mich etwas sonderbar. Ich habe ihm die Bibliographie und zwar vorderhand die der Zeitschriften übertragen gegen Überlassung meines Redactionshonorars 400 Mark = 240 fl., die ich ihm seit December in monatlichen Anticipativraten zahle. Nun habe ich aber die Bibl. des 1. Heftes, wie ich von vorn herein wollte selbst gemacht u. da in das 2. Heft nur die zweite Hälfte der für das 1. bestimmten Bibl. kommt, so setzt seine Arbeit erst i[m] 3. Heft ein. Er hat also sehr viel Zeit vor sich. Daß er daneben mir noch in anderer Weise für die Zeitschrift behilflich sei, war gleichfalls ausgemacht. Nun habe ich bisher nichts anderes von ihm verlangt, als daß er je einen Correcturbogen vom 1. Heft lesen soll – ohne Collation, nur zur Controlle (beim 2. habe ich ihm auch das nicht mehr zugemuthet) und daß er mir aus den „Wöchentlichen Nachrichten“ die für die Bibl. bestimmten, von mir angestrichenen Bücher aushebe. Es handelte [sich] um die Nr. von December bis 1. Februar, also um 8 Nummern und um 1 Heft Dissertationenverzeichnis. Ich mache die ganze Arbeit für 1 Nummer in 1 Stunde; er sagt, daß er zwei brauche. Selbst wenn das richtig ist, so hätte er in jeder Woche 1 Nummer excerpieren können. Trotz fortgesetzter Mahnung konnte ich aber die Zettel nicht bekommen; endlich lieferte er 1 Theil ab und ich mußte, weil die Zeit drängte, den Rest selbst machen. Seitdem, es sind ungefähr 6 Wochen her, hat e[r] sich überhaupt nicht bei mir sehen lassen. Ob das einen Abbruch der Bzhg bedeutet, weiß ich nicht. Ich bin mir nicht bewußt, ihm ein böses Wort gegeben zu haben; etwas unwillig war ich allerdings, und wie Sie zugeben werden – mit Recht. Ich arbeite jetzt ganz umsonst; aber auch noch die Arbeit machen, die ich selbst bezahle – das ist mir zu viel. Wie er sich die Sache vorgestellt hat, weiß ich nicht; er ist doch sonst ein sehr verständiger Mensch. Auf seinen Wunsch haben wir ihm – Hauffen u. ich – auch die Correcturen der Deutschböhmischen Bibliothek und der Volksthüml. Überlieferungen gegen entsprechende Bezahlung übertragen. Ob ihm das jetzt etwa zu viel ist? Jedenfalls wäre ruhiges Aussprechen besser am Platz als Trotz und Pflichtverletzung. Hoffentlich kommt die Angelegenheit wieder in Ordnung. Falls er der Sache Ihnen gegenüber nicht Erwähnung thut, so – bitte – machen Sie von meinen Mittheil. keinen Gebrauch.
– Hauffen hat den Ruf nach Freiburg, den ihm Schönbachs Güte vermittelte, leider abgelehnt. Ich habe ihm sehr zugeredet. Und da jetzt Detter u. a. (unter anderem auch ein philol. Privatdocent unsrer Univ. – Jüthner –) den Ruf angenommen haben so bestärkt mich das in meiner Meinung, daß er hätte annehmen sollen. Nun bleibt er für unsere Univ. eine dauernde Verlegenheit; denn für Kelle kann er nicht vorgeschlagen werden u. wenn ich nicht sterbe – weg komme ich schwerlich von Prag.
– Kelle hat – nach langem Parlamentieren, indem er sich um 1 Jahr jünger zu machen versuchte u. neue Rechenmethoden zu ersinnen strebte – am 15. März s. 70. Geburtstag gefeiert. Natürlich rechnet er noch auf das Ehrenjahr, das wir ihm nicht versagen können. Wenn aber an der Aufhebung der Altersgrenze, von der d. Zeitungen melden, etwas Wahres dran ist, so dürfte er – durch s. Jahr – die Hand dabei im Spiele haben. Rein menschlich u. freundschaftlich [g]önnte ich ihm ja die Fortbezüge der erhöhten Einnahmen von ganzem Herzen; er verliert 1480 mit Seminar u. Prüfungscommission, ohne Collegiengeld und Taxen. Aber vom Standpunkt des Unterrichts zähle ich die Tage bis zur Ernennung seines Nachfolgers. Schönbach u. Seemüller werden nach den letzten Ereignissen schwerlich mehr nach Prag [ge]hen. Zingerle käme wol; aber aufrichtig gesagt ist er ist er mir als Lehrer zu ledern & schwunglos, einen so netten Eindruck er mir wieder gemacht hat, als ich ihn heuer im Sommer in Gufidaun besuchte. Es wäre wol Kraus als Extraord. vielleicht die beste Lösung, wenn von Ausländern abgesehen wird. Mit Kelle habe ich darüber noch nicht geredet. Nur in der Abwendung der Gefahr: Lambel sind wir hier schon beide einig.
An der Univ. ist momentan Ruhe. Die Bewegung d. Studenten ist im Sand verlaufen. Die Studentenversammlung, die ihren äußeren Abschluß bedeuten sollte, war sehr schwach besucht u. gänzlich stimmungslos. Für uns Senatsmitglieder endete die Affaire allerdings mit einer großen Blamage. Da Hartels Stellung erschüttert ist u. die Gefahr nahe lag, daß man uns in unserer provisorischen Thätigkeit bis Ende des Schuljahres belasse, so fanden wir den Ausweg, daß wir au[f d]en Wunsch der einzelnen Facultäten unsere Resignation zurückzogen, was ungefähr dasselbe ist wie eine abgekürzte Neuwahl. Natürlich hatten da Streberei und Egoismus ihre Hände mit im Spiel. Ein Herr, der von hier nach Graz kommen will, hat das Ganze angezettelt, andre die was ins Knopfloch haben wollen, sekundierten ihm und so mußten sich die Übrigen fügen. Mir reicht der Ekel bis zum ?????. Ich kümmere mich nach Ablauf meines Prodekanats gewiß niemehr um akademische Angelegenheiten und ziehe mich ganz auf mein wissenschaftliches Altentheil zurück.
Verzeihen Sie die Kritzelei. Ich habe namenlosen Kopfschmerz. Treulichst, wenn auch schweigsam
der Ihrige. AS.

Briefdaten

Schreibort:
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-352
Umfang: 8 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8875 [Druckausgabe Nr. 169]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8875/methods/sdef:TEI/get

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