Würzburg, Herzogenstr. 5
27.8.5

Lieber freund Der karte vom dampfboot möchte ich vom jetzigen fahrtziele aus nochmals meinen aufrichtigen dank Ihnen und Ihrer verehrten frau gemahlin für alle bewiesene freundschaft herzlich aussprechen. Das zusammensein war mir viel zu kurz. Aber die route, wenn ich nicht Sie in Ihrem frieden länger stören wollte, bedingte die hast; ich habe von Unserer Tressener wohnung an zwölfmal das fahrzeug gewechselt: eine so unnormale richtung schlug ich ein! Beruhigen Sie mich bald, dass Sie gut nach Mondsee kamen. Dass Ihre frau trotz der starken südluft mir ihre gegenwart gönnte, weiss ich doppelt zu schätzen. War ich doch selbst dadurch ganz stumpf, u. muss um entschuldigung bitten. Meine frau bedauert lebhaft, nicht bei der zusammenkunft gewesen zu sein, erwidert Ihre grüsse aufs wärmste u. hofft mit mir, Sie beide in Graz zu sehen.
Wenn ich auch hinterdrein recht viel weiss, worüber ich gerne mit Ihnen mich ausgesprochen hätte, so nahm ich doch die woltätige überzeugung mit, dass wir im wesentlichen nach wie vor übereinstimmen u. also auch in unberedetem übereinstimmen werden. Gerne wüsste ich, ob Sie den äusserst gewandten stilisten Petsch so hoch einschätzen wie Erich Schmidt, der auf diesen schüler etwas hält, oder so gering wie ich.
Besonders leid ist mir, dass wir Ihre Grillparzergespräche verredet haben. Lassen Sie mich so ehrlich sein, zu schreiben, dass sie durch den haupttitel Gespräche mich etwas enttäuscht haben. Aber ich bin nicht so unempfänglich, das viele wichtige und schöne in den 2 bänden zu verkennen und ich sehe auch ein, dass manches unbedeutende der erwünschten vollständigkeit halber mituntergeschoben werden musste. Auf die fertige fortsetzung freue ich mich sehr. Die Beethovennotizen sind schwer zu geniessen, aber von mehrfachem reiz, den lauf der besprechungen zu ergänzen.
Über Zingerle möchte ich noch nachtragen: als seine berufung für Czernowitz in aussicht stand, hat Schönbach ihn in Graz zum ev. für realien vorgeschlagen, um die berufung zu unterstützen. Ich habe, nicht ganz leichten herzens, mitgetan. Wenn trotzdem Z. daranach so viel ich weiss nie mehr an Schönbach geschrieben hat, so kann man schwer sagen, Sch. habe mit Z. gebrochen. Allerdings hörten wir, dass auch Z. gerne einlenkte, indem er Sch. zum Czernowitzer ehrendoktor vorschlug, woraus durch andere umstände nichts werden konnte.
Der Euphorion war meine rettung in Passau, wo ich um mitternacht 3 stunden still lag. das heft schliesst den Schillerband vorzüglich ab. Vom eingang her gefiel er mir besser; vielleicht ermüdete ich beim ende u. bin ungerecht. Fries ist, wie früher, lehrreich u. anregend. Ebrard fasst die alliteration mir zu theoretisch: manches höre ich nicht als solche u. bezweifle auch, dass es für Sch.s aussprache eine war. Bellermanns beobachtungen bestätigen bekanntes; sie als kriterium anzuwenden halt ich für bedenklich. Jonas - - ja, wie viel ist Goethes prägung, wie viel schon sonst da? Riemann hat mich im ganzen wenig befriedigt u. überzeugt, im einzelnen (wie auch in früheren sachen) meine beobachtungsgabe angeregt. Rubensohn überzeugt mich; ich habe auch für die Wieland- übersetzungen die berücksichtigung der hilfsmittel zur textkritik empfohlen. Leitzmann überrascht u. verdient glauben. Luther, verzwickt im darlegen, hat eine mir im allgemeinen unsympathische betrachtungsweise, fesselte mich aber doch: das muss ich nochmals durchdenken, zumal ich selbst eine (Carlosstudie liegen habe, die unreif ist; s. 106 f. über Posas vortreten genügen mir gar nicht; u. hier liegt die hauptschwierigkeit. Warum sich Weimar nur mit so viel irrmeinungen herumschlägt? und die seine? Schultz: mehr einleitung, als sache. Kraus wie immer: material. Von da ab hat mich nichts mehr angesprochen. Alt macht es sich viel zu leicht: darüber hab ich zwei viel bessere seminararbeiten erhalten. Haben Sie dank, dass Sie mich zu so guter stunden an die volle schüssel setzten.
Möchten auch Sie beide den stunden ein freundliches gedenken bewahren können!
In treuen
Ihr BSfft.

Würzburg, Herzogenstr. 5
27.8.5

Lieber freund Der karte vom dampfboot möchte ich vom jetzigen fahrtziele aus nochmals meinen aufrichtigen dank Ihnen und Ihrer verehrten frau gemahlin für alle bewiesene freundschaft herzlich aussprechen. Das zusammensein war mir viel zu kurz. Aber die route, wenn ich nicht Sie in Ihrem frieden länger stören wollte, bedingte die hast; ich habe von Unserer Tressener wohnung an zwölfmal das fahrzeug gewechselt: eine so unnormale richtung schlug ich ein! Beruhigen Sie mich bald, dass Sie gut nach Mondsee kamen. Dass Ihre frau trotz der starken südluft mir ihre gegenwart gönnte, weiss ich doppelt zu schätzen. War ich doch selbst dadurch ganz stumpf, u. muss um entschuldigung bitten. Meine frau bedauert lebhaft, nicht bei der zusammenkunft gewesen zu sein, erwidert Ihre grüsse aufs wärmste u. hofft mit mir, Sie beide in Graz zu sehen.
Wenn ich auch hinterdrein recht viel weiss, worüber ich gerne mit Ihnen mich ausgesprochen hätte, so nahm ich doch die woltätige überzeugung mit, dass wir im wesentlichen nach wie vor übereinstimmen u. also auch in unberedetem übereinstimmen werden. Gerne wüsste ich, ob Sie den äusserst gewandten stilisten Petsch so hoch einschätzen wie Erich Schmidt, der auf diesen schüler etwas hält, oder so gering wie ich.
Besonders leid ist mir, dass wir Ihre Grillparzergespräche verredet haben. Lassen Sie mich so ehrlich sein, zu schreiben, dass sie durch den haupttitel Gespräche mich etwas enttäuscht haben. Aber ich bin nicht so unempfänglich, das viele wichtige und schöne in den 2 bänden zu verkennen und ich sehe auch ein, dass manches unbedeutende der erwünschten vollständigkeit halber mituntergeschoben werden musste. Auf die fertige fortsetzung freue ich mich sehr. Die Beethovennotizen sind schwer zu geniessen, aber von mehrfachem reiz, den lauf der besprechungen zu ergänzen.
Über Zingerle möchte ich noch nachtragen: als seine berufung für Czernowitz in aussicht stand, hat Schönbach ihn in Graz zum ev. für realien vorgeschlagen, um die berufung zu unterstützen. Ich habe, nicht ganz leichten herzens, mitgetan. Wenn trotzdem Z. daranach so viel ich weiss nie mehr an Schönbach geschrieben hat, so kann man schwer sagen, Sch. habe mit Z. gebrochen. Allerdings hörten wir, dass auch Z. gerne einlenkte, indem er Sch. zum Czernowitzer ehrendoktor vorschlug, woraus durch andere umstände nichts werden konnte.
Der Euphorion war meine rettung in Passau, wo ich um mitternacht 3 stunden still lag. das heft schliesst den Schillerband vorzüglich ab. Vom eingang her gefiel er mir besser; vielleicht ermüdete ich beim ende u. bin ungerecht. Fries ist, wie früher, lehrreich u. anregend. Ebrard fasst die alliteration mir zu theoretisch: manches höre ich nicht als solche u. bezweifle auch, dass es für Sch.s aussprache eine war. Bellermanns beobachtungen bestätigen bekanntes; sie als kriterium anzuwenden halt ich für bedenklich. Jonas - - ja, wie viel ist Goethes prägung, wie viel schon sonst da? Riemann hat mich im ganzen wenig befriedigt u. überzeugt, im einzelnen (wie auch in früheren sachen) meine beobachtungsgabe angeregt. Rubensohn überzeugt mich; ich habe auch für die Wieland- übersetzungen die berücksichtigung der hilfsmittel zur textkritik empfohlen. Leitzmann überrascht u. verdient glauben. Luther, verzwickt im darlegen, hat eine mir im allgemeinen unsympathische betrachtungsweise, fesselte mich aber doch: das muss ich nochmals durchdenken, zumal ich selbst eine (Carlosstudie liegen habe, die unreif ist; s. 106 f. über Posas vortreten genügen mir gar nicht; u. hier liegt die hauptschwierigkeit. Warum sich Weimar nur mit so viel irrmeinungen herumschlägt? und die seine? Schultz: mehr einleitung, als sache. Kraus wie immer: material. Von da ab hat mich nichts mehr angesprochen. Alt macht es sich viel zu leicht: darüber hab ich zwei viel bessere seminararbeiten erhalten. Haben Sie dank, dass Sie mich zu so guter stunden an die volle schüssel setzten.
Möchten auch Sie beide den stunden ein freundliches gedenken bewahren können!
In treuen
Ihr BSfft.

Briefdaten

Schreibort: Würzburg
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9157 [Druckausgabe Nr. 227]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9157/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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