Prag 10/10 05
Smichow 586.

Lieber Freund! Vielen Dank für Ihre l[ie]be Karte! Es war diesmal dringender die Bücher zu ordnen als sie zu reinigen; im Frühjahr wollen wir auch daran gehen.
Ich schreibe heute im Interesse von Wukadinovič, in der Voraussetzung, dass Sie noch den alten Anteil an ihm nehmen. – Kraus machte bei der Habilitation Schwierigkeiten; er erklärte die Arbeit für journalistisch u. schlecht; ich leistete äussersten Widerstand u. zwang ihn im Wesentlichen zur Anerkennung; er hatte aber einen wunden Punkt berührt, ein paar sprach- geschichtliche Schnitzer im 1. Aufsatz; z.B. sahe als ältere Form bezeichnet; eine Verwechsl. vom starkem und schwachem Praeteritum. Um in der Hauptsache zu siegen musste ich in diesem Punkt ihm zustimmen u. nachgeben; obgle[ic]h W. nur eingereicht hatte um Hab. für neuere deutsche Literaturgeschichte (nicht Sprache) verlangten wir den Nachweis gründl. sprachlicher Kenntnisse. Wir überliessen es ihm, entweder eine Arbeit vorzulegen, woraus diese erhellten oder beim Coll. sich einer Prüfung aus nhd. Gramm[ati]k zu unterziehen, er wählte das letztere und Kraus begrenzte das Thema auf den ersten Band (oder die ersten 2 Bde) Willmanns. Wir versprachen ihm zu diesem Zweck mit unserm Bericht an die Fak. so lang zu warten, bis er gerüstet sei. Bis jetzt rührt er sich aber nicht; er soll ganz in eigene Dichtungen und Übersetzungen vertieft sein. Nun meldet sich aber Dr. Lessiak zur Habilitation aus dem ä[lt]ern Fach. Ich habe nun das Gefühl, gelegentlich dieser neuen Hab. müsse die ältere aus dems. Fach in Fluss kommen. Jedenfalls riskieren wir bei Lessiaks Hab. eine Interpellation aus dem Schoss d. Fakultät über die frühere Hab. u. dann müssen wir Farbe bekennen. Es wäre also meiner Meinung nach der letzte Zeitpunkt dafür, dass W. entweder [d]as Colloquium wagt (wobei ja allerdings ein Durchfallen bei Kraus’ Pedanterie u. Eigensinn nicht ausgeschlossen ist) oder sein Gesuch selbst zurückzieht. Denn es käme sonst zu einer Ablehnung durch die Fakultät, was für ihn doch unangenehmer wäre. Von mir hat sich W. seit Jahr u Tag höchst auffallend zurückgezogen, obgleich ich mich hyperloyal u. sehr aufrichtig u. wohlwollend gegen ihn benommen habe. Ich weigere mich nicht, mit ihm darüber zu reden, aber es ist mir peinlich. Ist es I[h]nen nicht zu unangenehm und haben Sie überhaupt das alte Verhältnis zu ihm, so bitte ich Sie den Mittelsmann abzugeben u. ihn zu einem Entschluss zu bewegen; denn der Entschluss ist für ihn das schwerste. Eine Ablehnung meiner Bitte wird mich nicht im Mindesten kränken; nur in der Voraussetzung dass Sie ganz au[f]richtig gegen mich sind, habe ich sie zu stellen gewagt.
Mit herzlichen Grüssen von mir und meiner Frau Ihr aufrichtig erg.
AS.

Prag 10/10 05
Smichow 586.

Lieber Freund! Vielen Dank für Ihre l[ie]be Karte! Es war diesmal dringender die Bücher zu ordnen als sie zu reinigen; im Frühjahr wollen wir auch daran gehen.
Ich schreibe heute im Interesse von Wukadinovič, in der Voraussetzung, dass Sie noch den alten Anteil an ihm nehmen. – Kraus machte bei der Habilitation Schwierigkeiten; er erklärte die Arbeit für journalistisch u. schlecht; ich leistete äussersten Widerstand u. zwang ihn im Wesentlichen zur Anerkennung; er hatte aber einen wunden Punkt berührt, ein paar sprach- geschichtliche Schnitzer im 1. Aufsatz; z.B. sahe als ältere Form bezeichnet; eine Verwechsl. vom starkem und schwachem Praeteritum. Um in der Hauptsache zu siegen musste ich in diesem Punkt ihm zustimmen u. nachgeben; obgle[ic]h W. nur eingereicht hatte um Hab. für neuere deutsche Literaturgeschichte (nicht Sprache) verlangten wir den Nachweis gründl. sprachlicher Kenntnisse. Wir überliessen es ihm, entweder eine Arbeit vorzulegen, woraus diese erhellten oder beim Coll. sich einer Prüfung aus nhd. Gramm[ati]k zu unterziehen, er wählte das letztere und Kraus begrenzte das Thema auf den ersten Band (oder die ersten 2 Bde) Willmanns. Wir versprachen ihm zu diesem Zweck mit unserm Bericht an die Fak. so lang zu warten, bis er gerüstet sei. Bis jetzt rührt er sich aber nicht; er soll ganz in eigene Dichtungen und Übersetzungen vertieft sein. Nun meldet sich aber Dr. Lessiak zur Habilitation aus dem ä[lt]ern Fach. Ich habe nun das Gefühl, gelegentlich dieser neuen Hab. müsse die ältere aus dems. Fach in Fluss kommen. Jedenfalls riskieren wir bei Lessiaks Hab. eine Interpellation aus dem Schoss d. Fakultät über die frühere Hab. u. dann müssen wir Farbe bekennen. Es wäre also meiner Meinung nach der letzte Zeitpunkt dafür, dass W. entweder [d]as Colloquium wagt (wobei ja allerdings ein Durchfallen bei Kraus’ Pedanterie u. Eigensinn nicht ausgeschlossen ist) oder sein Gesuch selbst zurückzieht. Denn es käme sonst zu einer Ablehnung durch die Fakultät, was für ihn doch unangenehmer wäre. Von mir hat sich W. seit Jahr u Tag höchst auffallend zurückgezogen, obgleich ich mich hyperloyal u. sehr aufrichtig u. wohlwollend gegen ihn benommen habe. Ich weigere mich nicht, mit ihm darüber zu reden, aber es ist mir peinlich. Ist es I[h]nen nicht zu unangenehm und haben Sie überhaupt das alte Verhältnis zu ihm, so bitte ich Sie den Mittelsmann abzugeben u. ihn zu einem Entschluss zu bewegen; denn der Entschluss ist für ihn das schwerste. Eine Ablehnung meiner Bitte wird mich nicht im Mindesten kränken; nur in der Voraussetzung dass Sie ganz au[f]richtig gegen mich sind, habe ich sie zu stellen gewagt.
Mit herzlichen Grüssen von mir und meiner Frau Ihr aufrichtig erg.
AS.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 423/1-498
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9161 [Druckausgabe Nr. 230]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9161/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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