Prag 25/3 07
Smichow 586
Lieber Freund! Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Brief. Da Sie in Prag mit mir seinerzeit im Vorschlag waren, so musste ich annehmen, Sie hätten zu K. Beziehungen gehabt; übrigens wollten wir keinen der österr. Fachgenossen ausschliessen. Vielleicht hätten wir dieses Wort im Aufruf besser verwendet.
Ich ersehe aus Ihrem Brief mit Schrecken, dass ich Ihnen den oft erwogenen Brief über W.s Habilitation [nu]r in Gedanken geschrieben habe. Jawohl, ist es ein Sieg für mich. Es war weniger die Habilitation von W., als die von Schneider, dem K. dieselben Schwierigkeiten zu machen die Absicht hatte. Schneider exzellierte aber geradezu im Colloquium bei K.; so dass er wol zur Einsicht kommen musste, dass auch ein neuerer Literarhistoriker gediegene Kenntnisse aus der Grammatik haben kann.Nun animierte ich W. von Neuem. Dessen Colloquium verblüffte das Collegium durch die grenzenlose Sicherheit mit der ! alles vorbrachte. Kraus selbst dehnte die venia auf „Sprache“ aus. Da sich auch ein dritter Schüler von mir, [W]ihan, u. zwar für vgl. Lit. Gesch. habilitierte und ein vierter Lektor für Tschechisch wurde u. seine Habilitation für slav. Sprachen vorbereitet, so komme ich mir nun wie der Ältervater vor, der sich bald [z]ur Ruhe setzen kann. Man wird jetzt in der Tat hier viele Dinge hören können, die man anderwärts nicht hört.
Ich war in dem abgelaufenen Semester mit fast 100 Seminaristen überbürdet wie noch nie, drucke gleichzeitig an 9 Bänden Deutschböhm. Bibliothek, worunter 6 Stifterbände und weiss manchmal nicht, wo mir der Kopf steht. Nur mit dem Euphorion geht es, dank Frommes unglaublicher Trödelei, über alle Massen langsam. Aber ich kann gar nicht dagegen ankämpfen.
Dass sich der Zustand Ihrer Gattin so zum Argen gewendet hat, ist unsäglich traurig. Hier mögen wol die heranwachsen[de]n Kinder Trost und Erleichterung verschaffen. Meiner Frau gieng es in diesem Winter um Vieles besser; aber nur infolge eines Wirbelwinds von Geselligkeit, der mich freilich nicht in seine Kreise einbezog, aber mich doch insofern in Mitleidenschaft [zog], als ich gar nichts von ihr hatte. So bewegen wir uns wohl in den grössten Gegensätzen.
In aufrichtiger Freundschaft
Ihr sehr erg. AS.
Prag 25/3 07
Smichow 586
Lieber Freund! Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Brief. Da Sie in Prag mit mir seinerzeit im Vorschlag waren, so musste ich annehmen, Sie hätten zu K. Beziehungen gehabt; übrigens wollten wir keinen der österr. Fachgenossen ausschliessen. Vielleicht hätten wir dieses Wort im Aufruf besser verwendet.
Ich ersehe aus Ihrem Brief mit Schrecken, dass ich Ihnen den oft erwogenen Brief über W.s Habilitation [nu]r in Gedanken geschrieben habe. Jawohl, ist es ein Sieg für mich. Es war weniger die Habilitation von W., als die von Schneider, dem K. dieselben Schwierigkeiten zu machen die Absicht hatte. Schneider exzellierte aber geradezu im Colloquium bei K.; so dass er wol zur Einsicht kommen musste, dass auch ein neuerer Literarhistoriker gediegene Kenntnisse aus der Grammatik haben kann.Nun animierte ich W. von Neuem. Dessen Colloquium verblüffte das Collegium durch die grenzenlose Sicherheit mit der ! alles vorbrachte. Kraus selbst dehnte die venia auf „Sprache“ aus. Da sich auch ein dritter Schüler von mir, [W]ihan, u. zwar für vgl. Lit. Gesch. habilitierte und ein vierter Lektor für Tschechisch wurde u. seine Habilitation für slav. Sprachen vorbereitet, so komme ich mir nun wie der Ältervater vor, der sich bald [z]ur Ruhe setzen kann. Man wird jetzt in der Tat hier viele Dinge hören können, die man anderwärts nicht hört.
Ich war in dem abgelaufenen Semester mit fast 100 Seminaristen überbürdet wie noch nie, drucke gleichzeitig an 9 Bänden Deutschböhm. Bibliothek, worunter 6 Stifterbände und weiss manchmal nicht, wo mir der Kopf steht. Nur mit dem Euphorion geht es, dank Frommes unglaublicher Trödelei, über alle Massen langsam. Aber ich kann gar nicht dagegen ankämpfen.
Dass sich der Zustand Ihrer Gattin so zum Argen gewendet hat, ist unsäglich traurig. Hier mögen wol die heranwachsen[de]n Kinder Trost und Erleichterung verschaffen. Meiner Frau gieng es in diesem Winter um Vieles besser; aber nur infolge eines Wirbelwinds von Geselligkeit, der mich freilich nicht in seine Kreise einbezog, aber mich doch insofern in Mitleidenschaft [zog], als ich gar nichts von ihr hatte. So bewegen wir uns wohl in den grössten Gegensätzen.
In aufrichtiger Freundschaft
Ihr sehr erg. AS.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 423/1-529
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9213 [Druckausgabe Nr. 240]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9213/methods/sdef:TEI/get
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