Faksimile fehlt.

Würzburg 13 I 86.

Lieber freund,

Es ist ja wahr, dass man Ihnen nicht so recht zu der nennung in P. gratulieren kann. Die gesellschaft ist gar so schlecht. U. es ist ein freundschaftliches misgeschick, dass Sie jetzt mit dem Lambel in ein joch gespannt werden, mit dem ich vor jahren gejocht war. „Ich bin stehen geblieben“ diktiert Kelle, also Lambels gesellschaft nicht mehr würdig. Ja freilich, Lambel hat seit 10 und mehr jahren erstaunliche fortschritte gemacht! Na, ob Sie hin kommen, hin müssen oder nicht: etwas haben Sie und denken Sie bei dem etwas an mich, der gar nichts hat und heute die nachricht erhielt, dass der abgeordnetenausschuss, dem die erste entscheidung obliegt, die professur wider abgelehnt hat, so kommt Ihnen Ihr geschick vielleicht etwas weniger tragisch vor. Sie dienen dem staate kürzer als ich und haben seit jahren eine subvention, von anfang an, und ich bis heute keinen pfennig. Der trost ist herzlich schwach. Aber es ist doch ein trost zu wissen, anderwärts ists noch schlechter. Und den kann ich Ihnen geben.
Rechnen Sie dazu, dass meine mutter schwer und unheilbar krank seit mitte dezember ist, dass ich langjähriger bräutigam bin und machen sich dann einen Lenauschen vers auf mich und meine stimmung.
Ein ende mach ich meiner situation jetzt doch nicht. Ich lasse das schicksal mich rufen. Aus freien stücken darf ich jetzt nur hier am krankenbette bleiben. So ists mir pflicht und bedürfnis.
Auch ich denke mit vergnügen an Ihren besuch und danke nochmals herzlich dafür.
Wie im vorigen so war auch in diesem jahre dr. Fresenius aus Berlin der erste der mich aufsuchte. Wir haben drei tage gewielandet. Da kann man philologisch arbeiten lernen. Aber wer so genau arbeitet, kommt zu nichts. Nur ihm lohnen sich die feinsinnigsten schlüsse aus unendlich mühsamen statistiken. Seine Erzählungen ausgabe wird vortrefflich; das muster eines kritischen apparates und zugleich, fürchte ich, der beweis, dass bei solchen veränderungen ein kritischer apparat, der übersichtlich wirkt, kaum mehr möglich ist. Die Goethegesellschafter können für die neue ausgabe draus lernen, glaub ich.
Auch Erich Schmidt war einen tag hier. Gross und frisch; im strudel des hoflebens glücklich und in den äusserlich engen, geistig weiten verhältnissen eingelebt.
Wär mein gemüt frei gewesen, so wären es schöne tage gewesen. So litt ich durch den gegensatz und die schwunglosigkeit meiner gefesselten seele.
Dank für den unbekannten Abderitendrucknachweis. Dank für das angebot mir die doubletten zu senden. Darf ich wählen, so wähl ich das angestempelte exemplar.
Werner tadelt auf einer karte, dass ich Iffland neu drucken liess, die Laufbahn sei nicht selten. Da hat er recht. Aber ich wollte 2 hefte fürs grosse publikum, um die sammlung über wasser zu halten; mit fachwissenschaftlich allein interessantem töte ich sie. Ich wollte auch den gymnasialdirektor, der den iffland anbot, nicht abweisen: so gewinn ich, hoffentlich, endlich gymnasialkreise zu käufern. Um den bestand des unternehmens zu sichern, darf man wol zuweilen sein programm überschreiten. Freilich haben mir beide herausgeber nicht genüge geleistet. Doch – vergleichen Sie. Ihnen als recensenten darf ich das nicht schreiben. Vergessen Sie’s. Sie müssen unbefangen urteilen.
Haben Sie den Lessing angezeigt? Bald denk ich meine anzeige in der DLZ zu lesen.
Auch für die freundliche aufnahme meiner anzeigen danke ich. Haben Sie sich am rande notiert, wo Sie betr. Reuter anderer ansicht sind, so schicken Sie mir doch ja die glossen. Bitte.
Und noch eins: sollten sich bei Ihnen meine korrekturen zu Hagedorn, Versuch erhalten haben, so zeigen Sie mir die bogen, wo ich auf Goethe und Schiller verwies. Ich weiss es nicht mehr genau und bräuchte es, da Biedermann auch auf Goethe-Hagedorn kam.
Glück auf! und trotz gegen misgeschick!
Freundschaftlich
Ihr
BSeuffert.

Faksimile fehlt.

Würzburg 13 I 86.

Lieber freund,

Es ist ja wahr, dass man Ihnen nicht so recht zu der nennung in P. gratulieren kann. Die gesellschaft ist gar so schlecht. U. es ist ein freundschaftliches misgeschick, dass Sie jetzt mit dem Lambel in ein joch gespannt werden, mit dem ich vor jahren gejocht war. „Ich bin stehen geblieben“ diktiert Kelle, also Lambels gesellschaft nicht mehr würdig. Ja freilich, Lambel hat seit 10 und mehr jahren erstaunliche fortschritte gemacht! Na, ob Sie hin kommen, hin müssen oder nicht: etwas haben Sie und denken Sie bei dem etwas an mich, der gar nichts hat und heute die nachricht erhielt, dass der abgeordnetenausschuss, dem die erste entscheidung obliegt, die professur wider abgelehnt hat, so kommt Ihnen Ihr geschick vielleicht etwas weniger tragisch vor. Sie dienen dem staate kürzer als ich und haben seit jahren eine subvention, von anfang an, und ich bis heute keinen pfennig. Der trost ist herzlich schwach. Aber es ist doch ein trost zu wissen, anderwärts ists noch schlechter. Und den kann ich Ihnen geben.
Rechnen Sie dazu, dass meine mutter schwer und unheilbar krank seit mitte dezember ist, dass ich langjähriger bräutigam bin und machen sich dann einen Lenauschen vers auf mich und meine stimmung.
Ein ende mach ich meiner situation jetzt doch nicht. Ich lasse das schicksal mich rufen. Aus freien stücken darf ich jetzt nur hier am krankenbette bleiben. So ists mir pflicht und bedürfnis.
Auch ich denke mit vergnügen an Ihren besuch und danke nochmals herzlich dafür.
Wie im vorigen so war auch in diesem jahre dr. Fresenius aus Berlin der erste der mich aufsuchte. Wir haben drei tage gewielandet. Da kann man philologisch arbeiten lernen. Aber wer so genau arbeitet, kommt zu nichts. Nur ihm lohnen sich die feinsinnigsten schlüsse aus unendlich mühsamen statistiken. Seine Erzählungen ausgabe wird vortrefflich; das muster eines kritischen apparates und zugleich, fürchte ich, der beweis, dass bei solchen veränderungen ein kritischer apparat, der übersichtlich wirkt, kaum mehr möglich ist. Die Goethegesellschafter können für die neue ausgabe draus lernen, glaub ich.
Auch Erich Schmidt war einen tag hier. Gross und frisch; im strudel des hoflebens glücklich und in den äusserlich engen, geistig weiten verhältnissen eingelebt.
Wär mein gemüt frei gewesen, so wären es schöne tage gewesen. So litt ich durch den gegensatz und die schwunglosigkeit meiner gefesselten seele.
Dank für den unbekannten Abderitendrucknachweis. Dank für das angebot mir die doubletten zu senden. Darf ich wählen, so wähl ich das angestempelte exemplar.
Werner tadelt auf einer karte, dass ich Iffland neu drucken liess, die Laufbahn sei nicht selten. Da hat er recht. Aber ich wollte 2 hefte fürs grosse publikum, um die sammlung über wasser zu halten; mit fachwissenschaftlich allein interessantem töte ich sie. Ich wollte auch den gymnasialdirektor, der den iffland anbot, nicht abweisen: so gewinn ich, hoffentlich, endlich gymnasialkreise zu käufern. Um den bestand des unternehmens zu sichern, darf man wol zuweilen sein programm überschreiten. Freilich haben mir beide herausgeber nicht genüge geleistet. Doch – vergleichen Sie. Ihnen als recensenten darf ich das nicht schreiben. Vergessen Sie’s. Sie müssen unbefangen urteilen.
Haben Sie den Lessing angezeigt? Bald denk ich meine anzeige in der DLZ zu lesen.
Auch für die freundliche aufnahme meiner anzeigen danke ich. Haben Sie sich am rande notiert, wo Sie betr. Reuter anderer ansicht sind, so schicken Sie mir doch ja die glossen. Bitte.
Und noch eins: sollten sich bei Ihnen meine korrekturen zu Hagedorn, Versuch erhalten haben, so zeigen Sie mir die bogen, wo ich auf Goethe und Schiller verwies. Ich weiss es nicht mehr genau und bräuchte es, da Biedermann auch auf Goethe-Hagedorn kam.
Glück auf! und trotz gegen misgeschick!
Freundschaftlich
Ihr
BSeuffert.

Briefdaten

Schreibort: Würzburg
Empfangsort: Graz
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8343 [Druckausgabe Nr. 56]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8343/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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