Wien, 3.9.86.

Lieber Freund! Es freut mich, daß meine raschen Bemerkungen ir[g]endwie nützlich sein können und wäre es auch nur zur momentanen Beruhigung eines furchtsamen Frauenherzens. Ich muß gleich heute antworten, weil die nächsten Tage durch eine in der Nähe unangenehme Verpflichtung – eine Rede bei der Enthüllung der Gedenktafel F. Raimunds in Pottenstein – ausgefüllt sein werden.
Meine Revue der Collegen war nur nach dem Gesichtspunkt der Gefälligkeit angeordnet; da Ettingshausen, den ich sonst gut kenne, niemanden bei sich sieht, so habe ich ihn übergangen; nachträglich fiel mir aus meinem näheren Bekanntenkreise noch Dölter ein, der Mineralog; wo alljährlich ein großer Ball war [un]d wo ich auch sonst gelegentlich einen Sonntag-Abend verbrachte. Er ist der Sohn eines Juden und einer Creolin;wenn er aus seiner türkischen Lethargie aufgescheucht wird (wie bei der Frage des chemischen Institutes) ein brauchbarer, gar nicht unebener Mann. Sie, eine Wie[ner]in, aber, um mich des sonderbaren Ausdruckes zu bedienen, Aristokratenfexin; sehr oberflächlich; gelegentlich aber ganz amüsant. – Was die Freundin Ihrer Braut sagt begreife ich. Die Wiener sind alle unglücklich in Graz, eben weil sie Wiener sind. – Wenn Schönbach Ihnen versprochen hat, Adressen zu sammeln dann können Sie zufrieden sein; denn er rührt da keinen Fuß, das macht alles Frau Pöltl, die praktischeste und bravste Person (nebenbei auch die häßlichste) die Sie sich vorstellen können. Ich habe freilich ein geheimes faible für Sie, weil Sie mich an meinen [s]tabilen Montag-Abenden mit meinen Lieblingsspeisen traktirte. Graz ist ziemlich rauh; da ich aber für Kälte gar nicht empfindlich bin, so kann ich die Grad-anzahl schwer angeben. Jedesfalls sorgen Sie sich so vor, als ob es 10° gäbe.
Die Universität, soweit Sie an derselben zu thun haben ist noch immer beim Dom; das neue Haus steht immer noch n[ur] auf dem Papier. Entfernungen gibt es in Graz überhaupt nicht; ich hatte von der Herz-Jesukirche (die Sie auf Ihrem Plan finden werden) zur Universität 12–15 Minuten (die Grazer nannten das freilich sehr weit). Also an die Peripherie der neuen Stadttheile können Sie sich immerhin ziehen; nur das Einkaufen, die Entfernu[n]g des Marktes (wo wol der jetzige Kaiser-Josefplatz bei der protestantischen Kirche) ins Auge zu fassen ist, gäbe zu bedenken. –
Möglich, daß die ganz neuen Häuser Gas haben; durchschnittlich ist es nicht. Ich hatte eine vollkommenreinliche Wohnung in Graz u. solche finden sich wol viele. Wenn ich Ihnen mit meinem Baedeker (denselben den ich in Würzburg kaufte 1884) bis auf weiteres aushelfen kann, so soll er per Kreuzband folgen; ich habe ihn ein[g]epackt; ich weiß eigentlich nicht wozu? Ich hatte – wenn ich nicht irre – einen Plan aus den „Steierischen Wanderbüchern“ von dem Grazer Touristenverein herausgegeben u. war ganz zufrieden damit.
Das Italienisch lernen ist wieder eine der beliebten Schönbach-schen Schrullen. Da fiel ihm nichts anderes mehr ein u. da kam e[r] damit. Sie werden nemlich gelegentlich bei slavischen und italienischen Lehramtscandidaten zu constatiren haben, ob sie des Deutschen so weit mächtig seien, daß sie wissenschaftliche Werke lesen und verstehen können. Schönbach pflegte Ihnen ! da eine von Lessings Fabeln lesen und [de]m Inhalt nach wiedergeben zu lassen; ich nahm meistens ein beliebiges Buch. Da müßten Sie also ebenso gut slovenisch lernen, was weder Schönbach selbst, noch irgend sonst jemand außer dem Slavisten kann. Also keine Spur einer Not[w]endigkeit!
Die Fahrt bis Linz soll auf der Donau sehr schön sein; daß es die andere ist, weiß ich aus eigener Erfahrung; Linz selbst ist ganz unbedeutend u. wol eines Aufenthaltes nicht werth; es wäre denn, daß Sie sich für das Landesmuseum interessiren, das, glaube ich, ziemlich reich ist. Aber dergleichen läßt man auf der Hochzeitsreise doch links liegen.
Hoffentlich geht es Ihrer Braut bald ganz gut. Das ist doch des Teufels, daß jetzt Krankheit dazwischen kommen muß.
Nun zu dem wichtigsten & schwierigsten. Würden Sie als „bezahlter außerordentl.“ Prof. hereinberufen, dann wäre an einer Übersiedlungsgebühr nicht zu zweifeln; Sie werden aber wol – wie ich es war – zum „unbesoldeten außerord.“ Prof mit Remuneration ernannt. Und da eben das ganze leicht an den Geldforderungen scheitern könnte, so ist es – nachdem Sie sich einmal entschloßen haben, unter diesen Verhältnissen, nach Graz zu gehen, besser, auf nicht[s] zu pochen. Immerhin können Sie, wenn irgend weitere Verhandlungen noch statt finden sollten, wegen dieser Übersiedl. Gebühr eine Forderung stellen. Schönbach ist in allen Dingen, die ihn selbst betreffen, sehr energisch u. zugreifend; zu mir sagte er ganz dasselbe, was er Ihnen sagte; aber alle die kleinen Aufbesserungen, Seminarremunerationen etc. erwiesen sich als Luft; ich hatte in Graz nur meine nackten 600 fl.; zweimal machte er Vorschläge, mit denen er Ihnen gegenüber auch nicht kargen wird u. er meinte wol auch, sie würden Erfolg haben; aber über diese akademische Art der Förderung hinaus, hob er keine Hand auf und ich habe es ihm gelegentlich eines Streites zum Vorwurf gemacht, daß er 2mal in Wien war – zu einer Zeit, wo ich Aufbesserung hoffte – u. [de]n Weg ins Ministerium nicht machte. Und wegen des Seminars steht es so. Schönbach hat 600 fl. Remuneration; das ist sehr, sehr viel. Mehr kann das Ministerium nicht leicht zahlen; er müßte sich also entschließen, diese Remuneration mit Ihnen zu theilen. Ich habe es nicht ve[rla]ngt u. konnte es nicht verlangen. Er hat nie etwas dergleichen gethan. Übrigens wird in Ihrem Dekret stehen, was z. B. in meinem für Prag steht, daß das Seminar ohne Anspruch auf spezielle Vergütung zu leiten ist.
Alles das war u. ist bei mir. Ausländer hat man in der Regel viel coulanter behandelt. Überdies will Ihnen Heinzel sehr wol (der für mich nie etwas that) und Sie haben keinen Gegner in Wien; während Schmidt uns im Ministerium direct geschadet hat; wenn auch nicht immer mala fide.
Ihre Ernennung halte ich zwar für sicher; aber da haben Sie Recht: Wohnung miethen können Sie doch noch nicht!
Über Berlin höre ich böse Sachen; Sievers u. Willmanns oder beide sollen Aussicht haben. Da wäre die lachmannsche Schule endgiltig todt. Ich kann nur immer wieder sagen: Scherers Tod ist ein großes, großes Unglück für uns alle.
Verzeihen Sie meine schlechte Schrift; ich habe heute Vormittag zwei mal meine Rede ins Reine geschrieben, einmal für mich und einmal für den Druck und da giengs jetzt nicht mehr besser.
Fragen Sie weiter, lieber Freund, u. ich will weiter antworten, so gut ich eben kann. Herzlich grüßend
Ihr Aug. Sauer.

Wien, 3.9.86.

Lieber Freund! Es freut mich, daß meine raschen Bemerkungen ir[g]endwie nützlich sein können und wäre es auch nur zur momentanen Beruhigung eines furchtsamen Frauenherzens. Ich muß gleich heute antworten, weil die nächsten Tage durch eine in der Nähe unangenehme Verpflichtung – eine Rede bei der Enthüllung der Gedenktafel F. Raimunds in Pottenstein – ausgefüllt sein werden.
Meine Revue der Collegen war nur nach dem Gesichtspunkt der Gefälligkeit angeordnet; da Ettingshausen, den ich sonst gut kenne, niemanden bei sich sieht, so habe ich ihn übergangen; nachträglich fiel mir aus meinem näheren Bekanntenkreise noch Dölter ein, der Mineralog; wo alljährlich ein großer Ball war [un]d wo ich auch sonst gelegentlich einen Sonntag-Abend verbrachte. Er ist der Sohn eines Juden und einer Creolin;wenn er aus seiner türkischen Lethargie aufgescheucht wird (wie bei der Frage des chemischen Institutes) ein brauchbarer, gar nicht unebener Mann. Sie, eine Wie[ner]in, aber, um mich des sonderbaren Ausdruckes zu bedienen, Aristokratenfexin; sehr oberflächlich; gelegentlich aber ganz amüsant. – Was die Freundin Ihrer Braut sagt begreife ich. Die Wiener sind alle unglücklich in Graz, eben weil sie Wiener sind. – Wenn Schönbach Ihnen versprochen hat, Adressen zu sammeln dann können Sie zufrieden sein; denn er rührt da keinen Fuß, das macht alles Frau Pöltl, die praktischeste und bravste Person (nebenbei auch die häßlichste) die Sie sich vorstellen können. Ich habe freilich ein geheimes faible für Sie, weil Sie mich an meinen [s]tabilen Montag-Abenden mit meinen Lieblingsspeisen traktirte. Graz ist ziemlich rauh; da ich aber für Kälte gar nicht empfindlich bin, so kann ich die Grad-anzahl schwer angeben. Jedesfalls sorgen Sie sich so vor, als ob es 10° gäbe.
Die Universität, soweit Sie an derselben zu thun haben ist noch immer beim Dom; das neue Haus steht immer noch n[ur] auf dem Papier. Entfernungen gibt es in Graz überhaupt nicht; ich hatte von der Herz-Jesukirche (die Sie auf Ihrem Plan finden werden) zur Universität 12–15 Minuten (die Grazer nannten das freilich sehr weit). Also an die Peripherie der neuen Stadttheile können Sie sich immerhin ziehen; nur das Einkaufen, die Entfernu[n]g des Marktes (wo wol der jetzige Kaiser-Josefplatz bei der protestantischen Kirche) ins Auge zu fassen ist, gäbe zu bedenken. –
Möglich, daß die ganz neuen Häuser Gas haben; durchschnittlich ist es nicht. Ich hatte eine vollkommenreinliche Wohnung in Graz u. solche finden sich wol viele. Wenn ich Ihnen mit meinem Baedeker (denselben den ich in Würzburg kaufte 1884) bis auf weiteres aushelfen kann, so soll er per Kreuzband folgen; ich habe ihn ein[g]epackt; ich weiß eigentlich nicht wozu? Ich hatte – wenn ich nicht irre – einen Plan aus den „Steierischen Wanderbüchern“ von dem Grazer Touristenverein herausgegeben u. war ganz zufrieden damit.
Das Italienisch lernen ist wieder eine der beliebten Schönbach-schen Schrullen. Da fiel ihm nichts anderes mehr ein u. da kam e[r] damit. Sie werden nemlich gelegentlich bei slavischen und italienischen Lehramtscandidaten zu constatiren haben, ob sie des Deutschen so weit mächtig seien, daß sie wissenschaftliche Werke lesen und verstehen können. Schönbach pflegte Ihnen ! da eine von Lessings Fabeln lesen und [de]m Inhalt nach wiedergeben zu lassen; ich nahm meistens ein beliebiges Buch. Da müßten Sie also ebenso gut slovenisch lernen, was weder Schönbach selbst, noch irgend sonst jemand außer dem Slavisten kann. Also keine Spur einer Not[w]endigkeit!
Die Fahrt bis Linz soll auf der Donau sehr schön sein; daß es die andere ist, weiß ich aus eigener Erfahrung; Linz selbst ist ganz unbedeutend u. wol eines Aufenthaltes nicht werth; es wäre denn, daß Sie sich für das Landesmuseum interessiren, das, glaube ich, ziemlich reich ist. Aber dergleichen läßt man auf der Hochzeitsreise doch links liegen.
Hoffentlich geht es Ihrer Braut bald ganz gut. Das ist doch des Teufels, daß jetzt Krankheit dazwischen kommen muß.
Nun zu dem wichtigsten & schwierigsten. Würden Sie als „bezahlter außerordentl.“ Prof. hereinberufen, dann wäre an einer Übersiedlungsgebühr nicht zu zweifeln; Sie werden aber wol – wie ich es war – zum „unbesoldeten außerord.“ Prof mit Remuneration ernannt. Und da eben das ganze leicht an den Geldforderungen scheitern könnte, so ist es – nachdem Sie sich einmal entschloßen haben, unter diesen Verhältnissen, nach Graz zu gehen, besser, auf nicht[s] zu pochen. Immerhin können Sie, wenn irgend weitere Verhandlungen noch statt finden sollten, wegen dieser Übersiedl. Gebühr eine Forderung stellen. Schönbach ist in allen Dingen, die ihn selbst betreffen, sehr energisch u. zugreifend; zu mir sagte er ganz dasselbe, was er Ihnen sagte; aber alle die kleinen Aufbesserungen, Seminarremunerationen etc. erwiesen sich als Luft; ich hatte in Graz nur meine nackten 600 fl.; zweimal machte er Vorschläge, mit denen er Ihnen gegenüber auch nicht kargen wird u. er meinte wol auch, sie würden Erfolg haben; aber über diese akademische Art der Förderung hinaus, hob er keine Hand auf und ich habe es ihm gelegentlich eines Streites zum Vorwurf gemacht, daß er 2mal in Wien war – zu einer Zeit, wo ich Aufbesserung hoffte – u. [de]n Weg ins Ministerium nicht machte. Und wegen des Seminars steht es so. Schönbach hat 600 fl. Remuneration; das ist sehr, sehr viel. Mehr kann das Ministerium nicht leicht zahlen; er müßte sich also entschließen, diese Remuneration mit Ihnen zu theilen. Ich habe es nicht ve[rla]ngt u. konnte es nicht verlangen. Er hat nie etwas dergleichen gethan. Übrigens wird in Ihrem Dekret stehen, was z. B. in meinem für Prag steht, daß das Seminar ohne Anspruch auf spezielle Vergütung zu leiten ist.
Alles das war u. ist bei mir. Ausländer hat man in der Regel viel coulanter behandelt. Überdies will Ihnen Heinzel sehr wol (der für mich nie etwas that) und Sie haben keinen Gegner in Wien; während Schmidt uns im Ministerium direct geschadet hat; wenn auch nicht immer mala fide.
Ihre Ernennung halte ich zwar für sicher; aber da haben Sie Recht: Wohnung miethen können Sie doch noch nicht!
Über Berlin höre ich böse Sachen; Sievers u. Willmanns oder beide sollen Aussicht haben. Da wäre die lachmannsche Schule endgiltig todt. Ich kann nur immer wieder sagen: Scherers Tod ist ein großes, großes Unglück für uns alle.
Verzeihen Sie meine schlechte Schrift; ich habe heute Vormittag zwei mal meine Rede ins Reine geschrieben, einmal für mich und einmal für den Druck und da giengs jetzt nicht mehr besser.
Fragen Sie weiter, lieber Freund, u. ich will weiter antworten, so gut ich eben kann. Herzlich grüßend
Ihr Aug. Sauer.

Briefdaten

Schreibort: Wien
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-92
Umfang: 12 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8368 [Druckausgabe Nr. 71]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8368/methods/sdef:TEI/get

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