Würzburg Herzogeng. 5. 1 IX 86

Lieber freund,
Ihr brief ist goldes wert. Ich danke Ihnen lebhaft dafür und werde die vertraulichen äusserungen redlich für mich bewahren aber auch für mich nutzen. Gurlitts werden Sie uns ja nicht gönnen; soll er nicht nach Prag kommen? Graff kenne ich, wie ich mich jetzt erst erinnere; d. h. ich hab einmal mit ihm und seinem freunde Erich Schmidt ein stündchen verkneipt. Sonst sah ich ihn nicht. Noch kenne ich von aussen einen liebenswürdigen alten herrn v. Ettingshausen oder wie, botaniker seines zeichens, der hier beim jubiläum war. Sie nannten ihn nicht. Ihr schreiben war sehr woltätig, denn eine freundin meiner braut, die kurze zeit in Graz lebte, bis ihr vater (Röll, direktor der tierarzneischule oder so was) reaktiviert nach Wien zurückkehrte, hatte ein ziemlich tristes bild vom Grazer dasein gezeichnet. Ich bin recht dankbar, dass Sie es etwas menschlich belebten.
Ihre güte wegen der wohnung in anspruch zu nehmen, behalt ich mir vor. Jetzt hab ich noch nicht courage zu mieten; oder meinen Sie, das dekret sei unausbleiblich? Auch hat Schönbach sich erboten, adressen zu sammeln und ich denke, dann ist die mühe des mietens nicht mehr gross, dessen odium er nur scheut. Oder fällt derlei Schönbach schwer? ist er eine unpraktische natur? Er bot auch seine haushälterin, frau Pöltl oder ähnlich an. Ist sie die perle, für die er sie hält? Darf man ihr eine bemühung zumuten und anvertrauen?
Sie sehen ich schreibe gleich wider einen brief mit fragezeichen und da sies erlaubt haben, fahr ich darin fort. Antworten Sie mir nur lakonisch, damit Ihre zeit nicht allzu sehr darunter leidet. Aber Ihre auskünfte haben meiner braut u. mir so imponiert, dass wir uns gerne weiter an sie klammern.
Also: pflegt es in Graz grimmig kalt zu werden? ich meine, dass 10 und mehr kältegrade Réaumur anhalten?
Wegen der wohnung: die universität ist doch noch in der stadt beim dome? ich habe einen stadtplan von 1882 vor mir, wo ein neubau in der nähe der Schubertgasse bei naturwissenschaftlichen instituten skizziert ist. Ist hier das kollegienhaus? Ich scheu weite wege nicht, denke also der billigkeit wegen an die peripherie der neuen stadtteile zu ziehen, wenn es da nicht besondere hinderungsgründe gibt. Auch viele treppen irren mich nicht. Die freundin meiner braut tat als ob überall gasleitung wäre; mir ist eine hängelampe lieber. Vier ordentliche zimmer oder drei mittelgrosse u. zwei kleinere, dazu magdkammer, garderobe oder dgl. wären mir lieb. Auf wanzen und derlei gäste verzichte ich gerne. Oder stellen sie sich überall von selbst und ungebeten ein? wie in Berlin O? Bitte nennen Sie mir einen führer von Graz mit stadtplan, den ich mir durch die hiesige buchhandlung besorgen kann. Ich würde mir den neuen Bädeker kaufen, wenn nicht gerade auf 1887 eine neue auflage versprochen wäre und ich nicht lieber etwas ausführlicheres hätte. Ich mag Schönbach nicht darum schreiben, weil das wie bettelei ausschaut.
Noch eins! Schönbach empfahl mir italienisch zu lernen wegen der prüfungen – und dann sauste der zug mit ihm ab. Ich lese nun so leidlich italienisch, aber ich kanns nicht schreiben geschweige sprechen. Wozu brauch ichs? u. wie viel?
Meine braut liegt immer noch zu bette an ihrem fatalen scharlach. Das erschwert den abschluss der vorbereitungen ungemein. Hoffentlich kommt nicht auch noch besorgnis dazu.
Kennen Sie Linz? lohnt sich ein kurzer aufenthalt da? und wo sollte man absteigen? Ich denke daran, bei gutem wetter von Passau an auf der Donau zu fahren, das soll sehr hübsch sein. Bädeker empfiehlt auch über Linz hinaus die wasserstrasse zu ziehen. Das wird aber die langsamkeit des vorwärtskommens nicht lohnen?
Ihre übersiedelungsgelder sind knapp. In Baiern erhält jeder von auswärts berufene solche gelder bis zu 2400 m. worin allerdings die anstellungstaxe 10 % vom gehalt inbegriffen ist). Nur wer in Baiern avanciert, erhält nichts (also wie Sie von Graz nach Prag).
Sagen Sie mir gelegentlich auch darüber noch ein wort aus Ihrer erfahrung. Schmidt drängte mich bedingnisse vorher abzumachen und auch Sie rieten s. z. mir zuvor den zeitpunkt des überganges der unbesoldeten lehrkanzel in eine systemisierte versprechen zu lassen. Schönbach widerriet jeden anspruch als gefährlich für den ausgang so entschieden, dass ich mich mit gebundenen händen dem ministerialrat zu füssen warf. Schönbach sagte, nach u. nach liessen sich allerlei kleine aufbesserungen, seminarvorstandschaft, dann später remuneration hiefür, weiter aufbesserung u. s. f. erreichen, auch die übersiedelungskosten sollte ich erst später fordern. Hat Schönbach mit dieser auffassung der staatsverwaltung recht? oder behandelt er gerne alles dilatorisch? Ich vertraue mich mit solchen fragen Ihrer diskretion an, wie Sie der meinigen für Ihre antworten sicher sind.
So viel heute. Sie sind gar nicht sicher, dass bald wider ein fragebogen kommt. Haben Sie geduld mit mir.
Denken Sie nur, Martin will in einem jahre den Wackernagel bis zum schlusse – Platen-Rückert scheint es – fertig haben. So sagte er mir. Ich glaube aber, er wollte mir dadurch nur ad oculos demonstrieren, dass er der richtigste nachfolger Scherers ist. Flehen Sie doch mit mir zu den guten göttern, dass sie uns den balken nicht zum könige setzen.
Treulich
Ihr
BSeuffert

Würzburg Herzogeng. 5. 1 IX 86

Lieber freund,
Ihr brief ist goldes wert. Ich danke Ihnen lebhaft dafür und werde die vertraulichen äusserungen redlich für mich bewahren aber auch für mich nutzen. Gurlitts werden Sie uns ja nicht gönnen; soll er nicht nach Prag kommen? Graff kenne ich, wie ich mich jetzt erst erinnere; d. h. ich hab einmal mit ihm und seinem freunde Erich Schmidt ein stündchen verkneipt. Sonst sah ich ihn nicht. Noch kenne ich von aussen einen liebenswürdigen alten herrn v. Ettingshausen oder wie, botaniker seines zeichens, der hier beim jubiläum war. Sie nannten ihn nicht. Ihr schreiben war sehr woltätig, denn eine freundin meiner braut, die kurze zeit in Graz lebte, bis ihr vater (Röll, direktor der tierarzneischule oder so was) reaktiviert nach Wien zurückkehrte, hatte ein ziemlich tristes bild vom Grazer dasein gezeichnet. Ich bin recht dankbar, dass Sie es etwas menschlich belebten.
Ihre güte wegen der wohnung in anspruch zu nehmen, behalt ich mir vor. Jetzt hab ich noch nicht courage zu mieten; oder meinen Sie, das dekret sei unausbleiblich? Auch hat Schönbach sich erboten, adressen zu sammeln und ich denke, dann ist die mühe des mietens nicht mehr gross, dessen odium er nur scheut. Oder fällt derlei Schönbach schwer? ist er eine unpraktische natur? Er bot auch seine haushälterin, frau Pöltl oder ähnlich an. Ist sie die perle, für die er sie hält? Darf man ihr eine bemühung zumuten und anvertrauen?
Sie sehen ich schreibe gleich wider einen brief mit fragezeichen und da sies erlaubt haben, fahr ich darin fort. Antworten Sie mir nur lakonisch, damit Ihre zeit nicht allzu sehr darunter leidet. Aber Ihre auskünfte haben meiner braut u. mir so imponiert, dass wir uns gerne weiter an sie klammern.
Also: pflegt es in Graz grimmig kalt zu werden? ich meine, dass 10 und mehr kältegrade Réaumur anhalten?
Wegen der wohnung: die universität ist doch noch in der stadt beim dome? ich habe einen stadtplan von 1882 vor mir, wo ein neubau in der nähe der Schubertgasse bei naturwissenschaftlichen instituten skizziert ist. Ist hier das kollegienhaus? Ich scheu weite wege nicht, denke also der billigkeit wegen an die peripherie der neuen stadtteile zu ziehen, wenn es da nicht besondere hinderungsgründe gibt. Auch viele treppen irren mich nicht. Die freundin meiner braut tat als ob überall gasleitung wäre; mir ist eine hängelampe lieber. Vier ordentliche zimmer oder drei mittelgrosse u. zwei kleinere, dazu magdkammer, garderobe oder dgl. wären mir lieb. Auf wanzen und derlei gäste verzichte ich gerne. Oder stellen sie sich überall von selbst und ungebeten ein? wie in Berlin O? Bitte nennen Sie mir einen führer von Graz mit stadtplan, den ich mir durch die hiesige buchhandlung besorgen kann. Ich würde mir den neuen Bädeker kaufen, wenn nicht gerade auf 1887 eine neue auflage versprochen wäre und ich nicht lieber etwas ausführlicheres hätte. Ich mag Schönbach nicht darum schreiben, weil das wie bettelei ausschaut.
Noch eins! Schönbach empfahl mir italienisch zu lernen wegen der prüfungen – und dann sauste der zug mit ihm ab. Ich lese nun so leidlich italienisch, aber ich kanns nicht schreiben geschweige sprechen. Wozu brauch ichs? u. wie viel?
Meine braut liegt immer noch zu bette an ihrem fatalen scharlach. Das erschwert den abschluss der vorbereitungen ungemein. Hoffentlich kommt nicht auch noch besorgnis dazu.
Kennen Sie Linz? lohnt sich ein kurzer aufenthalt da? und wo sollte man absteigen? Ich denke daran, bei gutem wetter von Passau an auf der Donau zu fahren, das soll sehr hübsch sein. Bädeker empfiehlt auch über Linz hinaus die wasserstrasse zu ziehen. Das wird aber die langsamkeit des vorwärtskommens nicht lohnen?
Ihre übersiedelungsgelder sind knapp. In Baiern erhält jeder von auswärts berufene solche gelder bis zu 2400 m. worin allerdings die anstellungstaxe 10 % vom gehalt inbegriffen ist). Nur wer in Baiern avanciert, erhält nichts (also wie Sie von Graz nach Prag).
Sagen Sie mir gelegentlich auch darüber noch ein wort aus Ihrer erfahrung. Schmidt drängte mich bedingnisse vorher abzumachen und auch Sie rieten s. z. mir zuvor den zeitpunkt des überganges der unbesoldeten lehrkanzel in eine systemisierte versprechen zu lassen. Schönbach widerriet jeden anspruch als gefährlich für den ausgang so entschieden, dass ich mich mit gebundenen händen dem ministerialrat zu füssen warf. Schönbach sagte, nach u. nach liessen sich allerlei kleine aufbesserungen, seminarvorstandschaft, dann später remuneration hiefür, weiter aufbesserung u. s. f. erreichen, auch die übersiedelungskosten sollte ich erst später fordern. Hat Schönbach mit dieser auffassung der staatsverwaltung recht? oder behandelt er gerne alles dilatorisch? Ich vertraue mich mit solchen fragen Ihrer diskretion an, wie Sie der meinigen für Ihre antworten sicher sind.
So viel heute. Sie sind gar nicht sicher, dass bald wider ein fragebogen kommt. Haben Sie geduld mit mir.
Denken Sie nur, Martin will in einem jahre den Wackernagel bis zum schlusse – Platen-Rückert scheint es – fertig haben. So sagte er mir. Ich glaube aber, er wollte mir dadurch nur ad oculos demonstrieren, dass er der richtigste nachfolger Scherers ist. Flehen Sie doch mit mir zu den guten göttern, dass sie uns den balken nicht zum könige setzen.
Treulich
Ihr
BSeuffert

Briefdaten

Schreibort: Würzburg
Empfangsort: Wien
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 6 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8367 [Druckausgabe Nr. 70]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8367/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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