Wien IX Pelikangasse 10.
30. August 86.
Lieber Freund! Ich hoffe mit Ihnen, daß nun alles glatt ablaufe und daß ich Sie mit Ihrer jungen Frau Ende Spt. oder Anfang October hier noch werde begrüßen können. Da wird sich mündlich noch manches aussprechen lassen, wovor die Feder zurückzuckt. Aber die wichtigsten Ihrer Fragen hoffe ich Ihnen genügend beantworten zu können.
Freilich wegen der Wohnung weiß ich wenig Rath. Sie können nur in den neuen Stadttheil (Jakomini) ziehen und müßen Sich eine der ruhigen Straßen Lessing- Rechbauerstraße etc. aus- suchen; die Straße, in der ich wohnte ist eine der ruhigsten. Aber theuer sind die Wohnungen dort allerdings und um 500 fl. werden Sie wol nur 4 Zimmer kriegen. Wenn Schönbach sich nicht angetragen hat, Ihnen etwas zu verschaffen, so will ich Mittel und Wege suchen, Ihnen eine Wohnung miethen zu lassen – freilich auf die Gefahr hin, daß sie Ihnen nicht ganz convenirt. Aber im October ist es auch schwer, etwas passendes zu erraffen.
Ich habe mich seinerzeit der Antrittsvorlesung in Graz entzogen, obgleich Schönbach sie gewünscht hatte, in Prag habe ich sie jetzt gehalten; Sie müßen doch ¾ Stunden reden; ich würde zu keinem speziellen Thema [r]athen; etwas methodologisches empfiehle sich am besten. Oder eine Einleitung zu Ihrem Hauptcolleg? –
Wegen der Kommersrede müßen Sie mich misverstanden haben. Gelehrte Reden werden da überhaupt nicht gehalten und als neuangekommener, als Ausländer noch dazu können Sie sich durch lange [J]ahre hindurch aller solcher Zumuthungen entziehen. Es gibt viele Leute in Graz, die nie eine öffentliche Rede gehalten haben.
Über die geselligen Verhältnisse könnte ich Ihnen die genauesten Auskünfte geben, wenn Sie als Junggeselle einzögen. Mit der Frau gestaltet sich so etwas anders; jedenfalls viel complicirter. Die Fakultäten pflegen in Graz ziemlich abgeschlossen zu sein; dennoch würde ich Ihnen rathen bei Helly, dem Gynokologen ! Besuch zu machen, dessen praktische Frau in allen häuslichen Dingen als Orakel gehört wird; wenn Sie an Krafft-Ebing, den Psychiatriker heran könnten, wäre da[s v]on großem Vortheil. Er ist ein Badenser, seine Frau – glaube ich – auch eine Reichsdeutsche. Ich habe in beiden Häusern nicht verkehrt. Was unsere Fakultät betrifft, so empfehle ich Ihnen als den Treuesten der Treuen Prof. Gurlitt, eine goldene, reine Seele; [e]in gescheuter Mensch, der, mehr Künstler als Professor, es leider in der letztern Laufbahn noch nicht sehr weit gebracht hat. Seine Frau ist mir unter allen in Graz die sympathischeste; sie ist auch ganz anders als die andern; in einem hocharistokratischen, fürstlichen Hause erzogen hat sie mit [d]er Feinheit der Bildung nicht auch zugleich die Ansprüche des Adels in sich aufgenommen und waltet in ihren bescheidenen Verhältnissen als die lieblichste Hausfrau. Prof. Bauer (alte Geschichte) wird Sie durch sein liebenswürdiges Behnemen ! gewiß bald gewinnen; seine Frau könnte der Ihrigen wol in praktischen Fr[ag]en gut an die Hand gehen. Von jüngeren Collegen sei Ihnen Prof. Haberlandt, der Botaniker warm ans Herz gelegt; dessen Frau, eine Würtembergerin, anfangs still und scheu, bei näherem Bekannwerden etwas ungemein Anziehendes hat. Endlich sind aus meinem näch[ste]n Freundeskreise – denn diesen habe ich zuerst umrissen – Zwiedineck und Frau hervorzuheben; stoßen Sie sich bei ersterem nicht an dem burschikosen Wesen, das manchmal durchbricht, bei letzterer nicht an [d]en etwas pretensiösen Allüren – die französischen Ausdrücke sind absichtlich gewählt – : Sie werden in beiden ein paar herzensgute Leute kennen lernen, die Ihnen gewiß aufs freundlichste entgegenkommen werden. In allen diesen Häusern werden Sie sans gêne nur im kleinen Kreise verkehren und sich hoffentlich wohl fühlen.
Von älteren Collegen machen zunächst Karajans Haus: ich bin im Groll von der Frau geschieden, Ihrer übertriebenen Zimperlichkeit wegen u. Schönbach wird Ihnen auch nur böse Erfahrungen mittheilen: aber sie ist eine ganz gescheut[e] Frau, die mit Ihrem Wissen nur etwas weniger flunkern müßte; eine Mainzerin; da gibt es im Winter steife und trockene Musik-Abende. Dann kämen für Sie wol Graffs in Betracht, wo zwar nicht ich, aber Schönbach und andere angenehm verkehren. Er war früher an der Forstakademie in Ascha[ff]enburg; seine Frau ist zwar eine Grazerin – wie ich glaube – hat aber viel deutsches Wesen angenommen. Bei Krones und Goldbacher da werden Sie zu größeren Tafeln geladen werden, die dann meistens [r]echt ungemütlich ausfallen; in diesen beiden Familien, sowie beim Chemiker Pebal herrscht am meisten österreichischer Ton und wenn dieser vermieden, umgangen werden soll, wirds einfach gräulich. Wappnen Sie sich da mit Geduld! (Bei Gott: [d]er Brief wird sehr vertraulich; denn wenigstens bei Krones war ich viel im Hause; aber immer nur en petite comitee und als Junggeselle. Frau Gurlitt hat beide Häuser längst aufgegeben.) Erich Schmidt wird Sie gewiß an den Chemiker Schwarz von der Technik weisen, eine angenehme sächsische Familie; die Frau [r]echt hausmütterlich. Da waren noch vor zwei Jahren große Tafeln, bei denen die Tische sich bogen; aber durch Krankheit ist es unterbrochen worden. – Die Gasthausgesellschaften kenne ich zu wenig; Bauer hat als Junggeselle eine regelmäßige Skatgesellschaft gehabt[,] die er auch jetzt noch gelegentlich besucht. Sonst gehen die Professoren wenig in Gasthäuser.
Wegen Kleidung fehlt mir der Maßstab. Ich habe in dem „1. Männer-Kleider-Macher Consortium“ Herrengasse (ich glaube 5; [g]leich beim Auerspergbrunnen arbeiten lassen u. war zufrieden. Mein Winterrock kostete dort fl. 40; ein Salonrock 32; aber da müßte man die Sachen erst sehen. Hingegen glaube ich, daß Sie die Büchergestelle in Graz billiger und ebenso gut bekommen. Werner hat sich als er schon im Lemberg war, von Graz alles nachschaffen [l]assen. Gurlitt hat einen vorzüglichen Schreiner; auch Zwiedinecks Stellagen sind hübsch. Meine waren und sind ganz einfach; bei einem Tischler in der Sparbersbachgasse, (Nr. etwa 31 oder 33??) gemacht, den ich für ganz gewöhnliche Arbeit empfehlen kann. Wegen Übersiedlungsgebühr müßen Sie mit dem Ministerium verhandeln. Ich habe seinerzeit für die Strecke Lemberg [ – ] Graz 150 fl. (Werner für dieselbe 200) bekommen; nach Prag habe ich nochnichts erhalten; bei Avançement ! gebührt nichts; ich habe aber angesucht. Österreich ist in dieser Beziehung sehr knickerig; Sie müßen dem Minister direct deswegen zu Leibe gehen. Versetzungs- und Brautgut ist unbedingt zollfrei (ich weiß es von Schmidts Übersiedlung und sonst); aber es müßen genaue Verzeichnisse angefertigt u. an dem Aufgabeort – von wem?? – bestätigt sein.
So viel, lieber Freund, etwas eilig und flüchtig; aber zunächst wol genügend. Bitte, stellen Sie mir weitere Fragen; ich antworte sehr gern. Wegen der Wohnung präcisiren Sie Ihre Wünsche und ich will mein Glück probiren.
Sind wir auch in Zukunft weit auseinander, so treffen wir uns doch wol öfter im gemeinsamen Mittelpunkt und [G]raz soll mir von nun an eine doppelt angenehme Besuchsstation sein.
Herzlichst
Ihr
aufrichtiger
ASauer.
Wien IX Pelikangasse 10.
30. August 86.
Lieber Freund! Ich hoffe mit Ihnen, daß nun alles glatt ablaufe und daß ich Sie mit Ihrer jungen Frau Ende Spt. oder Anfang October hier noch werde begrüßen können. Da wird sich mündlich noch manches aussprechen lassen, wovor die Feder zurückzuckt. Aber die wichtigsten Ihrer Fragen hoffe ich Ihnen genügend beantworten zu können.
Freilich wegen der Wohnung weiß ich wenig Rath. Sie können nur in den neuen Stadttheil (Jakomini) ziehen und müßen Sich eine der ruhigen Straßen Lessing- Rechbauerstraße etc. aus- suchen; die Straße, in der ich wohnte ist eine der ruhigsten. Aber theuer sind die Wohnungen dort allerdings und um 500 fl. werden Sie wol nur 4 Zimmer kriegen. Wenn Schönbach sich nicht angetragen hat, Ihnen etwas zu verschaffen, so will ich Mittel und Wege suchen, Ihnen eine Wohnung miethen zu lassen – freilich auf die Gefahr hin, daß sie Ihnen nicht ganz convenirt. Aber im October ist es auch schwer, etwas passendes zu erraffen.
Ich habe mich seinerzeit der Antrittsvorlesung in Graz entzogen, obgleich Schönbach sie gewünscht hatte, in Prag habe ich sie jetzt gehalten; Sie müßen doch ¾ Stunden reden; ich würde zu keinem speziellen Thema [r]athen; etwas methodologisches empfiehle sich am besten. Oder eine Einleitung zu Ihrem Hauptcolleg? –
Wegen der Kommersrede müßen Sie mich misverstanden haben. Gelehrte Reden werden da überhaupt nicht gehalten und als neuangekommener, als Ausländer noch dazu können Sie sich durch lange [J]ahre hindurch aller solcher Zumuthungen entziehen. Es gibt viele Leute in Graz, die nie eine öffentliche Rede gehalten haben.
Über die geselligen Verhältnisse könnte ich Ihnen die genauesten Auskünfte geben, wenn Sie als Junggeselle einzögen. Mit der Frau gestaltet sich so etwas anders; jedenfalls viel complicirter. Die Fakultäten pflegen in Graz ziemlich abgeschlossen zu sein; dennoch würde ich Ihnen rathen bei Helly, dem Gynokologen ! Besuch zu machen, dessen praktische Frau in allen häuslichen Dingen als Orakel gehört wird; wenn Sie an Krafft-Ebing, den Psychiatriker heran könnten, wäre da[s v]on großem Vortheil. Er ist ein Badenser, seine Frau – glaube ich – auch eine Reichsdeutsche. Ich habe in beiden Häusern nicht verkehrt. Was unsere Fakultät betrifft, so empfehle ich Ihnen als den Treuesten der Treuen Prof. Gurlitt, eine goldene, reine Seele; [e]in gescheuter Mensch, der, mehr Künstler als Professor, es leider in der letztern Laufbahn noch nicht sehr weit gebracht hat. Seine Frau ist mir unter allen in Graz die sympathischeste; sie ist auch ganz anders als die andern; in einem hocharistokratischen, fürstlichen Hause erzogen hat sie mit [d]er Feinheit der Bildung nicht auch zugleich die Ansprüche des Adels in sich aufgenommen und waltet in ihren bescheidenen Verhältnissen als die lieblichste Hausfrau. Prof. Bauer (alte Geschichte) wird Sie durch sein liebenswürdiges Behnemen ! gewiß bald gewinnen; seine Frau könnte der Ihrigen wol in praktischen Fr[ag]en gut an die Hand gehen. Von jüngeren Collegen sei Ihnen Prof. Haberlandt, der Botaniker warm ans Herz gelegt; dessen Frau, eine Würtembergerin, anfangs still und scheu, bei näherem Bekannwerden etwas ungemein Anziehendes hat. Endlich sind aus meinem näch[ste]n Freundeskreise – denn diesen habe ich zuerst umrissen – Zwiedineck und Frau hervorzuheben; stoßen Sie sich bei ersterem nicht an dem burschikosen Wesen, das manchmal durchbricht, bei letzterer nicht an [d]en etwas pretensiösen Allüren – die französischen Ausdrücke sind absichtlich gewählt – : Sie werden in beiden ein paar herzensgute Leute kennen lernen, die Ihnen gewiß aufs freundlichste entgegenkommen werden. In allen diesen Häusern werden Sie sans gêne nur im kleinen Kreise verkehren und sich hoffentlich wohl fühlen.
Von älteren Collegen machen zunächst Karajans Haus: ich bin im Groll von der Frau geschieden, Ihrer übertriebenen Zimperlichkeit wegen u. Schönbach wird Ihnen auch nur böse Erfahrungen mittheilen: aber sie ist eine ganz gescheut[e] Frau, die mit Ihrem Wissen nur etwas weniger flunkern müßte; eine Mainzerin; da gibt es im Winter steife und trockene Musik-Abende. Dann kämen für Sie wol Graffs in Betracht, wo zwar nicht ich, aber Schönbach und andere angenehm verkehren. Er war früher an der Forstakademie in Ascha[ff]enburg; seine Frau ist zwar eine Grazerin – wie ich glaube – hat aber viel deutsches Wesen angenommen. Bei Krones und Goldbacher da werden Sie zu größeren Tafeln geladen werden, die dann meistens [r]echt ungemütlich ausfallen; in diesen beiden Familien, sowie beim Chemiker Pebal herrscht am meisten österreichischer Ton und wenn dieser vermieden, umgangen werden soll, wirds einfach gräulich. Wappnen Sie sich da mit Geduld! (Bei Gott: [d]er Brief wird sehr vertraulich; denn wenigstens bei Krones war ich viel im Hause; aber immer nur en petite comitee und als Junggeselle. Frau Gurlitt hat beide Häuser längst aufgegeben.) Erich Schmidt wird Sie gewiß an den Chemiker Schwarz von der Technik weisen, eine angenehme sächsische Familie; die Frau [r]echt hausmütterlich. Da waren noch vor zwei Jahren große Tafeln, bei denen die Tische sich bogen; aber durch Krankheit ist es unterbrochen worden. – Die Gasthausgesellschaften kenne ich zu wenig; Bauer hat als Junggeselle eine regelmäßige Skatgesellschaft gehabt[,] die er auch jetzt noch gelegentlich besucht. Sonst gehen die Professoren wenig in Gasthäuser.
Wegen Kleidung fehlt mir der Maßstab. Ich habe in dem „1. Männer-Kleider-Macher Consortium“ Herrengasse (ich glaube 5; [g]leich beim Auerspergbrunnen arbeiten lassen u. war zufrieden. Mein Winterrock kostete dort fl. 40; ein Salonrock 32; aber da müßte man die Sachen erst sehen. Hingegen glaube ich, daß Sie die Büchergestelle in Graz billiger und ebenso gut bekommen. Werner hat sich als er schon im Lemberg war, von Graz alles nachschaffen [l]assen. Gurlitt hat einen vorzüglichen Schreiner; auch Zwiedinecks Stellagen sind hübsch. Meine waren und sind ganz einfach; bei einem Tischler in der Sparbersbachgasse, (Nr. etwa 31 oder 33??) gemacht, den ich für ganz gewöhnliche Arbeit empfehlen kann. Wegen Übersiedlungsgebühr müßen Sie mit dem Ministerium verhandeln. Ich habe seinerzeit für die Strecke Lemberg [ – ] Graz 150 fl. (Werner für dieselbe 200) bekommen; nach Prag habe ich nochnichts erhalten; bei Avançement ! gebührt nichts; ich habe aber angesucht. Österreich ist in dieser Beziehung sehr knickerig; Sie müßen dem Minister direct deswegen zu Leibe gehen. Versetzungs- und Brautgut ist unbedingt zollfrei (ich weiß es von Schmidts Übersiedlung und sonst); aber es müßen genaue Verzeichnisse angefertigt u. an dem Aufgabeort – von wem?? – bestätigt sein.
So viel, lieber Freund, etwas eilig und flüchtig; aber zunächst wol genügend. Bitte, stellen Sie mir weitere Fragen; ich antworte sehr gern. Wegen der Wohnung präcisiren Sie Ihre Wünsche und ich will mein Glück probiren.
Sind wir auch in Zukunft weit auseinander, so treffen wir uns doch wol öfter im gemeinsamen Mittelpunkt und [G]raz soll mir von nun an eine doppelt angenehme Besuchsstation sein.
Herzlichst
Ihr
aufrichtiger
ASauer.
Schreibort: Wien
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-91
Umfang: 13 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8366 [Druckausgabe Nr. 69]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8366/methods/sdef:TEI/get
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