Graz Harrachg. 1
8 XII 86
Mit dem gewünschten ausführlichen bericht, lfr., hat es gute weile gehabt. es hangt zu viel an einem eingewöhnen und gar an einem zweischichtigen, drum und dran. Dank der ausgezeichneten zuverlässigkeit der mir hier angeratenen tischler kam ich endlich letzten samstag in besitz der nötigen ureinfachen büchergestelle, entbehre aber noch immer andere bestellte dinge, kleinigkeiten, die mir jedoch abgehen zur behaglichkeit.
Sonsten lebt sichs hier – wenn man dem ochsenfleische und dem knoblauch entrinnt, was allerdings schwierig ist – recht gut. Und ich kann sagen, dass die eingewöhnung vollzogen ist. Im kolleg bin ich sehr zufrieden, mit der zahl und mit der aufmerksamkeit, im seminar ist die zahl 20 fast zu gross und was ich bisher zu hören bekam erfreute mich nur durch seinen aussergewöhnlichen fleiss. Ich lebe übrigens lediglich den vorlesungen und habe für mich noch nichts gethan.
Nun zu den menschen. Zuvorkommend sind sie alle. Und dann und wann glaube ich Ihrem gütigen vorworte, dessen gewicht hier gross ist wie ich merke, die freundlichkeit zu verdanken. Ihre beschreibung führte mich eben so bequem wie korrekt in den kreis ein. Dass derselbe in der Stadt Triest zusammenkommt, wissen Sie. Und ich hoffe, dass dieser verkehr dauert. Gurlitt wird freilich da nicht erscheinen, sagt man. ich habe einen gemütlichen abend bei ihm verlebt. Auch Graffs nicht oder kaum, was ich, zu ihnen als einstigen Unterfranken und wegen seiner lebendigkeit und ihrer feinheit hingezogen, sehr bedaure. Frau v Zwiedinek vermisst Sie schmerzlich und ich kann ihr das nicht annähernd sein, was Sie ihr waren. Ihr mann bewies mir gleich beim ersten eintritt in die Joanneumsbibliothek seine grosse gefälligkeit. Die liebe frau Bauer und ihr mann, den ich von allen kollegen bevorzuge, die sehr anregende und äusserst zuvorkommende frau Dölter, in deren gefolge ihr mann alle seine freundlichkeit aufbietet, Richter und Haberlandt und ihre frauen, mir noch zu wenig durchsichtig, vervollständigen die gruppe. Wir sind so ins richtige nest gekommen und werden uns bald eingetan fühlen, wenn man uns so nachsichtig weiter duldet wie bisher. Sie kennen mich ja, wissen dass ich anfangs zurückhaltend bin, überhaupt schwer aus mir herausgehe, mich schwer anschliesse. hab ich das erste überwunden, so ist der anschluss um so fester. Schliess ich aus der art, wie man sich uns gleich offenbart, auf die art die man von mir erwartet, so werde ich enttäuscht haben: denn so sehr ich mich bemühe, ich kann mir die gleiche gemütlichkeit und vertraulichkeit nicht abgewinnen. Und das zugeknöpfte, das Schönbach in meinem auftreten fand, werden alle andern finden und mich darüber und über meine stumme langweiligkeit bei Ihnen mit fug verklagt haben, wenn sie es der mühe wert fanden.
Von der umgegegend kenne ich noch wenig, eigentlich nichts. Die frau ist keine eifrige gängerin und ich zerreisse mir die arbeitszeit nicht gerne. Wir weiden uns am anblick der einzig schönen schneelandschaft von den fenstern aus.
Dass Schönbachs maschine brach, er stürzte und das schwache bein dehnte und quetschte, setze ich als bekannt voraus. es wird vor neujahr nichts mehr mit dem lesen werden. gestern probierte er – da das schreibtischsitzen wider möglich war – das anlegen der maschine, es ist ihm aber nicht gut bekommen. Für die predigten II ists gut so.
Ich hörte von dem riesenerfolge Ihrer vorlesungen und freue mich von herzen darüber. das wird Ihnen manches Prager leid überwindbar und erträglicher machen.
Was sagen Sie zu Schmidts nachfolger? Und wer wird nun die von Heinzel abgelehnte professur erhalten? ich fürchte Sievers. dann dürfen wir unsere traditionen begraben und ich wäre wirklich begierig zu sehen, wie viele unserer jungen kollegen die schwenkung ins andere lager machen. Zunächst bin ich froh, dass wenigstens Schmidt gerufen wurde und los kam.
Mit den besten grüssen
Ihr
BSeuffert
Graz Harrachg. 1
8 XII 86
Mit dem gewünschten ausführlichen bericht, lfr., hat es gute weile gehabt. es hangt zu viel an einem eingewöhnen und gar an einem zweischichtigen, drum und dran. Dank der ausgezeichneten zuverlässigkeit der mir hier angeratenen tischler kam ich endlich letzten samstag in besitz der nötigen ureinfachen büchergestelle, entbehre aber noch immer andere bestellte dinge, kleinigkeiten, die mir jedoch abgehen zur behaglichkeit.
Sonsten lebt sichs hier – wenn man dem ochsenfleische und dem knoblauch entrinnt, was allerdings schwierig ist – recht gut. Und ich kann sagen, dass die eingewöhnung vollzogen ist. Im kolleg bin ich sehr zufrieden, mit der zahl und mit der aufmerksamkeit, im seminar ist die zahl 20 fast zu gross und was ich bisher zu hören bekam erfreute mich nur durch seinen aussergewöhnlichen fleiss. Ich lebe übrigens lediglich den vorlesungen und habe für mich noch nichts gethan.
Nun zu den menschen. Zuvorkommend sind sie alle. Und dann und wann glaube ich Ihrem gütigen vorworte, dessen gewicht hier gross ist wie ich merke, die freundlichkeit zu verdanken. Ihre beschreibung führte mich eben so bequem wie korrekt in den kreis ein. Dass derselbe in der Stadt Triest zusammenkommt, wissen Sie. Und ich hoffe, dass dieser verkehr dauert. Gurlitt wird freilich da nicht erscheinen, sagt man. ich habe einen gemütlichen abend bei ihm verlebt. Auch Graffs nicht oder kaum, was ich, zu ihnen als einstigen Unterfranken und wegen seiner lebendigkeit und ihrer feinheit hingezogen, sehr bedaure. Frau v Zwiedinek vermisst Sie schmerzlich und ich kann ihr das nicht annähernd sein, was Sie ihr waren. Ihr mann bewies mir gleich beim ersten eintritt in die Joanneumsbibliothek seine grosse gefälligkeit. Die liebe frau Bauer und ihr mann, den ich von allen kollegen bevorzuge, die sehr anregende und äusserst zuvorkommende frau Dölter, in deren gefolge ihr mann alle seine freundlichkeit aufbietet, Richter und Haberlandt und ihre frauen, mir noch zu wenig durchsichtig, vervollständigen die gruppe. Wir sind so ins richtige nest gekommen und werden uns bald eingetan fühlen, wenn man uns so nachsichtig weiter duldet wie bisher. Sie kennen mich ja, wissen dass ich anfangs zurückhaltend bin, überhaupt schwer aus mir herausgehe, mich schwer anschliesse. hab ich das erste überwunden, so ist der anschluss um so fester. Schliess ich aus der art, wie man sich uns gleich offenbart, auf die art die man von mir erwartet, so werde ich enttäuscht haben: denn so sehr ich mich bemühe, ich kann mir die gleiche gemütlichkeit und vertraulichkeit nicht abgewinnen. Und das zugeknöpfte, das Schönbach in meinem auftreten fand, werden alle andern finden und mich darüber und über meine stumme langweiligkeit bei Ihnen mit fug verklagt haben, wenn sie es der mühe wert fanden.
Von der umgegegend kenne ich noch wenig, eigentlich nichts. Die frau ist keine eifrige gängerin und ich zerreisse mir die arbeitszeit nicht gerne. Wir weiden uns am anblick der einzig schönen schneelandschaft von den fenstern aus.
Dass Schönbachs maschine brach, er stürzte und das schwache bein dehnte und quetschte, setze ich als bekannt voraus. es wird vor neujahr nichts mehr mit dem lesen werden. gestern probierte er – da das schreibtischsitzen wider möglich war – das anlegen der maschine, es ist ihm aber nicht gut bekommen. Für die predigten II ists gut so.
Ich hörte von dem riesenerfolge Ihrer vorlesungen und freue mich von herzen darüber. das wird Ihnen manches Prager leid überwindbar und erträglicher machen.
Was sagen Sie zu Schmidts nachfolger? Und wer wird nun die von Heinzel abgelehnte professur erhalten? ich fürchte Sievers. dann dürfen wir unsere traditionen begraben und ich wäre wirklich begierig zu sehen, wie viele unserer jungen kollegen die schwenkung ins andere lager machen. Zunächst bin ich froh, dass wenigstens Schmidt gerufen wurde und los kam.
Mit den besten grüssen
Ihr
BSeuffert
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8379 [Druckausgabe Nr. 74]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8379/methods/sdef:TEI/get
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