Prag 24.11.87

Lieber Freund! Sie müßen mich für recht [u]nartig halten. Aber sollte ich Ihnen wieder einen verstimmten Brief schreiben! Es hat sich alles gegen mich verschworen. Außerdem bin ich von den letzten Correcturen ganz stumpf. Ich habe Ihnen daher vor einigen Tagen eine vorläufige bejahende Antwort auf meinen Voß gegeben.
Ich will also das Referat über die Austriaca übernehmen und danke Ihnen herzlich für die gute Meinung & für das Vertrauen, das Sie mir entgegenbringen. Wie es zu machen ist, davon habe ich noch keine Vorstel- lung: das wird der Prospect hoffentlich lehren.
Was einen Artikel für das erste Heft betrifft, so bin ich trotz des besten Willens in heller Verlegenheit. Sonnenfels ist nicht zu brauchen. Jenes Heft sollte hauptsächlich Neudrucke von Streitschriften etc. enthalten. Untersuchungen eigentlich nicht. Für Raimund müßte ich alles neu machen. Glossy hat mir d[e]n betreffenden Aufsatz vor einer Reihe von Jahren verloren.
Bliebe: Grillparzer. Da komme ich an allen Ecken und Enden mit Cotta und dem Wiener Gemeinderath [in] Conflict. Ich hatte eine Idee: das Ahnfraubuch, da ja zum Theil gedruckt da liegt, zu condensiren, da es ja selbständig nicht mehr erscheinen wird. Aber wird Cotta das erlauben, wo ich eine Biographie bei ihm schreiben !; wird nicht Konegen schließlich doch auf seinem Schein bestehen und nun ein erstes Heft der Beiträge haben wollen. Die Sachen sind sehr verwickelt. Einen großen Aufsatz, den ich über den Text und die Anordnung von Grillparzers Gedichten (zum Zweck einer Jubiläumsausgabe) vorbereite, kann ich erst abschließen, wenn ich die ersten Drucke in den Almanachen, die sehr selten & sehr zerstreut sind, alle verglichen habe. Das wichtigs[te] ist: wann brauchen Sie den Aufsatz? Hätte ich Zeit zur Verfügung, dann wäre es mir ein leichtes. Über Enk, über Schreyvogel, über Feuchtesleben habe ich vieles gesammelt; über jeden von diesen schreibe ich baldigst einen Aufsatz oder Studien wenigstens. Aber ich brauche dazu einen längeren Aufenthalt in Wien, weil ich die ganzen Serien der Wiener Zeitschriften nicht besitze, zu Weihnachten werde ich aber – falls ich überhaupt nach Wien komme – nicht länger als 8 Tage zur Arbeit haben. Nach Ostern könnten Sie alles, was Sie wollen, von mir haben.
Können Sie so lange mit dem Erscheinen des 1. Heftes nicht warten, so will ich Ihnen für dieses einen kleinen Aufsatz über die Quelle von Lessings Faust liefern. Denn die Rec. des Schmidtschen Buches für Steinmeyer gebe ich endgiltig auf. Er druckt sie ja doch nicht mehr. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit in dieser verlorenen Sache noch etwas thun zu wollen. Die Schuld trage ich allein.
Über jenen Zeitschrift-Plan vom Sommer habe ich versprochen nichts näheres auszusagen. Nur so vi[el], daß die Sache mir gänzlich verfehlt schien. Der Verleger meinte, man müße in aller Stille ein erstes Heft vorbereiten u. es wie einen Blitzstrahl herausschleudern; während ich hingegen als erste Bedingung hinstellte, alle maßge [be]nden Personen vorher einzuladen & zu verständigen. Auch wenn der Verleger, wie ich nicht glaube, den Plan ausführt, so brauchen Sie ihn nicht zu fürchten. Es wird ein todt gebornes Kind sein. Aller Mitarbeiter IhrerZtschrft thun gewiß dabei nicht mit u. ohne diese Mitarbeiter können Sie sich höchstens eine Ztschrft für vgl. Litteraturgeschichte denken.
Ich habe in der letzten Zeit mehrere Ihrer Aufsätze – Goethe-Wieland, Elpenor – fürs Colleg eingehend durchgearbeitet u. mich insbesondere über den ersten wieder sehr gefreut. Bei der Ausgestaltung des Elpenor Planes hat Sie der Demetrius wie ich erinnere, etwas zu sehr beeinflußt. Aber ich kann Ihren Vermuthungen nichts Positives entgegenstellen.
Schönbach hat mir sein Bild[u]ngsbuch bereits angekündigt. Auch ich stehe diesen seinen amerikanischen Streifzügen ziemlich ferne. Aber sein ganzes Glück liegt in solchen Debauchen: er findet darin Ersatz für so vieles, was ihm wol ewig versagt bleibt und so mischt sich bei mir immer eine wehmüthig[e] Theilnahme ein, welche mich wärmer erscheinen läßt als ich bin.
Lesen Sie Bartschens Nekrolog auf Scherer im letzten Heft der Germania. Der Gipfel der Gemeinheit & Niederträchtigkeit.
Alles Schöne an Ihre liebe Frau. Herzlichst
grüßt AS.

Prag 24.11.87

Lieber Freund! Sie müßen mich für recht [u]nartig halten. Aber sollte ich Ihnen wieder einen verstimmten Brief schreiben! Es hat sich alles gegen mich verschworen. Außerdem bin ich von den letzten Correcturen ganz stumpf. Ich habe Ihnen daher vor einigen Tagen eine vorläufige bejahende Antwort auf meinen Voß gegeben.
Ich will also das Referat über die Austriaca übernehmen und danke Ihnen herzlich für die gute Meinung & für das Vertrauen, das Sie mir entgegenbringen. Wie es zu machen ist, davon habe ich noch keine Vorstel- lung: das wird der Prospect hoffentlich lehren.
Was einen Artikel für das erste Heft betrifft, so bin ich trotz des besten Willens in heller Verlegenheit. Sonnenfels ist nicht zu brauchen. Jenes Heft sollte hauptsächlich Neudrucke von Streitschriften etc. enthalten. Untersuchungen eigentlich nicht. Für Raimund müßte ich alles neu machen. Glossy hat mir d[e]n betreffenden Aufsatz vor einer Reihe von Jahren verloren.
Bliebe: Grillparzer. Da komme ich an allen Ecken und Enden mit Cotta und dem Wiener Gemeinderath [in] Conflict. Ich hatte eine Idee: das Ahnfraubuch, da ja zum Theil gedruckt da liegt, zu condensiren, da es ja selbständig nicht mehr erscheinen wird. Aber wird Cotta das erlauben, wo ich eine Biographie bei ihm schreiben !; wird nicht Konegen schließlich doch auf seinem Schein bestehen und nun ein erstes Heft der Beiträge haben wollen. Die Sachen sind sehr verwickelt. Einen großen Aufsatz, den ich über den Text und die Anordnung von Grillparzers Gedichten (zum Zweck einer Jubiläumsausgabe) vorbereite, kann ich erst abschließen, wenn ich die ersten Drucke in den Almanachen, die sehr selten & sehr zerstreut sind, alle verglichen habe. Das wichtigs[te] ist: wann brauchen Sie den Aufsatz? Hätte ich Zeit zur Verfügung, dann wäre es mir ein leichtes. Über Enk, über Schreyvogel, über Feuchtesleben habe ich vieles gesammelt; über jeden von diesen schreibe ich baldigst einen Aufsatz oder Studien wenigstens. Aber ich brauche dazu einen längeren Aufenthalt in Wien, weil ich die ganzen Serien der Wiener Zeitschriften nicht besitze, zu Weihnachten werde ich aber – falls ich überhaupt nach Wien komme – nicht länger als 8 Tage zur Arbeit haben. Nach Ostern könnten Sie alles, was Sie wollen, von mir haben.
Können Sie so lange mit dem Erscheinen des 1. Heftes nicht warten, so will ich Ihnen für dieses einen kleinen Aufsatz über die Quelle von Lessings Faust liefern. Denn die Rec. des Schmidtschen Buches für Steinmeyer gebe ich endgiltig auf. Er druckt sie ja doch nicht mehr. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit in dieser verlorenen Sache noch etwas thun zu wollen. Die Schuld trage ich allein.
Über jenen Zeitschrift-Plan vom Sommer habe ich versprochen nichts näheres auszusagen. Nur so vi[el], daß die Sache mir gänzlich verfehlt schien. Der Verleger meinte, man müße in aller Stille ein erstes Heft vorbereiten u. es wie einen Blitzstrahl herausschleudern; während ich hingegen als erste Bedingung hinstellte, alle maßge [be]nden Personen vorher einzuladen & zu verständigen. Auch wenn der Verleger, wie ich nicht glaube, den Plan ausführt, so brauchen Sie ihn nicht zu fürchten. Es wird ein todt gebornes Kind sein. Aller Mitarbeiter IhrerZtschrft thun gewiß dabei nicht mit u. ohne diese Mitarbeiter können Sie sich höchstens eine Ztschrft für vgl. Litteraturgeschichte denken.
Ich habe in der letzten Zeit mehrere Ihrer Aufsätze – Goethe-Wieland, Elpenor – fürs Colleg eingehend durchgearbeitet u. mich insbesondere über den ersten wieder sehr gefreut. Bei der Ausgestaltung des Elpenor Planes hat Sie der Demetrius wie ich erinnere, etwas zu sehr beeinflußt. Aber ich kann Ihren Vermuthungen nichts Positives entgegenstellen.
Schönbach hat mir sein Bild[u]ngsbuch bereits angekündigt. Auch ich stehe diesen seinen amerikanischen Streifzügen ziemlich ferne. Aber sein ganzes Glück liegt in solchen Debauchen: er findet darin Ersatz für so vieles, was ihm wol ewig versagt bleibt und so mischt sich bei mir immer eine wehmüthig[e] Theilnahme ein, welche mich wärmer erscheinen läßt als ich bin.
Lesen Sie Bartschens Nekrolog auf Scherer im letzten Heft der Germania. Der Gipfel der Gemeinheit & Niederträchtigkeit.
Alles Schöne an Ihre liebe Frau. Herzlichst
grüßt AS.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-106
Umfang: 8 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8396. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8396/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

LinksInformation

Das Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.