Graz 6 I 88
Harrachg. 1

Lieber freund

Gestern ward ich abgehalten Ihnen zu schreiben, heute kommt glücklich Ihre karte dazu.
Gestern nemlich wollte ich Ihnen wegen Ihres schülers Fellner schreiben. Er war bei mir, es scheint mit dem drucke seines Immermann bald zu ende zu gehen, er sprach vom rigorosum. U. wegen des letzteren möchte ich Ihre geheime hilfe anrufen. Mir machte nemlich in den wenigen gesprächen die ich mit F. hatte er den eindruck, als ob er sich zwar mit feinheit in die einzelheiten seiner Immermannfunde vertieft habe, aber darüber hinaus nicht gut beschlagen sei. Wenn ich mich teusche, desto besser; Sie werden das beurteilen können. Aber wenn ich mich nicht teusche, so setzen Sie, der einfluss auf ihn hat, ihm zu. Denn ich möchte um alles in der welt nicht, dass er sich im rigorosum blössen gibt. Ich habe ihm selbst einiges gesagt; aber wenn ich als examinator in spe zu ihm spreche kommt alles so autoritativ heraus u. ich möchte den mann nicht zu ängstlich machen. Ich habe deswegen besondere sorge, weil ich mit Schönbach neulich bei einem rigorosum einen bösen zusammenstoss hatte: er nahm es sehr übel, dass ich seinem Bezjak nicht wie er das ‚ausgezeichnet‘ gab, das er nach meiner sachlichen überzeugung nicht verdiente. Schönbach deutete das so, dass er mir nicht wissenschaftlich u. streng genug examiniere. Nach einer sehr peinlichen auseinandersetzung haben wir uns wider beglichen. Aber ich fürchte, es bleibt so viel davon zurück – was ich natürlich F. nicht sage –, dass Schönbach höhere anforderungen stellt, besonders wenn die dissertation aus der neueren litteratur genommen ist. Es wäre mir leid, wenn F. darunter litte. U. doch scheint er mir mit dem MA nicht auf gutem fusse zu stehen. Ich kann Schönbach natürlich nicht hindern u. will es nicht: denn nach dem, was ich mir erzählen lasse, wird hier wirklich mit dem ‚ausgezeichnet‘ ein misbrauch getrieben, an dem ich mich nicht beteiligen werde. Ich habe auch widerholt kandidaten abgeschlagen, ihnen ein engeres gebiet zum rigorosum zu bezeichnen, wie das bisher usus gewesen sein soll. Ich kann nicht verlässlich erfahren, wie Ihre praxis war. Sie werden sich selbst denken, dass ich mich über derlei mit Bauer u. Gurlitt benehme und deren billigung dazu eingeholt habe, auch dass ich Schönbach davon verständigte, der mir allerdings nur das recht, nicht mehr, dazu zugesteht. Ich sehe keinen grund, warum die promotion so sehr erleichtert werden soll. Ich glaube nicht, dass ich die kandidaten mit detailfragen belästige; aber ich will mich überzeugen, ob sie einen begriff der geschichte von 15–1800 haben. Ich bin durch die prüfungsordnung gehalten, das thema der dissertation abzufragen, ich werde natürlich mich auch an verwandtes halten – wie ich F. erklärt habe, dass ich bei ihm eine besondere kenntnis des dramas u. der dramaturgie der ganzen neuzeit voraussetze – aber er muss mir auch über andere dichtgattungen die hauptsachen sagen können.
Ich glaube in all diesem auf Ihre zustimmung zählen zu dürfen. Ich schreibe so viel davon, weil ich Sie bitten möchte auf F. in diesem sinne einzuwirken; er scheint das für unberechtigte ranküne zu halten, er meinte – ganz irrig – das rigorosum diene lediglich dazu festzustellen, ob die dissertation vom kandidaten verfasst sei. Ich weiss nun nicht, ob Sie ihm darüber gelegentlich äusserungen zugehen lassen können u. mögen. Mir liegt daran, dass Ihr schüler mit ehren durchkommt. Aber ich bitte Sie ausdrücklich, ihn nicht ahnen zu machen, dass ich Sie darüber anging, u. alles vertraulich zu behandeln. Sonst wird F. kopfscheu, sieht die dinge, die ihm ohnedies ungeheuer erscheinen, grösser als sie sind; und sonst wittert Schönbach wider weiss gott welche intrige zu seinem sturze, da ich ihm vielmehr doch in die hand arbeite. Ich hoffe, Sie misverstehen mich nicht.
Conta benimmt sich unglaublich wunderbar u. alle meine versuche, in sein herz zu dringen, scheitern. Er brütet über Hamann, ich weiss nicht wie u. was. Im seminar bin ich gar nicht erbaut von ihm. Er hält sich für ungemein klug, hat gewiss auch sehr viel wissen, aber mit dem arbeiten geht’s schlechter, als da ich eintraf. Sie wussten ihn offenbar besser zu führen als ich. – –
Ihren beiträgen sehe ich mit verlangen entgegen. Schmidts u. Suphans beiträge sind noch nicht da, wurden aber von mir in das 1. heft natürlich schon eingerechnet, das ohne die herren mitwirker gar nicht erscheinen kann. Werners Zur physiologie der lyrik bei Franzos gilt mir weniger als Ihnen u. ich würde einen derartigen aufsatz in der VJS nicht abdrucken; er hat noch nichts eingereicht. Ihn oder Minor zu austriaca aufzufordern habe ich nicht lust; eine solche aufforderung ist ein halbes versprechen, das bestellte dann auch anzunehmen, und dazu sind mir die beiden zu unsichere leute. Mit Schiller will Minor später kommen.
Eine frage an Sie als Hölderlinkenner: Ist Hölderlins gedicht: An die klugen Rathgeber. „Ich sollte nicht mit allen Kräften ringen“oder seine andere fassung: Der Jüngling an die klugen Rathgeber. „Ich sollte ruhn? Ich soll die Liebe zwingen“ irgendwo gedruckt? u. ebenso ist sein Vanini. „Den Gottverächter schalten sie dich? mit Fluch“gedruckt? Ich fand beides in Schillers nachlasspapieren. Machen Sie sich keine mühe damit. Ich meine nur zu wissen, dass Sie sich mit Hölderlin besonders genau befasst haben u. also bescheid erteilen können.
Ihr Brandl soll aussichten nach Göttingen haben? dort ist Roethe an Goedekes stelle vorgeschlagen. Burdach soll gehaltloser eo. geworden sein. Braune lehnte berufung nach Heidelberg ab, höre ich, ich wusste gar nicht, dass Bartsch d. gr. ersetzt werden soll.
Leben Sie wol und bleiben Sie gut
Ihrem
Sfft.

Graz 6 I 88
Harrachg. 1

Lieber freund

Gestern ward ich abgehalten Ihnen zu schreiben, heute kommt glücklich Ihre karte dazu.
Gestern nemlich wollte ich Ihnen wegen Ihres schülers Fellner schreiben. Er war bei mir, es scheint mit dem drucke seines Immermann bald zu ende zu gehen, er sprach vom rigorosum. U. wegen des letzteren möchte ich Ihre geheime hilfe anrufen. Mir machte nemlich in den wenigen gesprächen die ich mit F. hatte er den eindruck, als ob er sich zwar mit feinheit in die einzelheiten seiner Immermannfunde vertieft habe, aber darüber hinaus nicht gut beschlagen sei. Wenn ich mich teusche, desto besser; Sie werden das beurteilen können. Aber wenn ich mich nicht teusche, so setzen Sie, der einfluss auf ihn hat, ihm zu. Denn ich möchte um alles in der welt nicht, dass er sich im rigorosum blössen gibt. Ich habe ihm selbst einiges gesagt; aber wenn ich als examinator in spe zu ihm spreche kommt alles so autoritativ heraus u. ich möchte den mann nicht zu ängstlich machen. Ich habe deswegen besondere sorge, weil ich mit Schönbach neulich bei einem rigorosum einen bösen zusammenstoss hatte: er nahm es sehr übel, dass ich seinem Bezjak nicht wie er das ‚ausgezeichnet‘ gab, das er nach meiner sachlichen überzeugung nicht verdiente. Schönbach deutete das so, dass er mir nicht wissenschaftlich u. streng genug examiniere. Nach einer sehr peinlichen auseinandersetzung haben wir uns wider beglichen. Aber ich fürchte, es bleibt so viel davon zurück – was ich natürlich F. nicht sage –, dass Schönbach höhere anforderungen stellt, besonders wenn die dissertation aus der neueren litteratur genommen ist. Es wäre mir leid, wenn F. darunter litte. U. doch scheint er mir mit dem MA nicht auf gutem fusse zu stehen. Ich kann Schönbach natürlich nicht hindern u. will es nicht: denn nach dem, was ich mir erzählen lasse, wird hier wirklich mit dem ‚ausgezeichnet‘ ein misbrauch getrieben, an dem ich mich nicht beteiligen werde. Ich habe auch widerholt kandidaten abgeschlagen, ihnen ein engeres gebiet zum rigorosum zu bezeichnen, wie das bisher usus gewesen sein soll. Ich kann nicht verlässlich erfahren, wie Ihre praxis war. Sie werden sich selbst denken, dass ich mich über derlei mit Bauer u. Gurlitt benehme und deren billigung dazu eingeholt habe, auch dass ich Schönbach davon verständigte, der mir allerdings nur das recht, nicht mehr, dazu zugesteht. Ich sehe keinen grund, warum die promotion so sehr erleichtert werden soll. Ich glaube nicht, dass ich die kandidaten mit detailfragen belästige; aber ich will mich überzeugen, ob sie einen begriff der geschichte von 15–1800 haben. Ich bin durch die prüfungsordnung gehalten, das thema der dissertation abzufragen, ich werde natürlich mich auch an verwandtes halten – wie ich F. erklärt habe, dass ich bei ihm eine besondere kenntnis des dramas u. der dramaturgie der ganzen neuzeit voraussetze – aber er muss mir auch über andere dichtgattungen die hauptsachen sagen können.
Ich glaube in all diesem auf Ihre zustimmung zählen zu dürfen. Ich schreibe so viel davon, weil ich Sie bitten möchte auf F. in diesem sinne einzuwirken; er scheint das für unberechtigte ranküne zu halten, er meinte – ganz irrig – das rigorosum diene lediglich dazu festzustellen, ob die dissertation vom kandidaten verfasst sei. Ich weiss nun nicht, ob Sie ihm darüber gelegentlich äusserungen zugehen lassen können u. mögen. Mir liegt daran, dass Ihr schüler mit ehren durchkommt. Aber ich bitte Sie ausdrücklich, ihn nicht ahnen zu machen, dass ich Sie darüber anging, u. alles vertraulich zu behandeln. Sonst wird F. kopfscheu, sieht die dinge, die ihm ohnedies ungeheuer erscheinen, grösser als sie sind; und sonst wittert Schönbach wider weiss gott welche intrige zu seinem sturze, da ich ihm vielmehr doch in die hand arbeite. Ich hoffe, Sie misverstehen mich nicht.
Conta benimmt sich unglaublich wunderbar u. alle meine versuche, in sein herz zu dringen, scheitern. Er brütet über Hamann, ich weiss nicht wie u. was. Im seminar bin ich gar nicht erbaut von ihm. Er hält sich für ungemein klug, hat gewiss auch sehr viel wissen, aber mit dem arbeiten geht’s schlechter, als da ich eintraf. Sie wussten ihn offenbar besser zu führen als ich. – –
Ihren beiträgen sehe ich mit verlangen entgegen. Schmidts u. Suphans beiträge sind noch nicht da, wurden aber von mir in das 1. heft natürlich schon eingerechnet, das ohne die herren mitwirker gar nicht erscheinen kann. Werners Zur physiologie der lyrik bei Franzos gilt mir weniger als Ihnen u. ich würde einen derartigen aufsatz in der VJS nicht abdrucken; er hat noch nichts eingereicht. Ihn oder Minor zu austriaca aufzufordern habe ich nicht lust; eine solche aufforderung ist ein halbes versprechen, das bestellte dann auch anzunehmen, und dazu sind mir die beiden zu unsichere leute. Mit Schiller will Minor später kommen.
Eine frage an Sie als Hölderlinkenner: Ist Hölderlins gedicht: An die klugen Rathgeber. „Ich sollte nicht mit allen Kräften ringen“oder seine andere fassung: Der Jüngling an die klugen Rathgeber. „Ich sollte ruhn? Ich soll die Liebe zwingen“ irgendwo gedruckt? u. ebenso ist sein Vanini. „Den Gottverächter schalten sie dich? mit Fluch“gedruckt? Ich fand beides in Schillers nachlasspapieren. Machen Sie sich keine mühe damit. Ich meine nur zu wissen, dass Sie sich mit Hölderlin besonders genau befasst haben u. also bescheid erteilen können.
Ihr Brandl soll aussichten nach Göttingen haben? dort ist Roethe an Goedekes stelle vorgeschlagen. Burdach soll gehaltloser eo. geworden sein. Braune lehnte berufung nach Heidelberg ab, höre ich, ich wusste gar nicht, dass Bartsch d. gr. ersetzt werden soll.
Leben Sie wol und bleiben Sie gut
Ihrem
Sfft.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8402 [Druckausgabe Nr. 82]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8402/methods/sdef:TEI/get

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