30.1.88.

Lieber Freund! An Verstimmungsfähigkeit wie an thatsächlicher Verstimmung geben wir einander nichts [n]ach. Und an dem ist hauptsächlich die Überbürdung mit Correcturen schuld. Sie sagen: ich sei unabhängig. Als der Grillparzer aus meinen Händen war und ich die überflüssigen Bogen wegwarf lagen über 1000 Bogen da, die ich im vorigen Jahre absolvirt hatte. Und da hatte ich schon einmal im Herbst nur Luft geschafft. Ich nehme mir fest vor, damit nun ein Ende zu machen. Wenn ich meine laufenden Arbeiten absolvirt habe: kriegt mich niemand mehr zu Texten. Es ist die schauderlichste, undankbarste, aufreibendste Arbeit. Ich fühle, wie ich langsam zu Grunde gehe. Vor vier Tagen war ich so elend, daß ich mir unsern Psychiater holen ließ!!
Freilich bringt Ihnen die Zs. neue Sorgen; aber ich glaube: die werden sich bald legen, sobald [S]ie Manuscript genug in Vorrat haben, stehen Sie leicht um einen verspäteten Aufsatz auch Ihres Mitherausgebers. Ich lasse alle Terminarbeit, auch die, welche ich mir selbst setze. Man hat im Colleg u Seminar schon Zwang genug. Freiheit! Freiheit! Freiheit!
An der Bürger-Notiz liegt mir gar nichts. Ich wollte den Brief anfangs auch nicht mitheilen; aber ich fand, man verstehe meine Bemerkungen sonst nicht. Bitte: ändern Sie ganz nach Ihrer Meinung. Am besten aber ists, Sie werfen die Notiz in den Papierkorb. Bruch kann ich nicht für wichtig halten. Einen Bruch deckt man nicht mit der Weste zu. Dann weiß ich zwar nicht, wie eine Bruchoperation vorgenommen wird; aber daß man aus der Wunde Dinge herausziehen könnte, glaube ich nicht. Also in den Papierkorb. Denselben Ort möchte ich auch am liebsten der Faustuntersuchung anweisen; da aber einige wichtige Seiten beim Abschreiben doch verändert wurden, so müßen Sie sich schon die Mühe nehmen, mir das Man. gelegentlich zurückzuschicken; ich will es dann im Zusammenhang des größeren Themas: ‚Lessing u. Calderon‘ später einmal umzuarbeiten trachten. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen mit nichts passenderem dienen konnte; mir thut nur leid, daß ich den Januar damit verschustert habe.
Wegen Hölderlin habe ich nach Lemberg geschrieben, leider aber keine Antwort bekommen; ich kenne die Gedichte nicht. – Kelle scheint Ihnen etwas aus seinem Man. über die Lit.gesch. des 14/15 Jh. schicken zu wollen, das angeblich fertig da liegt. Hier macht Au[fs]ehen, daß Brandl nach Göttingen kommt; ich bin froh, daß ich ihn los bin. Wir haben uns sehr schlecht vertragen. Vielleicht interessirt es Sie zu hören, daß ich eine Unmasse Briefe von Voss & Boie an Goeckingk jetzt in Händen habe. Manches interessante.
Wie geht es Ihrer Frau? Grüßen Sie sie mir aufs beste und laßen Sie bald wieder etwas von sich hören. Sie sind mir in jeder Stimmung gleich herzlich willkommen.
Treulich Ihr AS.

30.1.88.

Lieber Freund! An Verstimmungsfähigkeit wie an thatsächlicher Verstimmung geben wir einander nichts [n]ach. Und an dem ist hauptsächlich die Überbürdung mit Correcturen schuld. Sie sagen: ich sei unabhängig. Als der Grillparzer aus meinen Händen war und ich die überflüssigen Bogen wegwarf lagen über 1000 Bogen da, die ich im vorigen Jahre absolvirt hatte. Und da hatte ich schon einmal im Herbst nur Luft geschafft. Ich nehme mir fest vor, damit nun ein Ende zu machen. Wenn ich meine laufenden Arbeiten absolvirt habe: kriegt mich niemand mehr zu Texten. Es ist die schauderlichste, undankbarste, aufreibendste Arbeit. Ich fühle, wie ich langsam zu Grunde gehe. Vor vier Tagen war ich so elend, daß ich mir unsern Psychiater holen ließ!!
Freilich bringt Ihnen die Zs. neue Sorgen; aber ich glaube: die werden sich bald legen, sobald [S]ie Manuscript genug in Vorrat haben, stehen Sie leicht um einen verspäteten Aufsatz auch Ihres Mitherausgebers. Ich lasse alle Terminarbeit, auch die, welche ich mir selbst setze. Man hat im Colleg u Seminar schon Zwang genug. Freiheit! Freiheit! Freiheit!
An der Bürger-Notiz liegt mir gar nichts. Ich wollte den Brief anfangs auch nicht mitheilen; aber ich fand, man verstehe meine Bemerkungen sonst nicht. Bitte: ändern Sie ganz nach Ihrer Meinung. Am besten aber ists, Sie werfen die Notiz in den Papierkorb. Bruch kann ich nicht für wichtig halten. Einen Bruch deckt man nicht mit der Weste zu. Dann weiß ich zwar nicht, wie eine Bruchoperation vorgenommen wird; aber daß man aus der Wunde Dinge herausziehen könnte, glaube ich nicht. Also in den Papierkorb. Denselben Ort möchte ich auch am liebsten der Faustuntersuchung anweisen; da aber einige wichtige Seiten beim Abschreiben doch verändert wurden, so müßen Sie sich schon die Mühe nehmen, mir das Man. gelegentlich zurückzuschicken; ich will es dann im Zusammenhang des größeren Themas: ‚Lessing u. Calderon‘ später einmal umzuarbeiten trachten. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen mit nichts passenderem dienen konnte; mir thut nur leid, daß ich den Januar damit verschustert habe.
Wegen Hölderlin habe ich nach Lemberg geschrieben, leider aber keine Antwort bekommen; ich kenne die Gedichte nicht. – Kelle scheint Ihnen etwas aus seinem Man. über die Lit.gesch. des 14/15 Jh. schicken zu wollen, das angeblich fertig da liegt. Hier macht Au[fs]ehen, daß Brandl nach Göttingen kommt; ich bin froh, daß ich ihn los bin. Wir haben uns sehr schlecht vertragen. Vielleicht interessirt es Sie zu hören, daß ich eine Unmasse Briefe von Voss & Boie an Goeckingk jetzt in Händen habe. Manches interessante.
Wie geht es Ihrer Frau? Grüßen Sie sie mir aufs beste und laßen Sie bald wieder etwas von sich hören. Sie sind mir in jeder Stimmung gleich herzlich willkommen.
Treulich Ihr AS.

Briefdaten

Schreibort:
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-113
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8409. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8409/methods/sdef:TEI/get

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