Graz 27 I 88

Lfr. Dank für alles.
Ob ich den Bürgerbrief ganz drucken soll? bezw. darf? Beckers Taschenbuch ist doch nicht so selten? oder? Mir wäre lieber, Sie entschlössen sich, nur zu sagen was Sie sagen: der brief sei ein neuer beweis für Bürgers rücksichtslose redaktion; er handle von gedd. u. zwar etwa den u. den usf. Dann die stelle von der Werthertracht u. bruchaufschneiden wörtlich u. Ihre notiz über Goethes Tr. d. Empfinds. u. Bürger Sachskenntnis daran. Wärs Ihnen so recht? Ich denke Sie misverstehen mich nicht: die herren mitwirkenden haben eigens darauf gedrängt, dass wenig ‚neugedruckt‘ werde.
Dann: glauben Sie dass Bürger unmöglich bruch geschrieben haben kann? Ein herausgeber verläse leichter Bauch aus Bruch meine ich als umgekehrt. Und Bruchoperationen sind doch auch möglich; dazu ist Bruch mehr etwas krankhaftes als bauch; und das ‚verheimlichte‘ passt auch besser auf bruch als auf bauch. Ich glaube, zur konjektur sind Sie durch Goethe u. H Sachs verführt worden, deren zusammenhang mit Bürger durch Bruch etwas weiter wird aber doch noch besteht.
Ihre LessingFaustquellen hab ich noch nicht so gründlich durchgegangen als nötig ist: denn fürs flüchtige überlesen, zu dem ich heute allein zeit fand, ist der artikel zu fein. Dazu ist mir der ungeheuerliche Calderon noch immer ein unverdauter genuss und also kein genuss, so oft ich ihn aufs neue zu geniessen versuchte. Und – ich hab jetzt keine stimmung.
So wenig, dass ich Ihren Grillparzer noch nicht las. Zerstückelt mag ich ihn nicht lesen, ganz kann ichs nicht. Wenn Sie einmal eine stunde haben, wo Sie mit Ihrer lage unzufrieden sind, dann klopfen Sie an Ihre brust und sagen: Gott, ich danke Dir dass ich nicht bin ein Goetheredaktor und Sie haben mehr recht dazu als der Pharisäer. Denn diese plackerei ist unerhört. Eine korrespondenz mit Burdach dem herausgeber des Divan, die mich zwar – fast wider erwarten in ihm einen ‚menschen‘ finden liess und sich also lohnt, aber doch eine beschwerliche: sie zählt nicht nach seiten sondern nach bogen. Und das alles um lesarten, kommata, apostrophe u. äussere einrichtung, zwischenstriche usf. Dazu korrekturbogen u. wenn ich auch nur redaktor bin, so muss ich doch bei dem wechsel der generalkorrektur genau zusehen. Dann liegt das ganze ms. zu den Noten u. Abhandlungen zum Divan da nebst krit. apparat, der herausgeber prof. sanctissimae theologiae meint es wäre manches zu ändern und gibt mir völlig freie hand. Ich muss dafür einen höflichen knix machen und tun was er hätte tun sollen und nicht tat oder nicht konnte. Und – er hat den lohn privatim u. öffentlich.
Ferner zeitschriftenkorrespondenz: wollen Sie das? wollen Sie jenes? Ja, nein, ja, nein und immer soll man höfliche sein. – Eine abhandlung wird jetzt gesetzt zur satzprobe. Ich hab zwar die typen schon längst gewählt, will aber doch sehen, wie sich unser zeug drin ausnimmt. Von den einsendern sind Sie zwar kein pünktlicher – so weit geht meine höflichkeitslügerei nicht, dass ich Sie auch Ihnen gegenüber übe – aber nicht der unpünkt- lichste. Der ‚mitwirkende‘ BS. vertröstet mich immer noch und wenn wir besser zusammenständen, hätt ich ihm schon lang gesagt: bitte bemühen Sie sich nicht. So stellte ich ihm ein ultimatum, das in diesen tagen abläuft.
Ich hoffe Ihre arbeiten unterzubringen, aber noch weiss ich nicht genau wie viel ms. der satz frisst. Seien Sie geduldig mit dem anfangsredacteur! bitte bitte! Ich darf ja im anfang den normalumfang der hefte nicht überschreiten, damit Sie billig sein können und also abonniert wird. Das ist nicht verlegerinteresse allein, sondern auch unseres: ohne abonnnenten ! können wir die VJS nicht halten.
Gehetzt – müde – ärgerlich nicht für mich arbeiten zu können (Sie seliger mann der unabhängigkeit!) – klammere ich mich erst recht an meine freunde an. Nehmen Sie den schutzflehenden milde auf!
Ihr
BSfft

28 I guten morgen!

Graz 27 I 88

Lfr. Dank für alles.
Ob ich den Bürgerbrief ganz drucken soll? bezw. darf? Beckers Taschenbuch ist doch nicht so selten? oder? Mir wäre lieber, Sie entschlössen sich, nur zu sagen was Sie sagen: der brief sei ein neuer beweis für Bürgers rücksichtslose redaktion; er handle von gedd. u. zwar etwa den u. den usf. Dann die stelle von der Werthertracht u. bruchaufschneiden wörtlich u. Ihre notiz über Goethes Tr. d. Empfinds. u. Bürger Sachskenntnis daran. Wärs Ihnen so recht? Ich denke Sie misverstehen mich nicht: die herren mitwirkenden haben eigens darauf gedrängt, dass wenig ‚neugedruckt‘ werde.
Dann: glauben Sie dass Bürger unmöglich bruch geschrieben haben kann? Ein herausgeber verläse leichter Bauch aus Bruch meine ich als umgekehrt. Und Bruchoperationen sind doch auch möglich; dazu ist Bruch mehr etwas krankhaftes als bauch; und das ‚verheimlichte‘ passt auch besser auf bruch als auf bauch. Ich glaube, zur konjektur sind Sie durch Goethe u. H Sachs verführt worden, deren zusammenhang mit Bürger durch Bruch etwas weiter wird aber doch noch besteht.
Ihre LessingFaustquellen hab ich noch nicht so gründlich durchgegangen als nötig ist: denn fürs flüchtige überlesen, zu dem ich heute allein zeit fand, ist der artikel zu fein. Dazu ist mir der ungeheuerliche Calderon noch immer ein unverdauter genuss und also kein genuss, so oft ich ihn aufs neue zu geniessen versuchte. Und – ich hab jetzt keine stimmung.
So wenig, dass ich Ihren Grillparzer noch nicht las. Zerstückelt mag ich ihn nicht lesen, ganz kann ichs nicht. Wenn Sie einmal eine stunde haben, wo Sie mit Ihrer lage unzufrieden sind, dann klopfen Sie an Ihre brust und sagen: Gott, ich danke Dir dass ich nicht bin ein Goetheredaktor und Sie haben mehr recht dazu als der Pharisäer. Denn diese plackerei ist unerhört. Eine korrespondenz mit Burdach dem herausgeber des Divan, die mich zwar – fast wider erwarten in ihm einen ‚menschen‘ finden liess und sich also lohnt, aber doch eine beschwerliche: sie zählt nicht nach seiten sondern nach bogen. Und das alles um lesarten, kommata, apostrophe u. äussere einrichtung, zwischenstriche usf. Dazu korrekturbogen u. wenn ich auch nur redaktor bin, so muss ich doch bei dem wechsel der generalkorrektur genau zusehen. Dann liegt das ganze ms. zu den Noten u. Abhandlungen zum Divan da nebst krit. apparat, der herausgeber prof. sanctissimae theologiae meint es wäre manches zu ändern und gibt mir völlig freie hand. Ich muss dafür einen höflichen knix machen und tun was er hätte tun sollen und nicht tat oder nicht konnte. Und – er hat den lohn privatim u. öffentlich.
Ferner zeitschriftenkorrespondenz: wollen Sie das? wollen Sie jenes? Ja, nein, ja, nein und immer soll man höfliche sein. – Eine abhandlung wird jetzt gesetzt zur satzprobe. Ich hab zwar die typen schon längst gewählt, will aber doch sehen, wie sich unser zeug drin ausnimmt. Von den einsendern sind Sie zwar kein pünktlicher – so weit geht meine höflichkeitslügerei nicht, dass ich Sie auch Ihnen gegenüber übe – aber nicht der unpünkt- lichste. Der ‚mitwirkende‘ BS. vertröstet mich immer noch und wenn wir besser zusammenständen, hätt ich ihm schon lang gesagt: bitte bemühen Sie sich nicht. So stellte ich ihm ein ultimatum, das in diesen tagen abläuft.
Ich hoffe Ihre arbeiten unterzubringen, aber noch weiss ich nicht genau wie viel ms. der satz frisst. Seien Sie geduldig mit dem anfangsredacteur! bitte bitte! Ich darf ja im anfang den normalumfang der hefte nicht überschreiten, damit Sie billig sein können und also abonniert wird. Das ist nicht verlegerinteresse allein, sondern auch unseres: ohne abonnnenten ! können wir die VJS nicht halten.
Gehetzt – müde – ärgerlich nicht für mich arbeiten zu können (Sie seliger mann der unabhängigkeit!) – klammere ich mich erst recht an meine freunde an. Nehmen Sie den schutzflehenden milde auf!
Ihr
BSfft

28 I guten morgen!

Wenn Sie einmal eine stunde haben, wo Sie mit Ihrer lage unzufrieden sind, dann klopfen Sie an Ihre brust und sagen: Gott, ich danke Dir dass ich nicht bin ein Goetheredaktor und Sie haben mehr recht dazu als der Pharisäer. Denn diese plackerei ist unerhört. […] Und das alles um lesarten, kommata, apostrophe u. äussere einrichtung, zwischenstriche usf. Dazu korrekturbogen u. wenn ich auch nur redaktor bin, so muss ich doch bei dem wechsel der generalkorrektur genau zusehen.

Seuffert klagte jedoch weiterhin über die Arbeit an der Goetheausgabe.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8408. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8408/methods/sdef:TEI/get

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