Faksimile fehlt.

Graz 18 VI.

Lfr.
Fellner kam zu mir mit seinem buche u. sagte, er könne nun in Österreich nicht promoviert werden, er wolle nach Dtschld zu diesem zwecke, habe sich promotionsordnungen eingeholt u. die Tübinger passe ihm am besten. Er denke da event. sogar in absentia promoviert zu werden. Ich habe ihn in diesem vorsatze bestärkt u. habe ihn zur eile gedrängt, weil damals gerade der schönfärbende artikel über seine sache in der Köln. ztg. erschienen war. Ich halte Tübingen, wie ich ihm sagte, auch deswegen für gut gewählt, weil da, besonders wol bei Fischer, der verlag seines werkes durch Cotta gut praeoccupiert. Dass er den grund, warum er nicht hier promoviert, privatim meldet, scheint mir unerlässlich. Denn ist seine verurteilung den herren dort zufällig durch die Köln. oder eine andere ztg. bekannt, oder wird sie ihnen bekannt, so wirkt sein schweigen übel.
Ich glaube nicht, dass man an der sache draussen anstoss nehmen wird. Draussen ist derlei, so viel ich weiss, kein gemeines verbrechen, sondern ein politisches, also nicht ehrraubend. Ich habe auch keine ahnung davon, ob für den dr. draussen sittliche führung vorgeschrieben ist wie hier zu lande. Ich für meine person halte den dr. lediglich für ein wissenschaftliches reifezeugnis u. keineswegs für einen ehrentitel; bin aber damit im entschiednen gegensatze zu Schönbach u. zum österr. strafgesetzbuch, das die entziehung des dr.-titels als strafe kennt. Das ist meines wissens draussen nicht der fall. Kurz ich glaube nicht, dass F. draussen wegen seiner tat zurückgewiesen wird. Übrigens hab ich mit Erich Schm. gesprochen, der sich entschieden weigerte, den mann zu promovieren. Aber der kennt unsere verhältnisse und steht noch in ihrem banne.
Ich bin weit davon entfernt, Fs. auftreten irgendwie zu entschuldigen. Ich finde, es geschieht ihm nur sein recht. Aber ich für meine person sehe nicht, warum diese geschichte ihm am dr-werden hindern soll. U. ich gestehe, dass ich mich dafür mehr interessiere als zuvor. Ich würde, wenn ich Fischer kännte, an ihn schreiben, natürlich auch, dass F. verurteilt sei u. appelliert habe, dass er darum hier zu lande schwer promoviert werden könne (denn ich halte es eigentlich nicht für unmöglich; aber Schönbach will nicht u. andere senatoren auch nicht) oder doch riskiere, dass ihm der titel wieder aberkannt werde; in Dtschld. sei meines wissens ein derartiges reinpolitisches vergehen oder auch verbrechen – über das z. b. die Köln. ztg. nr. X. berichtet habe – ohne einfluss auf die promotion. Ich würde die wissenschaftliche qualifikation des mannes empfehlen (was Sie besser können als ich) u. meine misbilligung seiner politischen stellung nicht verhehlen.
Ich sehe keinen grund, warum Sie nicht so an Fischer schreiben sollten, da Sie ihn kennen. Ihre private einmischung kann F. nur nützen u. Ihnen dächte ich nicht schaden. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass F. als ‚politischer märtyrer der deutschen sache‘ +Köln. ztg.!+ draussen wo unsere zustände unverstanden sind sympathien erwirkt. Ich würde mich nicht berufen fühlen, sie ihm zu zerstören, obwol ich sie nicht teile.
Es ist mir hier gesagt worden, dem gerichtshofe, an den F. appellierte, könne es nur angenehm sein wenn er fliehe. Mit der bahn werde er nicht fortgelassen, aber zu wagen. Beim kaiserjubiläum werde dann die untersuchung niedergeschlagen. Ich weiss nicht ob das richtig ist u. kann nicht dazu reden. Möglich ists: denn man hat ja bei uns auch unter hochdruck studenten relegieren sollen u. dann zu begnadigungsgesuch aneifern müssen. U. ähnl. mehr. Aber eine flucht nach Dtschld. würde ihm auch kaum helfen, denn von dort werden wol auch polit. verbrecher ausgeliefert. U. mich dünkt, er kann er eher auf begnadigung wenn er sie sache ihren weg gehen lässt. Ich schreibe Ihnen auch das vertraulich.
Den Immermann hab ich noch nicht gelesen. Ich komme zu dingen, die mir wichtiger sind u. näher liegen, nicht vor lauter Goethe u. VJS u. DLD u. s. f. F. wünschte, dass ich sein buch in der hiesigen Tagespost lobe. Das lehnte ich ab: ich schrieb noch keine zeile für sie u. werde es nicht tun, so lang sie mich nicht darum bittet. Ich hab überhaupt keine lust in ztgen. zu schreiben u. habe in meinem leben höchsten zweimal recensionen ohne aufforderung einer redaction gemacht. – –
Geblers Minister hab ich dankend erhalten. Ich hab ihn auch aus dem antiquariatskat. bestellt, Sie kamen mir zuvor. Ich darf doch die Geblers ein paar wochen behalten?
Kelle halten Sie warm. Ich hab ganz gern was aus dem 15. jhrh.
Scherers frau würd auch ich von herzen gerne wider sehen. Nur jetzt nicht, wo ich über die poetik noch ganz konsterniert bin.
Leben Sie wol, ich muss korrigieren.
Freundschaftliche treue
Ihr
BSfft.

Hauffen gefiel mir wider sehr. Berl. bekam ihm vortrefflich.
Ich hielte für F. besser je eher er einreicht. So lange er appelliert hat, ist das urteil der 1. instanz nicht rechtskräftig, so lange steht er nur unter anklage. Teilen Sie übrigens Schönbachs ansicht vom doctorate, dann sind Sie meines erachtens ausser stande an Fischer zu schreiben.

Faksimile fehlt.

Graz 18 VI.

Lfr.
Fellner kam zu mir mit seinem buche u. sagte, er könne nun in Österreich nicht promoviert werden, er wolle nach Dtschld zu diesem zwecke, habe sich promotionsordnungen eingeholt u. die Tübinger passe ihm am besten. Er denke da event. sogar in absentia promoviert zu werden. Ich habe ihn in diesem vorsatze bestärkt u. habe ihn zur eile gedrängt, weil damals gerade der schönfärbende artikel über seine sache in der Köln. ztg. erschienen war. Ich halte Tübingen, wie ich ihm sagte, auch deswegen für gut gewählt, weil da, besonders wol bei Fischer, der verlag seines werkes durch Cotta gut praeoccupiert. Dass er den grund, warum er nicht hier promoviert, privatim meldet, scheint mir unerlässlich. Denn ist seine verurteilung den herren dort zufällig durch die Köln. oder eine andere ztg. bekannt, oder wird sie ihnen bekannt, so wirkt sein schweigen übel.
Ich glaube nicht, dass man an der sache draussen anstoss nehmen wird. Draussen ist derlei, so viel ich weiss, kein gemeines verbrechen, sondern ein politisches, also nicht ehrraubend. Ich habe auch keine ahnung davon, ob für den dr. draussen sittliche führung vorgeschrieben ist wie hier zu lande. Ich für meine person halte den dr. lediglich für ein wissenschaftliches reifezeugnis u. keineswegs für einen ehrentitel; bin aber damit im entschiednen gegensatze zu Schönbach u. zum österr. strafgesetzbuch, das die entziehung des dr.-titels als strafe kennt. Das ist meines wissens draussen nicht der fall. Kurz ich glaube nicht, dass F. draussen wegen seiner tat zurückgewiesen wird. Übrigens hab ich mit Erich Schm. gesprochen, der sich entschieden weigerte, den mann zu promovieren. Aber der kennt unsere verhältnisse und steht noch in ihrem banne.
Ich bin weit davon entfernt, Fs. auftreten irgendwie zu entschuldigen. Ich finde, es geschieht ihm nur sein recht. Aber ich für meine person sehe nicht, warum diese geschichte ihm am dr-werden hindern soll. U. ich gestehe, dass ich mich dafür mehr interessiere als zuvor. Ich würde, wenn ich Fischer kännte, an ihn schreiben, natürlich auch, dass F. verurteilt sei u. appelliert habe, dass er darum hier zu lande schwer promoviert werden könne (denn ich halte es eigentlich nicht für unmöglich; aber Schönbach will nicht u. andere senatoren auch nicht) oder doch riskiere, dass ihm der titel wieder aberkannt werde; in Dtschld. sei meines wissens ein derartiges reinpolitisches vergehen oder auch verbrechen – über das z. b. die Köln. ztg. nr. X. berichtet habe – ohne einfluss auf die promotion. Ich würde die wissenschaftliche qualifikation des mannes empfehlen (was Sie besser können als ich) u. meine misbilligung seiner politischen stellung nicht verhehlen.
Ich sehe keinen grund, warum Sie nicht so an Fischer schreiben sollten, da Sie ihn kennen. Ihre private einmischung kann F. nur nützen u. Ihnen dächte ich nicht schaden. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass F. als ‚politischer märtyrer der deutschen sache‘ +Köln. ztg.!+ draussen wo unsere zustände unverstanden sind sympathien erwirkt. Ich würde mich nicht berufen fühlen, sie ihm zu zerstören, obwol ich sie nicht teile.
Es ist mir hier gesagt worden, dem gerichtshofe, an den F. appellierte, könne es nur angenehm sein wenn er fliehe. Mit der bahn werde er nicht fortgelassen, aber zu wagen. Beim kaiserjubiläum werde dann die untersuchung niedergeschlagen. Ich weiss nicht ob das richtig ist u. kann nicht dazu reden. Möglich ists: denn man hat ja bei uns auch unter hochdruck studenten relegieren sollen u. dann zu begnadigungsgesuch aneifern müssen. U. ähnl. mehr. Aber eine flucht nach Dtschld. würde ihm auch kaum helfen, denn von dort werden wol auch polit. verbrecher ausgeliefert. U. mich dünkt, er kann er eher auf begnadigung wenn er sie sache ihren weg gehen lässt. Ich schreibe Ihnen auch das vertraulich.
Den Immermann hab ich noch nicht gelesen. Ich komme zu dingen, die mir wichtiger sind u. näher liegen, nicht vor lauter Goethe u. VJS u. DLD u. s. f. F. wünschte, dass ich sein buch in der hiesigen Tagespost lobe. Das lehnte ich ab: ich schrieb noch keine zeile für sie u. werde es nicht tun, so lang sie mich nicht darum bittet. Ich hab überhaupt keine lust in ztgen. zu schreiben u. habe in meinem leben höchsten zweimal recensionen ohne aufforderung einer redaction gemacht. – –
Geblers Minister hab ich dankend erhalten. Ich hab ihn auch aus dem antiquariatskat. bestellt, Sie kamen mir zuvor. Ich darf doch die Geblers ein paar wochen behalten?
Kelle halten Sie warm. Ich hab ganz gern was aus dem 15. jhrh.
Scherers frau würd auch ich von herzen gerne wider sehen. Nur jetzt nicht, wo ich über die poetik noch ganz konsterniert bin.
Leben Sie wol, ich muss korrigieren.
Freundschaftliche treue
Ihr
BSfft.

Hauffen gefiel mir wider sehr. Berl. bekam ihm vortrefflich.
Ich hielte für F. besser je eher er einreicht. So lange er appelliert hat, ist das urteil der 1. instanz nicht rechtskräftig, so lange steht er nur unter anklage. Teilen Sie übrigens Schönbachs ansicht vom doctorate, dann sind Sie meines erachtens ausser stande an Fischer zu schreiben.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8432. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8432/methods/sdef:TEI/get

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