Prag, Weinberge
Hawlitschekgasse 62
16.7.88.
Obgleich mir lieber Freund in keiner Weise so zu Muthe ist als ob das Semester schon zu Ende wäre, so muß ich aber doch [bei] meinen Freunden die richtige Ferien- und Reisestimmung voraussetzen.
Ich habe Ihnen also zunächst für den ausführlichen Brief zu danken, den Sie mir in der Fellnerschen Angelegenheit geschrieben haben und auch für jene Zeilen, die Sie nach Tübingen selbst richteten. Über den vorläufigen Stand der Angelegenheit sind Sie durch Strauchs Antwort unterrichtet; ich bin zunächst froh, daß man mir meine [Fü]rsprache nicht übel genommen hat. Ich habe bei dieser Gelegenheit die Erwägung angestellt, wie wenig Glück ich bisher mit meinen Schülern hatte – wenn ich überhaupt von solchen reden darf. Wie ist mir der Hölderlin-Petzold so ganz verunglückt. Seit Jahr und Tag höre ich nichts von ihm; auf meine letzte Anfrage nicht einmal eine Antwort. Wenn ich nur an Hauffen mehr Freude erlebe.
Ich stecke ganz im Götz und kann Ihnen sagen: eine höllischere Arbeit hab ich bisher nie gemacht. So abstumpfend, öde, unergie[bi]g. Dabei die bange Furcht, wie ungleich die Ausgabe im ganzen wird. Herr von Loeper soll einmal von dem subjectiven Charakter der Lesarten gesprochen haben; es wäre uns allen viel mehr gedient, wenn es eine Lesarten Maschine gäbe; dann diese fast gleichlautenden Drucke!! Wer bürgt einem, daß man nicht doch eine Kleinigkeit übersehen habe. Und um Ihnen mein Herz ganz auszuschütten. Band 1 und 14 sind recht schlecht; Band 1 freilich um vieles schlech[ter] als Band 14, doch auch in letzterem Abweichungen des Textes von d. Lesarten die nur Fehler sein können. Bei Herrn v. Loeper ist aber kaum ein Gedicht ohne Fehler. Die Handschriften wie die der ersten Epistel lassen sich aus den Lesarten unmöglich restituiren! Man kann nichts anderes thun, als diesen Band einstampfen u. eine neue Auflage machen. Ich kann mir Ihre verzweifelte Lage als Generalcorrector jetzt erst in vollem Umfange vorstellen! Ich bin begierig wo ich mit meinem Herrn Redactor a[n]komme; bis jetzt macht er mir d. Eindruck: wasch mir den Pelz u. mach mich nicht naß.
Für meine äußere und innere Unruhe während der letzten Monate hat meine Ordinariatsangelegenheit reichlich genug gesorgt. Es hat sich zwar alles hinter den Culissen abgespielt u. das Resultat war ein einstimmiger Beschluß ohne jede Commissionswahl, aber die einzelnen Stadien waren weniger erquicklich. Zunächst habe ich ja a[u]ch von dem Vorschlage wol kaum einen Nutzen; ja ich habe die Überzeugung, daß es ohne Urgirung nicht zu erreichen sein wird und das erst in einiger Zeit: immerhin ist wenigstens meine Stellung der Facultät gegenüber eine gesicherte. Wie leicht liest es sich in einer Biographie: ‚1883 zum außerordentl; 1893 zum ord. Prof. ernannt‘!!
Ich bleibe bis auf weiteres hier, hoffe Anf. Aug. mein Man. nach Weimar zu senden; gehe dann, wenn wie es scheint ich von der Waf[fen]übung verschont bleibe, vielleicht in den Böhmerwald u. bin spätestens am 1. Spt. in Wien, wo Sie mich falls Sie dahin kämen in Zeit bis zum 4/5 Oct täglich in der Stadtbibliothek (Neues Rathaus) erfragen können. (Ich weiß noch nicht, wo ich wohnen werde). Weiter nach Süden komme ich heuer kaum.
Bleiben Sie in Steiermark oder reisen Sie in die Heimat? Was macht Frau und Kind? Es wünscht Ihnen recht glückliche Ferien [u]nd Freiheit von allen lästigen Geschäften nebst herzlichen Grüßen
Ihr
aufrichtig Ergebener
ASauer.
Prag, Weinberge
Hawlitschekgasse 62
16.7.88.
Obgleich mir lieber Freund in keiner Weise so zu Muthe ist als ob das Semester schon zu Ende wäre, so muß ich aber doch [bei] meinen Freunden die richtige Ferien- und Reisestimmung voraussetzen.
Ich habe Ihnen also zunächst für den ausführlichen Brief zu danken, den Sie mir in der Fellnerschen Angelegenheit geschrieben haben und auch für jene Zeilen, die Sie nach Tübingen selbst richteten. Über den vorläufigen Stand der Angelegenheit sind Sie durch Strauchs Antwort unterrichtet; ich bin zunächst froh, daß man mir meine [Fü]rsprache nicht übel genommen hat. Ich habe bei dieser Gelegenheit die Erwägung angestellt, wie wenig Glück ich bisher mit meinen Schülern hatte – wenn ich überhaupt von solchen reden darf. Wie ist mir der Hölderlin-Petzold so ganz verunglückt. Seit Jahr und Tag höre ich nichts von ihm; auf meine letzte Anfrage nicht einmal eine Antwort. Wenn ich nur an Hauffen mehr Freude erlebe.
Ich stecke ganz im Götz und kann Ihnen sagen: eine höllischere Arbeit hab ich bisher nie gemacht. So abstumpfend, öde, unergie[bi]g. Dabei die bange Furcht, wie ungleich die Ausgabe im ganzen wird. Herr von Loeper soll einmal von dem subjectiven Charakter der Lesarten gesprochen haben; es wäre uns allen viel mehr gedient, wenn es eine Lesarten Maschine gäbe; dann diese fast gleichlautenden Drucke!! Wer bürgt einem, daß man nicht doch eine Kleinigkeit übersehen habe. Und um Ihnen mein Herz ganz auszuschütten. Band 1 und 14 sind recht schlecht; Band 1 freilich um vieles schlech[ter] als Band 14, doch auch in letzterem Abweichungen des Textes von d. Lesarten die nur Fehler sein können. Bei Herrn v. Loeper ist aber kaum ein Gedicht ohne Fehler. Die Handschriften wie die der ersten Epistel lassen sich aus den Lesarten unmöglich restituiren! Man kann nichts anderes thun, als diesen Band einstampfen u. eine neue Auflage machen. Ich kann mir Ihre verzweifelte Lage als Generalcorrector jetzt erst in vollem Umfange vorstellen! Ich bin begierig wo ich mit meinem Herrn Redactor a[n]komme; bis jetzt macht er mir d. Eindruck: wasch mir den Pelz u. mach mich nicht naß.
Für meine äußere und innere Unruhe während der letzten Monate hat meine Ordinariatsangelegenheit reichlich genug gesorgt. Es hat sich zwar alles hinter den Culissen abgespielt u. das Resultat war ein einstimmiger Beschluß ohne jede Commissionswahl, aber die einzelnen Stadien waren weniger erquicklich. Zunächst habe ich ja a[u]ch von dem Vorschlage wol kaum einen Nutzen; ja ich habe die Überzeugung, daß es ohne Urgirung nicht zu erreichen sein wird und das erst in einiger Zeit: immerhin ist wenigstens meine Stellung der Facultät gegenüber eine gesicherte. Wie leicht liest es sich in einer Biographie: ‚1883 zum außerordentl; 1893 zum ord. Prof. ernannt‘!!
Ich bleibe bis auf weiteres hier, hoffe Anf. Aug. mein Man. nach Weimar zu senden; gehe dann, wenn wie es scheint ich von der Waf[fen]übung verschont bleibe, vielleicht in den Böhmerwald u. bin spätestens am 1. Spt. in Wien, wo Sie mich falls Sie dahin kämen in Zeit bis zum 4/5 Oct täglich in der Stadtbibliothek (Neues Rathaus) erfragen können. (Ich weiß noch nicht, wo ich wohnen werde). Weiter nach Süden komme ich heuer kaum.
Bleiben Sie in Steiermark oder reisen Sie in die Heimat? Was macht Frau und Kind? Es wünscht Ihnen recht glückliche Ferien [u]nd Freiheit von allen lästigen Geschäften nebst herzlichen Grüßen
Ihr
aufrichtig Ergebener
ASauer.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-125
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8434 [Druckausgabe Nr. 85]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8434/methods/sdef:TEI/get
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