Prag 9/7 89.

Lieber Freund! Ihr langer Brief, die lebendige Charakteristik der Weimarer Goetheforscher, die zahl[rei]chen Neuigkeiten, Ihr freundschaftlicher Rath: alles das hätte früher eine Antwort erheischt. Nun kann sie um so länger und herzlicher ausfallen.
Zuerst: Uz. Henningers schrieben auch mir. Allerdings daß sie von einer kurzen verzögerung sprechen, ist sonderbar. Aber sie waren wol selber in einer Zwangslage. Die Hofmannsche Druckerei hat einen guten Ruf. Meine Löwe-Briefe wurden dort höchst präcis gedruckt. Hoffen wir das beste. Ob ich aber die ganzen Ferien hindurch werde Correcturen lesen können, das kann und will ich heute nicht versprechen. Wenn ich eine mehrwöchentliche Pause machen muß, können mir Henninger das nicht übel nehmen. Über die Einlieferung der Fortsetzung gebe ich Ihnen Nachricht bevor ich von Prag weggehe, was in diesem Monat kaum mehr geschieht.
Bürger: Ich hatte mir, als ich an die Arbeit gieng, nicht gedacht, daß die Briefe so viel Bogen geben möchten; ich wollte eben Ihren Wünschen rasch nachkommen und alles übrige hätte mehr Zeit beansprucht. Nun glaube ich Ihnen gerne, daß Ihnen [d]er nächste Jahrgang etwas zu sehr damit belastet wird und ich nehme es Ihnen nicht im mindesten übel, wenn Sie mir das Manuscript zurückschicken. Ihr Rath ist ja oder wäre nicht schlecht. Nur haben Sie dabei nicht gewußt oder nicht daran gedacht, daß ich ohnedies eine Goeckingk-Publication vorbereite, für die ich einen Verleger suche, nemlich den Briefwechsel zwischen Goeckingk und Gleim. In der Einleitung dazu eine [biog]raph.-litterarhist. Skizze auf Grund von Familienpapieren etc. Auf diese Veröffentlichung kommt es dem Wiesbadener Urenkel hauptsächlich an. Ich bin wesentlich Mandatar der Familie dabei. Die Bürger Briefe waren so eine Art Drein- oder Draufgabe, sind aber eigentlich das interessantere. Nun hätte der Besitzer wahrscheinlich gar nichts dagegen, wenn ich auch diese [in] Buchform veröffentlichte. Aber zwei Bücher: Goeckingk und Gleim; Goeckingk und Bürger; das ist etwas viel. Wären die Dinge nicht so incongruent, d. h. läge nicht in dem einen Fall ein lückenloser Briefwechsel und in dem andern blos die Ergänzung zu einer halb schon gedruckten Correspondenz vor: so ließen sie sich in einem Bande vereinigen. Wären die Briefe Goeckingks an Gleim auch im Besitze der Familie [( ]sie liegen im Gleimarchiv in Halberstadt), so ließen sich ganz hübsch zwei Bändchen: „Aus Goeckingks Nachlaß“ arrangiren: 1. Gleim 2. Bürger. Man könnte den Bibra dann sogar als 3. einmal nachfolgen lassen. – Ich schreibe so aus- führlich über die Sache, weil mir der Plan eines Buches, wie Sie ihn skizziren, sehr gefällt und weil ich erwarte, daß Sie mir weiter einen Rath geben. Auf Honorar verzichte ich dabei ganz gerne. Ich h[abe] nie darauf gerechnet in dieser Sache. also ! gelegentlich noch ein Wort darüber. Bitte!
Über den Eichlerischen Aufsatz hätte ich mehr geschrieben, wenn Hauffen meine Vermuthung, der Vf. sei ein Schüler von Ihnen nicht widerlegt hätte. Ich glaubte nemlich Ihre bessernde Hand stark darin zu spüren. Sie haben rasche Erfolge, rascher als ich in Graz und Prag. Lassen Sie sich durch des Meisters eifers[üchti]ge Anwandlungen nicht abschrecken.
Suphan kommt auf der Rückreise von Wien auch nach Prag. Aber hoffentlich nicht in Werbegeschäften. Ich betheilige mich an einer Schillerausgabe gewiß nicht, laße mich überhaupt nicht und nirgends mehr ins Schleppthau nehmen. Seine Weimarer Rede finde ich höchst abgeschmackt. Diese Selbstzufriedenheit – na ich will nicht bitter werden.
Auf diesem feierlichen Blatte – würde Suphan schreiben – will ich Ihnen nun für Ihr Kleist-Aufsätzchen danken. Ich nahm Wielands Werk her und [las] es wieder einmal mit großem Vergnügen durch; aber die Anknüpfungspunkte finde ich etwas geringfügig. Sie bringen aber die Sache so vorsichtig vor und schießen so wenig übers Ziel, daß man Einwendungen gar nicht wagen darf. Schade, daß Sie den Brief Luisens nicht als Ganzes bringen durften; es hätte noch mehr gewirkt.
Haben Sie den Paulschen Grundriß gelesen? Wie kann ein Mensch, der so wenig von Litteraturwiss. versteht, der von den Briefwechseln der class. Periode als von einer schwer zu bewältigenden Masse spricht, wie kann ein solches Individuum die Frechheit haben, über Methode dieser Wissenschaft zu – kohlen. Und dann, will ich auch die Bekämpfung Scherers gelten lassen – die Art und Weise wie er Müllenhoff gegenüber dem großen Leipziger Pan in Schatten stell[t,] ist perfid. Es ist Jammerschade !, daß dieses Werk, das zweifellos einen großen Erfolg haben wird, eine so wüste Parteischrift ist. Fände sich doch jemand, der P. auseinandersetzte, was Philologie und was Litteraturgeschichte ist.
Sie fragen mich – fällt mir ein – um meine Meinung wegen Werners Leisewitz. Aufrichtig gesagt: hätte ich als Leiter der Sammlung dieses Manuscript nicht acceptirt. Und diese Einleitung, und dieser Stil. Liest man sie und seine Aufsätze in d. Gymnasialz., so weiß man wenigstens ganz genau die Ursache, warum die galizischen Gymnasiallehrer nicht deutsch schreiben können.
Verlassen Sie mich nicht während der Uz-Correcturen. Ihre Winke waren mir immer sehr fruchtbar. Mit vielen Grüßen an Ihre Frau herzlichst Ihr aufrichtig Ergeb.
AS.

Beilage:

Reihenfolge des Manuscriptes

Nr 97 Versuch über die Kunst stets fröhlich zu sein.
Nr. 98 Sieg des Liebesgottes
Nr. [9]9 Schreiben über eine Beurtheilung des Sieges des Liebesgottes
Nr 100–106 Briefe.
Nr. 107–117 Anhang. Von hier an Fahnenkorrektur

Prag 9/7 89.

Lieber Freund! Ihr langer Brief, die lebendige Charakteristik der Weimarer Goetheforscher, die zahl[rei]chen Neuigkeiten, Ihr freundschaftlicher Rath: alles das hätte früher eine Antwort erheischt. Nun kann sie um so länger und herzlicher ausfallen.
Zuerst: Uz. Henningers schrieben auch mir. Allerdings daß sie von einer kurzen verzögerung sprechen, ist sonderbar. Aber sie waren wol selber in einer Zwangslage. Die Hofmannsche Druckerei hat einen guten Ruf. Meine Löwe-Briefe wurden dort höchst präcis gedruckt. Hoffen wir das beste. Ob ich aber die ganzen Ferien hindurch werde Correcturen lesen können, das kann und will ich heute nicht versprechen. Wenn ich eine mehrwöchentliche Pause machen muß, können mir Henninger das nicht übel nehmen. Über die Einlieferung der Fortsetzung gebe ich Ihnen Nachricht bevor ich von Prag weggehe, was in diesem Monat kaum mehr geschieht.
Bürger: Ich hatte mir, als ich an die Arbeit gieng, nicht gedacht, daß die Briefe so viel Bogen geben möchten; ich wollte eben Ihren Wünschen rasch nachkommen und alles übrige hätte mehr Zeit beansprucht. Nun glaube ich Ihnen gerne, daß Ihnen [d]er nächste Jahrgang etwas zu sehr damit belastet wird und ich nehme es Ihnen nicht im mindesten übel, wenn Sie mir das Manuscript zurückschicken. Ihr Rath ist ja oder wäre nicht schlecht. Nur haben Sie dabei nicht gewußt oder nicht daran gedacht, daß ich ohnedies eine Goeckingk-Publication vorbereite, für die ich einen Verleger suche, nemlich den Briefwechsel zwischen Goeckingk und Gleim. In der Einleitung dazu eine [biog]raph.-litterarhist. Skizze auf Grund von Familienpapieren etc. Auf diese Veröffentlichung kommt es dem Wiesbadener Urenkel hauptsächlich an. Ich bin wesentlich Mandatar der Familie dabei. Die Bürger Briefe waren so eine Art Drein- oder Draufgabe, sind aber eigentlich das interessantere. Nun hätte der Besitzer wahrscheinlich gar nichts dagegen, wenn ich auch diese [in] Buchform veröffentlichte. Aber zwei Bücher: Goeckingk und Gleim; Goeckingk und Bürger; das ist etwas viel. Wären die Dinge nicht so incongruent, d. h. läge nicht in dem einen Fall ein lückenloser Briefwechsel und in dem andern blos die Ergänzung zu einer halb schon gedruckten Correspondenz vor: so ließen sie sich in einem Bande vereinigen. Wären die Briefe Goeckingks an Gleim auch im Besitze der Familie [( ]sie liegen im Gleimarchiv in Halberstadt), so ließen sich ganz hübsch zwei Bändchen: „Aus Goeckingks Nachlaß“ arrangiren: 1. Gleim 2. Bürger. Man könnte den Bibra dann sogar als 3. einmal nachfolgen lassen. – Ich schreibe so aus- führlich über die Sache, weil mir der Plan eines Buches, wie Sie ihn skizziren, sehr gefällt und weil ich erwarte, daß Sie mir weiter einen Rath geben. Auf Honorar verzichte ich dabei ganz gerne. Ich h[abe] nie darauf gerechnet in dieser Sache. also ! gelegentlich noch ein Wort darüber. Bitte!
Über den Eichlerischen Aufsatz hätte ich mehr geschrieben, wenn Hauffen meine Vermuthung, der Vf. sei ein Schüler von Ihnen nicht widerlegt hätte. Ich glaubte nemlich Ihre bessernde Hand stark darin zu spüren. Sie haben rasche Erfolge, rascher als ich in Graz und Prag. Lassen Sie sich durch des Meisters eifers[üchti]ge Anwandlungen nicht abschrecken.
Suphan kommt auf der Rückreise von Wien auch nach Prag. Aber hoffentlich nicht in Werbegeschäften. Ich betheilige mich an einer Schillerausgabe gewiß nicht, laße mich überhaupt nicht und nirgends mehr ins Schleppthau nehmen. Seine Weimarer Rede finde ich höchst abgeschmackt. Diese Selbstzufriedenheit – na ich will nicht bitter werden.
Auf diesem feierlichen Blatte – würde Suphan schreiben – will ich Ihnen nun für Ihr Kleist-Aufsätzchen danken. Ich nahm Wielands Werk her und [las] es wieder einmal mit großem Vergnügen durch; aber die Anknüpfungspunkte finde ich etwas geringfügig. Sie bringen aber die Sache so vorsichtig vor und schießen so wenig übers Ziel, daß man Einwendungen gar nicht wagen darf. Schade, daß Sie den Brief Luisens nicht als Ganzes bringen durften; es hätte noch mehr gewirkt.
Haben Sie den Paulschen Grundriß gelesen? Wie kann ein Mensch, der so wenig von Litteraturwiss. versteht, der von den Briefwechseln der class. Periode als von einer schwer zu bewältigenden Masse spricht, wie kann ein solches Individuum die Frechheit haben, über Methode dieser Wissenschaft zu – kohlen. Und dann, will ich auch die Bekämpfung Scherers gelten lassen – die Art und Weise wie er Müllenhoff gegenüber dem großen Leipziger Pan in Schatten stell[t,] ist perfid. Es ist Jammerschade !, daß dieses Werk, das zweifellos einen großen Erfolg haben wird, eine so wüste Parteischrift ist. Fände sich doch jemand, der P. auseinandersetzte, was Philologie und was Litteraturgeschichte ist.
Sie fragen mich – fällt mir ein – um meine Meinung wegen Werners Leisewitz. Aufrichtig gesagt: hätte ich als Leiter der Sammlung dieses Manuscript nicht acceptirt. Und diese Einleitung, und dieser Stil. Liest man sie und seine Aufsätze in d. Gymnasialz., so weiß man wenigstens ganz genau die Ursache, warum die galizischen Gymnasiallehrer nicht deutsch schreiben können.
Verlassen Sie mich nicht während der Uz-Correcturen. Ihre Winke waren mir immer sehr fruchtbar. Mit vielen Grüßen an Ihre Frau herzlichst Ihr aufrichtig Ergeb.
AS.

Beilage:

Reihenfolge des Manuscriptes

Nr 97 Versuch über die Kunst stets fröhlich zu sein.
Nr. 98 Sieg des Liebesgottes
Nr. [9]9 Schreiben über eine Beurtheilung des Sieges des Liebesgottes
Nr 100–106 Briefe.
Nr. 107–117 Anhang. Von hier an Fahnenkorrektur

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-158 u. 422/1-159
Umfang: 7 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8494 [Druckausgabe Nr. 94]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8494/methods/sdef:TEI/get

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