Graz Harrachg. 1
23 2 90.
Lieber freund Ich wollte Ihretwegen Ihren brief nicht beantworten, so sehr er mich freute und schnelle erwiderung verdiente: denn ich möchte Sie mit der Uzvorrede nicht drängen, die ohnedies jetzt schlecht in Ihr Grillparzerleben passt, und kann doch als herausgeber der sammlung nicht verhehlen, was der freund gerne verschweigen möchte: dass ich recht ungeduldig darauf warte. Jetzt muss aber das doch heraus gesagt sein, da Sie sonst meinem schweigen gott weiss was für eine unrechte deutung geben könnten.
Ich beneide Sie um all Ihr glück und all Ihren ärger mit Grillparzer. Denn Sie stecken doch mitten drin und auch mir ist es ein axiom, dass nur die darstellung vollen genuss gibt, um den man sich viel verdruss von aussen gefallen lassen kann, da die innere befriedigung alles aufwiegt. Und gerade die hindernisse und reibungen geben mutvollen enthusiasmus, ohne den kein grosses werk gedeiht (das hat glaub ich mir Goethe gesagt). Sei Ihnen das buch zum segen! Ich bewundere Sie, dass Sie neben diesem grossen werke noch sinn für anderes übrig behalten. Meine ganze sehnsucht geht nach einem ruhigen jahr, wo ich frei von allem, besonders von der ewig zerstreuenden und abhaltenden redigiererei, ganz meinem Wieland dienen könnte. Sie haben so recht, sich beurlauben zu lassen. Mich würde ein solcher ! wenig nützen, da mir der hebammendienst doch keinen tag ruhe lässt. Ihr zuruf: frisch an den Wieland! macht mich wehmütig; wie gern wollt ich ihn befolgen, aber .... Freilich will ich und werd ich, wenn mich der tod nicht überrascht, den ganzen Wieland darstellen. Aber gerade weil ich ihn darstellen will, muss ich der vorarbeitenden untersuchungen mich zuvor entledigen. Dass es bei einem manne, der über 60 jahre schriftstellerte, sich stark veränderte obwol er der gleiche blieb, von alten und neuen unendlich viel sich aneignete, führte und sich führen liess, nicht ohne eindringliche einzelvorstudien abgeht (einer starken individualität gegenüber lässt sich an vorarbeiten sparen, bei Wieland muss man immer erst genau das wie der anregung und aneignung prüfen, um darin ihn zu erwischen), das wissen Sie so gut wie ich u. ebenso, dass vorarbeiten nicht existieren. Ich gehe jetzt erst einmal darauf aus, ein vollständig objektives bild von Wieland zu gewinnen, d. h. genau mir zusammenzustellen, was er über sich selbst sagt und vielleicht leg ich dies urkundenbuch öffentlich vor. Keine bibliographie eines grossen autors liegt so im argen wie die Wielandische; die wichtigsten briefe sind zerstreut, abgesehen von den vielen ungedruckten; und die ausgaben!! ja hätte ich einen Lachmann oder Redlich (oder selbst Düntzer u. Loeper) oder Goedeke oder Suphan oder Sauer vor mir! aber so – – Wo ich anpacke, fehlt mir alles. Es ist eine verzweifelte lage. Sie haben doch erst eine Grillparzerausgabe machen dürfen. Schmidt u. Muncker u. Minor hatten geordnetes material, nur Haym hatte es ähnlich schwer wie ich und ihn bewunder ich alle tage mehr.
Minor übrigens hat mir mehr imponiert als Ihnen. Ich find ihn nicht zu breit und seinen stil nicht schlecht, wenn ich mich auch an manchen ausdrücken heftig anstosse. Jedenfalls ist sein Schiller das beste was ich von ihm kenne und viel besser als alles andere, das ich nicht gut fand. Eine starke persönlichkeit spricht auch aus dem Schiller nicht u. ich meinte, wegen Schmidts vorliebe, er müsse eine solche haben. Die biographischen teile gefallen mir viel besser als die litthistor., am wenigsten die Räuberpartie: da find ich die disposition mislungen. Seine naivetät in der behandlung einer lobenden recension ist köstlich u. entspricht dem göttlich frechen, Frdr. Schlegelischen auftreten in der ankündigung des Schiller.
Die Grillparzergesellschaft ist ein leidiges kapitel. Die factischen führer sind nicht vertrauenerweckend. Ich halte mich im hintergrund, bis ich leistungen sah !. Und es bedarf wol nicht eigens der versicherung, dass Sie für Ihren Grillparzer allzeit platz in der VJSchrift finden werden, so viel da ist. Ich nehme Sie beim wort und rechne fürs 1. heft des 4. bandes auf ein grosses Grillparzerianum, das – nach meinem plane – ende dezember 1890 erscheinen soll. Ihr Kleist ist im satz, vielleicht vollendet. Ihre Bürgerfortsetzung kommt im 3. heft, dessen mscpt. auch schon ganz in der druckerei liegt.
Von dem plan einer Zs. f. d. gesch. d d litt. in Österr. sprach mir Weilen, als er weihnachten hier war, freilich so, als ob sichs zuvörderst um Wiener litteratur handeln solle u. darum auch der Wiener gemeinderat eine subvention geben müsse. Das letztere scheint mir das erste nach den üblen erfahrungen der Wiener neudrucke u. Beiträge. Stoff gibts dann genug. Freilich fragt sichs, ob auch mitarbeiter genug. Wissen Sie welche? In den 9 bisherigen heften der VJS hab ich schon etwa 75 mitarbeiter verbraucht – entschuldigen Sie den redactionsbureau ausdruck! – Wie viele gibt es, die in österr. litt. arbeiten wollen und arbeiten können?? Das ist mein sehr ernstes bedenken. Für die sache bleibt meine ganze neigung und meine besten wünsche. –
Bernays hat also seine entlassung, schlicht, erhalten. Die Münchner wollen Muncker, er aber ist gegen ihn. Er soll Burdach wollen. Von anderer seite höre ich Suphan nennen. Auch Hertz soll sich hoffnungen machen. Muncker macht sich breit: er liest im sommer haufenweise, auch altdeutsch. – –
Hier geht es kläglich. Mein kind hat einen wassererguss im gehirn gehabt, war in folge dessen einseitig ganz gelähmt, sprachlos und ohne bewusstsein. Der verstand ist jetzt wider da, die sprache fast wie vorher (es war noch wenig), die lähmung ist besser aber noch lange nicht gut. Von gehen keine rede. Der rechte arm ist noch nicht zu gebrauchen. Die ganze person ist schwach, hat leicht fieber u. macht tag u. nacht sorge u. plage, die mir alle lust und kraft zur arbeit nimmt. Auch meine arme frau kommt dabei sehr herunter und wird täglich nervöser. Es ist ein jammer. Was hab ich nun, wenn das kind zeitlebens etwas lahm bleibt?
In gesellschaft gehen wir in folge dessen gar nicht. Schönbach sehe ich oft u. vertraut, gewiss 2 mal in der woche. Er freut sich meines kindleins über die massen und sucht es gerne auf. Bauer und Gurlitt sprech ich auch; beide sind durch den kräftigen buben und die dicke maid sehr in anspruch genommen, da die frauen ja nicht alles leisten können. Sie freuen sich wenigstens des sichtbarsten gedeihens. Andere treff ich selten; zumal da ich auch facultätssitzungen tunlichst schwänze: mich dünken sie zeitvergeudung. Auch Schönbach besucht sie fast nie. Er arbeitet unaufhörlich, mit liebe u. kraft.
Unsere bibliothek wollte einstürzen, unser kollegienhaus soll gebaut werden. Alles ist halb wie der böhmische ausgleich. Die wahlen im Reich sind schlecht, die kaisererlässe über die arbeiter gefallen mir nicht, vor 100 jahren hätte man sie josephinisch genannt, Bismarck zieht sich zurück, die von unserm Franz Joseph gerühmte ordnung Bulgariens zeitigt die Panitzaverschwörung, Serbien ist russisch und Paris boulangistisch: hols der teufel, die aspekten sind böse. Ich bin schon ganz der pessimistische Österreicher.
Und verabschiede mich mit überzeugungsvoll optimistischen wünschen für Ihren Grillparzer (( ((und Ihren Uz)) )) –
Treulich
BSfft.
Graz Harrachg. 1
23 2 90.
Lieber freund Ich wollte Ihretwegen Ihren brief nicht beantworten, so sehr er mich freute und schnelle erwiderung verdiente: denn ich möchte Sie mit der Uzvorrede nicht drängen, die ohnedies jetzt schlecht in Ihr Grillparzerleben passt, und kann doch als herausgeber der sammlung nicht verhehlen, was der freund gerne verschweigen möchte: dass ich recht ungeduldig darauf warte. Jetzt muss aber das doch heraus gesagt sein, da Sie sonst meinem schweigen gott weiss was für eine unrechte deutung geben könnten.
Ich beneide Sie um all Ihr glück und all Ihren ärger mit Grillparzer. Denn Sie stecken doch mitten drin und auch mir ist es ein axiom, dass nur die darstellung vollen genuss gibt, um den man sich viel verdruss von aussen gefallen lassen kann, da die innere befriedigung alles aufwiegt. Und gerade die hindernisse und reibungen geben mutvollen enthusiasmus, ohne den kein grosses werk gedeiht (das hat glaub ich mir Goethe gesagt). Sei Ihnen das buch zum segen! Ich bewundere Sie, dass Sie neben diesem grossen werke noch sinn für anderes übrig behalten. Meine ganze sehnsucht geht nach einem ruhigen jahr, wo ich frei von allem, besonders von der ewig zerstreuenden und abhaltenden redigiererei, ganz meinem Wieland dienen könnte. Sie haben so recht, sich beurlauben zu lassen. Mich würde ein solcher ! wenig nützen, da mir der hebammendienst doch keinen tag ruhe lässt. Ihr zuruf: frisch an den Wieland! macht mich wehmütig; wie gern wollt ich ihn befolgen, aber .... Freilich will ich und werd ich, wenn mich der tod nicht überrascht, den ganzen Wieland darstellen. Aber gerade weil ich ihn darstellen will, muss ich der vorarbeitenden untersuchungen mich zuvor entledigen. Dass es bei einem manne, der über 60 jahre schriftstellerte, sich stark veränderte obwol er der gleiche blieb, von alten und neuen unendlich viel sich aneignete, führte und sich führen liess, nicht ohne eindringliche einzelvorstudien abgeht (einer starken individualität gegenüber lässt sich an vorarbeiten sparen, bei Wieland muss man immer erst genau das wie der anregung und aneignung prüfen, um darin ihn zu erwischen), das wissen Sie so gut wie ich u. ebenso, dass vorarbeiten nicht existieren. Ich gehe jetzt erst einmal darauf aus, ein vollständig objektives bild von Wieland zu gewinnen, d. h. genau mir zusammenzustellen, was er über sich selbst sagt und vielleicht leg ich dies urkundenbuch öffentlich vor. Keine bibliographie eines grossen autors liegt so im argen wie die Wielandische; die wichtigsten briefe sind zerstreut, abgesehen von den vielen ungedruckten; und die ausgaben!! ja hätte ich einen Lachmann oder Redlich (oder selbst Düntzer u. Loeper) oder Goedeke oder Suphan oder Sauer vor mir! aber so – – Wo ich anpacke, fehlt mir alles. Es ist eine verzweifelte lage. Sie haben doch erst eine Grillparzerausgabe machen dürfen. Schmidt u. Muncker u. Minor hatten geordnetes material, nur Haym hatte es ähnlich schwer wie ich und ihn bewunder ich alle tage mehr.
Minor übrigens hat mir mehr imponiert als Ihnen. Ich find ihn nicht zu breit und seinen stil nicht schlecht, wenn ich mich auch an manchen ausdrücken heftig anstosse. Jedenfalls ist sein Schiller das beste was ich von ihm kenne und viel besser als alles andere, das ich nicht gut fand. Eine starke persönlichkeit spricht auch aus dem Schiller nicht u. ich meinte, wegen Schmidts vorliebe, er müsse eine solche haben. Die biographischen teile gefallen mir viel besser als die litthistor., am wenigsten die Räuberpartie: da find ich die disposition mislungen. Seine naivetät in der behandlung einer lobenden recension ist köstlich u. entspricht dem göttlich frechen, Frdr. Schlegelischen auftreten in der ankündigung des Schiller.
Die Grillparzergesellschaft ist ein leidiges kapitel. Die factischen führer sind nicht vertrauenerweckend. Ich halte mich im hintergrund, bis ich leistungen sah !. Und es bedarf wol nicht eigens der versicherung, dass Sie für Ihren Grillparzer allzeit platz in der VJSchrift finden werden, so viel da ist. Ich nehme Sie beim wort und rechne fürs 1. heft des 4. bandes auf ein grosses Grillparzerianum, das – nach meinem plane – ende dezember 1890 erscheinen soll. Ihr Kleist ist im satz, vielleicht vollendet. Ihre Bürgerfortsetzung kommt im 3. heft, dessen mscpt. auch schon ganz in der druckerei liegt.
Von dem plan einer Zs. f. d. gesch. d d litt. in Österr. sprach mir Weilen, als er weihnachten hier war, freilich so, als ob sichs zuvörderst um Wiener litteratur handeln solle u. darum auch der Wiener gemeinderat eine subvention geben müsse. Das letztere scheint mir das erste nach den üblen erfahrungen der Wiener neudrucke u. Beiträge. Stoff gibts dann genug. Freilich fragt sichs, ob auch mitarbeiter genug. Wissen Sie welche? In den 9 bisherigen heften der VJS hab ich schon etwa 75 mitarbeiter verbraucht – entschuldigen Sie den redactionsbureau ausdruck! – Wie viele gibt es, die in österr. litt. arbeiten wollen und arbeiten können?? Das ist mein sehr ernstes bedenken. Für die sache bleibt meine ganze neigung und meine besten wünsche. –
Bernays hat also seine entlassung, schlicht, erhalten. Die Münchner wollen Muncker, er aber ist gegen ihn. Er soll Burdach wollen. Von anderer seite höre ich Suphan nennen. Auch Hertz soll sich hoffnungen machen. Muncker macht sich breit: er liest im sommer haufenweise, auch altdeutsch. – –
Hier geht es kläglich. Mein kind hat einen wassererguss im gehirn gehabt, war in folge dessen einseitig ganz gelähmt, sprachlos und ohne bewusstsein. Der verstand ist jetzt wider da, die sprache fast wie vorher (es war noch wenig), die lähmung ist besser aber noch lange nicht gut. Von gehen keine rede. Der rechte arm ist noch nicht zu gebrauchen. Die ganze person ist schwach, hat leicht fieber u. macht tag u. nacht sorge u. plage, die mir alle lust und kraft zur arbeit nimmt. Auch meine arme frau kommt dabei sehr herunter und wird täglich nervöser. Es ist ein jammer. Was hab ich nun, wenn das kind zeitlebens etwas lahm bleibt?
In gesellschaft gehen wir in folge dessen gar nicht. Schönbach sehe ich oft u. vertraut, gewiss 2 mal in der woche. Er freut sich meines kindleins über die massen und sucht es gerne auf. Bauer und Gurlitt sprech ich auch; beide sind durch den kräftigen buben und die dicke maid sehr in anspruch genommen, da die frauen ja nicht alles leisten können. Sie freuen sich wenigstens des sichtbarsten gedeihens. Andere treff ich selten; zumal da ich auch facultätssitzungen tunlichst schwänze: mich dünken sie zeitvergeudung. Auch Schönbach besucht sie fast nie. Er arbeitet unaufhörlich, mit liebe u. kraft.
Unsere bibliothek wollte einstürzen, unser kollegienhaus soll gebaut werden. Alles ist halb wie der böhmische ausgleich. Die wahlen im Reich sind schlecht, die kaisererlässe über die arbeiter gefallen mir nicht, vor 100 jahren hätte man sie josephinisch genannt, Bismarck zieht sich zurück, die von unserm Franz Joseph gerühmte ordnung Bulgariens zeitigt die Panitzaverschwörung, Serbien ist russisch und Paris boulangistisch: hols der teufel, die aspekten sind böse. Ich bin schon ganz der pessimistische Österreicher.
Und verabschiede mich mit überzeugungsvoll optimistischen wünschen für Ihren Grillparzer (( ((und Ihren Uz)) )) –
Treulich
BSfft.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8524 [Druckausgabe Nr. 99]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8524/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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