Prag Smichow 586
14.6.92.

Lieber Freund! Bei der Durchsicht des neuen Heftes Ihrer Zs. sehe ich, daß ich die wichtigsten Artikel Dank Ihrer Güte bereits kenne, ohne daß ich Ihnen ein Wort darüber gesagt hätte. Der Versuch der germanistischen Dame ist etwas breit gerathen, Kaweraus Aufsatz ist mir halb zu populär halb zu bibliographisch; Steig recht lehrreich; solche Gedichte Werners, wie sie Poppenberg abdruckt giebts noch mehrere in Wiener Zs., wie ich denn überhaupt sehe, daß ich vieles liegen habe was bequem verwertet werden könnte, besonders wenn Sie die Miscellen enger drucken wie diesmal. Aber vorderhand ist keine Aussicht dazu vorhanden, daß ich Ihnen etwas liefere. Ich habe anderes im Kopf. – Ich bin auch noch wegen des Anast. Grün in Ihrer Schuld. Ihr Aufsatz ist mir deshalb sehr sympathisch, weil endlich einmal der verhimmelnde Ton (in den ja auch Schönbach in s. Festrede verfiel, freilich wohl verfallen mußte) von jemand herabgestimmt wird. In der Beurteilung des Dichters stimme ich überein mit Ihnen. Historisch ist Grün aber doch viel wichtiger als Sie durchblicken lassen u. ich werde (wenn mein Buch jemals zu Stande kommt,) manches heranziehen, was sich allerdings erst im größeren Zusammenhange ergiebt. Ich werde Ihren Vortrag seinerzeit gewiß wieder vornehmen; denn auch dies hab ich so ziemlich losgetrennt von meiner Arbeit, gelesen.
Ich lebe in großer Unruhe. Eine lang verzögerte u. dann gezwungen überstürzte Übersiedlung hat mich in starke Unordnung gebracht; auch nehme ich Veranlassung meinen Bücherballast ein wenig zu verringern, um [m]ein Schifflein etwas leichter lenkbar zu machen. Noch bin ich eine Beute der verschiedenen Handwerker und vernachlässige so mein eigenes Handwerk. Es wird wohl vor Herbst nicht besser werden. Wir wollen Anf. September Hochzeit halten (in Krummau), dann ein wenig einen südlichen Ort aufsuchen und vielleicht über Graz u. Wien heimkehren. – Die Theaterausstellung lockt mich wenig; auch der versöhnte Großkophta nicht; wohl aber viele liebe und alte Freunde. –
Schönbach hat mich mit einigen Zeilen erfreut, die mir seine fortschreitende Genesung verbürgen. Er wird Kelles Akademiewahl wieder schwer empfunden haben; aber es kommt ja gewiß auch d Zeit, wo sein Weizen in Wien blühen wird.
Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau und haben Sie besten Dank für Alles Liebe und Gute, besonders für d. nachrichten während Schönbachs Krankheit.
Wären Sie im Herbst in Graz zu treffen?
Herzlichst
Ihr
Treulich Ergeb.
AS.

Prag Smichow 586
14.6.92.

Lieber Freund! Bei der Durchsicht des neuen Heftes Ihrer Zs. sehe ich, daß ich die wichtigsten Artikel Dank Ihrer Güte bereits kenne, ohne daß ich Ihnen ein Wort darüber gesagt hätte. Der Versuch der germanistischen Dame ist etwas breit gerathen, Kaweraus Aufsatz ist mir halb zu populär halb zu bibliographisch; Steig recht lehrreich; solche Gedichte Werners, wie sie Poppenberg abdruckt giebts noch mehrere in Wiener Zs., wie ich denn überhaupt sehe, daß ich vieles liegen habe was bequem verwertet werden könnte, besonders wenn Sie die Miscellen enger drucken wie diesmal. Aber vorderhand ist keine Aussicht dazu vorhanden, daß ich Ihnen etwas liefere. Ich habe anderes im Kopf. – Ich bin auch noch wegen des Anast. Grün in Ihrer Schuld. Ihr Aufsatz ist mir deshalb sehr sympathisch, weil endlich einmal der verhimmelnde Ton (in den ja auch Schönbach in s. Festrede verfiel, freilich wohl verfallen mußte) von jemand herabgestimmt wird. In der Beurteilung des Dichters stimme ich überein mit Ihnen. Historisch ist Grün aber doch viel wichtiger als Sie durchblicken lassen u. ich werde (wenn mein Buch jemals zu Stande kommt,) manches heranziehen, was sich allerdings erst im größeren Zusammenhange ergiebt. Ich werde Ihren Vortrag seinerzeit gewiß wieder vornehmen; denn auch dies hab ich so ziemlich losgetrennt von meiner Arbeit, gelesen.
Ich lebe in großer Unruhe. Eine lang verzögerte u. dann gezwungen überstürzte Übersiedlung hat mich in starke Unordnung gebracht; auch nehme ich Veranlassung meinen Bücherballast ein wenig zu verringern, um [m]ein Schifflein etwas leichter lenkbar zu machen. Noch bin ich eine Beute der verschiedenen Handwerker und vernachlässige so mein eigenes Handwerk. Es wird wohl vor Herbst nicht besser werden. Wir wollen Anf. September Hochzeit halten (in Krummau), dann ein wenig einen südlichen Ort aufsuchen und vielleicht über Graz u. Wien heimkehren. – Die Theaterausstellung lockt mich wenig; auch der versöhnte Großkophta nicht; wohl aber viele liebe und alte Freunde. –
Schönbach hat mich mit einigen Zeilen erfreut, die mir seine fortschreitende Genesung verbürgen. Er wird Kelles Akademiewahl wieder schwer empfunden haben; aber es kommt ja gewiß auch d Zeit, wo sein Weizen in Wien blühen wird.
Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau und haben Sie besten Dank für Alles Liebe und Gute, besonders für d. nachrichten während Schönbachs Krankheit.
Wären Sie im Herbst in Graz zu treffen?
Herzlichst
Ihr
Treulich Ergeb.
AS.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-209
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8594. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8594/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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