Graz 3 IV 94

Lieber freund Hier das Bürgerlein, das sich in reih und glied zur Bürgergarde meldet.
Dazu eine frage, die Sie offen und rücksichtslos beantworten müssen, da ich sie unverbindlich stelle. Sie kennen meinen beitrag zur festschrift für die Weimarer herrschaften: Wielands höfische dichtungen. Vor der drucklegung der gabe war auf HGrimms antrag von Böhlau u. allen Mitarbeitern zugestimmt, ja empfohlen worden, die sachen sollten auch sonst gedruckt werden. Ich hielt das damals nicht für allzu nobel. Inzwischen ging zeit ins land und das beispiel Schmidts (Nord u. süd), HGrimms u. Suphans (Rundschau) verführte mich, auch meinen beitrag zu veröffentlichen (denn er war ja in der festschrift nicht öffentlich geworden, ist nur in etwa 25 exemplaren verbreitet) und, wie ich gestehe, zu verwerten. Ich hatte das bedürfnis manches umzuarbeiten, besonders den anfang, auch den letzten schluss; dann Eschenburgs Herkulio einzuarbeiten und endlich das mitgeteilte neujahrsgedicht zu interpretieren. Diesen stark veränderten u. etwas erweiterten artikel bot ich Rodenberg an, weil er andere beiträge gebracht hatte, weil mir der artikel mehr für laien als für fachleute geschrieben schien. Er lehnt ihn als zu „zu litterarhistorisch“ ab. Dass er nicht leicht ist, wusste ich zuvor. Dass er so streng litterarhistorisch sei, meinte ich nicht. Ist er das aber auch nach Ihrer meinung, stört es Sie nicht, dass er (teilweise anders) schon gedruckt ist, scheint er Ihnen überhaupt nicht zu schelcht, so frage ich, ob Sie ihn in den allgemeineren teil des Euphorion wollen. Schönbach hatte den einfall, ehe ich ihm verraten hatte, dass auch ich daran dächte. Das soll aber keinen druck auf Sie üben. Beileibe nicht, dass Sie es nur mir zu gefallen tun. Sie sollen es gerne tun und die aufnahme für Ihre zs. für passend und gut halten, oder Sie sollen es nicht tun. Ich werde einen ablehnenden bescheid ohne alle empflindlichkeit annehmen.
Dass Schmidt die bairische orthographie misfällt, macht nichts; sie ist der Putkammerschen sehr ähnlich und für alle welt wäre es bequemer, wenn die schulorthographie gemeingut wäre. Mir ist nicht lächerlicher als in orthographie reactionär und individualistisch zu sein: alle orthographie ist conventionell. U. dass wir germanisten ixerlei schreiben, ist ein zopf, der mir auch hinabhängt.
Und das andere was Sie berühren auf Ihrer karte: ich bitte Sie, kümmern Sie sich nicht um urteile übers 1. heft. Erst die über den 1. bd. sind beachtens- wert. Wenn ich Ihnen mein urteil über jedes meiner hefte geschrieben hätte, so hätten Sie viermal im jahr gehört, dass keines meinen ansprüchen genügte. Jeder ehrliche leser hätte mir ebenso geschrieben. Und nun gar, was ich etwa über Ihre anders eingerichtete zs. urteilen werden! ich stecke denn doch in meiner haut; und wenn ich auch als ehrlicher u. aufrichtiger berater sie abzulegen suchte, und es vielleicht deswegen vermochte, weil ich ausser der sache die opportunität gelten liess, das was die existenz der zs. sichern soll beachtete; so werde ich als kritiker diesen gleichen doppelten masstab nicht anlegen können, denn meine interessen sind eben solche, die eine zs. ungangbar machen und kritisieren kann ich doch wol nur nach meinen interessen. Übrigens bin ich überzeugt, dass auch diese in einem teile befriedigung finden, und mehr tut für keinen redacteur not, als dass er jedesmal mit einem teile seine leser befriedigt.
Treulich grüsst
Ihr
BSeuffert

Graz 3 IV 94

Lieber freund Hier das Bürgerlein, das sich in reih und glied zur Bürgergarde meldet.
Dazu eine frage, die Sie offen und rücksichtslos beantworten müssen, da ich sie unverbindlich stelle. Sie kennen meinen beitrag zur festschrift für die Weimarer herrschaften: Wielands höfische dichtungen. Vor der drucklegung der gabe war auf HGrimms antrag von Böhlau u. allen Mitarbeitern zugestimmt, ja empfohlen worden, die sachen sollten auch sonst gedruckt werden. Ich hielt das damals nicht für allzu nobel. Inzwischen ging zeit ins land und das beispiel Schmidts (Nord u. süd), HGrimms u. Suphans (Rundschau) verführte mich, auch meinen beitrag zu veröffentlichen (denn er war ja in der festschrift nicht öffentlich geworden, ist nur in etwa 25 exemplaren verbreitet) und, wie ich gestehe, zu verwerten. Ich hatte das bedürfnis manches umzuarbeiten, besonders den anfang, auch den letzten schluss; dann Eschenburgs Herkulio einzuarbeiten und endlich das mitgeteilte neujahrsgedicht zu interpretieren. Diesen stark veränderten u. etwas erweiterten artikel bot ich Rodenberg an, weil er andere beiträge gebracht hatte, weil mir der artikel mehr für laien als für fachleute geschrieben schien. Er lehnt ihn als zu „zu litterarhistorisch“ ab. Dass er nicht leicht ist, wusste ich zuvor. Dass er so streng litterarhistorisch sei, meinte ich nicht. Ist er das aber auch nach Ihrer meinung, stört es Sie nicht, dass er (teilweise anders) schon gedruckt ist, scheint er Ihnen überhaupt nicht zu schelcht, so frage ich, ob Sie ihn in den allgemeineren teil des Euphorion wollen. Schönbach hatte den einfall, ehe ich ihm verraten hatte, dass auch ich daran dächte. Das soll aber keinen druck auf Sie üben. Beileibe nicht, dass Sie es nur mir zu gefallen tun. Sie sollen es gerne tun und die aufnahme für Ihre zs. für passend und gut halten, oder Sie sollen es nicht tun. Ich werde einen ablehnenden bescheid ohne alle empflindlichkeit annehmen.
Dass Schmidt die bairische orthographie misfällt, macht nichts; sie ist der Putkammerschen sehr ähnlich und für alle welt wäre es bequemer, wenn die schulorthographie gemeingut wäre. Mir ist nicht lächerlicher als in orthographie reactionär und individualistisch zu sein: alle orthographie ist conventionell. U. dass wir germanisten ixerlei schreiben, ist ein zopf, der mir auch hinabhängt.
Und das andere was Sie berühren auf Ihrer karte: ich bitte Sie, kümmern Sie sich nicht um urteile übers 1. heft. Erst die über den 1. bd. sind beachtens- wert. Wenn ich Ihnen mein urteil über jedes meiner hefte geschrieben hätte, so hätten Sie viermal im jahr gehört, dass keines meinen ansprüchen genügte. Jeder ehrliche leser hätte mir ebenso geschrieben. Und nun gar, was ich etwa über Ihre anders eingerichtete zs. urteilen werden! ich stecke denn doch in meiner haut; und wenn ich auch als ehrlicher u. aufrichtiger berater sie abzulegen suchte, und es vielleicht deswegen vermochte, weil ich ausser der sache die opportunität gelten liess, das was die existenz der zs. sichern soll beachtete; so werde ich als kritiker diesen gleichen doppelten masstab nicht anlegen können, denn meine interessen sind eben solche, die eine zs. ungangbar machen und kritisieren kann ich doch wol nur nach meinen interessen. Übrigens bin ich überzeugt, dass auch diese in einem teile befriedigung finden, und mehr tut für keinen redacteur not, als dass er jedesmal mit einem teile seine leser befriedigt.
Treulich grüsst
Ihr
BSeuffert

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8686. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8686/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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