Graz 10. V 99
Lieber freund, Ihren brief habe ich Schönbach vorgelegt. Dabei stellte sich heraus, dass er durch Ihre zuschrift an ihn sich nicht zu einer reserve gegen Zwierz. veranlasst gesehen, aber ihm allerdings schweigen auferlegt hat. Wie ich Zw. kenne, wird er es halten. Da weder Sch. noch ich die Margarethen und vom anderen nicht alles haben, musste er darum angegangen werden. Unter diesen umständen hab ich mich auch direkt an ihn gewendet und sende Ihnen seine 18 SA mit der bitte, sie möchten ihm oder mirzurückgeliefert werden, da er selbst sie kein 2. mal besitzt. Er wird nach dem feiertag ein 2. ex. der Margar. aus dem decanat zu entleihen suchen, wo es bei den habilit.akten liegt, u. Ihnen ebenfalls wie das 1. mit der von ihm – da Schönb. ihm geraten hat, nichts beizufügen – unausgesprochenen aber durch mich hiemit ausgesprochenen bitte um zurücksendung zustellen.
Es versteht sich von selbst, dass ich ihm keinerlei weitere aufklärung gab und in ihm keine hoffnung erweckte – soweit solche nicht eben durch die tatsache der erkundigung von selbst wach wird.
Er wird mir bis morgen ein curriculum bringen: ich habe ihn ersucht, die arbeiten die er angegangen hat u. deren fertigstellung er weit vorbereitet hat, darin zu erwähnen. Auch das kann nur er.
Zur persönlichen Charakteristik, die ich in den 2 letzten briefen gab, ist wenig hinzuzufügen. Das eine möchte ich nicht verhehlt haben: er denkt von Scherer nicht so wie Sie und ich. Schönbach bestätigt, dass er „zweifellos“ deutschgesinnt sei. Dass er einem rufe nach Prag gerne folge leisten würde, habe ich aus Zw. selbst herausgefragt: er würde nicht verzichten, falls es dazu käme. Über Zwierz.s linguistische schulung könnte Pogatscher von Luicks gutes hören.
Schönbach trägt mir auf, Ihnen zweierlei zu schreiben: 1) Detters kontrakt binde ihn nicht an die Freiburger, nur diese an ihn. (Ich dächte also, er dürfte zu gewinnen sein u. wird ja hoffentlich auch für Prag das pflichtgefühl haben, sich nicht auf seine specialität zu beschränken, das er schon für Freiburg besitzen muss. Diesselbe erwartung müsste man ja auch von dem noch specielleren Much hegen.) 2) Nach seiner (Schönbachs) meinung könne Schatz neben Zwierzina „nicht in betracht kommen“, Zw. sei jenem bedeutend überlegen.
Schönbach bestätigt das Ihnen bekannt gewordene (mir bis heute fremde) wort Heinzels über einen vortrag von Kraus in Wien: Heinzel sei danach aufgestanden mit den worten: „diese untersuchung hat mir dr. Zwierz. vor ¾ jahren genau in dem- selben zusammenhang vorgetragen“ und sei gegangen. Wenn ich recht weiss, ist Kraus Zw. auch bei der Lpz. philol. versammlg. in die quer gekommen, in dem er dasselbe oder sehr ähnliches vortrurg, was Zw. hier ½ jahr vorher als habil.-vortrag gehalten u. Kraus bekannt gegeben hat; genau kann ich hiefür nicht einstehen: aber so viel weiss ich, dass auch damals die meinung war, Kr. wolle mit der fixeren bearbeitung u. publication Zw.scher anregungen diesem den rang ablaufen. Ich kann noch beifügen, dass was ich neulich über dies von mir vermutete verhältnis schrieb, aus gesprächen mit Zw. geschlossen wurde: er trug mir eine weile vorher vor, was er auch Kr. erzählt hatte, u. dieser dann rascher ausarbeitete. Immer- hin könnte ja doch die ähnliche anregung in der gleichen schule gewonnen sein. Ich würde das gerne annehmen, wenn ich nicht aus allen mir bekannten arbeiten von Kraus den eindruck mechanischer statistik, die allerdings wenigstens schlüsse zieht (wozu Jellinek nicht kommt, der auch weniger gut gruppiert als Kraus), gewonnen hätte während in Zw.s arbeiten entschieden verstand arbeitet: er sieht die schwierigkeiten, die Kr. gar nicht bemerkt, geht ins feinere, u. schädigt allerdings so äusserlich die geschlossene wirkung seiner untersuchung.
Dies urteil über Kr. stand bei mir fest, ehe ich kenntnis von einer geschichte erhielt, die ich Ihnen nicht mitteilen darf. Aber so viel erlaubte mir der betroffene – es ist nicht Zwierz. – zu sagen: Kr. zeigte dabei eine unglaubliche wissenschaftliche voreiligkeit und anmassung. U. wäre die sache öffentlich, so würde, meine ich, er einen stoss guter arbeiten nötig haben, diese falsche überweisheit vergessen zu machen.
Ein glänzender stilist ist Zw. nicht, das sehen Sie an seinen arbeiten. Er ist auch nicht fingerfertig, eher allzu besonnen u. allzu nachbohrend, um ein reichlicher bücherschreiber zu werden. Aber so viel sehe ich aus den jahren seines hierseins (er war ja schon 2 jahre denke ich vor der habilitation da, weil er in seiner Wiener familie die ungestörtheit des arbeitens nicht erzwingen könne), dass er immer tätig ist und das schwerste vor dem leichteren bevorzugt.
Schönbach wünschte, dass lieber ich über u. mit Zw. spreche, ich glaube, nur, weil er nicht von seinem codex Friburgensis weg wollte!
Also nehmen Sie mir mir vorlieb. Noch eines: seine vorlesungen waren für einen priv. doc. hier gut besucht: jetzt hat er wie ich höre 15 in got. gramm. mit übungen, klagte mir aber, dass die leute weniger einbeissen wollten als bei seiner beliebten einführung ins mhd.
Treulich Ihr
BSeuffert
Gestatten Sie mir noch das eine: ich habe nie eingesehen, warum ein privdocent nicht sofort ordin. werden soll, wenn ers verdient; in Deutschland geschieht das doch auch. Aber in unserer hiesigen facultät herrscht dies vorurteil.
Graz 10. V 99
Lieber freund, Ihren brief habe ich Schönbach vorgelegt. Dabei stellte sich heraus, dass er durch Ihre zuschrift an ihn sich nicht zu einer reserve gegen Zwierz. veranlasst gesehen, aber ihm allerdings schweigen auferlegt hat. Wie ich Zw. kenne, wird er es halten. Da weder Sch. noch ich die Margarethen und vom anderen nicht alles haben, musste er darum angegangen werden. Unter diesen umständen hab ich mich auch direkt an ihn gewendet und sende Ihnen seine 18 SA mit der bitte, sie möchten ihm oder mirzurückgeliefert werden, da er selbst sie kein 2. mal besitzt. Er wird nach dem feiertag ein 2. ex. der Margar. aus dem decanat zu entleihen suchen, wo es bei den habilit.akten liegt, u. Ihnen ebenfalls wie das 1. mit der von ihm – da Schönb. ihm geraten hat, nichts beizufügen – unausgesprochenen aber durch mich hiemit ausgesprochenen bitte um zurücksendung zustellen.
Es versteht sich von selbst, dass ich ihm keinerlei weitere aufklärung gab und in ihm keine hoffnung erweckte – soweit solche nicht eben durch die tatsache der erkundigung von selbst wach wird.
Er wird mir bis morgen ein curriculum bringen: ich habe ihn ersucht, die arbeiten die er angegangen hat u. deren fertigstellung er weit vorbereitet hat, darin zu erwähnen. Auch das kann nur er.
Zur persönlichen Charakteristik, die ich in den 2 letzten briefen gab, ist wenig hinzuzufügen. Das eine möchte ich nicht verhehlt haben: er denkt von Scherer nicht so wie Sie und ich. Schönbach bestätigt, dass er „zweifellos“ deutschgesinnt sei. Dass er einem rufe nach Prag gerne folge leisten würde, habe ich aus Zw. selbst herausgefragt: er würde nicht verzichten, falls es dazu käme. Über Zwierz.s linguistische schulung könnte Pogatscher von Luicks gutes hören.
Schönbach trägt mir auf, Ihnen zweierlei zu schreiben: 1) Detters kontrakt binde ihn nicht an die Freiburger, nur diese an ihn. (Ich dächte also, er dürfte zu gewinnen sein u. wird ja hoffentlich auch für Prag das pflichtgefühl haben, sich nicht auf seine specialität zu beschränken, das er schon für Freiburg besitzen muss. Diesselbe erwartung müsste man ja auch von dem noch specielleren Much hegen.) 2) Nach seiner (Schönbachs) meinung könne Schatz neben Zwierzina „nicht in betracht kommen“, Zw. sei jenem bedeutend überlegen.
Schönbach bestätigt das Ihnen bekannt gewordene (mir bis heute fremde) wort Heinzels über einen vortrag von Kraus in Wien: Heinzel sei danach aufgestanden mit den worten: „diese untersuchung hat mir dr. Zwierz. vor ¾ jahren genau in dem- selben zusammenhang vorgetragen“ und sei gegangen. Wenn ich recht weiss, ist Kraus Zw. auch bei der Lpz. philol. versammlg. in die quer gekommen, in dem er dasselbe oder sehr ähnliches vortrurg, was Zw. hier ½ jahr vorher als habil.-vortrag gehalten u. Kraus bekannt gegeben hat; genau kann ich hiefür nicht einstehen: aber so viel weiss ich, dass auch damals die meinung war, Kr. wolle mit der fixeren bearbeitung u. publication Zw.scher anregungen diesem den rang ablaufen. Ich kann noch beifügen, dass was ich neulich über dies von mir vermutete verhältnis schrieb, aus gesprächen mit Zw. geschlossen wurde: er trug mir eine weile vorher vor, was er auch Kr. erzählt hatte, u. dieser dann rascher ausarbeitete. Immer- hin könnte ja doch die ähnliche anregung in der gleichen schule gewonnen sein. Ich würde das gerne annehmen, wenn ich nicht aus allen mir bekannten arbeiten von Kraus den eindruck mechanischer statistik, die allerdings wenigstens schlüsse zieht (wozu Jellinek nicht kommt, der auch weniger gut gruppiert als Kraus), gewonnen hätte während in Zw.s arbeiten entschieden verstand arbeitet: er sieht die schwierigkeiten, die Kr. gar nicht bemerkt, geht ins feinere, u. schädigt allerdings so äusserlich die geschlossene wirkung seiner untersuchung.
Dies urteil über Kr. stand bei mir fest, ehe ich kenntnis von einer geschichte erhielt, die ich Ihnen nicht mitteilen darf. Aber so viel erlaubte mir der betroffene – es ist nicht Zwierz. – zu sagen: Kr. zeigte dabei eine unglaubliche wissenschaftliche voreiligkeit und anmassung. U. wäre die sache öffentlich, so würde, meine ich, er einen stoss guter arbeiten nötig haben, diese falsche überweisheit vergessen zu machen.
Ein glänzender stilist ist Zw. nicht, das sehen Sie an seinen arbeiten. Er ist auch nicht fingerfertig, eher allzu besonnen u. allzu nachbohrend, um ein reichlicher bücherschreiber zu werden. Aber so viel sehe ich aus den jahren seines hierseins (er war ja schon 2 jahre denke ich vor der habilitation da, weil er in seiner Wiener familie die ungestörtheit des arbeitens nicht erzwingen könne), dass er immer tätig ist und das schwerste vor dem leichteren bevorzugt.
Schönbach wünschte, dass lieber ich über u. mit Zw. spreche, ich glaube, nur, weil er nicht von seinem codex Friburgensis weg wollte!
Also nehmen Sie mir mir vorlieb. Noch eines: seine vorlesungen waren für einen priv. doc. hier gut besucht: jetzt hat er wie ich höre 15 in got. gramm. mit übungen, klagte mir aber, dass die leute weniger einbeissen wollten als bei seiner beliebten einführung ins mhd.
Treulich Ihr
BSeuffert
Gestatten Sie mir noch das eine: ich habe nie eingesehen, warum ein privdocent nicht sofort ordin. werden soll, wenn ers verdient; in Deutschland geschieht das doch auch. Aber in unserer hiesigen facultät herrscht dies vorurteil.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 7 Seite(n)
Rohtranskription, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8920. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8920/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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