Prag 29/12 1899
Smichow 586

Lieber Freund! Am Ende dieses Jahres, [in]dem Sie mich bei meinem Kampf um Kelles Nachfolge so wacker unterstützt haben, möchte ich Ihnen besonders herzlich für diese Ihre Freundschaft danken. Unsre Wahl ist wirklich vorzüglich. Detter lebt sich rasch ein u. bietet uns grade das was uns fehlte, was wir wünschten. Er ist nur Linguist, einseitiger Grammatiker; also die notwendige Ergänzung von uns Litterarhistorikern. Er lebt ganz für seine Wissenschaft, hat gar keine andren Interessen, ist ein vorzüglicher Lehrer u. ein guter College. Ich hoffe vortrefflich mit ihm auszukommen. Die Früchte seines Wirkens werden sich baldigst bemerkbar machen. Aber eines ist mir klar, was ihnen schon längst als wünschenswert erschienen ist. Nemlich da die beiden Fächer einmal so streng getrennt sind, ist es unan[g]enehm für den einen aus dem Fach des andren [z]u prüfen. Detter versteht von meiner Litteraturgeschichte auch nicht ein Körnchen. Das einzige Buch, das er gelesen hat, RMMeyers Goethe, bewundert er übermäßig. Was soll er meine Schüler bei der Lehramtsprüfung prüfen. Und das Umgekehrte gebe ich gleichfalls zu. Wir müssen mit vereinten Kräften eine Revision der Lehramtsprüfung anstreben, wodurch 1. das Fach der Germanistik von der klass. Philologie losgelöst u. selbstständig gemacht [wi]rd, wie es die Geschichte heute ist. 2. Daß bei der Clausur & mündl. Prüfung jeder Candidat aus älterer u. aus neuerer Germanistik geprüft wird, von zwei Examinatoren. Hausarbeit dürfte die eine genügen. Alternierend. Ich weiß, daß Sie etwas Ähnliches schon vor einigen Jahren angestrebt aber nicht erreicht haben. Kelle ist dagegen. Seinen Abgang von dem Vorsitz der Prüfungscomission müßten wir abwarten; dann aber schlage ich eine gemeinsame Eingabe aller germanisti[sche]n Prüfer aller Universitäten oder wenn das nicht erreichbar ist wenigstens eine gleichzeitige Aktion in Graz und Prag vor. Gelingt es mir in absehbarer Zeit nicht, dies zu erreichen, so trete ich aus der Prüfungscomission aus (die Prüfg. aus Unterrichtssprache gebe ich an Hauffen schon jetzt ab, sobald ihn das Min. ernennt). Sagen Sie mir gelegentlich Ihre und Schönbachs Meinung.
Heinzel kann die Übergehung seiner Schoßkinder Kraus und Jellinek nicht verw[in]den. Ich werde jetzt in Wien redlich gehaßt. Aber was braucht mir daran zu liegen. – Heinzel & Minor sind übrigens beide nicht mehr in der Prüfungscomission; es sollen Gymnasiallehrer prüfen, was auch mir ganz recht und für die Stundenten sehr heilsam wäre.
Mit Fromme ziehen sich die Verhandlungen noch immer hin, obwohl an dem neuen Jahrgang schon gedruckt wird. Beim Essen wuchs ihm der Hunger. Er wollte des Geldes immer mehr u. auch s. altes Deficit gedeckt haben. Ich finde aber: bare 1000 fl. sind unter allen Umst[än]den genug u. er hat nachgegeben. Glossy hat sich aufopfernd bemüht. Das ganze ist aber blos ein Arrangement auf 2 Jahre u. in der Zwischenzeit müßte sich die Abonenntenzahl wesentlich erhöhen. Wie ich das erreichen soll, weiß ich nicht. – Ich habe in den letzten 3 Monaten zahlreiche Verdrießlichkeiten gehabt, die sich aber nur auf unser inneres Universitätsleben bezogen u. mit denen ich Sie nicht behelligen will; aber sie haben mir viel Zeit und Stimmun[g] geraubt. Es sind aber hier trostlose Zustände, an denen im letzten Grund die Politik die Schuld trägt. Man stellt es sich in jungen Jahren nicht vor, daß der einzige Wunsch, den man haben wird, der sein wird: ungestört arbeiten zu können. – Bleiben Sie gleichmässig gut gesinnt Ihrem aufrichtig ergebenen AS.

Prag 29/12 1899
Smichow 586

Lieber Freund! Am Ende dieses Jahres, [in]dem Sie mich bei meinem Kampf um Kelles Nachfolge so wacker unterstützt haben, möchte ich Ihnen besonders herzlich für diese Ihre Freundschaft danken. Unsre Wahl ist wirklich vorzüglich. Detter lebt sich rasch ein u. bietet uns grade das was uns fehlte, was wir wünschten. Er ist nur Linguist, einseitiger Grammatiker; also die notwendige Ergänzung von uns Litterarhistorikern. Er lebt ganz für seine Wissenschaft, hat gar keine andren Interessen, ist ein vorzüglicher Lehrer u. ein guter College. Ich hoffe vortrefflich mit ihm auszukommen. Die Früchte seines Wirkens werden sich baldigst bemerkbar machen. Aber eines ist mir klar, was ihnen schon längst als wünschenswert erschienen ist. Nemlich da die beiden Fächer einmal so streng getrennt sind, ist es unan[g]enehm für den einen aus dem Fach des andren [z]u prüfen. Detter versteht von meiner Litteraturgeschichte auch nicht ein Körnchen. Das einzige Buch, das er gelesen hat, RMMeyers Goethe, bewundert er übermäßig. Was soll er meine Schüler bei der Lehramtsprüfung prüfen. Und das Umgekehrte gebe ich gleichfalls zu. Wir müssen mit vereinten Kräften eine Revision der Lehramtsprüfung anstreben, wodurch 1. das Fach der Germanistik von der klass. Philologie losgelöst u. selbstständig gemacht [wi]rd, wie es die Geschichte heute ist. 2. Daß bei der Clausur & mündl. Prüfung jeder Candidat aus älterer u. aus neuerer Germanistik geprüft wird, von zwei Examinatoren. Hausarbeit dürfte die eine genügen. Alternierend. Ich weiß, daß Sie etwas Ähnliches schon vor einigen Jahren angestrebt aber nicht erreicht haben. Kelle ist dagegen. Seinen Abgang von dem Vorsitz der Prüfungscomission müßten wir abwarten; dann aber schlage ich eine gemeinsame Eingabe aller germanisti[sche]n Prüfer aller Universitäten oder wenn das nicht erreichbar ist wenigstens eine gleichzeitige Aktion in Graz und Prag vor. Gelingt es mir in absehbarer Zeit nicht, dies zu erreichen, so trete ich aus der Prüfungscomission aus (die Prüfg. aus Unterrichtssprache gebe ich an Hauffen schon jetzt ab, sobald ihn das Min. ernennt). Sagen Sie mir gelegentlich Ihre und Schönbachs Meinung.
Heinzel kann die Übergehung seiner Schoßkinder Kraus und Jellinek nicht verw[in]den. Ich werde jetzt in Wien redlich gehaßt. Aber was braucht mir daran zu liegen. – Heinzel & Minor sind übrigens beide nicht mehr in der Prüfungscomission; es sollen Gymnasiallehrer prüfen, was auch mir ganz recht und für die Stundenten sehr heilsam wäre.
Mit Fromme ziehen sich die Verhandlungen noch immer hin, obwohl an dem neuen Jahrgang schon gedruckt wird. Beim Essen wuchs ihm der Hunger. Er wollte des Geldes immer mehr u. auch s. altes Deficit gedeckt haben. Ich finde aber: bare 1000 fl. sind unter allen Umst[än]den genug u. er hat nachgegeben. Glossy hat sich aufopfernd bemüht. Das ganze ist aber blos ein Arrangement auf 2 Jahre u. in der Zwischenzeit müßte sich die Abonenntenzahl wesentlich erhöhen. Wie ich das erreichen soll, weiß ich nicht. – Ich habe in den letzten 3 Monaten zahlreiche Verdrießlichkeiten gehabt, die sich aber nur auf unser inneres Universitätsleben bezogen u. mit denen ich Sie nicht behelligen will; aber sie haben mir viel Zeit und Stimmun[g] geraubt. Es sind aber hier trostlose Zustände, an denen im letzten Grund die Politik die Schuld trägt. Man stellt es sich in jungen Jahren nicht vor, daß der einzige Wunsch, den man haben wird, der sein wird: ungestört arbeiten zu können. – Bleiben Sie gleichmässig gut gesinnt Ihrem aufrichtig ergebenen AS.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-384
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8946 [Druckausgabe Nr. 188]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8946/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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