Graz 11. I 00

Lieber freund, Endlich bin ich der mühsamen arbeit herr, die ich nicht als wiederholung meiner Wertherausgabe, sondern als ergänzung und noch mehr als eine vorschule des philologen überhaupt ansehe. Ob sie Ihre aufmerksamkeit gewinnen kann? u. gar Ihren beifall verdient? Jedenfalls sollen Sie zuerst in die lage kommen, über ihre eignung zur drucklegung zu entscheiden. Ich weiss nicht, ob Sie ihr im Euphorion raum gönnen können. Der umfang ist bedenklich, aber in teile zerschlagen lässt sie sich nicht ohne dass das ganze leidet und mit der, auch von andern beklagten ????? schrift möchte ich sie nicht gesetzt sehen. Ich werde mich freuen, wenn Sie ihr einen platz in aussicht stellen können und Ihnen dankbar sein. Ich bitte aber ohne alle persönliche rücksicht zu entscheiden, ich/doch werde eine ablehnung gewiss nicht übel nehmen. Ich gehe dann eben hausieren damit, zuerst in der Zs.f.d.a., dann zu den Neuen Jahrbb. Für die beurteilung meiner ausgabe ist es nicht gleichgültig, ob sie bald darnach erscheint oder wenn jene bereits verrissen ist.
Und nun mit nochmaligem glückauf zum neuen Jahr zur beantwortung Ihres lieben briefes, an die die ich vor fleiss nicht kam. Ich freue mich, dass Detter einschlägt.
Ich begreife auch, dass Sie den jüngeren collegen bei seiner einseitigkeit in der prüfung auf sein fach beschränken wollen: mir ginge es wol eben so, wenn ich statt Schönbachs einen jüngeren zur seite bekäme. Aber: wie die dinge bis jetzt liegen, und ohne personenwettstreit liegen werden, hatte und habe ich kein verlangen nach einer änderung. Schönbach, nicht ich, hat vor jahren mit dem vorstand der commission, Karajan, beantragt, dass ich bei der hauptprüfung die neue litt. examiniere:* das ministerium lehnte es ab, als erschwerung. Und da man inzwischen, wie die neue prüfungsvorschrift zeigt, noch mehr auf erleichterung ausgeht, wird eine solche vernünftige u. den studenten gewiss willkommene teilung heute noch weniger zu erreichen sein. Jedenfalls habe ich Schönbach u. Karajan so oft erklärt, dass ich den finger zu einer änderung nicht rühren werde, (weil ich froh bin nicht noch mehr prüfen zu müssen und weil Schönbach meine leute eher milder behandelt als ich sie behandeln würde) dass ich Ihnen leider keine unterstützung bei Ihren plänen zusagen kann. Schönbach pflegt auch die leute zu fragen, ob sie die hausarbeit aus alter oder neuer litt. wünschen (im letzteren falle pflegt ja eine von mir begutachtete dissert. oder seminarbeit voranzugehen.) Das halte ich für besser als ein schematisches alternieren, was einen cand. recht hart treffen kann. Neu ist mir, dass Heinzel u. Minor nicht prüfen, ich bin sehr begierig, den grund von Ihnen zu erfahren, (Minor soll ja auch einmal die seminardirection niedergelegt u. dann doch wieder übernommen haben?) Mir wäre der gedanke eher fatal, dass gymn.-lehrer meine leute prüfen sollten, das wäre dem fache schädlich und den studenten lästig: denn wie viele halten denn bei den fortschritten der wissenschaft aus? Sie könnten ja schliesslich Hauffen vorschicken, aber wäre Ihnen das lieber als Detter??
Vielleicht können Sie die sache mit einem neuen commissionsvorstand ohne ministerium ordnen. Bauer wenigstens sagte vor jahren, dass es so mit dem prüfer aus alter historie von einigen commissionen geschehen sei: hier war nicht durchzusetzen, dass er bei der prüfung der historiker mitwirkt, wiederholte schriftl. u. mündl. versuche beim minist. scheiterten immer wieder, u. so ist er nach wie vor nur beim philol.-examen, bei den histor. aber brach gelegt. Ein grosser schaden für die ausbildung der jungen leute, die alles auf Krones u. Loserth wenden müssen und auf die Geographie.
Sie sagen die Geschichte sei heute selbständig gemacht: bei uns nicht. Sie ist ja mit der geogr. verheiratet. Und diese geogr., die eigent. geologie + etwas statistik ist, zehrt die stud. ganz auf, so dass gesch., das zweithe hauptfach nominell, tatsächl. nebenfach zu ihr geworden ist. Wenigstens hier.
U. so verstehe ich auch nicht, wie u. warum die german. von der klass. philol. gelöst werden könnte. u. sollte An sich ist mir die verbindung wissenschaftl. recht. Und hier wird vom nebenfach, ja sogar hauptfach class. philolol. doch nur das gedächtnis belastet, gearbeitet wird nur bei uns. Leute nur für german. zu prüfen, geht wegen ihrer verwendbarkeit nicht an. Das schwierige thema liesse sich übrigens mündlich besser erledigen als schriftlich. Es kommt bei der beurteilung zu viel auf die erfahrungen an, die man mit den jeweilig verbundenen kollegen macht; jede neubesetzung verschiebt.
Schönbach denkt im wesentlichen gleich mir. Ich bezweifle, ob er nochmals einen versuch machen will, mich an der hauptprüfung zu beteiligen. Ich kann

[Textverlust]

* ich bin bei ihr nie beteiligt; im nebenfach alternieren Schönbach u. ich, was dadurch gerechtfertigt ist, dass er nhd. grammatik u. stilistik liest.

Graz 11. I 00

Lieber freund, Endlich bin ich der mühsamen arbeit herr, die ich nicht als wiederholung meiner Wertherausgabe, sondern als ergänzung und noch mehr als eine vorschule des philologen überhaupt ansehe. Ob sie Ihre aufmerksamkeit gewinnen kann? u. gar Ihren beifall verdient? Jedenfalls sollen Sie zuerst in die lage kommen, über ihre eignung zur drucklegung zu entscheiden. Ich weiss nicht, ob Sie ihr im Euphorion raum gönnen können. Der umfang ist bedenklich, aber in teile zerschlagen lässt sie sich nicht ohne dass das ganze leidet und mit der, auch von andern beklagten ????? schrift möchte ich sie nicht gesetzt sehen. Ich werde mich freuen, wenn Sie ihr einen platz in aussicht stellen können und Ihnen dankbar sein. Ich bitte aber ohne alle persönliche rücksicht zu entscheiden, ich/doch werde eine ablehnung gewiss nicht übel nehmen. Ich gehe dann eben hausieren damit, zuerst in der Zs.f.d.a., dann zu den Neuen Jahrbb. Für die beurteilung meiner ausgabe ist es nicht gleichgültig, ob sie bald darnach erscheint oder wenn jene bereits verrissen ist.
Und nun mit nochmaligem glückauf zum neuen Jahr zur beantwortung Ihres lieben briefes, an die die ich vor fleiss nicht kam. Ich freue mich, dass Detter einschlägt.
Ich begreife auch, dass Sie den jüngeren collegen bei seiner einseitigkeit in der prüfung auf sein fach beschränken wollen: mir ginge es wol eben so, wenn ich statt Schönbachs einen jüngeren zur seite bekäme. Aber: wie die dinge bis jetzt liegen, und ohne personenwettstreit liegen werden, hatte und habe ich kein verlangen nach einer änderung. Schönbach, nicht ich, hat vor jahren mit dem vorstand der commission, Karajan, beantragt, dass ich bei der hauptprüfung die neue litt. examiniere:* das ministerium lehnte es ab, als erschwerung. Und da man inzwischen, wie die neue prüfungsvorschrift zeigt, noch mehr auf erleichterung ausgeht, wird eine solche vernünftige u. den studenten gewiss willkommene teilung heute noch weniger zu erreichen sein. Jedenfalls habe ich Schönbach u. Karajan so oft erklärt, dass ich den finger zu einer änderung nicht rühren werde, (weil ich froh bin nicht noch mehr prüfen zu müssen und weil Schönbach meine leute eher milder behandelt als ich sie behandeln würde) dass ich Ihnen leider keine unterstützung bei Ihren plänen zusagen kann. Schönbach pflegt auch die leute zu fragen, ob sie die hausarbeit aus alter oder neuer litt. wünschen (im letzteren falle pflegt ja eine von mir begutachtete dissert. oder seminarbeit voranzugehen.) Das halte ich für besser als ein schematisches alternieren, was einen cand. recht hart treffen kann. Neu ist mir, dass Heinzel u. Minor nicht prüfen, ich bin sehr begierig, den grund von Ihnen zu erfahren, (Minor soll ja auch einmal die seminardirection niedergelegt u. dann doch wieder übernommen haben?) Mir wäre der gedanke eher fatal, dass gymn.-lehrer meine leute prüfen sollten, das wäre dem fache schädlich und den studenten lästig: denn wie viele halten denn bei den fortschritten der wissenschaft aus? Sie könnten ja schliesslich Hauffen vorschicken, aber wäre Ihnen das lieber als Detter??
Vielleicht können Sie die sache mit einem neuen commissionsvorstand ohne ministerium ordnen. Bauer wenigstens sagte vor jahren, dass es so mit dem prüfer aus alter historie von einigen commissionen geschehen sei: hier war nicht durchzusetzen, dass er bei der prüfung der historiker mitwirkt, wiederholte schriftl. u. mündl. versuche beim minist. scheiterten immer wieder, u. so ist er nach wie vor nur beim philol.-examen, bei den histor. aber brach gelegt. Ein grosser schaden für die ausbildung der jungen leute, die alles auf Krones u. Loserth wenden müssen und auf die Geographie.
Sie sagen die Geschichte sei heute selbständig gemacht: bei uns nicht. Sie ist ja mit der geogr. verheiratet. Und diese geogr., die eigent. geologie + etwas statistik ist, zehrt die stud. ganz auf, so dass gesch., das zweithe hauptfach nominell, tatsächl. nebenfach zu ihr geworden ist. Wenigstens hier.
U. so verstehe ich auch nicht, wie u. warum die german. von der klass. philol. gelöst werden könnte. u. sollte An sich ist mir die verbindung wissenschaftl. recht. Und hier wird vom nebenfach, ja sogar hauptfach class. philolol. doch nur das gedächtnis belastet, gearbeitet wird nur bei uns. Leute nur für german. zu prüfen, geht wegen ihrer verwendbarkeit nicht an. Das schwierige thema liesse sich übrigens mündlich besser erledigen als schriftlich. Es kommt bei der beurteilung zu viel auf die erfahrungen an, die man mit den jeweilig verbundenen kollegen macht; jede neubesetzung verschiebt.
Schönbach denkt im wesentlichen gleich mir. Ich bezweifle, ob er nochmals einen versuch machen will, mich an der hauptprüfung zu beteiligen. Ich kann

[Textverlust]

* ich bin bei ihr nie beteiligt; im nebenfach alternieren Schönbach u. ich, was dadurch gerechtfertigt ist, dass er nhd. grammatik u. stilistik liest.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8947. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8947/methods/sdef:TEI/get

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