Prag 12/1 1900
Smichow 586.

Lieber Freund! Ich wünschte, daß Sie es [rec]ht fühlten, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, daß Sie mir Ihre Abhandlung zuerst vorgelegt haben; denn daß ich sie jemals wieder aus den Händen gäbe, daran ist nicht zu denken. Ich habe nach einem rein philolog. Aufsatze längst gelechzt; denn die neueren Litterarhistoriker sind ja jetzt meist keine Philologen mehr. Ihr Aufsatz ist sehr lehrreich, dabei doch auch sehr klar und allgemein verständlich geschrieben (nicht im Sinn der Popularität!) und bedeutet eine wesentliche Bereicherung unseres philol. Wissens; daß die Anforderungen an moderne Textausgaben dadurch erhöht wurden, ist zweifellos. Umso mehr freue ich mich darüber, daß ich diese Abhandl. drucken darf, weil ich in dem Heft, dessen Bogen Sie nächster Tage bekommen eine thörichte Auffassung Steigs drucken lassen mußte, die wahrschein[li]ch HGrimms Abneigung gegen die Weimarische Ausgabe ihren Ursprung verdankt. In der Form nicht taktlos und überhaupt nicht verletzend; aber ganz unphilologisch u. unkritisch. – Ihre Abhandl. giebt 42-43 Seiten Corpus, das ist gar nicht so viel; am liebsten stellte ich sie an die Spitze des nächsten Heftes u. Bandes; aber ich fürchte, daß das nicht möglich sein werde, weil ich zu viele Versprechungen zu erfüllen habe; aber a[n] die Spitze von VII, 2 werd ich sie sicher stellen; an die Spitze, um zu betonen, daß es sich um principielle Fragen dabei handelt. Das ist Ihnen doch nicht zu spät? Also nochmals vielen Dank.
Was die Prüfungen betrifft, so geht aus Ihrem Brief hervor, daß die Dinge bei Ihnen ganz anders liegen. Geographie ist bei uns ganz nebensächlich; die philol. Prüfg. aus Nebenfach dagegen fast so schwer wie beim Hauptfach. U[n]sre Germanisten studieren fast nur mehr klass. Philologie. Ich möchte die Änderung hauptsächlich auch deshalb, weil es mir unangenehm ist, Dinge zu prüfen, die ich nicht vortrage, mit denen ich mich auch nur mehr sehr wenig beschäftige u. ich wäre ganz einverstanden damit, mich aufs Nebenfach zurückzuziehen, wenn dies nicht zur farce herabgedrückt wäre. Einstweilen hab ich die Prüfg. aus Unterrichtssprache Hauffen überlassen u. will ihm mit der Zeit noch [m]ehr abtreten. Denn so gern ich lehre, so ungern prüfe ich. Heinzel hat wol aus ähnl. Gründen die Prüfungen aufgegeben. Minor scheint mir deswegen aus der Comm. ausgetreten zu sein, weil Schipper für die Prüfg. aus der Unterrichtssprache Gymnasiallehrer in Vorschlag gebracht hatte. Aber Genaueres weiß ich drüber nicht. Zunächst werde ich gar nichts thun, bis nicht der neue Vorsitzende ernannt ist (Rzach ist in Aussicht genommen wie es heißt) u. wenn ich auswärt[s k]eine Unterstützung finde, so werd ich wol kaum etwas unternehmen. Am besten wärs, wenn sich im internen Wirkungskreis ohne Ministerium die Zweiteilung der mündl. Prüfg. u. etwa der Clausurprüfg. durchsetzen ließe.
Ich habe höchst merkwürdige Briefe [von] Burdach, in denen er sich nachträglich bitter darüber beklagt, in Prag nicht vorgeschlagen word. zu sein. Mündlich würde ich Ihnen gern ihren Inhalt mittheilen.
Nochmals herzlich dankend
Ihr aufrichtig erg. AS

Prag 12/1 1900
Smichow 586.

Lieber Freund! Ich wünschte, daß Sie es [rec]ht fühlten, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, daß Sie mir Ihre Abhandlung zuerst vorgelegt haben; denn daß ich sie jemals wieder aus den Händen gäbe, daran ist nicht zu denken. Ich habe nach einem rein philolog. Aufsatze längst gelechzt; denn die neueren Litterarhistoriker sind ja jetzt meist keine Philologen mehr. Ihr Aufsatz ist sehr lehrreich, dabei doch auch sehr klar und allgemein verständlich geschrieben (nicht im Sinn der Popularität!) und bedeutet eine wesentliche Bereicherung unseres philol. Wissens; daß die Anforderungen an moderne Textausgaben dadurch erhöht wurden, ist zweifellos. Umso mehr freue ich mich darüber, daß ich diese Abhandl. drucken darf, weil ich in dem Heft, dessen Bogen Sie nächster Tage bekommen eine thörichte Auffassung Steigs drucken lassen mußte, die wahrschein[li]ch HGrimms Abneigung gegen die Weimarische Ausgabe ihren Ursprung verdankt. In der Form nicht taktlos und überhaupt nicht verletzend; aber ganz unphilologisch u. unkritisch. – Ihre Abhandl. giebt 42-43 Seiten Corpus, das ist gar nicht so viel; am liebsten stellte ich sie an die Spitze des nächsten Heftes u. Bandes; aber ich fürchte, daß das nicht möglich sein werde, weil ich zu viele Versprechungen zu erfüllen habe; aber a[n] die Spitze von VII, 2 werd ich sie sicher stellen; an die Spitze, um zu betonen, daß es sich um principielle Fragen dabei handelt. Das ist Ihnen doch nicht zu spät? Also nochmals vielen Dank.
Was die Prüfungen betrifft, so geht aus Ihrem Brief hervor, daß die Dinge bei Ihnen ganz anders liegen. Geographie ist bei uns ganz nebensächlich; die philol. Prüfg. aus Nebenfach dagegen fast so schwer wie beim Hauptfach. U[n]sre Germanisten studieren fast nur mehr klass. Philologie. Ich möchte die Änderung hauptsächlich auch deshalb, weil es mir unangenehm ist, Dinge zu prüfen, die ich nicht vortrage, mit denen ich mich auch nur mehr sehr wenig beschäftige u. ich wäre ganz einverstanden damit, mich aufs Nebenfach zurückzuziehen, wenn dies nicht zur farce herabgedrückt wäre. Einstweilen hab ich die Prüfg. aus Unterrichtssprache Hauffen überlassen u. will ihm mit der Zeit noch [m]ehr abtreten. Denn so gern ich lehre, so ungern prüfe ich. Heinzel hat wol aus ähnl. Gründen die Prüfungen aufgegeben. Minor scheint mir deswegen aus der Comm. ausgetreten zu sein, weil Schipper für die Prüfg. aus der Unterrichtssprache Gymnasiallehrer in Vorschlag gebracht hatte. Aber Genaueres weiß ich drüber nicht. Zunächst werde ich gar nichts thun, bis nicht der neue Vorsitzende ernannt ist (Rzach ist in Aussicht genommen wie es heißt) u. wenn ich auswärt[s k]eine Unterstützung finde, so werd ich wol kaum etwas unternehmen. Am besten wärs, wenn sich im internen Wirkungskreis ohne Ministerium die Zweiteilung der mündl. Prüfg. u. etwa der Clausurprüfg. durchsetzen ließe.
Ich habe höchst merkwürdige Briefe [von] Burdach, in denen er sich nachträglich bitter darüber beklagt, in Prag nicht vorgeschlagen word. zu sein. Mündlich würde ich Ihnen gern ihren Inhalt mittheilen.
Nochmals herzlich dankend
Ihr aufrichtig erg. AS

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-385
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8948 [Druckausgabe Nr. 189]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8948/methods/sdef:TEI/get

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