Graz 13 I 900

Lieber freund, Dass Sie so zustimmend, freundschaftlich u. rasch antworten, ist mir eine wirkliche freude und ich danke Ihnen dafür. Darnach hab ich ja die erwünschte hoffnung, dass der artikel noch im laufe des jahres ausgegeben wird.* Und vielleicht gefällt er dann doch noch einem oder dem andern: denn dass die meisten unserer mitarbeiter keine philol. sind u. sein wollen, weiss ich wie Sie und gerade darum wollte ich schreiben, zuerst mit einem bitterbösen anfang, den ich liess um die sache für sich reden zu lassen. Bei den DLD sehen Sies ja auch in der nähe wie ich, dass keiner texte edieren kann, u. redactor der Weim. ausg. zu sein ist für einen menschen wie ich eine strafe: die tüchtigsten leute sind unbe- hilflich wie kinder und wie schwer ists, ihnen beizukommen ohne sie zu verletzen. Ich war übrigens nicht der meinung gegen die grundsätze der Weim. ausg. zu verstossen u. der Wertherredactor ESchmidt hat auch kein silblein davon verlauten lassen. Ich fasste es immer so u. nie anders auf. Es heisst doch im §.11: Die Mitarbeiter haben stets auf Grund der gesammten Überlieferung zu untersuchen, ob die Texte durch Corruptelen gelitten haben. §.10 Änderung des Fehlerhaften bleibt überall vorbehalten. Ihr h. redactor hat Sie also zu seinem glauben gezwungen, (dies ist nicht seine schwerste sünde) aber nicht zu den Grundsätzen der ausgabe; ich bin überzeugt, dass E. Schmidt darüber genau so denkt wie ich u. als die allein überlebenden sind wir zwei die allein authentischen interpreten. Ich bin nur gegen mischun- gen zweier fassungen: so fragte ich mich, ob von den Guten weibern die bessere erste oder die zweite schlechtere u. nahm diese in den text, weil es Goethe so getan. Die lesarten beider zu mischen wie es andere herausgeber taten schien mir unerlaubt.
Zwierzina versteht, dass ich mich in der einleitung gegen die Wiener reimstatistiker wende (Kraus also vielleicht auch), denn jener weiss von mir, wo ich stehe. Doch denke ich sollen die verborgenen spitzen niemand verletzen. Vielen verständlich wollte ich sein u. darum mied ich die siglen: wer hätte sich mit 50 ausgekannt! So wenig als ich Bruiniers Faust verstehen kann.
Sehr schade, dass Sie Ihre Götzbeobachtungen nicht der redaction und allen vorhielten! Es ist neben dem Werther wol das dankbarste stück.
Prüfungbetr. – Gewiss ists am besten, Sie ordnen das mit dem vorstand: wenn er will, geht es. Auch ich mag nicht MA prüfen, am wenigsten linguistische grammatik, weil ich sie nicht kann. Deutsch-nebenfach nehmen wir nicht als farce, u. es geht ohne halsbrechen nicht ab. In einer stunde – u. kürzer prüfen wir nie – kann man einen schon umbringen, der nichts weiss oder nur verständnislos gebüffelt hat.

Burdach ist unglaublich! zu andern redete er damals, als ob es lächerlich sei dass er durch seinen Prager u. österr. aufenthalt für Kelles stelle candidiere. Nun, er wird sich trösten, wenn ihn Althof nach Berlin holt; zunächst wol als überzähligen prof., zur redaction [Burdach als redacteur bei seiner art die menschen zu behandeln!] der altdtschen sprachdenkmäler in der weise der Monum. – falls aus Althofs absicht etwas wird.
Nochmals herzlichen dank für die annahme, Ihre zustimmung u. anerkennung: die kommt mir so selten irgendwoher, dass ich sie beim namen nennen darf, wenn sie einmal einkehrt.
Treulichst
Ihr
BSfft.

Bauers 3. kind, der 5jährige bub, hat schenkelhalsentzündung u. stapft in gips! Hoffentlich wird er nicht wie unser Schönbach, der von jahr zu jahr schwerer geht. Der arzt sagt es sei ein leichter fall; also wird Kurt ja mit geraden knochen davon kommen.

* Ein je eher je lieber unterdrück ich, weil ich sehe, dass Sie mich ohnedies tunlichst bevorzugen. Dank!

Graz 13 I 900

Lieber freund, Dass Sie so zustimmend, freundschaftlich u. rasch antworten, ist mir eine wirkliche freude und ich danke Ihnen dafür. Darnach hab ich ja die erwünschte hoffnung, dass der artikel noch im laufe des jahres ausgegeben wird.* Und vielleicht gefällt er dann doch noch einem oder dem andern: denn dass die meisten unserer mitarbeiter keine philol. sind u. sein wollen, weiss ich wie Sie und gerade darum wollte ich schreiben, zuerst mit einem bitterbösen anfang, den ich liess um die sache für sich reden zu lassen. Bei den DLD sehen Sies ja auch in der nähe wie ich, dass keiner texte edieren kann, u. redactor der Weim. ausg. zu sein ist für einen menschen wie ich eine strafe: die tüchtigsten leute sind unbe- hilflich wie kinder und wie schwer ists, ihnen beizukommen ohne sie zu verletzen. Ich war übrigens nicht der meinung gegen die grundsätze der Weim. ausg. zu verstossen u. der Wertherredactor ESchmidt hat auch kein silblein davon verlauten lassen. Ich fasste es immer so u. nie anders auf. Es heisst doch im §.11: Die Mitarbeiter haben stets auf Grund der gesammten Überlieferung zu untersuchen, ob die Texte durch Corruptelen gelitten haben. §.10 Änderung des Fehlerhaften bleibt überall vorbehalten. Ihr h. redactor hat Sie also zu seinem glauben gezwungen, (dies ist nicht seine schwerste sünde) aber nicht zu den Grundsätzen der ausgabe; ich bin überzeugt, dass E. Schmidt darüber genau so denkt wie ich u. als die allein überlebenden sind wir zwei die allein authentischen interpreten. Ich bin nur gegen mischun- gen zweier fassungen: so fragte ich mich, ob von den Guten weibern die bessere erste oder die zweite schlechtere u. nahm diese in den text, weil es Goethe so getan. Die lesarten beider zu mischen wie es andere herausgeber taten schien mir unerlaubt.
Zwierzina versteht, dass ich mich in der einleitung gegen die Wiener reimstatistiker wende (Kraus also vielleicht auch), denn jener weiss von mir, wo ich stehe. Doch denke ich sollen die verborgenen spitzen niemand verletzen. Vielen verständlich wollte ich sein u. darum mied ich die siglen: wer hätte sich mit 50 ausgekannt! So wenig als ich Bruiniers Faust verstehen kann.
Sehr schade, dass Sie Ihre Götzbeobachtungen nicht der redaction und allen vorhielten! Es ist neben dem Werther wol das dankbarste stück.
Prüfungbetr. – Gewiss ists am besten, Sie ordnen das mit dem vorstand: wenn er will, geht es. Auch ich mag nicht MA prüfen, am wenigsten linguistische grammatik, weil ich sie nicht kann. Deutsch-nebenfach nehmen wir nicht als farce, u. es geht ohne halsbrechen nicht ab. In einer stunde – u. kürzer prüfen wir nie – kann man einen schon umbringen, der nichts weiss oder nur verständnislos gebüffelt hat.

Burdach ist unglaublich! zu andern redete er damals, als ob es lächerlich sei dass er durch seinen Prager u. österr. aufenthalt für Kelles stelle candidiere. Nun, er wird sich trösten, wenn ihn Althof nach Berlin holt; zunächst wol als überzähligen prof., zur redaction [Burdach als redacteur bei seiner art die menschen zu behandeln!] der altdtschen sprachdenkmäler in der weise der Monum. – falls aus Althofs absicht etwas wird.
Nochmals herzlichen dank für die annahme, Ihre zustimmung u. anerkennung: die kommt mir so selten irgendwoher, dass ich sie beim namen nennen darf, wenn sie einmal einkehrt.
Treulichst
Ihr
BSfft.

Bauers 3. kind, der 5jährige bub, hat schenkelhalsentzündung u. stapft in gips! Hoffentlich wird er nicht wie unser Schönbach, der von jahr zu jahr schwerer geht. Der arzt sagt es sei ein leichter fall; also wird Kurt ja mit geraden knochen davon kommen.

* Ein je eher je lieber unterdrück ich, weil ich sehe, dass Sie mich ohnedies tunlichst bevorzugen. Dank!

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8950 [Druckausgabe Nr. 190]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8950/methods/sdef:TEI/get

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