Prag 23/5 00
Smichow 586

L. F. Heut hab ich eine „kritische“ Bitte an Sie. – Meine Säculargedichte sind mächtig angewachsen. Der Band wird sich g[li]edern in 1) Lyrische Gedichte. 2. Dramen. 3. Satyren in Vers und Prosa. 4. Gebete u. Predigten. 5. Weltliche Saec. Betrachtgen. 1 und 2 wird die Hauptsache sein; 4 u. 5 nur Anfang in ein paar Proben. – Da die Sammlung mehr culturhistor. als litterarhist. Wert hat, gehe ich mit den Texten nicht so ängstlich um als sonst in den DLD; so habe ich z.b. die Seiten der Originaldrucke we[g]gelassen. Geiger in seiner ähnl. Samml. [„B]erliner Gedichte“ hat auch die Orthogr. modernisiert. Da dürften Sie mir wol recht geben, wenn ich ihm nicht folge u. die Orthographie der Originale beibehalte obwohl sie sehr buntscheckig u. Jar mit Jahr etc. wechselt. Schwierigkeiten machen mir aber noch immer die Anmerkungen unter dem Text. (D. h. die von den Vf. resp. ersten Herausgeber herrührenden Anmerkungen; denn meine Anmerkg. folgen hinter dem Text am Schluß des Bandes, so wie in dem Sammelban[d] des Allg. Deutschen Sprachvereins mit den Gedichten auf die deutsche Sprache.
Mein ursprüngl. Plan war beim Text der Gedichte alle Anmerkungen der Vf. selbst, ob sie in Form von Einleitungen oder Inhaltsangaben vor dem Gedicht, oder als grössere Ex curse hinter dem Gedicht oder als Fußnoten unter dem Gedicht stehen, an der Ori[gi]nalstelle zu belassen. Dagegen alle redactionellen Bemerkungen erster Drucke etc. in meine Anmerkungen also in den textkritischen Apparat auf- zunehmen. Nun bin ich aber, da mir das Material sehr stark angewachsen ist u. ich leider (oder Gott sei Dank) auf eine bestimmte Bogenzahl beschränkt bin, mit dem Platz im Gedränge u. die Anmerkg. nehmen mir viel Raum weg. Da sind z.b. 2 Satiren [aus] einem Almanach „Diogenes Laterne“, die ich gerne abdruckte. Die Anmerkungen schwellen sie mir auf das Doppelte an. Voran eine lange Inhaltsangabe (ohne neue Gesichtspunkte). Von den Anmerk. sagt der Vf. selbst, daß sie nur für die Einfältigen da seien (er meints wol satirisch; aber es ist wirklich so). Hören Sie einige: „momisch, von dem Gott Momus, (Tadler, Rüger)“.
Hogarth, bekannter Carricatur „Mahler“.
„Pranger nennt man einen Pfahl, woran öffentliche Übeltäter zur Schau ausgestellt zu werden pflegen. Die Namen der Entlaufenen sieht man hier auf Blech eingegraben“ [gebe Erklärung des Vgl. im Text.]
„Hellas, d. h. Griechenland“
„Die Thatsachen für dies alles sind uns doch wohl im frischen Andenken“.
„Hier u. im folg. wird angespielt auf die Stelle in der Bibel: „Die Blinden sehen etc.“
„In den Psalmen wird der Weg des ????? in diesem erhabenen Bilde dargestellt.“
„Siehe die Zeitgeschichte“
u. so. w. – Auch dürften sich im Verfolg der Gedichte zahlreiche Erklärungen zu Franklin, Herschel, Mongolfiere etc. bis zur Unerträglichkeit wiederholen.
Ich habe mir überlegt, ob ich vielleicht alle Anmerkg. aus dem Text weglassen u. in meinen Anhang verweisen könnte, wo sie weniger Raum einnehmen, weil man sie fortlaufend drucken könnte; aber das geht kaum. Denn einige von ihnen gehören nothwendig zum Verständnis des Textes dazu. Andre erklären Namen u. Anspielungen au[f d]ie Zeitgeschichte, die auch der historisch geschulte Leser nicht gleich weiß.
Könnte ich es nun rechtfertigen, wenn ich mit den Anmerkungen ganz frei schalte & walte, weglasse, was mir über- flüssig zu s. scheint u. beibehalte, was ich für nothwendig halte? – Allerdings gehören die Anm. auch zur Signatur des Ganzen. Aber wenn schon ein Gedicht e[tw]as weitschweifig ist [wo ich nicht kürze u. meiner Meinung nach auch nicht kürzen darf, wenn ich überhaupt Texte biete], so scheinen mir weitschweifige Anmerkungen dazu die Geduld des Lesers auf eine zu harte Probe zu stellen u. auf Leser rechne ich doch.
Seien Sie also so liebenswürdig mir Ihre Meinung darüber zu sagen. Natürlich legte ich dann mein Verfahren der Anmerkg. gegenüber in meiner Vorbemerkg. oder sonstwo klar.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
aufrichtig erg.
AS.

Prag 23/5 00
Smichow 586

L. F. Heut hab ich eine „kritische“ Bitte an Sie. – Meine Säculargedichte sind mächtig angewachsen. Der Band wird sich g[li]edern in 1) Lyrische Gedichte. 2. Dramen. 3. Satyren in Vers und Prosa. 4. Gebete u. Predigten. 5. Weltliche Saec. Betrachtgen. 1 und 2 wird die Hauptsache sein; 4 u. 5 nur Anfang in ein paar Proben. – Da die Sammlung mehr culturhistor. als litterarhist. Wert hat, gehe ich mit den Texten nicht so ängstlich um als sonst in den DLD; so habe ich z.b. die Seiten der Originaldrucke we[g]gelassen. Geiger in seiner ähnl. Samml. [„B]erliner Gedichte“ hat auch die Orthogr. modernisiert. Da dürften Sie mir wol recht geben, wenn ich ihm nicht folge u. die Orthographie der Originale beibehalte obwohl sie sehr buntscheckig u. Jar mit Jahr etc. wechselt. Schwierigkeiten machen mir aber noch immer die Anmerkungen unter dem Text. (D. h. die von den Vf. resp. ersten Herausgeber herrührenden Anmerkungen; denn meine Anmerkg. folgen hinter dem Text am Schluß des Bandes, so wie in dem Sammelban[d] des Allg. Deutschen Sprachvereins mit den Gedichten auf die deutsche Sprache.
Mein ursprüngl. Plan war beim Text der Gedichte alle Anmerkungen der Vf. selbst, ob sie in Form von Einleitungen oder Inhaltsangaben vor dem Gedicht, oder als grössere Ex curse hinter dem Gedicht oder als Fußnoten unter dem Gedicht stehen, an der Ori[gi]nalstelle zu belassen. Dagegen alle redactionellen Bemerkungen erster Drucke etc. in meine Anmerkungen also in den textkritischen Apparat auf- zunehmen. Nun bin ich aber, da mir das Material sehr stark angewachsen ist u. ich leider (oder Gott sei Dank) auf eine bestimmte Bogenzahl beschränkt bin, mit dem Platz im Gedränge u. die Anmerkg. nehmen mir viel Raum weg. Da sind z.b. 2 Satiren [aus] einem Almanach „Diogenes Laterne“, die ich gerne abdruckte. Die Anmerkungen schwellen sie mir auf das Doppelte an. Voran eine lange Inhaltsangabe (ohne neue Gesichtspunkte). Von den Anmerk. sagt der Vf. selbst, daß sie nur für die Einfältigen da seien (er meints wol satirisch; aber es ist wirklich so). Hören Sie einige: „momisch, von dem Gott Momus, (Tadler, Rüger)“.
Hogarth, bekannter Carricatur „Mahler“.
„Pranger nennt man einen Pfahl, woran öffentliche Übeltäter zur Schau ausgestellt zu werden pflegen. Die Namen der Entlaufenen sieht man hier auf Blech eingegraben“ [gebe Erklärung des Vgl. im Text.]
„Hellas, d. h. Griechenland“
„Die Thatsachen für dies alles sind uns doch wohl im frischen Andenken“.
„Hier u. im folg. wird angespielt auf die Stelle in der Bibel: „Die Blinden sehen etc.“
„In den Psalmen wird der Weg des ????? in diesem erhabenen Bilde dargestellt.“
„Siehe die Zeitgeschichte“
u. so. w. – Auch dürften sich im Verfolg der Gedichte zahlreiche Erklärungen zu Franklin, Herschel, Mongolfiere etc. bis zur Unerträglichkeit wiederholen.
Ich habe mir überlegt, ob ich vielleicht alle Anmerkg. aus dem Text weglassen u. in meinen Anhang verweisen könnte, wo sie weniger Raum einnehmen, weil man sie fortlaufend drucken könnte; aber das geht kaum. Denn einige von ihnen gehören nothwendig zum Verständnis des Textes dazu. Andre erklären Namen u. Anspielungen au[f d]ie Zeitgeschichte, die auch der historisch geschulte Leser nicht gleich weiß.
Könnte ich es nun rechtfertigen, wenn ich mit den Anmerkungen ganz frei schalte & walte, weglasse, was mir über- flüssig zu s. scheint u. beibehalte, was ich für nothwendig halte? – Allerdings gehören die Anm. auch zur Signatur des Ganzen. Aber wenn schon ein Gedicht e[tw]as weitschweifig ist [wo ich nicht kürze u. meiner Meinung nach auch nicht kürzen darf, wenn ich überhaupt Texte biete], so scheinen mir weitschweifige Anmerkungen dazu die Geduld des Lesers auf eine zu harte Probe zu stellen u. auf Leser rechne ich doch.
Seien Sie also so liebenswürdig mir Ihre Meinung darüber zu sagen. Natürlich legte ich dann mein Verfahren der Anmerkg. gegenüber in meiner Vorbemerkg. oder sonstwo klar.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
aufrichtig erg.
AS.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-394
Umfang: 6 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8967. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8967/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

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