Prag 19/9 00
Smichow 586

Lieber Freund! Bevor ich wieder an die eigentliche Arbeit gehe, will ich den Faden [u]nsrer Correspondenz wieder aufnehmen, da ich während der Ferien nichts von Ihnen gehört habe. Wir waren 6 Wochen auf Sylt, in Wenningstedt, einem reizenden stillen Örtchen mit prachtvollster Luft, herrlichstem Wind und wunderbar kräftigem Wellenschlag. Die ersten 14 Tage allein, und da auch meine Bücherkiste ausgeblieben war, zu meinem Heil ganz unthätig und daher rasch erholt. Dann kamen Leitzmanns, Schüddekopf, später Suphan (vorher war auch Wahle flüchtig da); Stumpf u. der Leipziger Aegyptologe Steindorf bildeten einen weiteren Kreis. Am liebsten war mir Schüddekopf, in jeder Beziehung. Wir sprachen viel über das Archiv, die Ausgabe u. s. w.; ich lernte auch mancherlei. Suphan war anfangs sehr still u. müde, später gesprächiger; aber im Ganzen doch schon sehr senil und unerfreulich. Leitzmanns behängten sich mit allerlei unerquicklichem Gesindel, das uns abstieß und seine Pedan[te]rie und Poesielosigkeit tritt immer stärker hervor. Wir sprachen eigentlich wenig und nichts von Belang. Er setzt große Hoffnungen auf Burdachs Weggang von Halle u. die darauf folgenden Verschiebungen in Preußen. Auf dem Rückweg hielten wir uns in Hamburg, Lübeck, Wismar, Schwerin u. Berlin auf, wo wir auf dem Hinweg Meyer flüchtig sprachen; im Juli auch Schmidt, zufällig im zoolog. Garten (ich hat[te i]hn nicht aufgesucht, weil ich wußte, daß er Dekan sei u. nur ½ Tag in Berlin war.) Er war im Ganzen nicht unhöflich; aber ist doch schon zu sehr von sich eingenommen, als daß man gemüthlich mit ihm plaudern könnte. Er erzählte mir allerlei, unter andrem daß die Akademie Ausgaben von Wieland, Möser u Winckelmann plane. Ich wünsche auch um Ihretwillen, daß der Plan sich realisiere; für diese Aufgabe sind Sie geradezu geboren. – Herder Bd 15 (Ideen II) c[orri]gierte Suphan auf Sylt; er erscheint im Herbst. Ein Registerband u. eine 12 bändige Correspondenz soll sich anschließen. –
Säculargedichten drucke ich bereits; leider scheint die Druckerei momentan in Übersiedl. begriffen zu sein; denn der eilig begonnene Druck stockt. Dann muß ich die Lesarten zum Theatergötz fertig machen, da der 13. Bd. endlich [f]lott wird. Zu Ostern will ich nach Weimar; ich soll für 1902 als Schrift der Goetheges. einen Band: „Goethe & Österreich“ arbeiten, suphan’ manches in Weimar erliegen soll. Ich habe es, da Suphan keine Antworten gab, mit Schmidt vereinbart; u. jetzt thut Suphan so, als ob die Anregung von ihm ausgegangen wäre. Das Schillersche Säculargedicht, von dem ich eine Collation gebraucht hätte, gibt er selbst heraus; ebenso die [Ma]rienbader Elegie. Aber es kommt ihm bei allem mehr aufs Äußerliche, auf die Spielerei an. Euph. II hat Ihnen hoffentlich nicht misfallen, weil Sie auf die Correcturbögen nicht reagiert haben; die zu Heft 3 kommen nächstens. Ich freue mich, daß in diesem (3.) u. im 4. Heft der Recensionstheil, meine stete crux und Sorge, etwas besser ist (Petzet, Priower, Walzel); ich wollte, ich könnte ihn mit 2-3 [Le]uten allein arbeiten, wie der Anzeiger thut.
Hoffentlich haben auch Sie den Sommer recht angenehm verbracht u. gehen frisch an die Arbeit. Bleiben Sie freundlich gesinnt Ihrem aufrichtig erg. AS.

Wissen Sie etwas über G. Meyers Ende.

Prag 19/9 00
Smichow 586

Lieber Freund! Bevor ich wieder an die eigentliche Arbeit gehe, will ich den Faden [u]nsrer Correspondenz wieder aufnehmen, da ich während der Ferien nichts von Ihnen gehört habe. Wir waren 6 Wochen auf Sylt, in Wenningstedt, einem reizenden stillen Örtchen mit prachtvollster Luft, herrlichstem Wind und wunderbar kräftigem Wellenschlag. Die ersten 14 Tage allein, und da auch meine Bücherkiste ausgeblieben war, zu meinem Heil ganz unthätig und daher rasch erholt. Dann kamen Leitzmanns, Schüddekopf, später Suphan (vorher war auch Wahle flüchtig da); Stumpf u. der Leipziger Aegyptologe Steindorf bildeten einen weiteren Kreis. Am liebsten war mir Schüddekopf, in jeder Beziehung. Wir sprachen viel über das Archiv, die Ausgabe u. s. w.; ich lernte auch mancherlei. Suphan war anfangs sehr still u. müde, später gesprächiger; aber im Ganzen doch schon sehr senil und unerfreulich. Leitzmanns behängten sich mit allerlei unerquicklichem Gesindel, das uns abstieß und seine Pedan[te]rie und Poesielosigkeit tritt immer stärker hervor. Wir sprachen eigentlich wenig und nichts von Belang. Er setzt große Hoffnungen auf Burdachs Weggang von Halle u. die darauf folgenden Verschiebungen in Preußen. Auf dem Rückweg hielten wir uns in Hamburg, Lübeck, Wismar, Schwerin u. Berlin auf, wo wir auf dem Hinweg Meyer flüchtig sprachen; im Juli auch Schmidt, zufällig im zoolog. Garten (ich hat[te i]hn nicht aufgesucht, weil ich wußte, daß er Dekan sei u. nur ½ Tag in Berlin war.) Er war im Ganzen nicht unhöflich; aber ist doch schon zu sehr von sich eingenommen, als daß man gemüthlich mit ihm plaudern könnte. Er erzählte mir allerlei, unter andrem daß die Akademie Ausgaben von Wieland, Möser u Winckelmann plane. Ich wünsche auch um Ihretwillen, daß der Plan sich realisiere; für diese Aufgabe sind Sie geradezu geboren. – Herder Bd 15 (Ideen II) c[orri]gierte Suphan auf Sylt; er erscheint im Herbst. Ein Registerband u. eine 12 bändige Correspondenz soll sich anschließen. –
Säculargedichten drucke ich bereits; leider scheint die Druckerei momentan in Übersiedl. begriffen zu sein; denn der eilig begonnene Druck stockt. Dann muß ich die Lesarten zum Theatergötz fertig machen, da der 13. Bd. endlich [f]lott wird. Zu Ostern will ich nach Weimar; ich soll für 1902 als Schrift der Goetheges. einen Band: „Goethe & Österreich“ arbeiten, suphan’ manches in Weimar erliegen soll. Ich habe es, da Suphan keine Antworten gab, mit Schmidt vereinbart; u. jetzt thut Suphan so, als ob die Anregung von ihm ausgegangen wäre. Das Schillersche Säculargedicht, von dem ich eine Collation gebraucht hätte, gibt er selbst heraus; ebenso die [Ma]rienbader Elegie. Aber es kommt ihm bei allem mehr aufs Äußerliche, auf die Spielerei an. Euph. II hat Ihnen hoffentlich nicht misfallen, weil Sie auf die Correcturbögen nicht reagiert haben; die zu Heft 3 kommen nächstens. Ich freue mich, daß in diesem (3.) u. im 4. Heft der Recensionstheil, meine stete crux und Sorge, etwas besser ist (Petzet, Priower, Walzel); ich wollte, ich könnte ihn mit 2-3 [Le]uten allein arbeiten, wie der Anzeiger thut.
Hoffentlich haben auch Sie den Sommer recht angenehm verbracht u. gehen frisch an die Arbeit. Bleiben Sie freundlich gesinnt Ihrem aufrichtig erg. AS.

Wissen Sie etwas über G. Meyers Ende.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-397
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8974 [Druckausgabe Nr. 191]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8974/methods/sdef:TEI/get

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Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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