Graz 21.9.00.

Lieber freund, Ihr brief athmet eine so erfreuliche frische, dass ich doppelt gerne dafür danke. Ein ausgeruhter mensch greift alles anders an. Was Sie mir über personen schreiben, bestätigte u. verstärkte mir meine bilder. Schüddekopf ist durch u. durch fein u. tüchtig u. da er in Wernigerode nicht versumpft ist, so wird er in Weimar nicht vertrocknen: die gefahr ist da nicht klein; er hält sich wol an den „künstlern“ frisch. Über Suphan ist kein wort mehr zu verlieren: eitelkeit der impotenz, misgunst der trägheit müsste mans nennen, wenn er als gesunder mann betrachtet werden dürfte. Dass Sie von Leitzmann etwas abrücken, ist mir eine beruhigung: ich habe mich oft besonnen, ob ich dem mann (oder männchen) nicht unrecht tue, weil Sie doch schätzbares in ihm fanden; so sind wir wieder eins. Nur Erich Schm. beurteile ich milder.
Dass nach seinem vorschlag Wieland einmal in der Akademie dran kommen soll, weiss ich; ob sein vorschlag angenommen ist, weiss ich nicht; dass anderes voraus geschehen muss, macht es fraglich, ob ich den beginn dieser ausgabe erlebe.
Dank für Ihre neue sendung; Stifter begrüsse ich. Die recension über Meyer ist ganz nach meinem geschmack, gewiss nicht zu günstig; es ist sehr leicht, dem buche so ungerecht zu sein wie viele andere; es ist hingehauen und hat unebenheiten ?????, aber wer hätte den abriss jetzt besser gemacht? u. ists nicht viel besser als gar nichts? Ich hab das auch Weilen (er war mit seinem zarten weibchen hier) aus einander gesetzt, der gerne geschimpft hätte. Übrigens schreibt mir Meyer in den letzten jahren zu viel u. zu vielerlei: Schade, dass er sich abnützt; er war früher gediegener, geistreicher u. geschmackvoller. Wunderschön sind Ihre worte über Schönbachs Aufsätze. Die Euphorionbogen hab ich nicht erhalten; sie scheinen zugleich mit dem von Schönbach schmerzlich vermissten hofratsglückwunsch verloren gegangen zu sein. Am meisten interessierte mich Morris‘ Schuhu u. diesmal der Jean Paul Nachlass. Lorenz Starks ist mir auf zu breite basis gestellt, wird nicht lebendig.
Für Jerusalem dank ich Ihnen lebhaft u. freue mich die aufsätze zu besitzen; wer ist der Beer? jedenfalls bibliographisch erzogen.
Wurzbachs Bürger finde ich entsetzlich und, was das schlimmste ist, gemein: wars denn nötig das „pikante“ so breit zu treten? er kann schliesslich doch nicht jeden coitus zählen, was er am liebsten möchte.
Kommt Burdach wirklich nach Berlin? Seine einleitung zum Walther ist das erste von ihm, was mir gründlich misfiel.
Zu den Säculargedichten u. zu Goethe und österr. glück auf!
Sie fragen nach GMeyer. Er blieb bis ans ende völlig stumpf, hat wol von den krämpfen der letzten wochen nichts gespürt u. starb schliesslich an herzschwäche. Wenige kollegen gaben ihm das geleite; ich war des abends zuvor hier angekommen u. machte mirs bei dem gang zum grabe aufs neue deutlich, was für einen elenden nachfolger wir für diesen grundgescheuten und gelehrten mann haben eintauschen müssen. Wir sind jetzt seit jahren mit fast allen berufungen hereingefallen; hoffentlich ergeht es uns mit Schuchardts nachfolger nicht ebenso; das wird eine schwierige suche.
Ich war mit der familie 5 wochen ruhig in Goisern, die schwiegermama u. alle meine geschwister waren auch da u. so wars gut. Ins arbeiten bin ich leider noch nicht gekommen, hundert abhaltungen unterbrachen. Jetzt, hoffe ich, kann ich mich verbeissen: beide buben gehen zur schule; sie sollten vorher noch viel gelüftet u. der ältere auch an seine schulweisheit erinnert werden.
Vom Weimarer archiv wissen Sie nun viel mehr als ich; ich bin ganz ausser fühlung, kenne nicht einmal mehr die personen noch was gearbeitet wird.
Leben Sie wol u. bleiben mir treu. Herzlich
Ihr
BSfft.

Weilen sagt, Minors im herbst erscheinender Faust I sei voll spitzen gegen Pniower und alle Berliner.

Graz 21.9.00.

Lieber freund, Ihr brief athmet eine so erfreuliche frische, dass ich doppelt gerne dafür danke. Ein ausgeruhter mensch greift alles anders an. Was Sie mir über personen schreiben, bestätigte u. verstärkte mir meine bilder. Schüddekopf ist durch u. durch fein u. tüchtig u. da er in Wernigerode nicht versumpft ist, so wird er in Weimar nicht vertrocknen: die gefahr ist da nicht klein; er hält sich wol an den „künstlern“ frisch. Über Suphan ist kein wort mehr zu verlieren: eitelkeit der impotenz, misgunst der trägheit müsste mans nennen, wenn er als gesunder mann betrachtet werden dürfte. Dass Sie von Leitzmann etwas abrücken, ist mir eine beruhigung: ich habe mich oft besonnen, ob ich dem mann (oder männchen) nicht unrecht tue, weil Sie doch schätzbares in ihm fanden; so sind wir wieder eins. Nur Erich Schm. beurteile ich milder.
Dass nach seinem vorschlag Wieland einmal in der Akademie dran kommen soll, weiss ich; ob sein vorschlag angenommen ist, weiss ich nicht; dass anderes voraus geschehen muss, macht es fraglich, ob ich den beginn dieser ausgabe erlebe.
Dank für Ihre neue sendung; Stifter begrüsse ich. Die recension über Meyer ist ganz nach meinem geschmack, gewiss nicht zu günstig; es ist sehr leicht, dem buche so ungerecht zu sein wie viele andere; es ist hingehauen und hat unebenheiten ?????, aber wer hätte den abriss jetzt besser gemacht? u. ists nicht viel besser als gar nichts? Ich hab das auch Weilen (er war mit seinem zarten weibchen hier) aus einander gesetzt, der gerne geschimpft hätte. Übrigens schreibt mir Meyer in den letzten jahren zu viel u. zu vielerlei: Schade, dass er sich abnützt; er war früher gediegener, geistreicher u. geschmackvoller. Wunderschön sind Ihre worte über Schönbachs Aufsätze. Die Euphorionbogen hab ich nicht erhalten; sie scheinen zugleich mit dem von Schönbach schmerzlich vermissten hofratsglückwunsch verloren gegangen zu sein. Am meisten interessierte mich Morris‘ Schuhu u. diesmal der Jean Paul Nachlass. Lorenz Starks ist mir auf zu breite basis gestellt, wird nicht lebendig.
Für Jerusalem dank ich Ihnen lebhaft u. freue mich die aufsätze zu besitzen; wer ist der Beer? jedenfalls bibliographisch erzogen.
Wurzbachs Bürger finde ich entsetzlich und, was das schlimmste ist, gemein: wars denn nötig das „pikante“ so breit zu treten? er kann schliesslich doch nicht jeden coitus zählen, was er am liebsten möchte.
Kommt Burdach wirklich nach Berlin? Seine einleitung zum Walther ist das erste von ihm, was mir gründlich misfiel.
Zu den Säculargedichten u. zu Goethe und österr. glück auf!
Sie fragen nach GMeyer. Er blieb bis ans ende völlig stumpf, hat wol von den krämpfen der letzten wochen nichts gespürt u. starb schliesslich an herzschwäche. Wenige kollegen gaben ihm das geleite; ich war des abends zuvor hier angekommen u. machte mirs bei dem gang zum grabe aufs neue deutlich, was für einen elenden nachfolger wir für diesen grundgescheuten und gelehrten mann haben eintauschen müssen. Wir sind jetzt seit jahren mit fast allen berufungen hereingefallen; hoffentlich ergeht es uns mit Schuchardts nachfolger nicht ebenso; das wird eine schwierige suche.
Ich war mit der familie 5 wochen ruhig in Goisern, die schwiegermama u. alle meine geschwister waren auch da u. so wars gut. Ins arbeiten bin ich leider noch nicht gekommen, hundert abhaltungen unterbrachen. Jetzt, hoffe ich, kann ich mich verbeissen: beide buben gehen zur schule; sie sollten vorher noch viel gelüftet u. der ältere auch an seine schulweisheit erinnert werden.
Vom Weimarer archiv wissen Sie nun viel mehr als ich; ich bin ganz ausser fühlung, kenne nicht einmal mehr die personen noch was gearbeitet wird.
Leben Sie wol u. bleiben mir treu. Herzlich
Ihr
BSfft.

Weilen sagt, Minors im herbst erscheinender Faust I sei voll spitzen gegen Pniower und alle Berliner.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8975 [Druckausgabe Nr. 192]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8975/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

LinksInformation

Das Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.