Ich danke Ihnen vielmals, theuerster Freund, für Ihre beiden ausführlichen Schreiben u. für die lehrreiche schöne Genoveva-Rec. – Ich werde nicht auf [al]les in Ihren Briefen eingehen können; aber wenigstens 2 Punkte möchte ich herausgreifen: – Meyer haben Sie sehr richtig charakterisiert. Der Mann schreibt aber noch viel mehr als wir beide sehen u. wissen. So sagte mir dieser Tage ein College, daß er in einer americ Revew etwas von ihm gelesen habe. Er schreibt mit Händen u. Füssen, stehend u. gehend, wachend u schlafend. Leider [s]teh ich ihm nicht so nah, daß ich es ihm sagen könnte, wie er sich dadurch schadet. Ich bin eigentlich nicht einmal befreundet mit ihm (unsre Frauen sind es) u. wir schreiben uns kaum, wenigstens nichts Fachliches oder Sachliches. Die Rec. Ex. kann ich ihm – als Gönner der Zs. – nicht abschlagen u. er ist für d. Redacteur ein sehr angenehmer fixer Recensent. Aber zu oft erscheint er auch doch in Heft 1 u. 2.
Sie glauben daß dem Thema: Goethe u. Oest. die Einheit fehle. Zugeben muß ich, daß G. erst spät, seit der Bekanntschaft mit Sternberg Öst. als Einheit aufzufassen begann u. auch da ist die Einheit mehr Böhmen als Österreich. Gehen Sie aber von Österreich aus, kehren Sie den Titel um, dann werden Sie zugeben müssen, daß eine Einheit zu finden ist. Es kommt übe[rha]upt bei der Behandlg. des Themas viel mehr für die Geistesgeschichte Österreichs heraus als etwa für d. Entwicklg. Goethes; für jene aber sehr viel. Ich bin selbst erstaunt, auf wie viele einzelne Existenzen in Öst., auf wie viele Kreise u. Gruppen G. entscheidend eingewirkt hat. Um die [W]ende des Jhs. steht ihm Graf Harrach nah; dann kommt die Gründung des Prometheus mit Stoll, Seckendorf Palffy (über Schreyvogel & G. handelt sehr lehrreich das letzte Grillparzerjahrb.); dann kommt der ganze Kreis mit der Kaiserin Ludovica im Mittelp., der reizende Briefw. mit der O Donell; zahlreiche öst. Adlige schlossen sich hier an. – Dann Metternich u. der Kreis der Staatskanzlei (13 Briefe von Gentz); hier wären Hormayr, Deinhardstein anzureihen. Seit den 20er Jahren 3 große Briefwechsel mit Sternberg, Grüner u. Zaupper. Dazu circa 100 einzelne Corresp. in allen Kronländern. Die Frage der Aufnahme G.scher Dichtung in Öst. u. ihre Nachwirkg., die Frage, ob die Wiener Dramatik auf G. zurückwirkte u. andres tritt hinzu. Der Stoff wächst je mehr ich ihn durcharbeite u. es löst sich manches Selbstständige vermuthlich von ihm ab. Vorige Woche war ich 3 Tage in Wien, um die Briefe an Grüner zu collationieren.
Cornu erzählte mir, daß er Schönb. und Sie gesprochen habe; er ist von Graz entzückt. Er fand Schönbach sehr frisch u. munter, was mich unendlich freut. Von s. Reise wußte ich noch nichts.
Apropos: Wir begründen eine deutschböhmische Revue. Sollten Si[e] einmal etwas haben, was nach dieser Richtg. liegt, so denken Sie an uns.
Ich sende die letzten Bogen mit Jungs schönen Erinnerungen an Pichler, in denen ich nur noch einige stilistische Unebenheiten wegschaffen muß. Treulichst
Ihr alterg. AS.

Ich danke Ihnen vielmals, theuerster Freund, für Ihre beiden ausführlichen Schreiben u. für die lehrreiche schöne Genoveva-Rec. – Ich werde nicht auf [al]les in Ihren Briefen eingehen können; aber wenigstens 2 Punkte möchte ich herausgreifen: – Meyer haben Sie sehr richtig charakterisiert. Der Mann schreibt aber noch viel mehr als wir beide sehen u. wissen. So sagte mir dieser Tage ein College, daß er in einer americ Revew etwas von ihm gelesen habe. Er schreibt mit Händen u. Füssen, stehend u. gehend, wachend u schlafend. Leider [s]teh ich ihm nicht so nah, daß ich es ihm sagen könnte, wie er sich dadurch schadet. Ich bin eigentlich nicht einmal befreundet mit ihm (unsre Frauen sind es) u. wir schreiben uns kaum, wenigstens nichts Fachliches oder Sachliches. Die Rec. Ex. kann ich ihm – als Gönner der Zs. – nicht abschlagen u. er ist für d. Redacteur ein sehr angenehmer fixer Recensent. Aber zu oft erscheint er auch doch in Heft 1 u. 2.
Sie glauben daß dem Thema: Goethe u. Oest. die Einheit fehle. Zugeben muß ich, daß G. erst spät, seit der Bekanntschaft mit Sternberg Öst. als Einheit aufzufassen begann u. auch da ist die Einheit mehr Böhmen als Österreich. Gehen Sie aber von Österreich aus, kehren Sie den Titel um, dann werden Sie zugeben müssen, daß eine Einheit zu finden ist. Es kommt übe[rha]upt bei der Behandlg. des Themas viel mehr für die Geistesgeschichte Österreichs heraus als etwa für d. Entwicklg. Goethes; für jene aber sehr viel. Ich bin selbst erstaunt, auf wie viele einzelne Existenzen in Öst., auf wie viele Kreise u. Gruppen G. entscheidend eingewirkt hat. Um die [W]ende des Jhs. steht ihm Graf Harrach nah; dann kommt die Gründung des Prometheus mit Stoll, Seckendorf Palffy (über Schreyvogel & G. handelt sehr lehrreich das letzte Grillparzerjahrb.); dann kommt der ganze Kreis mit der Kaiserin Ludovica im Mittelp., der reizende Briefw. mit der O Donell; zahlreiche öst. Adlige schlossen sich hier an. – Dann Metternich u. der Kreis der Staatskanzlei (13 Briefe von Gentz); hier wären Hormayr, Deinhardstein anzureihen. Seit den 20er Jahren 3 große Briefwechsel mit Sternberg, Grüner u. Zaupper. Dazu circa 100 einzelne Corresp. in allen Kronländern. Die Frage der Aufnahme G.scher Dichtung in Öst. u. ihre Nachwirkg., die Frage, ob die Wiener Dramatik auf G. zurückwirkte u. andres tritt hinzu. Der Stoff wächst je mehr ich ihn durcharbeite u. es löst sich manches Selbstständige vermuthlich von ihm ab. Vorige Woche war ich 3 Tage in Wien, um die Briefe an Grüner zu collationieren.
Cornu erzählte mir, daß er Schönb. und Sie gesprochen habe; er ist von Graz entzückt. Er fand Schönbach sehr frisch u. munter, was mich unendlich freut. Von s. Reise wußte ich noch nichts.
Apropos: Wir begründen eine deutschböhmische Revue. Sollten Si[e] einmal etwas haben, was nach dieser Richtg. liegt, so denken Sie an uns.
Ich sende die letzten Bogen mit Jungs schönen Erinnerungen an Pichler, in denen ich nur noch einige stilistische Unebenheiten wegschaffen muß. Treulichst
Ihr alterg. AS.

Apropos: Wir begründen eine deutschböhmische Revue. Sollten Si[e] einmal etwas haben, was nach dieser Richtg. liegt, so denken Sie an uns.

Ziel der von August Sauer gegründeten Zeitschrift Deutsche Arbeit war es, eine umfangreiche Übersicht über die kulturellen Aktivitäten der deutschsprachigen Bevölkerung in Böhmen zu geben. Die Zeitschrift erschien bis zum dritten Jahrgang monatlich im Münchner Callwey Verlag, danach im Prager Karl Bellmann Verlag. Es wurde zwar der Anspruch auf eine politisch neutrale Haltung gestellt, gleichzeitig aber die große Bedeutung der Konzentration nationaler Kräfte betont.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 423/1-424
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8976 [Druckausgabe Nr. 193]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8976/methods/sdef:TEI/get

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