Prag 31/1 03
Smichow 586

Lieber Freund! Seit dem Abschluss meiner Correkturen für den Weimarerband und [be]sonders seit Empfang Ihres lieben Briefes hatte ich mich einem gewissen Wohlbehagen hingegeben, aus dem ich heute durch eine Sendung aus Weimar plötzlich gerissen worden bin. Sie ersehen die Sachlage aus beiliegendem Brief; den Brief Rulands, der im Tenor damit übereinstimmt, habe ich wieder nach Weimar zurückgesandt.
Der Brief schiebt alle Schuld auf mich. Das ist insofern nicht richtig, als [S]uphan sowohl vom Umfang meines Manuscr. wissen musste, oder wenigstens seit Wochen die Fahnen in der Hand hat, die Ihres Aufsatzes sogar seit October. Von Allem abgesehen finde ich es empörend, dass man über die wolüberlegte Arbeit eines Andern verfügt und Beschlüsse fasst, ohne ihn zu fragen. Hätte man mich gefragt, so hätte ich mich für den von Schmidt vorgeschlagenen Weg entschieden oder hätte gewünscht, dass die Anmerkungen auf Bd. 18 verschoben würden, wodurch der Hauptzweck der leichte[ren] Versendbarkeit ebenfalls erreicht worden wäre. Am meisten ärgert es mich, dass man mich Ihnen gegenüber so jämmerlich blosstellte. Dieser Lügner und Denunziant: seit Wochen, ja Monaten hüllt er sich in Stillschweigen; bloss seine dummen Erklärungen gegen Minor hat er mir zugeschickt; weder den Empfang des Sternberg, noch meiner Reden – es that mir um das verschwendete Exemplar leid – hat er mir bestätigt. Konnte er mir seine Bedenken, wenn er welche [geh]abt hat – nicht mittheilen. Und dann das Unsachliche der ganzen Behandlung. Ist das einer so grossen gelehrten Gesellschaft würdig, wegen ein paar Bogen mehr einen solchen Lärm zu schlagen; ist die Gesellschaft notleidend? Nein! Hat sie nicht Vermögen? Kann sie die geplanten Sonderschriften nicht 1 Jahr aussetzen? Übrigens habe ich mich bereit erklärt, die erwachsenden Mehrkosten, so schwer es mit fällt, [z]u tragen.
Also meine Einleitung ist nur viel zu gross, sonst gar nichts. Die Herren sind nur Verleger oder Geldmacher. Pfui!
Dass Sie nun in solcher Weise in Mitleidenschaft gezogen sind, thut mir ausserordentlich leid. Machen aber kann ich jetzt nichts mehr. Ich habe auch gar nicht mehr den Versuch gemacht, die Beschlüsse der Herren umzustossen. Ja ich habe sogar vorgeschlagen, ob man den Umdruck des ersten Bogen nicht vermeiden könnte und sich blos bei der redactionellen Notiz begnügen könnte, dass Ihr Aufsatz noch geliefert wird. – Die Bemerkungen Suphans gegen Ihren Aufsatz in dem beiliegenden Brief wenden sich weniger gegen Sie als gegen mich, da ich erklärt hatte, der Aufsatz sei zu einem integrirenden Bestandtheil meiner Einleitung gew[or]den, was ja ganz richtig ist. Suphan ärgerte sich offenbar über mich fürchterlich und hat nun in diesem Briefe versucht, mich an allen verwundbaren Stellen zu treffen.
Thun Sie mir die Freundschaft, die Sache auf sich beruhen zu lassen; nur Schmidt gegenüber könnten Sie ganz wohl das Vorgehen Suphans ins rechte Licht stellen. Tragen Sie mirs nicht nach
Nun zu Ihrem Brief. Ich hatte mich sehr gefreut, dass Sie im Allgemeinen einen günstigen Eindruck gewonnen haben. Was das „Absatzgebiet“ betrifft, so müsste – glaube ich – die Sache erwähnt werden. Diese Vorbemerkung bezieht sich auf beide Bände. Im 2 Bd. wollte ich über die Wiener Nachdrucke über ????? u. s. w. handeln. Es liegt auch ein interessanter Brief der Gräfferschen Buchhandlung vor, die G. auffordert einen Commentar zu seinen Werken für sie zu schreiben. Und aus der Consumtion so vieler Exemplare [G].scher Werke ist doch auch wieder ein Schluss erlaubt auf die Consumenten, worauf es mir vor allem ankommt. – In Bezug auf die Briefe der Kaiserin haben Sie vom künstlerischen Standpunkt aus Recht u. Sie hätten noch mehr Recht, wenn es sich nicht um eine blosse Einleitung, sondern um ein darstellendes Werk handelte. Sie hätten in eine Anmerkung oder in den Text gehört. Aber beden[ken] Sie: sie sind das Einzige Neue, was ich an Material über die Kaiserin bringe. Dann legt man in Weimar auf diese Fetzen so grossen Wert. Suphan wollte sogar einen der Briefe facsimilieren lassen, was der Grossherzog nicht gestattete. Es wurde so viel Wesens mit ihnen gemacht, dass ich sie an eine sichtbare Stelle rücken musste[.] Hammer u. Deinhardstein hätten natürlich besser in ein litterarisches Capitel gepasst als in der staatsmännische; aber ein solches scheute man ja in Weimar, wie meine Einleitg. ausdrücklich hervorhebt. Übrigens hätten dieselben Dinge, da sie in Metternichs Briefen vorkommen, irgendwo besprochen werden [m]üssen; ich hätte beide Männer also vielleicht besser nach Gentz behandelt. Endlich ist Deinhardstein wenigstens wirklich ein officiöser Schriftsteller, wie Gentz, wie Pilat, wie Jarcke. Vielleicht hätte ich das noch schärfer betonen müssen. Metternich wollte Börne für die Staatskanzlei gewinnen; gewiss trug man es Grillparzer immer nach, dass er gegen solche Vorschläge taub war. Franzos nahm ja sogar an, dass sich Goethe in den Briefen an D. immer an den Kaiser selbst wende (was Sie vielleicht in der Anmerkg. übersehen haben); so fasse ich den Verkehr mit D. als eine Fortsetzung des Verkehrs mit Metternich auf. Das Kapitel selbst gebe ich aber gerne preis. Die Hauptschwäche ist, dass ich die Bezhg. zu Gentz so flüchtig berührt habe. Aber eine neuerliche Darstellg., wenn sie über Guglia hinauskommen sollte, hätte sehr viel Platz verlangt und Sie sehen ja, wie man in Weimar über das schon Geleistete denkt. Mich reut es nun, mich überhaupt an die Sache gemacht zu haben und was wird aus meinem zweiten Band werden, wenn ich jede Zeile zählen muss.
Ich finde es sehr berührend, dass eine so schöne Institution wie die Goethegesellschaft so übel geleitet wird; da ist mir ja noch der Präsident der Gottschedgesellschaft lieber mit seiner ehrlichen wenn auch noch so übers Ziel schiessenden Begeisterung.
In grosser Empörung
Ihr
herzlich erg. AS

Prag 31/1 03
Smichow 586

Lieber Freund! Seit dem Abschluss meiner Correkturen für den Weimarerband und [be]sonders seit Empfang Ihres lieben Briefes hatte ich mich einem gewissen Wohlbehagen hingegeben, aus dem ich heute durch eine Sendung aus Weimar plötzlich gerissen worden bin. Sie ersehen die Sachlage aus beiliegendem Brief; den Brief Rulands, der im Tenor damit übereinstimmt, habe ich wieder nach Weimar zurückgesandt.
Der Brief schiebt alle Schuld auf mich. Das ist insofern nicht richtig, als [S]uphan sowohl vom Umfang meines Manuscr. wissen musste, oder wenigstens seit Wochen die Fahnen in der Hand hat, die Ihres Aufsatzes sogar seit October. Von Allem abgesehen finde ich es empörend, dass man über die wolüberlegte Arbeit eines Andern verfügt und Beschlüsse fasst, ohne ihn zu fragen. Hätte man mich gefragt, so hätte ich mich für den von Schmidt vorgeschlagenen Weg entschieden oder hätte gewünscht, dass die Anmerkungen auf Bd. 18 verschoben würden, wodurch der Hauptzweck der leichte[ren] Versendbarkeit ebenfalls erreicht worden wäre. Am meisten ärgert es mich, dass man mich Ihnen gegenüber so jämmerlich blosstellte. Dieser Lügner und Denunziant: seit Wochen, ja Monaten hüllt er sich in Stillschweigen; bloss seine dummen Erklärungen gegen Minor hat er mir zugeschickt; weder den Empfang des Sternberg, noch meiner Reden – es that mir um das verschwendete Exemplar leid – hat er mir bestätigt. Konnte er mir seine Bedenken, wenn er welche [geh]abt hat – nicht mittheilen. Und dann das Unsachliche der ganzen Behandlung. Ist das einer so grossen gelehrten Gesellschaft würdig, wegen ein paar Bogen mehr einen solchen Lärm zu schlagen; ist die Gesellschaft notleidend? Nein! Hat sie nicht Vermögen? Kann sie die geplanten Sonderschriften nicht 1 Jahr aussetzen? Übrigens habe ich mich bereit erklärt, die erwachsenden Mehrkosten, so schwer es mit fällt, [z]u tragen.
Also meine Einleitung ist nur viel zu gross, sonst gar nichts. Die Herren sind nur Verleger oder Geldmacher. Pfui!
Dass Sie nun in solcher Weise in Mitleidenschaft gezogen sind, thut mir ausserordentlich leid. Machen aber kann ich jetzt nichts mehr. Ich habe auch gar nicht mehr den Versuch gemacht, die Beschlüsse der Herren umzustossen. Ja ich habe sogar vorgeschlagen, ob man den Umdruck des ersten Bogen nicht vermeiden könnte und sich blos bei der redactionellen Notiz begnügen könnte, dass Ihr Aufsatz noch geliefert wird. – Die Bemerkungen Suphans gegen Ihren Aufsatz in dem beiliegenden Brief wenden sich weniger gegen Sie als gegen mich, da ich erklärt hatte, der Aufsatz sei zu einem integrirenden Bestandtheil meiner Einleitung gew[or]den, was ja ganz richtig ist. Suphan ärgerte sich offenbar über mich fürchterlich und hat nun in diesem Briefe versucht, mich an allen verwundbaren Stellen zu treffen.
Thun Sie mir die Freundschaft, die Sache auf sich beruhen zu lassen; nur Schmidt gegenüber könnten Sie ganz wohl das Vorgehen Suphans ins rechte Licht stellen. Tragen Sie mirs nicht nach
Nun zu Ihrem Brief. Ich hatte mich sehr gefreut, dass Sie im Allgemeinen einen günstigen Eindruck gewonnen haben. Was das „Absatzgebiet“ betrifft, so müsste – glaube ich – die Sache erwähnt werden. Diese Vorbemerkung bezieht sich auf beide Bände. Im 2 Bd. wollte ich über die Wiener Nachdrucke über ????? u. s. w. handeln. Es liegt auch ein interessanter Brief der Gräfferschen Buchhandlung vor, die G. auffordert einen Commentar zu seinen Werken für sie zu schreiben. Und aus der Consumtion so vieler Exemplare [G].scher Werke ist doch auch wieder ein Schluss erlaubt auf die Consumenten, worauf es mir vor allem ankommt. – In Bezug auf die Briefe der Kaiserin haben Sie vom künstlerischen Standpunkt aus Recht u. Sie hätten noch mehr Recht, wenn es sich nicht um eine blosse Einleitung, sondern um ein darstellendes Werk handelte. Sie hätten in eine Anmerkung oder in den Text gehört. Aber beden[ken] Sie: sie sind das Einzige Neue, was ich an Material über die Kaiserin bringe. Dann legt man in Weimar auf diese Fetzen so grossen Wert. Suphan wollte sogar einen der Briefe facsimilieren lassen, was der Grossherzog nicht gestattete. Es wurde so viel Wesens mit ihnen gemacht, dass ich sie an eine sichtbare Stelle rücken musste[.] Hammer u. Deinhardstein hätten natürlich besser in ein litterarisches Capitel gepasst als in der staatsmännische; aber ein solches scheute man ja in Weimar, wie meine Einleitg. ausdrücklich hervorhebt. Übrigens hätten dieselben Dinge, da sie in Metternichs Briefen vorkommen, irgendwo besprochen werden [m]üssen; ich hätte beide Männer also vielleicht besser nach Gentz behandelt. Endlich ist Deinhardstein wenigstens wirklich ein officiöser Schriftsteller, wie Gentz, wie Pilat, wie Jarcke. Vielleicht hätte ich das noch schärfer betonen müssen. Metternich wollte Börne für die Staatskanzlei gewinnen; gewiss trug man es Grillparzer immer nach, dass er gegen solche Vorschläge taub war. Franzos nahm ja sogar an, dass sich Goethe in den Briefen an D. immer an den Kaiser selbst wende (was Sie vielleicht in der Anmerkg. übersehen haben); so fasse ich den Verkehr mit D. als eine Fortsetzung des Verkehrs mit Metternich auf. Das Kapitel selbst gebe ich aber gerne preis. Die Hauptschwäche ist, dass ich die Bezhg. zu Gentz so flüchtig berührt habe. Aber eine neuerliche Darstellg., wenn sie über Guglia hinauskommen sollte, hätte sehr viel Platz verlangt und Sie sehen ja, wie man in Weimar über das schon Geleistete denkt. Mich reut es nun, mich überhaupt an die Sache gemacht zu haben und was wird aus meinem zweiten Band werden, wenn ich jede Zeile zählen muss.
Ich finde es sehr berührend, dass eine so schöne Institution wie die Goethegesellschaft so übel geleitet wird; da ist mir ja noch der Präsident der Gottschedgesellschaft lieber mit seiner ehrlichen wenn auch noch so übers Ziel schiessenden Begeisterung.
In grosser Empörung
Ihr
herzlich erg. AS

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 423/1-449
Umfang: 8 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9062. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9062/methods/sdef:TEI/get

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