Graz 2.1.5

Lieber freund, In dieser stunde erhalte ich Ihren brief u. bedaure aufs lebhafteste, dass Sie das jahr so verstimmt beschlossen haben. Mög Ihnen das neue neuen mut geben, vor allem Ihrer verehrten frau wider ! frische. Ich begreife, wie deren stimmung die Ihre beeinflussen muss, denn auch ich fühle mich halb krank, wenn meine frau unter Ihren nervenschmerzen zu leiden hat. Also mög es um Ihrer beider willen sich bald bessern! –
Glossy hat eben mehrere eisen im feuer und da kommt der brand nicht allen gleichmässig zu gute. Dass der Euphorion jetzt wider ! kalt oder halb kalt gestellt ist, kränkt mich, da er mir von den 3 unternehmungen das liebste ist, das einzige, das ich für lebensfähig und lebenswürdig halte. Denn an den andern stört mich die specifisch österreichische tendenz, die ich nationalpolitisch für ein unglück und sachlich für unbegründet halte: denn es gibt wol eine deutsche litteratur in Österreich, aber keine österreichische litteratur. Verzeihen Sie die offenheit; ich glaube aber doch, hierin mit Ihnen eines sinnes zu sein, zumal ich gerade wie Sie wünsche, dass die deutsche in Österreich gewachsene litteratur genau untersucht werde, und darum ja z.b. auch über den Wiener M.A. arbeiten liess. Ich hoffe, dass Sie die bewährte geschicklichkeit auch diesmal den Euphorion retten lässt. Teubner ist ein guter einfall. Mir geht durch den sinn, ob Sie nicht mit dem Schwäbischen Schillerverein in ein kompagnieverhältnis treten könnten; er beabsichtigt archivpublikationen. Ihr Schillerheft würde eine basis bilden. Vielleicht könnte das Schillerarchiv u. der verein in ein verhältnis zum Euph. treten, wie das Goethearchiv u. die GG. zum Jahrbuch. Ich bin über die pläne des vereins nicht näher unterrichtet.
Meine Lottebriefe sind 35 quartseiten manuskript, nicht zu eng geschrieben. Zusätze sind wenige nötig. An die Deutsche Rundschau dachte ich niemals, da Rodenberg mir einmal einen korb gegeben hat. Ich kann höchstens an die Öst. Rundschau gedacht haben. Die passt mir aber nach dem einzigen (ersten) heft, das ich von ihr sah, nicht dafür. Für die publikation würde sich das umgekehrte der sonst üblichen druckeinrichtung eignen: die briefe gross, die erläuterung klein (wie im Goethejahrb.). Darum u. weil ich nicht möchte, dass Sie das risiko für einen solchen beitrag nach der jetzigen pekuniären lage haben sollten, u. weil es wol zu viel zum nachtragen an das fertige ist, nehm ich anstoss, Sie noch um die aufnahme zu bitten. Sonst könnte ich hoffen, sie bis anfang februar druckfertig zu machen. Sprechen Sie ohne jede rücksicht auf mich, rein nach dem interesse des Euphorion. Ich weiss, dass Sie zu opfern der freundschaft gewillt sind, diesmal aber bitt ich Sie, rein praktisch zu entscheiden: unsere freundschaft bleibt davon unberührt aufrecht.
Treulich herzlich
Ihr
BSfft.

Graz 2.1.5

Lieber freund, In dieser stunde erhalte ich Ihren brief u. bedaure aufs lebhafteste, dass Sie das jahr so verstimmt beschlossen haben. Mög Ihnen das neue neuen mut geben, vor allem Ihrer verehrten frau wider ! frische. Ich begreife, wie deren stimmung die Ihre beeinflussen muss, denn auch ich fühle mich halb krank, wenn meine frau unter Ihren nervenschmerzen zu leiden hat. Also mög es um Ihrer beider willen sich bald bessern! –
Glossy hat eben mehrere eisen im feuer und da kommt der brand nicht allen gleichmässig zu gute. Dass der Euphorion jetzt wider ! kalt oder halb kalt gestellt ist, kränkt mich, da er mir von den 3 unternehmungen das liebste ist, das einzige, das ich für lebensfähig und lebenswürdig halte. Denn an den andern stört mich die specifisch österreichische tendenz, die ich nationalpolitisch für ein unglück und sachlich für unbegründet halte: denn es gibt wol eine deutsche litteratur in Österreich, aber keine österreichische litteratur. Verzeihen Sie die offenheit; ich glaube aber doch, hierin mit Ihnen eines sinnes zu sein, zumal ich gerade wie Sie wünsche, dass die deutsche in Österreich gewachsene litteratur genau untersucht werde, und darum ja z.b. auch über den Wiener M.A. arbeiten liess. Ich hoffe, dass Sie die bewährte geschicklichkeit auch diesmal den Euphorion retten lässt. Teubner ist ein guter einfall. Mir geht durch den sinn, ob Sie nicht mit dem Schwäbischen Schillerverein in ein kompagnieverhältnis treten könnten; er beabsichtigt archivpublikationen. Ihr Schillerheft würde eine basis bilden. Vielleicht könnte das Schillerarchiv u. der verein in ein verhältnis zum Euph. treten, wie das Goethearchiv u. die GG. zum Jahrbuch. Ich bin über die pläne des vereins nicht näher unterrichtet.
Meine Lottebriefe sind 35 quartseiten manuskript, nicht zu eng geschrieben. Zusätze sind wenige nötig. An die Deutsche Rundschau dachte ich niemals, da Rodenberg mir einmal einen korb gegeben hat. Ich kann höchstens an die Öst. Rundschau gedacht haben. Die passt mir aber nach dem einzigen (ersten) heft, das ich von ihr sah, nicht dafür. Für die publikation würde sich das umgekehrte der sonst üblichen druckeinrichtung eignen: die briefe gross, die erläuterung klein (wie im Goethejahrb.). Darum u. weil ich nicht möchte, dass Sie das risiko für einen solchen beitrag nach der jetzigen pekuniären lage haben sollten, u. weil es wol zu viel zum nachtragen an das fertige ist, nehm ich anstoss, Sie noch um die aufnahme zu bitten. Sonst könnte ich hoffen, sie bis anfang februar druckfertig zu machen. Sprechen Sie ohne jede rücksicht auf mich, rein nach dem interesse des Euphorion. Ich weiss, dass Sie zu opfern der freundschaft gewillt sind, diesmal aber bitt ich Sie, rein praktisch zu entscheiden: unsere freundschaft bleibt davon unberührt aufrecht.
Treulich herzlich
Ihr
BSfft.

Denn an den andern stört mich die specifisch österreichische tendenz, die ich nationalpolitisch für ein unglück und sachlich für unbegründet halte: denn es gibt wol eine deutsche litteratur in Österreich, aber keine österreichische litteratur. Verzeihen Sie die offenheit; ich glaube aber doch, hierin mit Ihnen eines sinnes zu sein, zumal ich gerade wie Sie wünsche, dass die deutsche in Österreich gewachsene litteratur genau untersucht werde, und darum ja z.b. auch über den Wiener M.A. arbeiten liess.

Während August Sauer immer mehr Besonderheiten einer österreichischen Literaturgeschichte herausarbeitete, lehnte Seuffert das Konzept einer eigenständigen österreichischen Literatur ab.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9129 [Druckausgabe Nr. 223]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9129/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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