Prag 22/4 04
Smichow 586
Lieber Freund! Bevor die Ferienarbeit zu Ende geht und die des Semesters anfängt will ich eine kleine Pause machen und mir die Freude eines Briefes an Sie gönnen. – Ich habe endlich einiges von mir abgewälzt. Der § Goedecke mit Grillparzer und Zedlitz ist impr., meine Verpflichtg. für den G. zu Ende; die DLD bin ich endgiltig los, nachdem ich für Gerstenberg noch [15] M. Zuschuss für den Bogen leisten musste. Schriften der Goethe-Ges. 18 ist vollständig imprimiert und aus der Sklaverei Suphans für ewige Zeiten entlassen zu sein ist mir ein wonniges Gefühl. Der 2. Bd. musste nach allen Seiten beschnitten werden und macht mir keine Freude. Nun droht freilich viele neue Arbeit für den Wiener Verein und ganz angenehm gehts dort auch nicht zu; aber es herrscht doch keine solche Engherzigkeit und Pedanterie wie in W.
– In Wien lernte ich Zwierzina kennen, der mir sehr gefiel. Er käme auch sehr gern nach Prag. Im Minist. scheint man aber um jeden Preis Krauss ernennen zu wollen und ich wundre mich eigentlich, warum es noch nicht geschehen ist. Ich war bei Heinzel – ein sehr unerquicklicher Besuch. Sehr eng hat sich seit vorigen Herbst Minor an mich wieder angeschlossen. Der Hauptgrund davon dürfte in seinen trostlosen häuslichen Verhältnissen liegen: er hat sich von seiner Frau u. den Kindern getrennt und eine neue Wohnung allein bezogen. Wie sich älteste Jugendfreundschaft über alle Hemmungen immer w[ie]der herstellt, so gieng es auch diesmal und ich konnte ihm nichts abschlagen, nicht einmal die Begleitung nach St. Louis, wohin er mir eine Einladung zum Congress verschafft hat. Und da mir alle Welt zuredete und ich mir eine gute Wirkung von der langen Seereise erwarte, so hab ich endlich zugesagt. Wir werden Ende Aug. von Bremen aus nach New-York gehen und unge[fäh]r am 22. Okt. wieder zurück sein. Das Thema des 3/4 stünd. deutschen Vortrags ist noch nicht festgesetzt. Der Congress zahlt 500 Dollars für die Reise, was allerdings nur knapp reicht; aber leben müsste man auch sonst während dieser Zeit und viel mehr zahlt man nicht darauf. Hinderlich ist mir die Reise nur wegen meiner Arbeitspläne, die eine kleine Verschiebung erfahren müssen. – Für Mai 1905 bereite ich ein Schillerheft des Euphorion [vo]r; Aufsätze, Miszellen, Rezensionen (keine eig. Jubiläumsartikel); sollten Sie selbst etwas dafür haben oder einen Schüler dazu anregen wollen, so bitte ich meiner zu gedenken.
Zwiedinecks erzählten mir in Wien von Ihnen und Ihrem Hause, leider nicht das Allerbeste. Seien Sie versichert, dass ich daran den wärmsten A[nte]il nehme. Ich überlege jedes Jahr, ob ich Sie nicht für längere Zeit sprechen könnte. Leider komm ich in diesem Jahr wieder nicht in Ihre Nähe. Dass Sie einmal nordwärts giengen, ist kaum zu hoffen. Nächstens erhalten Sie das Doppelheft in Correcturbogen – Alles gute für den Wieland. Ihr treulich erg. AS.
Prag 22/4 04
Smichow 586
Lieber Freund! Bevor die Ferienarbeit zu Ende geht und die des Semesters anfängt will ich eine kleine Pause machen und mir die Freude eines Briefes an Sie gönnen. – Ich habe endlich einiges von mir abgewälzt. Der § Goedecke mit Grillparzer und Zedlitz ist impr., meine Verpflichtg. für den G. zu Ende; die DLD bin ich endgiltig los, nachdem ich für Gerstenberg noch [15] M. Zuschuss für den Bogen leisten musste. Schriften der Goethe-Ges. 18 ist vollständig imprimiert und aus der Sklaverei Suphans für ewige Zeiten entlassen zu sein ist mir ein wonniges Gefühl. Der 2. Bd. musste nach allen Seiten beschnitten werden und macht mir keine Freude. Nun droht freilich viele neue Arbeit für den Wiener Verein und ganz angenehm gehts dort auch nicht zu; aber es herrscht doch keine solche Engherzigkeit und Pedanterie wie in W.
– In Wien lernte ich Zwierzina kennen, der mir sehr gefiel. Er käme auch sehr gern nach Prag. Im Minist. scheint man aber um jeden Preis Krauss ernennen zu wollen und ich wundre mich eigentlich, warum es noch nicht geschehen ist. Ich war bei Heinzel – ein sehr unerquicklicher Besuch. Sehr eng hat sich seit vorigen Herbst Minor an mich wieder angeschlossen. Der Hauptgrund davon dürfte in seinen trostlosen häuslichen Verhältnissen liegen: er hat sich von seiner Frau u. den Kindern getrennt und eine neue Wohnung allein bezogen. Wie sich älteste Jugendfreundschaft über alle Hemmungen immer w[ie]der herstellt, so gieng es auch diesmal und ich konnte ihm nichts abschlagen, nicht einmal die Begleitung nach St. Louis, wohin er mir eine Einladung zum Congress verschafft hat. Und da mir alle Welt zuredete und ich mir eine gute Wirkung von der langen Seereise erwarte, so hab ich endlich zugesagt. Wir werden Ende Aug. von Bremen aus nach New-York gehen und unge[fäh]r am 22. Okt. wieder zurück sein. Das Thema des 3/4 stünd. deutschen Vortrags ist noch nicht festgesetzt. Der Congress zahlt 500 Dollars für die Reise, was allerdings nur knapp reicht; aber leben müsste man auch sonst während dieser Zeit und viel mehr zahlt man nicht darauf. Hinderlich ist mir die Reise nur wegen meiner Arbeitspläne, die eine kleine Verschiebung erfahren müssen. – Für Mai 1905 bereite ich ein Schillerheft des Euphorion [vo]r; Aufsätze, Miszellen, Rezensionen (keine eig. Jubiläumsartikel); sollten Sie selbst etwas dafür haben oder einen Schüler dazu anregen wollen, so bitte ich meiner zu gedenken.
Zwiedinecks erzählten mir in Wien von Ihnen und Ihrem Hause, leider nicht das Allerbeste. Seien Sie versichert, dass ich daran den wärmsten A[nte]il nehme. Ich überlege jedes Jahr, ob ich Sie nicht für längere Zeit sprechen könnte. Leider komm ich in diesem Jahr wieder nicht in Ihre Nähe. Dass Sie einmal nordwärts giengen, ist kaum zu hoffen. Nächstens erhalten Sie das Doppelheft in Correcturbogen – Alles gute für den Wieland. Ihr treulich erg. AS.
Nun droht freilich viele neue Arbeit für den Wiener Verein und ganz angenehm gehts dort auch nicht zu; aber es herrscht doch keine solche Engherzigkeit und Pedanterie wie in W.
August Sauer war Vorstandsmitglied des Wiener Literarischen Vereins, der 1903 von Karl Glossy und Anton Bettelheim gegründet wurde. Sauer gilt jedoch als treibende Kraft hinter der Vereinsgründung. Zweck des Vereins war die Herausgabe von Handschriften und selten vorkommenden Druckwerken deutsch(-österreichisch)er Dichter und Schriftsteller sowie die Errichtung eines Literaturarchives zur Aufnahme und Benutzung von Handschriften, Briefen und Dokumenten. Sauers Kommentar betrifft das Goethe- und Schillerarchiv in Weimar, dessen Leiter Bernhard Suphan er immer wieder kritisierte.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 423/1-471
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9107 [Druckausgabe Nr. 217]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9107/methods/sdef:TEI/get
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