Graz Harrachg. 1
28.11.7
L. frd. Vorerst möchte ich den dank für die zugesandten Euphor.-bogen nachholen: leider fand ich noch nicht zeit, sie zu lesen.
Ich bedauerte, dass Sie unruhen hatten. Aber ich freute mich auch der einigkeit der deutschen studenten. Hier wenigstens war die kath. verbindung und ihr heftig christlich-socialer führer privatdocent geradezu provokant. Unser rektor wird in seiner weise die sachlage verschleiert haben: ich kenne niemand, der sein verhalten billigt, als unsern universitätssekretär. Von der rektorenkonferenz erwarte ich mehr übel als heil. Denn der minister wird jetzt einen andern standpunkt einnehmen als im märz, da er mich über diese verhältnisse ausfragte u. meiner auffassung teils zustimmte teils zuzustimmen schien.
Dass Ihnen unsere prüfungsordnungsanträge zusagen, ist uns lieb. Die prüferfrage mit dieser ordnung selbst zu verbinden, sehe ich keinen anknüpfungspunkt. Dass Ihre u. die Wiener einrichtung eine sachliche misere ist, ist zweifellos. Hier prüft Schönbach im hauptfach allein, tut sich, wie er gelegentlich sagt, nicht leicht bei dem neueren, obwol er doch wenigstens im 19. jh. selbst arbeitete. Ich werde, wie ich Ihnen am Monsee ! sagte, eine änderung nicht beantragen; denn ich prüfe lieber weniger als mehr. U. die beschäftigung der studierenden mit der neueren litt. leidet hier nicht unter der einrichtung. Aber der vorsitzende der prüfungskomm., Bauer, hatte einmal die absicht, eine änderung zu beantragen, wie sie Schönach vor jahren ohne erfolg beantragt hat: nemlich das was Sie wollen: dass beide fachvertreter an der prüfung des hauptfaches beteiligt sind. Jetzt redet Bauer nicht davon. Sachlich begründet ist die forderung zweifellos; niemand ist ein guter prüfer, der nicht in dem gebiete selbst arbeitet. Das ministerium ist mit unrecht der meinung, dass das eine erschwerung bedeute; im gegenteil, eine erleichterung; denn fragen aus völliger lebendiger sachkunde gestellt und dazu von dem gestellt, dessen vorlesungen u. übungen man kennt, sind leichter zu beantworten, als fragen eines, der dem gebiete ent- fremdet ist oder ferner steht und den man nicht darüber sprechen hörte. Die Innsbrucker habens also besser. Ich bin übrigens der meinung, dass ein selbständig denkender vorsitzender der prüfungskomm. die beteiligung beider prüfer im eigenen wirkungskreis durchführen könnte, wenn eben beide (was hiernicht der fall ist) als prüfer des hauptfaches bestellt sind. Zudem könnte er sich ja auf die Innsbrucker praxis einfach berufen. Warum in Innsbruck nicht auch die klausurarbeiten verteilt werden, verstehe ich nicht; das ist eine zweckwidrige halbherh..
Summa: ich halte Ihre absicht für durchaus im interesse der sache gelegen; ich möchte aber aus persönlichen gründen für meinen teil mich an einem vorstoss in der richtung nicht beteiligen.
Mit den besten wünschen u grüssen
Ihr
BSfft.
Graz Harrachg. 1
28.11.7
L. frd. Vorerst möchte ich den dank für die zugesandten Euphor.-bogen nachholen: leider fand ich noch nicht zeit, sie zu lesen.
Ich bedauerte, dass Sie unruhen hatten. Aber ich freute mich auch der einigkeit der deutschen studenten. Hier wenigstens war die kath. verbindung und ihr heftig christlich-socialer führer privatdocent geradezu provokant. Unser rektor wird in seiner weise die sachlage verschleiert haben: ich kenne niemand, der sein verhalten billigt, als unsern universitätssekretär. Von der rektorenkonferenz erwarte ich mehr übel als heil. Denn der minister wird jetzt einen andern standpunkt einnehmen als im märz, da er mich über diese verhältnisse ausfragte u. meiner auffassung teils zustimmte teils zuzustimmen schien.
Dass Ihnen unsere prüfungsordnungsanträge zusagen, ist uns lieb. Die prüferfrage mit dieser ordnung selbst zu verbinden, sehe ich keinen anknüpfungspunkt. Dass Ihre u. die Wiener einrichtung eine sachliche misere ist, ist zweifellos. Hier prüft Schönbach im hauptfach allein, tut sich, wie er gelegentlich sagt, nicht leicht bei dem neueren, obwol er doch wenigstens im 19. jh. selbst arbeitete. Ich werde, wie ich Ihnen am Monsee ! sagte, eine änderung nicht beantragen; denn ich prüfe lieber weniger als mehr. U. die beschäftigung der studierenden mit der neueren litt. leidet hier nicht unter der einrichtung. Aber der vorsitzende der prüfungskomm., Bauer, hatte einmal die absicht, eine änderung zu beantragen, wie sie Schönach vor jahren ohne erfolg beantragt hat: nemlich das was Sie wollen: dass beide fachvertreter an der prüfung des hauptfaches beteiligt sind. Jetzt redet Bauer nicht davon. Sachlich begründet ist die forderung zweifellos; niemand ist ein guter prüfer, der nicht in dem gebiete selbst arbeitet. Das ministerium ist mit unrecht der meinung, dass das eine erschwerung bedeute; im gegenteil, eine erleichterung; denn fragen aus völliger lebendiger sachkunde gestellt und dazu von dem gestellt, dessen vorlesungen u. übungen man kennt, sind leichter zu beantworten, als fragen eines, der dem gebiete ent- fremdet ist oder ferner steht und den man nicht darüber sprechen hörte. Die Innsbrucker habens also besser. Ich bin übrigens der meinung, dass ein selbständig denkender vorsitzender der prüfungskomm. die beteiligung beider prüfer im eigenen wirkungskreis durchführen könnte, wenn eben beide (was hiernicht der fall ist) als prüfer des hauptfaches bestellt sind. Zudem könnte er sich ja auf die Innsbrucker praxis einfach berufen. Warum in Innsbruck nicht auch die klausurarbeiten verteilt werden, verstehe ich nicht; das ist eine zweckwidrige halbherh..
Summa: ich halte Ihre absicht für durchaus im interesse der sache gelegen; ich möchte aber aus persönlichen gründen für meinen teil mich an einem vorstoss in der richtung nicht beteiligen.
Mit den besten wünschen u grüssen
Ihr
BSfft.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9242 [Druckausgabe Nr. 250]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9242/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
LinksDas Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.