Graz Harrachg.1
30.XII.7
Lieber freund, Ich danke Ihnen für 2 karten, erwidere herzlich Ihre guten wünsche, gedenke dankbar Ihres genussreichen besuches, bedauere Ihr hoffentlich überstandenes unwolsein und die rektoratslasten. Wenn Sie zuerst schrieben, Sie seien gesunder als vorher, so bestätigt das meine dekanatserfahrungen: die amtsgeschäfte halten einen in atem; aber sie zehren nicht so an der kraft wie die wissenschaftliche tätigkeit. Freilich sässen Sie lieber beim Grillparzer.
Dass Ihnen meine auf die Biberacher berechnete Wielandpredigt einigermassen gefiel, freut mich sehr. Und beruhigt mich.
Denn ich habe das werklein widerwillig verfasst. Allerdings dann hintendrein behagen empfunden, weil die Biberacher über alle erwartung empfänglich waren. Würden Sie es auf sich nehmen können, unter die Mitteilungen des Euphorion die beiliegende notiz – oder eine von Ihnen gestaltete ähnlichen inhalts – zusetzen, so würden Sie den Biberachern eine verdiente freude machen und der guten sache nützen.
Bei Ihrer frau, der wir uns empfehlen, bitt ich meinen fürsprech zu machen. Wir haben ein gedicht von ihr (aus Bethges sammlung) metrisch interpretiert, was sie hoffentlich nicht als misbrauch auffasst. Da ich im gegensatz zu Sievers dabei von der sinneserklärung ausgehe, so kam es zu verschiedener auffassung. Nun hat einer meiner jungen leute Ihre frau um auskunft gebeten: das halt ich für eine keckheit. Hätte er mirs vorher verraten, so würde ichs ihm gewehrt haben. Er hat offenbar auch kein gutes gewissen, denn ich habe das ganze unterfangen nur durch dritte gehört. Ich bin also unschuldig.
Wir haben übrigens glück gehabt. Als wir aus einem Lilienkronschen gedicht die stimmlage u. vortragsart des verf.s festgelegt hatten, kam der uns allen unbekannte verf. zum recitieren hieher und – es stimmte alles. Warum, weiss ich leider nicht. Aber wir nehmens als beweis, dass wir auf richtigen wege sind. Ich wollte, Ihre frau lese uns auch etwas vor von sich.
Nun nochmals alles beste, vor allem glückliche auferstehung des jubiläumsbandes!
In treuen Ihr
BSfft.
Graz Harrachg.1
30.XII.7
Lieber freund, Ich danke Ihnen für 2 karten, erwidere herzlich Ihre guten wünsche, gedenke dankbar Ihres genussreichen besuches, bedauere Ihr hoffentlich überstandenes unwolsein und die rektoratslasten. Wenn Sie zuerst schrieben, Sie seien gesunder als vorher, so bestätigt das meine dekanatserfahrungen: die amtsgeschäfte halten einen in atem; aber sie zehren nicht so an der kraft wie die wissenschaftliche tätigkeit. Freilich sässen Sie lieber beim Grillparzer.
Dass Ihnen meine auf die Biberacher berechnete Wielandpredigt einigermassen gefiel, freut mich sehr. Und beruhigt mich.
Denn ich habe das werklein widerwillig verfasst. Allerdings dann hintendrein behagen empfunden, weil die Biberacher über alle erwartung empfänglich waren. Würden Sie es auf sich nehmen können, unter die Mitteilungen des Euphorion die beiliegende notiz – oder eine von Ihnen gestaltete ähnlichen inhalts – zusetzen, so würden Sie den Biberachern eine verdiente freude machen und der guten sache nützen.
Bei Ihrer frau, der wir uns empfehlen, bitt ich meinen fürsprech zu machen. Wir haben ein gedicht von ihr (aus Bethges sammlung) metrisch interpretiert, was sie hoffentlich nicht als misbrauch auffasst. Da ich im gegensatz zu Sievers dabei von der sinneserklärung ausgehe, so kam es zu verschiedener auffassung. Nun hat einer meiner jungen leute Ihre frau um auskunft gebeten: das halt ich für eine keckheit. Hätte er mirs vorher verraten, so würde ichs ihm gewehrt haben. Er hat offenbar auch kein gutes gewissen, denn ich habe das ganze unterfangen nur durch dritte gehört. Ich bin also unschuldig.
Wir haben übrigens glück gehabt. Als wir aus einem Lilienkronschen gedicht die stimmlage u. vortragsart des verf.s festgelegt hatten, kam der uns allen unbekannte verf. zum recitieren hieher und – es stimmte alles. Warum, weiss ich leider nicht. Aber wir nehmens als beweis, dass wir auf richtigen wege sind. Ich wollte, Ihre frau lese uns auch etwas vor von sich.
Nun nochmals alles beste, vor allem glückliche auferstehung des jubiläumsbandes!
In treuen Ihr
BSfft.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Rohtranskription, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9245. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9245/methods/sdef:TEI/get
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