Prag 7/1 1908
Smichow 586.
Lieber Freund! Die übersandte Notiz bringe ich natürlich sehr gerne; meine Frau hat Ihnen selbst geschrieben. Ich ersah aus Ihrem Briefe, dass ich Ihnen über die Grillparzerausgabe lange nicht geschrieben habe. Ich beginne sie bereits in allen Tonarten zu verfluchen. Von allen Seiten giengen nemlich in Wien die Hetzereien gegen mich los, so dass man im Rathaus kopfscheu zu werden be[ga]nn. So gab man vor, die Sache sei noch nicht definitiv, obgleich man im Sommer selbst den betreffenden Beschluss publiziert hatte. Man hoffte mich nun wieder loszuwerden und legte mir unmögliche Bedingungen vor, in der Hoffnung, ich würde nicht darauf eingehen. Termin: 5 Jahre und Namhaftmachung meines Nachfolgers. Jakob Grimm antwort[et]e in gleichem Falle an Hirzel, er lege lieber die Arbeit nieder, als dass er seinen Nachfolger bei lebendigem Leibe bestimme. Ich überwand mich und nannte meinen Erben. Da ein Pönale etc. im Kontrakt nicht enthalten ist, gieng ich auch auf den Termin ein, mit kleiner Änderung: 5 Jahre nach dem Erscheinen des 1. Bandes (Oktober 1909). [Die]ser Kontrakt soll nun demnächst wieder an den Stadtrat gehen. Aber jetzt fängt die Hetze öffentlich an. In einem Feuilleton der NF Presse vom 22. Dez. trat Minor gegen mich auf zu Gunsten Hocks und setzte am letzten Sonntag aus Anlass eines zweifelhaften Verses in der Libussa seine perfiden Angriffe fort. Ich schrieb ihm [heu]te einen energischen Brief und werde ihm wohl öffentlich antworten müssen. Wenn er jetzt plötzlich entdeckt, dass meine Ausgabe notorisch voller Druckfehler ist, so desavouiert er sich doch eigentlich selbst, da er meine ganze Ausgabe mit Haut und Haar seiner eignen zugrunde legte. Der Vers, den er in der Libussa aufgestochen hat, war von Laube unrichtig gedruckt [ge]wesen, schon in der zweiten [A]uflage liess Vollmer den richtigen Wortlaut drucken. Ich habe also die Lesart von der er fragt, ob sie auf einem Versehen von mir beruhe, gar nicht eingeführt. Ein Blick in den Apparat der Ausgabe des Bibl. Instituts hätte ihm den richtigen Sachverhalt gezeigt. Seit der Vollendung der 5. Auflage, also seit 15/16 Jahren habe ich zu den Papieren keinen Zutritt gehabt. Warum hat Minor in dieser Zeit die Ausgabe nicht controlliert u. colla[tion]iert, warum mit seinen Leuten nicht selbst eine Ausgabe gemacht.? Jetzt, da ich sie machen soll, legt er wieder sein Veto ein, wie vor 20 Jahren, als die Papiere von Cotta für die 4. u. 5. Ausgabe verlangt und nicht ihm für seine Seminarübungen ausgefolgt wurden. Ich muss sagen: Minor ist eigentlich mein ärgster Feind; nur dass er die Feindschaft gelegentlich durch Freundschaftspa[..]dismen, übertriebene Widmungen und dgl. unterbricht. Nun aber hab ichs satt und von nun an sitze ich ihm nicht mehr auf, wie schon so oft in meinem Leben. Verzeihen Sie diesen Wutausbruch
Ihrem aufrichtig erg.
ASauer.
Prag 7/1 1908
Smichow 586.
Lieber Freund! Die übersandte Notiz bringe ich natürlich sehr gerne; meine Frau hat Ihnen selbst geschrieben. Ich ersah aus Ihrem Briefe, dass ich Ihnen über die Grillparzerausgabe lange nicht geschrieben habe. Ich beginne sie bereits in allen Tonarten zu verfluchen. Von allen Seiten giengen nemlich in Wien die Hetzereien gegen mich los, so dass man im Rathaus kopfscheu zu werden be[ga]nn. So gab man vor, die Sache sei noch nicht definitiv, obgleich man im Sommer selbst den betreffenden Beschluss publiziert hatte. Man hoffte mich nun wieder loszuwerden und legte mir unmögliche Bedingungen vor, in der Hoffnung, ich würde nicht darauf eingehen. Termin: 5 Jahre und Namhaftmachung meines Nachfolgers. Jakob Grimm antwort[et]e in gleichem Falle an Hirzel, er lege lieber die Arbeit nieder, als dass er seinen Nachfolger bei lebendigem Leibe bestimme. Ich überwand mich und nannte meinen Erben. Da ein Pönale etc. im Kontrakt nicht enthalten ist, gieng ich auch auf den Termin ein, mit kleiner Änderung: 5 Jahre nach dem Erscheinen des 1. Bandes (Oktober 1909). [Die]ser Kontrakt soll nun demnächst wieder an den Stadtrat gehen. Aber jetzt fängt die Hetze öffentlich an. In einem Feuilleton der NF Presse vom 22. Dez. trat Minor gegen mich auf zu Gunsten Hocks und setzte am letzten Sonntag aus Anlass eines zweifelhaften Verses in der Libussa seine perfiden Angriffe fort. Ich schrieb ihm [heu]te einen energischen Brief und werde ihm wohl öffentlich antworten müssen. Wenn er jetzt plötzlich entdeckt, dass meine Ausgabe notorisch voller Druckfehler ist, so desavouiert er sich doch eigentlich selbst, da er meine ganze Ausgabe mit Haut und Haar seiner eignen zugrunde legte. Der Vers, den er in der Libussa aufgestochen hat, war von Laube unrichtig gedruckt [ge]wesen, schon in der zweiten [A]uflage liess Vollmer den richtigen Wortlaut drucken. Ich habe also die Lesart von der er fragt, ob sie auf einem Versehen von mir beruhe, gar nicht eingeführt. Ein Blick in den Apparat der Ausgabe des Bibl. Instituts hätte ihm den richtigen Sachverhalt gezeigt. Seit der Vollendung der 5. Auflage, also seit 15/16 Jahren habe ich zu den Papieren keinen Zutritt gehabt. Warum hat Minor in dieser Zeit die Ausgabe nicht controlliert u. colla[tion]iert, warum mit seinen Leuten nicht selbst eine Ausgabe gemacht.? Jetzt, da ich sie machen soll, legt er wieder sein Veto ein, wie vor 20 Jahren, als die Papiere von Cotta für die 4. u. 5. Ausgabe verlangt und nicht ihm für seine Seminarübungen ausgefolgt wurden. Ich muss sagen: Minor ist eigentlich mein ärgster Feind; nur dass er die Feindschaft gelegentlich durch Freundschaftspa[..]dismen, übertriebene Widmungen und dgl. unterbricht. Nun aber hab ichs satt und von nun an sitze ich ihm nicht mehr auf, wie schon so oft in meinem Leben. Verzeihen Sie diesen Wutausbruch
Ihrem aufrichtig erg.
ASauer.
Ich ersah aus Ihrem Briefe, dass ich Ihnen über die Grillparzerausgabe lange nicht geschrieben habe. Ich beginne sie bereits in allen Tonarten zu verfluchen. Von allen Seiten giengen nemlich in Wien die Hetzereien gegen mich los, so dass man im Rathaus kopfscheu zu werden be[ga]nn. So gab man vor, die Sache sei noch nicht definitiv, obgleich man im Sommer selbst den betreffenden Beschluss publiziert hatte.
Trotz des Beschlusses des Wiener Stadtrates, eine historisch-kritische Grillparzerausgabe zu finanzieren, war das Projekt immer noch von Unsicherheiten geprägt.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 423/1-546
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9246 [Druckausgabe Nr. 251]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9246/methods/sdef:TEI/get
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