Lieber freund, Ich bedaure, dass Ihnen der tod des kanzleidirektors vermehrte amtsgeschäfte macht. Unserer geht zum sommer u. wir haben noch keinen ersatz. Wir haben jetzt den 3. regenten in diesem jahr auf dem rektorsstuhl; bin begierig, ob er bestätigt wird, u. ob er zu seiner zweifellosen eignung das unentbehrliche glück findet.
Ihre anweisung ist eingelaufen. Sollte wider erwarten ein defizit sich einstellen, so werde ich Ihr anerbieten gebrauchen.
Ich wusste nicht, dass Schenkl Sie gefragt hat, noch dass Sie angenommen haben, der kommission zu präsidieren. Ganz im anfang hat er mir Ihren namen genannt u. ich stimmte lebhaft zu. Dann aber hörte ich, dass er Seemüller und Minor angegangen habe und dass er Zwierzina gewonnen habe.
Warum ich nicht mitspiele? Als Bauer vor 2 jahren von Gomperz gegen seine neigung genötigt wurde, sich für eine Grazer philol. versammlg. einzusetzen, habe ich seine bedenken, dass hier kein boden sei, geteilt: 1) nicht weil wir keine vertretung der klassischen philologie besitzen, mit der man staat machen kann; 2) nicht weil wir keinen gebornen präsidenten besitzen; 3) nicht weil die stadt für festlichkeiten nicht sorgen und das publikum die philologen eher unfreundlich als entgegenkommend aufnehmen wird. Gegen Bauers ersten wunsch u. erwartung kam es damals doch so weit, dass Graz neben Basel kandidiert wurde. Ich habe eine beteiligung abgelehnt. Auch noch aus der persönlichen erwägung, dass ich nicht die anziehungskraft besitze, in diesen angulus terrarum illustre germanisten zu ziehen; dass ich mit unserer im schuldienst rasch abgenutzten schülerzahl keine sektionsverhandlungen nahrhaft machen kann; dass ich also der Wiener judenschaft freies feld bieten würde, was mich nicht lockt.
Als nun Schenkl proprio motu die sache wieder aufnahm und durchführte, war für mich keiner der gründe, die mich früher bestimmten, weggefallen. Dazu kam der, dass ich einem mir ferner stehenden (aber keineswegs verfeindeten, wir verkehren auf gutem fusse, nur nicht intim) kaum gewähren konnte, was ich meinem freunde Bauer abgeschlagen hatte. Geändert hatte sich nur das eine, dass damals durch widerstand vielleicht etwas noch zu hemmen war, was nach meiner meinung nicht zum besten des ansehens unserer universität ausschlagen kann, während jetzt die wahl von Graz perfekt ist. Das konnte meine Gründe nicht entkräften. Die stadt wird nichts leisten als ein paar theaterplätze. Der staat wird festschriften bezahlen. U. doch ist der gesellige teil für das gelingen einer versammlung nicht unwichtig. Die slavisten verlangen eine eigene kommission, das ist politisch bedenklich u. wird ihnen doch eingeräumt werden, obwol es ein novum ist. Schenkl glaubte mich besonders damit zu fangen, dass die Baseler beschlossen haben, die frage: wissenschaft u. gymnasialunterricht gerade fürs deutsche zu besprechen. Das Wendland-Brandl-Harnackische wesen halte ich nicht für ergibig; wenigstens nicht in der germanistischen sektion; es gehört in eine pädagogische. Ich interessiere mich wirklich für den gymn.unterricht, tat es schon bevor er mir durch meine buben auf die finger brannte, aber die germanistische sektion hat m.e. rein philologische aufgaben.
Ich schreibe Ihnen all das vertraulich, damit Sie meine gewiss überraschende zurückhaltung begreifen. Auf auswärtige leiter fällt kein schatten des misglückens. dem einheimischen haftet die allgemeine blamage als persönliche an. Ich wünsche lebhaft, dass alle meine befürchtungen sich als falsch erweisen. –
Auf Ihre rektoratsrede bin ich begierig, um so mehr als Sie mir das thema verraten haben und ich dabei nur neues lernen kann.
Bestens grüsst
BSfft.

Ich habe 3 wochen influenza hinter mir, lese wieder, bin noch elend u. dabei von arbeit bedrängt.

Lieber freund, Ich bedaure, dass Ihnen der tod des kanzleidirektors vermehrte amtsgeschäfte macht. Unserer geht zum sommer u. wir haben noch keinen ersatz. Wir haben jetzt den 3. regenten in diesem jahr auf dem rektorsstuhl; bin begierig, ob er bestätigt wird, u. ob er zu seiner zweifellosen eignung das unentbehrliche glück findet.
Ihre anweisung ist eingelaufen. Sollte wider erwarten ein defizit sich einstellen, so werde ich Ihr anerbieten gebrauchen.
Ich wusste nicht, dass Schenkl Sie gefragt hat, noch dass Sie angenommen haben, der kommission zu präsidieren. Ganz im anfang hat er mir Ihren namen genannt u. ich stimmte lebhaft zu. Dann aber hörte ich, dass er Seemüller und Minor angegangen habe und dass er Zwierzina gewonnen habe.
Warum ich nicht mitspiele? Als Bauer vor 2 jahren von Gomperz gegen seine neigung genötigt wurde, sich für eine Grazer philol. versammlg. einzusetzen, habe ich seine bedenken, dass hier kein boden sei, geteilt: 1) nicht weil wir keine vertretung der klassischen philologie besitzen, mit der man staat machen kann; 2) nicht weil wir keinen gebornen präsidenten besitzen; 3) nicht weil die stadt für festlichkeiten nicht sorgen und das publikum die philologen eher unfreundlich als entgegenkommend aufnehmen wird. Gegen Bauers ersten wunsch u. erwartung kam es damals doch so weit, dass Graz neben Basel kandidiert wurde. Ich habe eine beteiligung abgelehnt. Auch noch aus der persönlichen erwägung, dass ich nicht die anziehungskraft besitze, in diesen angulus terrarum illustre germanisten zu ziehen; dass ich mit unserer im schuldienst rasch abgenutzten schülerzahl keine sektionsverhandlungen nahrhaft machen kann; dass ich also der Wiener judenschaft freies feld bieten würde, was mich nicht lockt.
Als nun Schenkl proprio motu die sache wieder aufnahm und durchführte, war für mich keiner der gründe, die mich früher bestimmten, weggefallen. Dazu kam der, dass ich einem mir ferner stehenden (aber keineswegs verfeindeten, wir verkehren auf gutem fusse, nur nicht intim) kaum gewähren konnte, was ich meinem freunde Bauer abgeschlagen hatte. Geändert hatte sich nur das eine, dass damals durch widerstand vielleicht etwas noch zu hemmen war, was nach meiner meinung nicht zum besten des ansehens unserer universität ausschlagen kann, während jetzt die wahl von Graz perfekt ist. Das konnte meine Gründe nicht entkräften. Die stadt wird nichts leisten als ein paar theaterplätze. Der staat wird festschriften bezahlen. U. doch ist der gesellige teil für das gelingen einer versammlung nicht unwichtig. Die slavisten verlangen eine eigene kommission, das ist politisch bedenklich u. wird ihnen doch eingeräumt werden, obwol es ein novum ist. Schenkl glaubte mich besonders damit zu fangen, dass die Baseler beschlossen haben, die frage: wissenschaft u. gymnasialunterricht gerade fürs deutsche zu besprechen. Das Wendland-Brandl-Harnackische wesen halte ich nicht für ergibig; wenigstens nicht in der germanistischen sektion; es gehört in eine pädagogische. Ich interessiere mich wirklich für den gymn.unterricht, tat es schon bevor er mir durch meine buben auf die finger brannte, aber die germanistische sektion hat m.e. rein philologische aufgaben.
Ich schreibe Ihnen all das vertraulich, damit Sie meine gewiss überraschende zurückhaltung begreifen. Auf auswärtige leiter fällt kein schatten des misglückens. dem einheimischen haftet die allgemeine blamage als persönliche an. Ich wünsche lebhaft, dass alle meine befürchtungen sich als falsch erweisen. –
Auf Ihre rektoratsrede bin ich begierig, um so mehr als Sie mir das thema verraten haben und ich dabei nur neues lernen kann.
Bestens grüsst
BSfft.

Ich habe 3 wochen influenza hinter mir, lese wieder, bin noch elend u. dabei von arbeit bedrängt.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 6 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9249 [Druckausgabe Nr. 252]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9249/methods/sdef:TEI/get

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Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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