Prag 13/6 11
Smichow 586
[Lie]ber Freund! Verzeihen Sie, dass ich diesmal die Euphorionbogen verbummelt habe; ich sende sie trotzdem jetzt noch nach, weil es doch möglich wäre, dass Sie sie, wie früher einmal, einem Studenten zu überlassen pflegen. Der Grund der Verzögerung liegt in der schweren Erkrankung und [d]em Tod meines älteren (und noch einzigen) Bruders; bald nach Weihnachten setzte es ein und vor 3 Wochen gieng es zu Ende. Die Aufregung und Unruhe, mehrmalige Reisen u. s. w. Wir waren unser drei, nun bin ich allein; man kommt sich unwillkürlich wie gezeichnet vor.
Jedoch nicht um zu klagen wollte ich diesen Brief schreiben. Sondern a[u]s folgendem Grund. Wir schlagen gegenwärtig unsern Dozenten Schneider, der auch in Freiburg i. d. Sch. im Vorschlag ist, zum a. o. Prof. vor. Mehr als den Titel wird er wol nicht erreichen; er hat ein Buch über Hippel so eben fertig gestellt. Nun schrieb mir Wukadinovič einen ziemlich heftigen und in gewi[sse]m Sinne beleidigenden Brief, worin er an meine Gerechtigkeit appelierte ! und gleichfalls vorgeschlagen zu werden verlangte. Weil er nun möglicherweise einen ähnlichen Brief auch an Sie geschrieben hat und Sie möglicherweise die hiesigen Vorfälle in einem falschen Licht ansehen, so schreibe ich Ihnen die Wahr[heit]. Als ich den Vorschlag Schneider erwog, sprach ich mit Hauffen u. Krauss auch wegen einer ev. Einbeziehung von W. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass im Kreis der Professoren der deutschen Technik eine grosse Erbitterung gegen ihn herrscht, die bei den nahen Beziehungen die in Prag zwischen beiden Hochschulen besteht !, sich auch a[uf] die Univ. verpflanzt hat. Er spricht an der utraquistischen Technik-Bibliothek, die er leitet, nur tschechisch, hat sich dort ganz auf die Seite der Tschechen von Anfang an geschlagen und vertritt auch in Bezug auf den Neubau die Forderungen der Tschechen. Also nicht aus wissenschaftlichen Gründen müssen wir ihn fallen lassen, sondern aus nationalen.
Es wäre auch für den günstigsten wissenschaftlichen Vorschlag keine Majorität in unserer Fakultät zu finden und ich habe keine Lust, mir eine nationale Niederlage zu bereiten. Diese Gründe sind ausschliesslich die massgebenden. Er kann mir menschlich leid tun; aber in Prag sind einmal die nationalen Gründe die Ausschlag gebenden.
Hoffentlich geht es Ihnen gut. Mit den besten Empfehlungen
Ihr herzlich erg.
AS.
Prag 13/6 11
Smichow 586
[Lie]ber Freund! Verzeihen Sie, dass ich diesmal die Euphorionbogen verbummelt habe; ich sende sie trotzdem jetzt noch nach, weil es doch möglich wäre, dass Sie sie, wie früher einmal, einem Studenten zu überlassen pflegen. Der Grund der Verzögerung liegt in der schweren Erkrankung und [d]em Tod meines älteren (und noch einzigen) Bruders; bald nach Weihnachten setzte es ein und vor 3 Wochen gieng es zu Ende. Die Aufregung und Unruhe, mehrmalige Reisen u. s. w. Wir waren unser drei, nun bin ich allein; man kommt sich unwillkürlich wie gezeichnet vor.
Jedoch nicht um zu klagen wollte ich diesen Brief schreiben. Sondern a[u]s folgendem Grund. Wir schlagen gegenwärtig unsern Dozenten Schneider, der auch in Freiburg i. d. Sch. im Vorschlag ist, zum a. o. Prof. vor. Mehr als den Titel wird er wol nicht erreichen; er hat ein Buch über Hippel so eben fertig gestellt. Nun schrieb mir Wukadinovič einen ziemlich heftigen und in gewi[sse]m Sinne beleidigenden Brief, worin er an meine Gerechtigkeit appelierte ! und gleichfalls vorgeschlagen zu werden verlangte. Weil er nun möglicherweise einen ähnlichen Brief auch an Sie geschrieben hat und Sie möglicherweise die hiesigen Vorfälle in einem falschen Licht ansehen, so schreibe ich Ihnen die Wahr[heit]. Als ich den Vorschlag Schneider erwog, sprach ich mit Hauffen u. Krauss auch wegen einer ev. Einbeziehung von W. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass im Kreis der Professoren der deutschen Technik eine grosse Erbitterung gegen ihn herrscht, die bei den nahen Beziehungen die in Prag zwischen beiden Hochschulen besteht !, sich auch a[uf] die Univ. verpflanzt hat. Er spricht an der utraquistischen Technik-Bibliothek, die er leitet, nur tschechisch, hat sich dort ganz auf die Seite der Tschechen von Anfang an geschlagen und vertritt auch in Bezug auf den Neubau die Forderungen der Tschechen. Also nicht aus wissenschaftlichen Gründen müssen wir ihn fallen lassen, sondern aus nationalen.
Es wäre auch für den günstigsten wissenschaftlichen Vorschlag keine Majorität in unserer Fakultät zu finden und ich habe keine Lust, mir eine nationale Niederlage zu bereiten. Diese Gründe sind ausschliesslich die massgebenden. Er kann mir menschlich leid tun; aber in Prag sind einmal die nationalen Gründe die Ausschlag gebenden.
Hoffentlich geht es Ihnen gut. Mit den besten Empfehlungen
Ihr herzlich erg.
AS.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 423/1-576
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9301 [Druckausgabe Nr. 261]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9301/methods/sdef:TEI/get
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