Lieber freund, Schönbach sagte mir gestern abends, dass Ihr 25jähriges Wirken in Prag gefeiert worden sei; ehe ich meinen Glückwunsch dazu aussprechen konnte, traf Ihr brief mit der traurigen familiennachricht ein. Nehmen Sie die versicherung an, dass ich Ihre vereinsamung nachfühlen kann. Auch mich traf die nachricht vom hinsinken eines jugendfreundes voriges jahr wie ein streifschuss und ich sah betroffen auf frau und unfertige söhne. Dann gewöhnt man sich wieder in den tagesdienst und ich wünsche, dass Ihre vielseitige tätigkeit, die nirgends ersetzt werden kann, auch Ihnen nicht ruhe lässt zum nachsinnen. –
Wukadinović hat mir schon lange nicht geschrieben. Ich kenne ihn zu gut, um nicht zu begreifen, dass er sich gegner macht; dass er national unzuverlässig sein soll, bleibt mir unbegreiflich; erklären könnte ich es mir nur aus seiner verbitterung; zu rechtfertigen wäre es auch damit nicht. Sein böser genius hat ihn seiner zeit nach Graz geführt, Graz ist kein sprungbrett für einen germanisten.
Für die Euphorionkorrekturen werde ich sehr dankbar sein; ich lege mir die blätter gerne zu den zugehörigen büchern und verschenke dann u. wann einen aufsatz, der einen andern mehr interessiert. Das ex., auf das ich abonniert bin, benütze ich als nachschlagewerk.
In Ihrer schuld stecke ich wieder tief. Ich hatte mir viel zu dem Wieland der Gold. bibl. notiert, was ich nun kaum mehr verstehe, ohne alle äusserungen des herausgebers wieder durchzulesen. Jetzt bin ich von den GRM gedrängt auf die längst verheissene fortsetzung des kompositionartikels. Auch der ist unfertig. Meine Gedanken stecken ganz in poetik. Im seminar interpretiere ich lyriker, lauter stücke, die ich noch nie vorgenommen hatte; vielleicht kommen wir dabei einmal tiefer ins lyrische wesen hinein, das gar so schwer zu bestimmen ist.
Einer meiner zuhörer, Hübler, wendet sich an Sie mit der bitte, seiner Ihnen von mir schon angekündigten Käthchen v. Heilbronn-studie zur erscheinung zu helfen. Ich halte die arbeit für gut.
Mit den besten wünschen und herzlichen grüssen Ihr
sehr ergebener
BSeuffert.

Lieber freund, Schönbach sagte mir gestern abends, dass Ihr 25jähriges Wirken in Prag gefeiert worden sei; ehe ich meinen Glückwunsch dazu aussprechen konnte, traf Ihr brief mit der traurigen familiennachricht ein. Nehmen Sie die versicherung an, dass ich Ihre vereinsamung nachfühlen kann. Auch mich traf die nachricht vom hinsinken eines jugendfreundes voriges jahr wie ein streifschuss und ich sah betroffen auf frau und unfertige söhne. Dann gewöhnt man sich wieder in den tagesdienst und ich wünsche, dass Ihre vielseitige tätigkeit, die nirgends ersetzt werden kann, auch Ihnen nicht ruhe lässt zum nachsinnen. –
Wukadinović hat mir schon lange nicht geschrieben. Ich kenne ihn zu gut, um nicht zu begreifen, dass er sich gegner macht; dass er national unzuverlässig sein soll, bleibt mir unbegreiflich; erklären könnte ich es mir nur aus seiner verbitterung; zu rechtfertigen wäre es auch damit nicht. Sein böser genius hat ihn seiner zeit nach Graz geführt, Graz ist kein sprungbrett für einen germanisten.
Für die Euphorionkorrekturen werde ich sehr dankbar sein; ich lege mir die blätter gerne zu den zugehörigen büchern und verschenke dann u. wann einen aufsatz, der einen andern mehr interessiert. Das ex., auf das ich abonniert bin, benütze ich als nachschlagewerk.
In Ihrer schuld stecke ich wieder tief. Ich hatte mir viel zu dem Wieland der Gold. bibl. notiert, was ich nun kaum mehr verstehe, ohne alle äusserungen des herausgebers wieder durchzulesen. Jetzt bin ich von den GRM gedrängt auf die längst verheissene fortsetzung des kompositionartikels. Auch der ist unfertig. Meine Gedanken stecken ganz in poetik. Im seminar interpretiere ich lyriker, lauter stücke, die ich noch nie vorgenommen hatte; vielleicht kommen wir dabei einmal tiefer ins lyrische wesen hinein, das gar so schwer zu bestimmen ist.
Einer meiner zuhörer, Hübler, wendet sich an Sie mit der bitte, seiner Ihnen von mir schon angekündigten Käthchen v. Heilbronn-studie zur erscheinung zu helfen. Ich halte die arbeit für gut.
Mit den besten wünschen und herzlichen grüssen Ihr
sehr ergebener
BSeuffert.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9302 [Druckausgabe Nr. 262]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9302/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

LinksInformation

Das Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.