Prag 9/5 13
Smichow 586


Lieber Freund!
Bei dem traurigen Ereigniss von Schmidts vorzeitigem Hingang hab ich viel mehr an Sie gedacht als an mich; denn ich weiss, dass er an Ihnen bis in die letzte Zeit sehr hieng und dass Sie diese Liebe erwidert haben. Ich selbst hab in jungen Jahren ihn unendlich lieb gehabt, obwohl er in seiner Weise [im]mer etwas herablassend und spöttisch sich gegen mich gab; bewundert habe ich ihn auch später immer und ich denke ganz ohne Groll an ihn zurück. In den letzten Briefen, die wir zu Weihnachten mit einander wechselten, sprachen wir uns auch über die törichten Anrempeleien aus, in denen sich Kosch in letzter Zeit leider gefiel; die ich [nic]ht blos misbillige, sondern von denen ich erst durch Schmidts Brief erfuhr. Ich habe Kosch den Kopf gehörig darüber gewaschen und ihm im Wiederholungsfall mit einem Bruche gedroht. Es ist mit diesen jungen hitzigen Leuten eine böse Sache; sie brächten einen, wenn man es zuliesse, mit der ganzen Welt auseinan[der].
Da Zwierzina so lange zögert, da ich auch früher schon, bei Husser u.a. mit den versprochenen Nekrologen Unglück hatte, so durchzuckte mich schon mehrfach der Gedanke, keine Nekrologe mehr zu bringen; Personalno- tizen, auch Todesanzeigen hab ich ohnehin schon längst eingestellt. Nun möchte man aber vielleicht, gerade bei Minor, spezielle Absicht dahinter wittern und einen Nek[ro]log auf Schmidt würde jedermann vermissen. Ich würde also trachten: Schönbach, Minor, Werner, Schmidt gemeinsam etwa zu Beginn des XXI. Jg. (1914) zu charakterisieren (wobei freilich auch Suphan vielleicht nachzutragen wäre), wenn Sie mich für einen wenigstens unterstützen. Haben Sie für Schmidt noch Niemandem zugesagt, so übernehmen Sie, bitte, diese traurige Pflicht für den Euphorion; Minor kann ich nicht übernehmen, eher Werner; für Minor finde ich vielleicht jemanden in Wien; Zwierzina will ich dann neuerdings bitten. Wissen Sie Suphans wegen Rat? Meinen Sie, dass es Anfang des nächsten Jahrgangs zu spät wäre, so schaffe ich auch früher Platz. Ich hatte manchmal daran gedacht, zu Anf. des XXI. Jg. wieder einige methodische Aufsätze zusammenzustellen. Deren Stelle nähmen die Nekrologe ein.
Die Dinge in Wien scheinen eine merkwürdige Wendung zu nehmen. Gegen Kösters Berufung wäre an und für sich weder sachlich noch persönlich etwas einzuwenden; aber ein unico loco – Vorschlag wäre doch gegen uns beide eine grosse Ungerechtigkeit. Ich bin auf alles gefasst [un]d wünschte nur, dass man mich möglichst in Ruhe liesse.
Ich werde mich jetzt noch mehr an Sie anklammern, als bisher. Bleiben Sie mir gut!
Ihr treulich erg. AS.

Prag 9/5 13
Smichow 586


Lieber Freund!
Bei dem traurigen Ereigniss von Schmidts vorzeitigem Hingang hab ich viel mehr an Sie gedacht als an mich; denn ich weiss, dass er an Ihnen bis in die letzte Zeit sehr hieng und dass Sie diese Liebe erwidert haben. Ich selbst hab in jungen Jahren ihn unendlich lieb gehabt, obwohl er in seiner Weise [im]mer etwas herablassend und spöttisch sich gegen mich gab; bewundert habe ich ihn auch später immer und ich denke ganz ohne Groll an ihn zurück. In den letzten Briefen, die wir zu Weihnachten mit einander wechselten, sprachen wir uns auch über die törichten Anrempeleien aus, in denen sich Kosch in letzter Zeit leider gefiel; die ich [nic]ht blos misbillige, sondern von denen ich erst durch Schmidts Brief erfuhr. Ich habe Kosch den Kopf gehörig darüber gewaschen und ihm im Wiederholungsfall mit einem Bruche gedroht. Es ist mit diesen jungen hitzigen Leuten eine böse Sache; sie brächten einen, wenn man es zuliesse, mit der ganzen Welt auseinan[der].
Da Zwierzina so lange zögert, da ich auch früher schon, bei Husser u.a. mit den versprochenen Nekrologen Unglück hatte, so durchzuckte mich schon mehrfach der Gedanke, keine Nekrologe mehr zu bringen; Personalno- tizen, auch Todesanzeigen hab ich ohnehin schon längst eingestellt. Nun möchte man aber vielleicht, gerade bei Minor, spezielle Absicht dahinter wittern und einen Nek[ro]log auf Schmidt würde jedermann vermissen. Ich würde also trachten: Schönbach, Minor, Werner, Schmidt gemeinsam etwa zu Beginn des XXI. Jg. (1914) zu charakterisieren (wobei freilich auch Suphan vielleicht nachzutragen wäre), wenn Sie mich für einen wenigstens unterstützen. Haben Sie für Schmidt noch Niemandem zugesagt, so übernehmen Sie, bitte, diese traurige Pflicht für den Euphorion; Minor kann ich nicht übernehmen, eher Werner; für Minor finde ich vielleicht jemanden in Wien; Zwierzina will ich dann neuerdings bitten. Wissen Sie Suphans wegen Rat? Meinen Sie, dass es Anfang des nächsten Jahrgangs zu spät wäre, so schaffe ich auch früher Platz. Ich hatte manchmal daran gedacht, zu Anf. des XXI. Jg. wieder einige methodische Aufsätze zusammenzustellen. Deren Stelle nähmen die Nekrologe ein.
Die Dinge in Wien scheinen eine merkwürdige Wendung zu nehmen. Gegen Kösters Berufung wäre an und für sich weder sachlich noch persönlich etwas einzuwenden; aber ein unico loco – Vorschlag wäre doch gegen uns beide eine grosse Ungerechtigkeit. Ich bin auf alles gefasst [un]d wünschte nur, dass man mich möglichst in Ruhe liesse.
Ich werde mich jetzt noch mehr an Sie anklammern, als bisher. Bleiben Sie mir gut!
Ihr treulich erg. AS.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 423/1-600
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9349 [Druckausgabe Nr. 271]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9349/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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