Lieber Freund, Für Ihre Teilnahme danke ich Ihnen herzlich. Ich habe schwere Zeit.
Aber auch Sie hatten wieder Böses. Das tut mir aufrichtig leid. Möge die neue Operation zu dauernder Gesundheit führen. Dass darnach ein Fieber Ihre Schwäche vermehrte, war doppelt empfindlich. Und mit dem „Aufpäppeln“ des Leibes ist man ja jetzt schlecht dran.
Die eiserne Energie, mit der Sie bei der Arbeit trotz allem ausharren, bewundere ich, wie ich stets Ihre Leistungsfähigkeit bewundert habe. Ich bin seit dem zwecklosen Opfer des Sohnes darnieder, gleichgültig gegen alles. Und nun mir die Sorge um meine lange leidende Frau auf ganz unvorhergesehene schreckliche Weise genommen ist, – sie erwachte nach guter Nacht mit Sprachlähmung – ist der Inhalt des Lebens verloren. Ich wage nicht zu hoffen, dass ich die Genesung meines letzten Kindes erlebe, obwohl ich mir sage: ich darf die Augen nicht schliessen, bevor er arbeitsfähig geworden ist.
Dass ich bei solcher Stimmung schweigsam wurde, begreifen Sie. Aber auch Sie sind es wahrhaftig u. haben mir ja ausdrücklich geschrieben, dass Sie jede Minute auf Ihre „Hauptgeschäfte“ goethisch zu reden verwenden wollen. Da wär ich mir auch wie ein Störenfried vorgekommen. Und Persönliches wollte ich nicht vorklagen, Politi- sches ist garstig Lied und der Zensur bedenklich, weil wir ja jetzt so herrlich frei sind; und Fachliches – ich habe unter meinen 84 Semestern noch kein so elendes gehabt wie das letzte, heute volles Haus, morgen leeres in stetem Wechsel. Kein Kopf ist bei der Sache, die ehemaligen Krieger denkunfähig geworden u. ohne Beharrungsvermögen, ermüdet, lahm. Gewiss bin ich auch nicht frisch – wie sollte ich auch. Die allgemeinen Erlebnisse zermürben zu den familiären dazu. Der Berliner Wieland stockt: wer hat Lust und Sammlung?
Herzlich mit Dank u. Gruss an Sie und Ihre Gattin freundschaftlich verbunden
Ihr
BSeuffert

Lieber Freund, Für Ihre Teilnahme danke ich Ihnen herzlich. Ich habe schwere Zeit.
Aber auch Sie hatten wieder Böses. Das tut mir aufrichtig leid. Möge die neue Operation zu dauernder Gesundheit führen. Dass darnach ein Fieber Ihre Schwäche vermehrte, war doppelt empfindlich. Und mit dem „Aufpäppeln“ des Leibes ist man ja jetzt schlecht dran.
Die eiserne Energie, mit der Sie bei der Arbeit trotz allem ausharren, bewundere ich, wie ich stets Ihre Leistungsfähigkeit bewundert habe. Ich bin seit dem zwecklosen Opfer des Sohnes darnieder, gleichgültig gegen alles. Und nun mir die Sorge um meine lange leidende Frau auf ganz unvorhergesehene schreckliche Weise genommen ist, – sie erwachte nach guter Nacht mit Sprachlähmung – ist der Inhalt des Lebens verloren. Ich wage nicht zu hoffen, dass ich die Genesung meines letzten Kindes erlebe, obwohl ich mir sage: ich darf die Augen nicht schliessen, bevor er arbeitsfähig geworden ist.
Dass ich bei solcher Stimmung schweigsam wurde, begreifen Sie. Aber auch Sie sind es wahrhaftig u. haben mir ja ausdrücklich geschrieben, dass Sie jede Minute auf Ihre „Hauptgeschäfte“ goethisch zu reden verwenden wollen. Da wär ich mir auch wie ein Störenfried vorgekommen. Und Persönliches wollte ich nicht vorklagen, Politi- sches ist garstig Lied und der Zensur bedenklich, weil wir ja jetzt so herrlich frei sind; und Fachliches – ich habe unter meinen 84 Semestern noch kein so elendes gehabt wie das letzte, heute volles Haus, morgen leeres in stetem Wechsel. Kein Kopf ist bei der Sache, die ehemaligen Krieger denkunfähig geworden u. ohne Beharrungsvermögen, ermüdet, lahm. Gewiss bin ich auch nicht frisch – wie sollte ich auch. Die allgemeinen Erlebnisse zermürben zu den familiären dazu. Der Berliner Wieland stockt: wer hat Lust und Sammlung?
Herzlich mit Dank u. Gruss an Sie und Ihre Gattin freundschaftlich verbunden
Ihr
BSeuffert

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 3 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9377 [Druckausgabe Nr. 282]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9377/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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